Der risikoarme Plan des Teamchefs wird zum Risiko

Marcel Koller hat die Spielweise seiner Mannschaft verändert. In Hinblick auf die EM-Qualifikation bereitet das mehr Sorge als Hoffnung. Eine Analyse von Gerald Gossmann


Marcel Koller wirkt glücklich an diesem Abend in Olmütz. Das österreichische Team hat 2:1 gewonnen. Das ist besser als im letzten Auswärtsspiel gegen einen in der Weltrangliste höher klassierten Gegner. In Schweden stand es zuletzt am Ende 1:2. Es sollte die letzte Niederlage sein. Es folgten Siege gegen Färoer, USA und Tschechien, zwei Remis gegen Uruquay und Island. Das klingt nicht schlecht. Trotzdem geistert die Niederlage in Schweden noch immer über dem ÖFB-Team. Beinahe wie ein Damoklesschwert. Auf der einen Seite spielt man dadurch nicht im Konzert der Großen am Zuckerhut. Auf der anderen Seite hat der Teamchef diesen Abend nicht vergessen, auch wenn er ihn schon verarbeitet hat.

 

Kurz nachdem klar war, dass Österreich nicht nach Brasilien reisen wird, präsentierte Marcel Koller öffentlich seinen adaptierten Plan und Antworten auf die Problemstellungen, an denen er seit dem Schweden-Spiel kiefelte. Wie verhalten wir uns defensiv klüger bei einer Führung? Wie verlieren wir bei Ballverlust in der Rückwärtsbewegung nicht die Ordnung? Das alles waren Fragen, die ihm das Spiel gegen Schweden und dort vor allem die zweite Spielhälfte stellte. Nach einer fulminanten ersten Halbzeit verspielte die österreichische Mannschaft nämlich nicht nur die Führung, sondern auch Kollers Glauben an die gewagte Spielweise. Den Glauben an das von ihm installierte Offensivpressing, dessen Manko er jetzt erkannt haben wollte: die fehlende Absicherung, wenn es in Richtung des eigenen Tores geht.

 

Zu viel Pressing, zu wenig Verwalten
Seit Kollers Amtsantritt verbindet man Österreichs Team vor allem mit einer Eigenschaft: dem Offensivpressing, das je nach Bedarf das Spiel seiner Mannschaft ankurbelte. Kollers Mannen spielten so im ersten Spiel in der Ukraine. Und auch zuletzt in Schweden. Dort funktionierte das Offensivpressing bereits so gut, dass den Schweden zuweilen schwindelig wurde und der österreichische Zuschauer von einem neuen Wunderteam träumte. Aus seinen Träumen riss ihn alleine die zweite Hälfte, in der die schwedische Mannschaft das Pressing der Österreicher zunehmend unterbinden konnte und Koller die Führung mit einem geordneten Rückzug verteidigen wollte. Am Ende stand es 1:2 und jubelnde Schweden drehten am Platz ihre Runden.
Koller hat seinen Schuldigen gefunden: die gut geschmierte und vom Team verinnerlichte Pressing-Gangart. Koller denkt, dass sein Team nicht in der Lage war, das Ergebnis über die Runden zu bringen, weil es zu sehr Pressing und zu wenig Verwalten verinnerlicht hatte.


In den letzten drei Testspielen trat das ÖFB-Team daher verändert auf. Die Formationen stehen tiefer, alles wirkt abwartender, behäbiger, langsamer. Koller will Spiele mehr kontrollieren. Ein offensives Pressing gibt dem Gegner bei Ballgewinn Räume, die Koller aber nicht mehr hergeben will. Seine Strategie dafür: Pressingphasen finden so gut wie nicht mehr statt. Gegen die Tschechen stand die österreichische Abwehr oft so passiv im eigenen Elfmeterraum, dass sich die Tschechen den Ball über mehrere Stationen am Sechzehner zuspielen konnten, ehe ein Spieler die passende Schussposition wählte.


Die Art und Weise wie das österreichische Team ein Fußballspiel bestreitet, hat sich geändert. Der Teamchef will keine hungrigen Löwen beim risikoreichen Angriffpressing bestaunen. Koller fordert aktuell abgeklärte Füchse, die ein Spiel verwalten können. Der Teamchef dürfte seine neue Philosophie gut weitergegeben haben. Seine Mannschaft verwaltet nämlich. Das Problem dabei: sie tut es das ganze Spiel über.


Der 2:1-Sieg in Tschechien hat Koller darin bestärkt. Auch wenn der Teamchef nach dem Spiel von einer nicht zufriedenstellenden Leistung sprach, sein Grinser nach Spielende war ungewohnt breit.


Das Team scheint seiner Stärke beraubt
Dabei hat sich die Chance auf Siege durch die Adaption der Spielphilosophie nicht geändert. Spieler und Trainer betonen vermehrt auf Ergebnis spielen zu wollen, klüger, abgeklärter, ausgefuchster. Dabei geht das schwer: Das Spiel in Tschechien hätte neben dem 2:1-Sieg auch 2:2 oder 1:2 enden können. Da war nicht viel mit sicherem Verwalten, manchmal spielte das Team eher Harakiri. Vor allem dann, wenn man besonders viel verwalten wollte. Dabei scheinen die Spieler für eine aktive Spielweise durchaus eher geeignet. Koller spricht zwar davon, mehr Pressing in den einzelnen Zonen gefordert zu haben. Erfüllt wurde seine Forderung aber weder gegen Uruquay noch gegen Island oder Tschechien. Das Team scheint dagegen seiner Stärke beraubt, seinem Markenzeichen: dem Offensivpressing.

 

Dagegen regiert, ähnlich wie unter den Teamchefs vor ihm, verstärkt der Zufall. Gegen Island wurde über die schlechte Chancenauswertung gejammert, gegen die Tschechen saß beinahe jeder Schuss aufs Tor. Das zeigt: auch wenn im Fußball vieles berechenbar geworden ist – ob der Ball letztendlich vom Spieler über die Linie gedrückt wird, zählt weiterhin nicht dazu. Was logisch erscheint: Chancenauswertung kann man schwer trainieren. Das sagt auch der Teamchef. Chancenauswertung bleibt eine der Unkonstanten des Fußballspiels. Chancenauswertung ist einmal schlecht, dann wieder gut, irgendwie schwer berechenbar. Die einzige Möglichkeit die Wahrscheinlichkeit für Siege zu erhöhen, liegt darin so viele Chancen wie möglich zu kreieren. Und das – so hat es der Fußball immer wieder bewiesen – geht mit einer aktiven Spielweise besser als mit dem passiven Verwalten eines Spiels, dessen Unberechenbarkeit man ihm damit nicht nimmt sondern verstärkt.
g.gossmann@90minuten.at

>>> Video: Highlights Tschechische Republik vs Österreich <<< 

 

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