Die Watschn des Teamchefs
Obwohl Marcel Koller nicht nach Nürnberg wechseln wird, hat der Österreichische Fußballbund seine gute Verhandlungsposition längst verloren. Der Teamchef zeigt sich im Verhandlungspoker abgeklärt, der ÖFB könnte angeschlagen daraus hervorgehen. Von Geral
Marcel Koller weiß gerade gar nicht wie ihm geschieht. Soviel Zirkus um seine Person ist er nicht mehr gewöhnt. Vor seinem Engagement beim ÖFB war er zwei Jahre arbeitslos, jetzt scheint ein Angebot das andere abzulösen. Zum 1. FC Nürnberg wechselt er nicht, das ist abgehakt. Vorgestern wurde dort ein holländischer Coach präsentiert. Aktuell soll Koller Schweizer Teamchef werden. „Wir sind mit verschiedenen Personen im Gespräch, Marcel Koller ist eine dieser Personen", bestätigt der Pressesprecher des Verbandes gegenüber 90minuten.at.
Koller weilt derweil in der Schweiz. Das Angebot aus Österreich soll auf seinem Schreibtisch liegen. Derzeit hat der Teamchef aber keine Zeit dafür. Der ÖFB hat seine gute Verhandlungsposition längst verloren. „Wir haben einen laufenden Vertrag, wollen keine Nebenschauplätze eröffnen", sagte ÖFB-Präsident Windtner noch vor zwei Monaten. Auch davor wurde Kollers gute Arbeit zwar betont, eine vorzeitige Vertragsverlängerung aber als Risiko bezeichnet. Das muss kein Fehler gewesen sein. Rapid hat übereifrig mit Peter Schöttel verlängert und dafür eine mediale Schelte kassiert und einen Haufen Geld in den Sand gesetzt. Der ÖFB wähnte sich ohnehin in einer starken Position, die es dem Verband scheinbar erlaubte, die Qualifikationsspiele abzuwarten und erst danach Bilanz zu ziehen. Entweder zu Gunsten oder zu Lasten Kollers. Einmal sah es so aus, als wolle Koller seiner Vertragsverlängerung nachhelfen. Als Young Boys Bern Interesse an ihm bekundete, aber nie eine Anfrage beim ÖFB einlangte. Der Berner Sportchef Fredy Bickel zählt zu den engsten Freunden Kollers. Ein Verdacht der Absprache lag nahe. Der ÖFB verlängerte Kollers Vertrag nicht vorzeitig.
< blockquote> Bei Koller ist alles anders. Ein ganzes Land will ihn zum Bleiben überreden. Von Alaba bis Janko flehen Teamspieler ihren Teamchef an, doch den Vertrag zu verlängern. Das geht seit Tagen so, weil sich Koller Zeit lässt. Anfangs war vor allem von Geld die Rede. Der ÖFB bezahle zu wenig, die Nürnberger legten beinahe das Dreifache auf den Tisch. Die Absage an Nürnberg und die Verhandlungen mit dem Schweizer Verband lassen den Schluss zu, dass es Koller nicht alleine ums Geld geht. Als Schweizer Teamchef würde er nicht wesentlich mehr verdienen als mit dem nachgebesserten Angebot des ÖFB. Gegenüber dem Boulevardblatt „Österreich" erklärte Koller: „Über Geld rede ich nicht. Es gibt Punkte, die nicht passen. Sonst hätte ich längst unterschrieben. Hier muss alles noch professioneller werden." Man könnte jetzt meinen, Koller spreche die noch nicht bis ins Detail exerzierte Durchgängigkeit einer Spielphilosophie an. Oder die unterschiedlichen Nachwuchsauswahl-Trainertypen. Taktisches Kalkül von Koller? < blockquote> Mit seiner Aussage nach mehr Professionalität lenkt Koller den Fokus geschickt auf den ÖFB. Zu einem Zeitpunkt, zu dem die Stimmungslage durchaus gegen den Teamchef hätte kippen können. Die Stimmen gegen den zögernden Koller nehmen nämlich zu. Nach dem Motto: Er soll sich entscheiden. Wenn er gehen will, soll er gehen. Kollers Aussage wäre in jedem Fall ein guter taktischer Schachzug, der den schwarzen Peter dem ÖFB zuschiebt und ihm Luft für weitere Verhandlungstage verschafft. Würde Koller ernsthaft mehr Professionalität fordern, würde er das intern tun. Eine Forderung nach anderen Nachwuchsteamchefs wäre höchstwahrscheinlich sogar unklug. Ein harter Kurs seinerseits würde ihn wieder unter Beschuss bringen – bei Altinternationalen und bei Boulevardjournalisten. Das weiß Koller. Eine Niederlage als Watschn Eines steht fest: Vor Donnerstag wird nichts entschieden. Erst dann tagt der Zentralvorstand des Schweizer Fußballverbandes. Koller soll enttäuscht darüber sein, dass man ihm nicht früher das Vertrauen aussprach. Jetzt nützt er seine starke Verhandlungsposition aus. Der ÖFB wird sich auf keine Preistreiberei einlassen, bestätigt Windtner. Noch dazu wo Koller nicht unersetzbar ist, sofern man eine seriöse Teamchefsuche betreibt. Eine Niederlage im Verhandlungspoker würde dagegen Spuren beim ÖFB hinterlassen. Sie würde mit Kollers Forderung nach mehr Professionalität assoziiert werden und hängen bleiben. Das wäre ein Schlag ins Gesicht des Verbandes, der sein gestiegenes Ansehen wieder beschädigen würde.
Der ÖFB hat wenig Erfahrung im Verhandlungspoker
Seit dem Finalspiel in Schweden hat sich das Blatt gedreht. Kollers Arbeit in Österreich wurde registriert. Das Interesse aus der deutschen Bundesliga hat Kollers Marktwert schlagartig auch für den ÖFB erkennbar werden lassen. Mit Verhandlungstaktik und pokernden Teamchefs hat der österreichische Verband zudem wenig Erfahrung. Constantini, Brückner, Hickersberger und Krankl hatten wenig Möglichkeit zu pokern. Nur Hickersberger ging auf Eigeninitiative, bei allen anderen war man über die Trennung froh.
Marcel Kollers Forderung nach mehr Professionalität könnte aber auch taktisches Kalkül im Verhandlungspoker sein. Koller geht es vor allem darum, in seinem Verantwortungsbereich Erfolg zu erzielen. Und das ist die A-Nationalmannschaft. Koller will dort Erfolg, wo er direkt mit ihm in Verbindung gebracht wird. Das bestätigen auch ÖFB-Insider. Das muss keinesfalls ein egomanischer Zug sein. Für eine nachhaltige Entwicklung des ÖFB ist ohnehin Sportdirektor Willi Ruttensteiner zuständig.
"Wir tun alles. Jetzt ist Marcel Koller am Zug. Es ist ein seriöses, gutes Angebot. Das kann die Basis für eine weitere Zusammenarbeit sein", erklärte ÖFB-Präsident Leo Windtner, während sein Teamchef in der Schweiz weilt. Zu Verlieren hätte Koller in seinem Heimatland mehr als in Österreich. Die Schweiz war zuletzt Dauergast bei Welt- und Europameisterschaften. Eine Nicht-Qualifikation würde wohl auch bei einem schweren Los säuerlich zur Kenntnis genommen werden. In Österreich wäre eine Qualifikation, bei allem Gerede von der Pflichtübung, eine Sensation.
g.gossmann@90minuten.at