Rapid - eine Idee ohne Vision

Der aktuelle Zustand von Rapid ist einer Mischung aus Planlosigkeit und Hilflosigkeit geschuldet. Rekonstruktion einer Idee, die so nie funktionieren konnte. Ein Kommentar von Gerald Gossmann .

Die Stimmungslage rund um Rapid wurde gestern in Bilder gegossen. Eine Cup-Niederlage (Spiel-Analyse von abseits.at: Selten zuvor spielte Rapid schlechter, Schöttel endgültig gescheitert) gegen den Regionalligisten Pasching vor nahezu keinem Publikum. Man kann den derzeitigen Zustand des Vereins nicht besser illustrieren. Trotz aufkeimendem Frühling war Herbst in Wien-Hütteldorf. Ab heute ist Winter.

 

Rapid steht nach nur einem Sieg in zehn Frühjahrsspielen und einer Cupniederlage gegen einen Regionalligisten vor einem Trümmerhaufen. Das hat Gründe und ist nicht mit einem negativen Run, der sich potenziert und hochschaukelt zu erklären. Die Planlosigkeit hat vielerorts System in Österreichs Profifußball. Dort wo Präsidenten ihrem Hobby nachgehen, Vereine lenken als wären sie Modellflugzeuge und Trainer nach Bauchentscheidungen ihre Unterschrift unter langfristige Verträge setzen lassen – unabhängig von Konzepten. Das mag freilich überall auf der Welt gelegentlich vorkommen. In Österreich ist die Häufigkeit jedoch auffällig. Ein Grund vieler Miseren ist, dass Trainer vor allem nach Wesensmerkmalen, Sponsor interessen oder Sympathiewerten, nicht aber nach fachlichen Kriterien installiert werden.

 

Es ist auch nicht unbedingt mit einem nachhaltigen Plan erklärbar, warum die Austria ihrem Erzrivalen derzeit punktemäßig so davon eilt. Die Austria hat zufällig den richtigen Trainer erwischt, nachdem sie letzte Saison zufällig den falschen ans Ruder ließ. Das wiederum ist damit erklärbar, dass man sich im Vorfeld keine Gedanken über eine zukünftige Ausrichtung, ein Spielsystem, eine Trademark macht. Das ist im Nachwuchsbereich so und zieht sich bis in die Kampfmannschaft durch.

 

Thomas Parits gab vor einigen Monaten im Interview mit 90minuten.at zu, dass er gar nicht wusste, dass Ivica Vastic defensiv spielen wolle. Er habe ihn das schlichtweg nie gefragt. Ähnlich laufen anscheinend Trainerbestellungen auch bei Rapid ab. Rudolf Edlinger forderte vor zwei Jahren ein grün-weißes Urgestein als Trainer. Das heißt nicht, dass grün-weiße Urgesteine nicht auch tolle Trainer sein können. Die Suche aber auf einen kleinen, überschaubaren Kreis zu beschränken ist schlichtweg nicht klug.

 

Zufällige Fehlentwicklung
Neben der grün-weißen Vergangenheit Schöttels imponierte dem Präsidenten seine sachliche Art, sein überlegtes Wesen. Schöttel war anders als der etwas rüpelhafte Pacult. So wie der wilde Pacult damals anders war, als er den ruhigen Zellhofer beerbte. Wesensmerkmale und Klubvergangenheit standen über dem fachlichen Kriterium, das anscheinend nicht erfragt wurde. Oder war es der Plan Edlingers mit Rapid einen defensiv orientierten Destruktivfußball zu spielen, der nach Schöttels Lehrjahren in Wr. Neustadt nicht ganz unerwartet plötzlich auf der Hütteldorfer Tagesordnung stand?

 

Nach ähnlichen Kriterien wurden auch andere Schlüsselpositionen besetzt. Europacupheld Carsten Jancker als Nachwuchschef, Zoki Barisic als Amateurcoach, zwei altgediente Mitarbeiter für das vernachlässigte Scoutingsystem. Und Stefan Ebner wurde fließend vom Teammanager zum Sportdirektor - eine Position, die er bis zur Bestellung von Schulte ohne Visionen bekleidete. Weniges bei Rapid ist dadurch zeitgemäßer geworden. Vieles ist heute dem Stillstand näher als der Weiterentwicklung. Die aktuelle sportliche Talfahrt ist nur das Ergebnis einer an Gründen reichen Fehlentwicklung vieler Bereiche des Vereins. 

 

Warum ist Schöttel dort hilflos, wo andere stark werden?
Während auf internationaler Ebene gut strukturierte Vereine eine Spielphilosophie durch alle Mannschaften ziehen, ändert sich bei Rapid die Vorstellung eines Fußballspiels von Trainer zu Trainer. Peter Schöttel legte seine Außendarstellung anfangs nicht unklug an. Er erzählte von Systemen, Videoanalysen und Laktattests. Global gesehen zwar alles keinen Aufschrei wert. In Österreich aber zeigt man sich beeindruckt. Als das Werkl nicht so rannte, verwies Schöttel auf den großen Nachbarn und Borussia Dortmund. Auch dort sei Trainer Jürgen Klopp erst im zweiten und dritten Jahr erfolgreich gewesen. Also Geduld.

 

„Die Handschrift des Trainers sieht man erst im zweiten Jahr", verwies Schöttel auf den Faktor Zeit. Eine Ausrede wechselte die andere ab. Während Jürgen Klopp in Dortmund Champions League und Meisterschaft aufmischt, ist Schöttel gerade gegen einen Regionalligisten ausgeschieden. Schöttel wirkte im Interview danach angeschlagen: „An der Linie ist man da ziemlich hilflos". Kein gutes Argument für einen Verbleib als Trainer, wo doch andere Trainer gleich mehrere Systeme mit ihren Teams einstudieren und bei Bedarf auf Zuruf wechseln können. Mainz Trainer Thomas Tuchel könne sogar während eines Spiels das System wechseln, erklärte Bayern-Coach Jupp Heynckes vor kurzem. „Das könne er sich leisten, da die Systeme einstudiert sind." Warum also ist Schöttel dort hilflos, wo andere stark werden? Und warum reagiert niemand auf sein Eingeständnis?

 

Die Rückholaktion von Boskovic als Strategie ohne Plan
Aber die Misere liegt lange nicht alleine an der Entscheidung für Schöttel als Trainer. Schon im Herbst stand Rapid in der Kritik. Steffen Hofmann war damals verletzt und es lief nicht. Peter Schöttel bekam sein Fett ab. Rapid reagierte behäbig und wenig nachhaltig. Branko Boskovic wurde verpflichtet. Als spielmachender Ersatz für den verletzungsanfälligen Hofmann. Beide über 30 Jahre alt. Präsident Rudolf Edlinger erklärte die Vorgehensweise in „Sport am Sonntag": „Die Rückholaktion des Branko Boskovic war ja eigentlich strategisch geplant, um den Steffen Hofmann zu entlasten und praktisch ein Pendant zu verpflichten. Aber wenn man Pech hat, dann hat man es ordentlich. Beide haben sich verletzt." Um das zu konkretisieren: Rapid verpflichtet einen alternden Spielmacher für den anderen. Mit der Folge, dass man spätestens in zwei Jahren wieder vor einem Neuaufbau steht, anstatt sofort das Mittelfeld breiter, jünger, variabler und moderner aufzustellen und bezeichnet den Vorgang als Strategie und das Ergebnis als Pech. Skurril.

 

Dazu wurde im Winter mit Helmut Schulte ein Sportdirektor installiert. Schulte war der erste Versuch Rapids seit Jahren, im personellen Bereich über den Tellerrand zu blicken. Die Entwicklung zukunftsfähiger Strukturen steht dabei aber weiter hinten im Aufgabenbereich des Deutschen. Im Grunde soll er schlichtweg Schöttel den Rücken freihalten. Der „Kurier" formulierte kürzlich: „Schulte vermittelt mit seinem Fachwissen und der großen Erfahrung die Hoffnung, die nötigen Veränderungen im verkrusteten Verein herbeiführen zu können, während sich die seit vielen Jahren tatsächlich Verantwortlichen in bekannte Stehsätze und Durchhalteparolen flüchten."

 

Schulte selbst dürfte das anscheinend anders sehen. Im Interview mit dem ORF meint er auf die Frage, was man bei Rapid denn in der Struktur anders machen könne: „Keine Ahnung. Ich bin für den Sport verantwortlich. Die Struktur im Sport ist sicherlich sehr leistungsorientiert. Man kann aber immer bestimmte Dinge verändern oder kleine Rädchen drehen, vielleicht auch größere." Klingt nicht nach der großen Vision, die Rapid aber bräuchte, um im Scouting-, Nachwuchs- , Trainer- und somit auch im Kampfmannschaftsbereich Schritte nach vorne zu machen. Traut sich Schulte das Drehen an den größeren Rädchen (noch) nicht zu oder scheitert er daran, dass er einfach nicht geholt wurde, den Verein umzustrukturieren?

 

Harakiri
Schultes erste Amtshandlung war die anscheinend vom Präsidium vorgegebene Vertragsverlängerung von Peter Schöttel. Eine Vertragsverlängerung ohne Druck. Und wie so oft bei Rapid, ohne Plan. Dass die Entscheidung Managementtechnisch eine „Harakiri-Vorgehensweise" darstellt, zeigt sich spätestens jetzt, wo eine Negativserie der Mannschaft die Vereinsführung wirtschaftlich in ihrer Handlungsweise unter Druck setzt.

 

Um das zusammenzufassen: Die Rapid-Führung verpflichtet also einen Trainer nach Wesensmerkmalen und Vereinszugehörigkeit, pfeift auf modernes Scouting, ein durchgängiges Spielsystem, verpflichtet einen über 30-jährigen Spielmacher als Ersatz für einen über 30-jährigen Spielmacher, um ein verstaubtes Spielsystem aufrecht zu erhalten, holt einen Sportdirektor um eventuellen Misserfolg öffentlich verkaufen zu können, gibt als Plan Durchhalteparolen aus, weil im heutigen Fußball von Saison zu Saison ohnehin andere Teams Oberwasser gewinnen und wundert sich, dass alles so ist wie es ist?

 

Rapid wird heuer weder Cupsieger noch Meister. Was aber fast zweitrangig erscheint. Rapid hat größere Probleme, die mit einem Trainer-Glücksgriff kurzfristig schnell behoben werden können, langfristig aber nicht zu umgehen sind.
g.gossmann@90minuten.at