Das Ende des Spektakels

Salzburg gewinnt seine Spiele wieder, spielt aber anders Fußball als im letzten Jahr. Damit ist der Verein vom angestrebten Weg abgekommen. Eine Analyse von Gerald Gossmann

Salzburg gewinnt wieder, auch wenn die Bilder von heuer denen aus dem Vorjahr nicht wirklich ähneln. Wo letztes Jahr Spektakel stand, steht aktuell Biedermeierstil. Eigentlich wollte der Verein die Spielphilosophie des letzten Jahres heuer noch verfeinern. Was ist passiert?


Red Bull Salzburg hatte lange nicht die Möglichkeit für etwas zu stehen, das nur annähernd so etwas wie Popularität bringt. Red Bull ist ein Verein aus der Retorte, ohne Vereinsfarben, ohne Geschichte, ohne Tradition. Wenn etwas mit den Jahren Tradition bekam, dann war es die Marke als Retortenklub ohne Seele. Jedenfalls war das bis zur letzten Saison so. Da spielte der Retortenklub plötzlich wie aus einem Guss. Trainer Roger Schmidt wurde immer öfter von internationalen Medien angerufen, die über Salzburg schreiben wollten, weil sie das Pressing, das dort gespielt wurde, als einzigartig ansahen. Salzburg besiegte damit Bayern München. Salzburg wurde überragend Meister. Salzburg gewann die Gruppenphase mit dem Punktemaximum. Salzburg überrollte damit Ajax Amsterdam. Der Retortenklub Salzburg stand plötzlich für etwas. Wer Salzburg sagte, der sah rollende Angriffe und Spieler, die wie wild gewordene Stiere attackierten.

 

Salzburger Fußball in Leverkusen

GEPA-02101468060„Ich habe in meiner Karriere noch nie gegen eine Mannschaft gespielt, die mit so einer hohen Intensität gespielt hat wie Red Bull Salzburg", sagte Pep Guardiola, der schon gegen alle Größen des Weltfußballs Mannschaften aufs Feld schickte. Seit Ralf Rangnick das Zepter in Salzburg übernommen hatte, stand Salzburg für aggressives Pressing. Wer Salzburg spielen sah, der wollte plötzlich nicht mehr gegen die Kommerzialisierung des Fußballs protestieren. Und wollte er es dennoch, dann kam er vor lauter Staunen, Klatschen und Jubeln nicht dazu. Red Bull Salzburg wurde heuer sogar für die „außergewöhnlich gute Entwicklung in internationalen Bewerben" von den Vertretern der wichtigsten europäischen Fußballclubs ausgezeichnet. Es muss dazu gesagt werden: Der Preis galt dem Spiel der Vorsaison.

 

Der prämierte Fußball der Salzburger wird heute immer noch gespielt. Weniger in Salzburg, mehr in Leverkusen, wo Roger Schmidt seit Beginn dieser Saison werkt. In Salzburg trainiert Adi Hütter die Mannschaft. So ganz sattelfest wirkt der Vorarlberger noch nicht in seiner neuen Rolle. Seine neue Rolle sieht vor, eine Mannschaft, die im letzten Jahr international mehr als konkurrenzfähig war noch konkurrenzfähiger zu machen. Unter Beibehaltung der bereits etablierten und gut geölten Spielphilosophie. Ralf Rangnick war überzeugt davon, dass Hütter im letzten Jahr mit Grödig dasselbe spielte wie Schmidt mit Salzburg. Jetzt wirkte es eher so, als ob Schmidt mit Leverkusen dasselbe spielt wie mit Salzburg und Hütter mit Salzburg dasselbe wie mit Grödig. Die Vorgabe der sportlichen Führung in Salzburg war es, die klubeigene Spielphilosophie beizubehalten. „Die Spielphilosophie, wie Grödig aufgetreten ist, ist nicht so weit weg von unserer", sagte Sportdirektor Rangnick nach der Verpflichtung Hütters. Und auch Hütter bekräftigte: „Ich möchte den bei Red Bull Salzburg eingeschlagenen Weg fortsetzen und die erfolgreiche Spielphilosophie mit meiner Art als Trainer weiterentwickeln."

 


Plan B ersetzt Plan A

Jetzt ist Salzburg gerade dabei seine Spielweise umzustellen, nachdem drei Ligaspiele und zwei Europacupspiele nicht gewonnen werden konnten. Das hat mehrere Gründe. Auf der einen Seite funktionierte das Spiel unter Hütter zunehmend nicht so wie unter seinem Vorgänger. Die Mannschaftsteile standen zu weit auseinander, das Pressing war weniger konsequent und weniger aggressiv. In Salzburg versuchte man das auf das Ausscheiden in der Champions Leaque und die damit verbundene Enttäuschung zu schieben. In Wahrheit war man aber deshalb erst ausgeschieden, weil das Pressing nicht mehr wirklich funktionierte. Das Angriffspressing, das Adi Hütter spielen lässt, gibt dem Gegner durch die fehlende Konsequenz, mit der es gespielt wird, ständig Möglichkeiten, die freien Räume der Salzburger für Gegenangriffe auszunützen.

 

Das Gebilde des Vorjahres, das beinahe immer wie auf Kommando funktionierte, wirkte unter Hütter viel zerbrechlicher. Hütter hat das bemerkt. Lässt er sein Pressing spielen, bekommt Salzburg zu viele Tore. Zuletzt waren das drei gegen Sturm Graz, eines gegen den WAC, drei gegen die Austria. Am Ende standen drei Niederlagen und null Punkte auf dem Konto. Im Spiel darauf gegen Rapid reagierte Hütter und präsentierte eine neue taktische Variante. „Wir sind momentan nicht in der Lage, so hoch zu pressen, weil die Sprintbereitschaft nicht so war, wie sie sein sollte. Deswegen musste man die Schlüsse ziehen, sich zurückziehen und kompakt stehen", erklärte er. Salzburg gewann durch zwei Tore in den letzten zehn Minuten das Spiel.

 

Dabei stellt sich die Frage: War das ein Plan B, der Salzburg wieder auf die Siegerstraße zurückführen sollte? War das ein Plan, der nur aus der Not heraus entstand, um eine verunsicherte Mannschaft nicht in das nächste Unheil zu stürzen? Oder war das eine neue Strategie, die künftig die Spielweise von Salzburg darstellen soll und damit die Spielweise der letzten Saison ablöst?

 

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Salzburg wieder auf der Siegerstraße (Foto: Gepa Pictures)

 

Der Motor ist ausgebaut

Vor einem Jahr wurde Ralf Rangnick in einem Interview mit der deutschen „Welt" danach gefragt, wie denn Red Bull-Fußball genau aussehen solle. Rangnick antwortete: „Aggressives Vorwärtsverteidigen und Pressing. Bei eigenem Ballbesitz schnell und direkt nach vorne spielen, Quer- und Rückpässe sind da eher nicht so gefragt. Wir wollen einen roten Faden durch die beiden Vereine ziehen." Und auch Adi Hütter sagte noch zu seinem Amtsantritt: „Etwas Funktionierendes soll man nicht in alle Richtungen verändern. Es wäre gefährlich und naiv den Motor auszubauen. Man sollte nur an kleinen Schrauben drehen."

 

Im Europaleague-Spiel gegen die Rumänen von Astra Giurgiu trat Salzburg erneut passiver auf als es grundsätzlich ihrer Spielphilosophie entspricht. Salzburg stand zum Teil kompakter, agierte noch zurückgezogener als schon ein paar Tage zuvor gegen Rapid. Beinahe konnte man den Eindruck gewinnen, der Motor aus der Vorsaison wäre ausgebaut worden. Das Spiel endete 2:1 für Salzburg. Das Erkennungsmerkmal, das Angriffspressing, aus der vergangenen Saison scheint derzeit ad acta gelegt. Auch letzte Saison wurde gelegentlich ein Plan B in Salzburg gefordert. Aus guten Gründen. Es brauchte eine Alternative, sollte der Hurra-Fußball einmal nicht funktionieren. Bei Salzburg macht es aktuell aber eher den Anschein, als ob Hütter an Plan A gescheitert wäre und mit Plan B aus der Not einfach eine Tugend macht. Während Roger Schmidt in Deutschland aktuell viel Lob erntet, ist das Salzburger Spiel nur mehr schwer mit dem Spiel der letzten Saison zu vergleichen. Es stellt sich die Frage: Warum gelingt Adi Hütter kein ähnliches Angriffspressing wie seinem Vorgänger?

Salzburg ist auf die Siegerstraße zurückgekehrt, dabei aber vom Weg abgekommen

Was auch feststeht: Salzburg verliert mit der neuen Ausrichtung seine Spiele nicht mehr. Zuletzt wurde im Cup, in der Meisterschaft und im Europacup gewonnen. „Mit drei Siegen infolge bewegen wir uns wieder dorthin, wo wir hingehören", erklärte der Salzburg-Trainer. Nach dem Spiel gegen Astra Girugiu sprachen Hütter und seine Spieler von einem Arbeitssieg. „Wir haben nicht gut gespielt, aber es hat gereicht", erklärte Stürmer Soriano. „Ich war extrem sauer, weil ich viel umsonst gelaufen bin. Wenn du dem Gegner Platz lässt, läufst du extrem viel und viel umsonst. Das nervt mich. Bei meiner Position läufst du so 70 Meter hin und her und sollst mit dem Ball dann auch noch etwas machen", analysierte Kevin Kampl nach dem Astra-Spiel.

 

Salzburg spielt nicht mehr wie die Pressing-Maschine von einem anderen Stern, sondern eher wie der österreichische Klubfußball-Durchschnitt. Mit dem Unterschied, dass Salzburg einen Haufen Klassespieler zur Verfügung hat, der das Niveau der Spiele auf einem gewissen Level hält. Die neue Spielweise bringt Siege, aber einen nicht dorthin wo man eigentlich hinwollte. Wo Salzburg im letzten Jahr die Gegner selbstbewusst dominierte, ist heuer ein schüchternes Herantasten zu bemerken. Was derzeit offensichtlich ist: Hütters neue Spielweise hat Salzburg zurück auf die Siegerstraße geführt. Sie hat Salzburg aber auch vom eigentlich angestrebten Weg abgebracht.
g.gossmann@90minuten.at