Sturm Graz: Fehler im System
Die Spielidee von Darko Milanic funktioniert noch nicht. Der Verein bittet um Geduld. Dabei sind begangene Fehler bereits klar ersichtlich. Eine Analyse von Gerald Gossmann .
Sturm Graz, der Verein, der so sehr die Zeit herbeisehnt, als man in Europas Königsklasse ein aufstrebender Stern war, scheiterte vergangene Woche an Breidablik. Die Isländer waren nicht nur unaussprechbar, sondern auch unüberwindbar. 0:1 stand es nach zwei Spielen aus der Sicht von Sturm. In beiden Spielen konnte kein Treffer erzielt werden. Auch am Wochenende blieb Sturm torlos. 0:2 hieß es am Ende gegen Aufsteiger Grödig.
Dabei sitzt seit dieser Saison der erklärte Wunschtrainer auf der Trainerbank von Sturm Graz, der alle gestellten Kriterien erfüllte. Darko Milanic, Abwehrrecke aus der glorreichen Sturm-Zeit Ende der Neunziger, bis vor kurzem erfolgreicher Trainer in Marburg – vier Meistertitel und drei Cupsiege in fünf Jahren gehen auf sein Konto. Sturm angelte lange nach ihm. Seine Verpflichtung war medial ein Paukenschlag. Milanic erinnert nicht nur an große Erfolge in Graz, er scheint sie auch erneut bringen zu können. Denn was Schopp, Haas, Neukirchner & Co. fehlte – nämlich Erfahrung und Erfolge als Trainer - hat Milanic längst geschafft.
Keine Kritik – Appell an die Medien
Präsident Jauk und Generalmanager Goldbrich stritten sich beinahe um die Verkündung des Deals. Goldbrich, der Netzwerker in den Reihen von Sturm, versuchte Sturm nach der verpatzten letzten Saison in ruhigeres Fahrwasser zu führen. Gemeinsam mit Spielern, Funktionären, Fans und Medien soll der Karren wieder flott gemacht werden, forderte Goldbrich. Der Appell an die Medien schien ihm wichtig. Nach der Kritikwelle des letzten Jahres, sollten Kritiker nicht gleich mit Saisonstart losplärren. Der Aufruf von Goldbrich hat dabei nichts Ungewöhnliches. Ähnliche Aufforderungen und Übereinkommen zwischen Verein und Medienvertretern haben Tradition in Österreich. Der ÖFB forderte vor der Europameisterschaft im eigenen Land den ORF auf, positive Stimmung zu machen und mit Kritik am Nationalteam zu sparen. Der Hintergedanke dabei: Nur so könne im Land und beim Publikum Euphorie entfacht werden und der Verband ruhig arbeiten. Ähnliches wünschen sich Bundesligavertreter jährlich zur Saisonauftaktpressekonferenz: Ein bisschen Güte und Nachsicht in der Berichterstattung für mehr Ruhe. Heißt im Klartext: Ein bisschen PR für ein besseres Bild der eigenen Marke, von der im Endeffekt ja alle leben.
Ein Stück Osim
Auch Goldbrichs Aufruf an Medienvertreter zeigte Wirkung. Im Vorfeld gab es nahezu ausschließlich vorfreudige und positive Berichterstattung über den neuen Weg von Sturm. Das hat auf der einen Seite damit zu tun, dass Journalisten zumeist auch Fans eines Teams sind und sich Erfolg irgendwo herbeiwünschen. Auf der anderen Seite hilft man den vereinsinternen Übermittlern von regelmäßigen Infos auch gerne weiter, wenn es mal ein Anliegen gibt. Die Berichterstattung vor dem Saisonstart las sich zu einem großen Teil wenig analytisch und milde. Milanic ist ein toller Trainer, er wird Zeit brauchen, Sturm hat sich gut verstärkt, Geduld ist angesagt. Mit Darko Milanic wünschten sich Fans wie Journalisten auch ein Stück Osim zurück nach Graz. Schließlich hatte der Slowene unter dem Großmeister aller Sturm-Trainer gespielt, Osims Philosophie also aus erster Hand mitbekommen.
Die Vorbereitung und die ersten Pflichtspiele zeigen ein anderes Bild. Darko Milanic hat ein bevorzugtes System, das schon in Marburg funktioniert hatte. 4-4-2 in eher defensiver Ausprägung. Mit Osim hat das wenig zu tun. Auch in Interviews bekräftigt Milanic kein Osim zu sein. „Ich bin kein Trainer wie Osim, ich bin etwas komplett anderes", sagte der Sturm-Trainer den Kollegen von sturm12.at. Milanic findet zwar das System Osim toll, bezeichnet es aber mehr als Spektakel denn als Organisation. Milanic, der sich als vorsichtigen Menschen beschreibt, mag wissen woran er ist. Spektakel beinhaltet immer auch Risiko, was einem vorsichtigen Menschen naturgemäß widerstrebt. Es stellt sich in mehreren Punkten die Frage, ob die Sturm-Führung über das Milanic-Konzept genau Bescheid wusste ehe man ihn verpflichtete oder ob die Trainerbestellung im Rausch der Emotionen, ein Stück Osim zurück nach Graz zu holen, passierte.
Eine Philosophie als Problem
Zur Erklärung: In Slowenien ist der NK Maribor unangefochtener Spitzenreiter. Die restliche Liga dümpelt vor sich hin – taktisch ist das Niveau gering, Wettaffären überschatten regelmäßig die Spiele, es kommen keine Zuschauer. Der NK Maribor bildet die Ausnahme von der Regel. Sie haben das höchste Budget im Land, holen die besten Spieler, haben die größten Ambitionen. Slowenische Journalisten sprechen davon, dass der Erfolg von Maribor vor allem an der individuellen Klasse der geholten Spieler festzumachen sei. Aber auch an Milanic, der sein defensives 4-4-2 in Marburg ähnlich praktizierte, wie jetzt bei Sturm. Der Unterschied: Grödig spielt taktisch besser als ein Großteil der eher mauen Konkurrenz von Maribor. Der slowenische Journalist Miran Zore sieht darin auch den großen Unterschied: „Milanic spielt kein Spiel mit hohem Druck. Es ist kein variantenreiches Spiel sondern ein 4-4-2 mit zwei defensiven Mittelfeldspielern." Maribor soll in Slowenien regelmäßig so gespielt haben wie Sturm Graz gegen Grödig. Mit dem Unterschied, dass die Löcher in den Formationen der Gegner größer und regelmäßiger waren, was Torchancen schneller eröffnet und den Mythos einer kontrollierten Offensive im Spiel von Milanic verstärkt hat.
„Macht der Gegner so wie Grödig keine Fehler, dann hat Sturm auch keine Chance", meint Zore im Gespräch mit 90minuten.at. Milanic´ etwas defensive, auf Ballbesitz angelegte Spielweise mit hohen Bällen nach vorne kam ihm aber auch in Spielen gegen überlegene Gegner zugute. Maribor konnte auf Fehler des Gegners warten. Zweimal erreichte Milanic mit Maribor die Gruppenphase der Europaleague. Die Underdogs Breidablik und Grödig passten nicht ins Beuteschema von Milanic. In Slowenien beschreibt man den aktuellen Sturm-Coach als organisierten Trainer, der aber nicht von seinem System abrückt. Darin sieht man auch sein größtes Problem. Die ersten Wochen bei Sturm widerlegen diese Rückschlüsse nicht.
Während Milanic Zeit und Geduld einfordert, werden durch das sture Festhalten am Lieblingssystem des Slowenen die begangenen Fehler der Sturm-Führung deutlich. Milanic versucht - erst vor kurzem verpflichtete - Spieler in ein System zu pressen, das ihren Anlagen nicht unbedingt entspricht. „Er bleibt beinhart bei seinem knochentrockenen falschen 4-4-2, wiewohl er mit Hadzic und Offenbacher über den besten Achter und den besten jungen Zehner der Liga verfügt und somit ganz andere strategische Möglichkeiten hätte", beschreibt Martin Blumenau die Lage. Dadurch wird auch deutlich, dass die Vereinsführung Spieler noch immer nicht mit Blick auf eine festgelegte Spielphilosophie verpflichtet. Was auch schwierig erscheint, weil sich die Spielphilosophie mit jedem Trainerwechsel ändert. Was unter Hyballa noch kompatibel war, kann unter Milanic schon wieder nicht passen. Im Endeffekt kostet die Nichtphilosophie dem Verein nicht nur eine verpfuschte Saison nach der anderen, sondern auch einen Haufen Geld.
Sturm wird alternativlos Geduld haben müssen
Sturm Graz ist in die neue Saison gestartet als wäre die alte noch längst nicht vorbei. Die Vereinsführung wollte den Klub neu ausrichten, medial den Plan einer nachhaltigen Philosophie transportieren und bekommt schon nach den ersten beiden Runden der neuen Spielzeit die begangenen Fehler schonungslos aufgezeigt. Sturm wird mit Milanic aber Geduld haben müssen. Nach der einvernehmlichen Trennung von Peter Hyballa kann es sich der Verein finanziell und imagemäßig nicht leisten erneut einen Trainer nicht zu Ende werken zu lassen. Milanic wird seine Spielphilosophie in Graz durchziehen und dabei nicht vorrangig über seine, sondern vor allem über die Zukunft der Vereinsführung entscheiden, die zwar „Ja" zu Philosophie sagt, aber noch nicht weiß zu welcher.
g.gossmann@90minuten.at