Austria Wien: Und täglich grüßt der Neubeginn

Die Austria hat zuletzt mit jedem Trainer auch die Spielphilosophie gewechselt. Jetzt scheint der regierende österreichische Meister erneut bei null zu beginnen. Eine Analyse von Gerald Gossmann

Die Austria tut sich derzeit schwer vor das Tor des Gegners zu kommen. Manchmal mischen sich Fehlpässe in das Aufbauspiel. Manchmal versuchen sie es in zu geringem Tempo. Und manchmal lassen sich die Angreifer vom Gegner so weit auf die Seiten des Spielfeldes drängen, dass sie mit dem Ball ins Out laufen. Meistens sieht es so aus, als ob die Mannschaft aus einem langen Tiefschlaf erwacht wäre. So, als ob man das Fußballspielen ganz neu erlernen müsste. Jeder Pass, jeder Laufweg, jeder Torschuss sieht noch sehr zerbrechlich aus. Dabei steht da der regierende österreichische Fußballmeister auf dem Feld. Eine Mannschaft, die im letzten Jahr überlegen vor Salzburg den Titel holte. Und ein paar Monate später trägt die Mannschaft Angriffe vor, als müsste man ein rohes Ei ins Tor tragen. Fans und Funktionäre sind sich einig: die Mannschaft muss nach der Amtszeit von Nenad Bjelica bei null beginnen. Auf Herbert Gager wartet viel Arbeit.


Man könnte jetzt fragen: Wieso muss eine Mannschaft, die in den letzten zwei Jahren beinahe in derselben Besetzung zusammenspielte, die vor kurzem noch wie aus einem Guss spielte, mit dem Einmaleins des Fußballs beginnen?


Vastic und Bjelica setzten beinahe das Gegenteil von der gewünschten Spielweise um
Auffällig ist: Die Austria hat in den letzten beiden Jahren viermal den Trainer gewechselt. Und so nebenbei auch jedes Mal ihre Spielphilosophie. Karl Daxbacher ließ offensiv spielen, Ivica Vastic defensiv, Peter Stöger kontrolliert offensiv und Nenad Bjelica eher abwartend. Austria-Sportvorstand Thomas Parits betont regelmäßig, dass die Austria immer spielgestaltend und bestimmend auftreten müsse. Trotzdem setzten Vastic und Bjelica beinahe das Gegenteil um. Aber wie kann das passieren?


Peter Stöger und Manfred Schmid formten die Austria in der letzten Saison zu einer Mannschaft, die konstant und mit spielerischen Mitteln Spiele für sich entscheiden konnte. Am Ende wurde die Austria Meister. Das System der beiden überzeugte auch Funktionäre des 1. FC Köln. Kurz darauf stand die Austria ohne Trainer da. Aber Sportvorstand Parits erinnerte sich: Stöger hatte die Arbeit von Nenad Bjelica immer wieder positiv erwähnt. Der Kroate spielte mit dem Aufsteiger WAC eine Bombensaison. Parits schlug zu. Dabei gab es ein Manko in Bjelicas Spielphilosophie, das der Austria-Führung nicht auffiel. Bei den Wolfsbergern war Bjelica nicht gezwungen das Spiel zu gestalten. Die Gegner standen gegen den Aufsteiger meist höher, Bjelicas Team konnte auf schnelle Umschaltmomente nach Ballgewinn setzen. Dadurch hatten sie schnell Räume für ihr Angriffsspiel. Sprich: Ball in der Vorwärtsbewegung des Gegners gewinnen, hoch nach vorne und auf einen unsortierten Gegner hoffen. Gegen die Austria stehen Mannschaften zumeist tiefer. Das bringt ein Titel als regierender Meister und der klingende Name so mit sich. Bjelica setzte weiterhin auf schnelle Umschaltmomente und hohe Bälle nach Ballgewinn. Nur waren die zumeist das falsche Mittel, weil die Räume danach fehlten. Bjelica punktete deshalb nur in der Champions League, wo seine Spielanlage eher funktionierte. Dort war seine Mannschaft wieder der Underdog. So wie sein WAC im Aufstiegsjahr. Das Spiel der Austria in der Meisterschaft sah dagegen immer häufiger nach Kick and Rush aus. Nach einem planlosen den Ball nach vorne schlagen. Was in Wolfsberg funktionierte, war bei der Austria zum Scheitern verurteilt.


Die Trainerwahl der Austria ging von den letzten drei Versuchen zweimal schief
Dabei ist es nicht das erste Mal, dass die Austria von der Spielphilosophie ihres Trainers überrascht wurde. Nach der Beurlaubung von Ivica Vastic meinte Parits gegenüber 90minuten.at: „Wir hätten nicht geglaubt, dass der Ivo defensiven Fußball spielen lassen wird."


Fragt man Parits nach der grundsätzlichen Spielphilosophie des Vereins, antwortet er: „Der Herbert Gager hat jetzt gesagt: Wir wollen das Spiel diktieren." Auf die Frage, ob man als Sportvorstand nicht die gewünschte Spielphilosophie vorgeben und dazu den passenden Trainer holen sollte, kommt: „Die Austria spielt immer offensiv, aber natürlich hat jeder Trainer seien Bevorzugungen. Der Sportvorstand kann ja nicht vorgeben, wie wir spielen. Es gibt Trainer, die mehr offensiv orientiert sind. Und es gibt Trainer, die spielen mehr auf Sicherheit. Das hängt vom Trainer ab."


Parits, der sportlich Verantwortliche, sitzt dabei einem Missverständnis auf. Natürlich kann ein Sportchef einem Trainer nicht die gewünschte Spielweise diktieren. Das würde sich niemand gefallen lassen. Ein Sportchef kann aber eine Spielphilosophie bestimmen, sie in Eckpunkten benennen und danach auf die Suche nach dem passenden Mann gehen. Bei der Austria ging die Trainerwahl zuletzt von drei Versuchen zweimal schief. Zweimal schien man von der Spielweise und Art des eigenen Trainers überrascht.


Jetzt geht es in erster Linie um das Erwursteln eines Europacupstartplatzes
Beispielhaft für die konsequente Umsetzung oder die Verweigerung einer Spielphilosophie sind derzeit zwei Bundesligisten: In Salzburg setzte Sportdirektor Ralf Rangnick nach der gewünschten Spielphilosophie Trainer und Mannschaft wie ein Puzzle zusammen. Das war so erfolgreich, dass nicht nur der Titel in Österreich schon beinahe fix ist, sondern auch Ajax Amsterdam im Europaleague-Sechzehntelfinale nicht den Funken einer Chance hatte. Ein anderes Beispiel ist Sturm Graz, wo der Verein zuerst den offensiv orientierten Hyballa werken ließ und seit dieser Saison auf den defensiveren Milanic setzt, der mit Spielern arbeitet, die der Verein vor allem für eine offensivere Spielweise verpflichtete. Sturm Graz steht nach der 1:4-Heimniederlage gegen Wolfsberg auf Platz acht von zehn Mannschaften.


Auch die Austria erholt sich nur mühevoll vom ständigen Wechsel der Spielphilosophie. Im ersten Spiel unter Gager war die Mannschaft so nervös und limitiert, dass beinahe keine Kombinationen bis vors gegnerische Tor führten. Im Heimspiel vom Wochenende gegen den Tabellenletzten gewann die Austria erstmals nach sechs sieglosen Runden. 2:1 lautete der Endstand, nach einem Torschussverhältnis von 2:2. Die Meistermannschaft ist ein Schatten ihrer selbst. Jetzt geht es in erster Linie um das Erwursteln eines Europacupstartplatzes.


Obwohl die Austria seit zwei Jahren in beinahe unveränderter Besetzung spielt, beginnt die Mannschaft unter Herbert Gager derzeit wieder bei null. Vor allem auch deshalb, weil die Austria-Führung nach dem Meistertitel zwar an den Spielern festgehalten hat, nicht aber an der Spielphilosophie.

g.gossmann@90minuten.at