Der kluge Protest
Der harte Rapid-Fankern stand lange Zeit wegen vereinsschädigender Aktionen in der Kritik. Der Anhang hat aus Fehlern der Vergangenheit gelernt und setzt die Vereinsführung durch einen friedlichen Protest jetzt umso mehr unter Druck. von Gerald Gossmann .
Im Unterschied zur Vereinsführung, die den Kreislauf des Herumwurstelns nicht zu durchbrechen vermag, hat der Rapid-Anhang dazugelernt. Man weiß mittlerweile genau, dass eine gewaltbereite Inszenierung oder Platzstürme nur der Vereinsführung in die Hände spielen würden. Die damalige mediale und vereinsseitige Kritik am Platzsturm kam natürlich zu Recht – die Vereinsführung nahm verfehlte Protestaktionen trotzdem dankbar auf, um eigene Probleme zu überdecken und Diskussionen in andere Bahnen zu lenken. Diese Möglichkeit wollte der Anhang den handelnden Personen diesmal nicht geben. Das ist klug. Einige Journalisten beurteilten den Protestmarsch trotzdem wenig fair. Krone.at meinte nach der friedlichen Demo des Rapid-Anhangs, dass den Demonstranten der 2:0-Sieg gegen den Abstiegskandidaten nicht ins Konzept passte. Genauso könnte man aber argumentieren, dass der friedliche und gut organisierte Protest einigen Journalisten nicht in den Kram passte. Konnte man sich dadurch nämlich nicht schlagzeilenträchtig auf den Anhang einschießen, sondern muss sich weiterhin mit der Materie des Rapid-Spiels, das weiterhin planlos abläuft, auseinandersetzen.
Kein Protest gegen das bloße „Verlieren".
Wie sehr die Rapid-Vereinsführung die Krise und deren Gründe noch negiert, zeigt auch die Aussage von Sportdirektor Schulte nach dem Spiel: „Wenn man nach neun erfolglosen Spielen erstmals gewinnt, sollten sich eigentlich alle freuen." Was aber so natürlich nicht zielführend erscheint. Denn auch nach einem 2:0-Sieg gegen einen Abstiegskandidaten sind die Baustellen unverkennbar groß. Die Vereinsführung aber erwartet sich unreflektierte Freude seines Anhangs über einen Heimsieg gegen Wr. Neustadt und zeigt sich dabei seinen treuesten Fans gegenüber beinahe respektlos. Der Ärger des Rapid-Anhangs ist verständlich. Höchstwahrscheinlich ist es wirklich zuviel verlangt, Applaus der eigenen Fans für eine hausgemachte Misere zu fordern, während gleichzeitig der in allen Belangen vergleichbare FC Basel ins Halbfinale der Europaleague marschiert. Umso deutlicher werden in solchen Situationen die Versäumnisse der Rapid-Führung. Der FC Basel setzt auf moderne Infrarstruktur, einen taktisch hervorragend geschulten und arbeitenden Trainer, ein modernes Scouting und eine durchgängige Spielphilosophie. Gegen den Schweizer Meister wirkt der österreichische Rekordchampion derzeit wie ein Relikt aus der Fußballsteinzeit. Und dagegen protestierte der harte Fankern gestern auch. Nicht gegen das „Verlieren", wie es ein Krone-Kolumnist in der Sonntagszeitung fälschlicherweise formulierte.
Während sich Basel – und man muss die Schweizer als vergleichbares Beispiel hernehmen – durch ein Scouting-Netzwerk eine wirtschaftliche Basis erdacht und erarbeitet hat, begreift man bei Rapid die Wichtigkeit der Modernisierung vieler Bereiche nicht. Da verlässt man sich lieber auf Tipps ehemaliger Rapid-Kicker, wie Andi Herzog, der nicht nur Terrence Boyd sondern auch Sportdirektor Helmut Schulte vermittelte. Ansonsten beschränkt man sich auf Transfers Wohlbekannter. Die Vereinsführung und der Trainer spielen die Dimension der Baustellen herunter. Präsident Edlinger holt bei jeder Kritikwelle das Stadionthema hervor. Das mag zwar ein politisch kluges Ablenkungsmanöver sein, zielführend ist es nicht. Und nachdem das Ablenkungsmanöver „Fanausschreitungen" nach dem friedlichen Protestmarsch wegfällt, muss sich die Rapid-Führung weiterhin Tatenlosigkeit im Modernisierungsprozess vorwerfen lassen. Der Anhang akzeptiert das Wursteln samt Ausredenkultur nicht mehr. Ein Vergleich: Rapids Startelf gegen Innsbruck hatte ein Durchschnittsalter von 25,36 Jahren. In den beiden Spielen davor lag der Schnitt bei etwa 23,5 Jahren, was auch die Ausfälle von Hofmann und Boskovic mit sich brachten. Ansonsten liegt Rapid bei einem Schnitt von 24 bis 25 Jahren. Auch gegen Wr. Neustadt. Blickt man zu vergleichbaren Vereinen im Ausland, so startete beispielsweise der FC Basel im EL-Viertelfinal-Hinspiel bei Tottenham mit einem Durchschnittsalter von 24,2 Jahren. Ein weniger klug vorgetragener Protest hätte der Vereinsführung ein Jammern über Zustände ermöglicht, die ein gutes Arbeiten gar nicht ermöglichen. Diesen Elfer hat man Edlinger & Co. nicht aufgelegt – und sie damit in Argumentationsnot gebracht.
Die Rapid-Führung wurstelt seit einer halben Ewigkeit von einem zusammengestoppelten Budget zum nächsten und wundert sich, dass die Fans aufstehen und einen Zustand kritisieren, in welchem bereits eine Saison ohne Euroapcup- und Transfereinnahmen zum Existenzbedrohenden Szenario wird. Das Wursteln als Konzept akzeptiert der Anhang nicht mehr. Sie fordern Nachhaltigkeit.
Richteten sich die Fanproteste im Herbst nur gegen das Management, steht nun auch der Trainer im Schussfeld. Neben dem planlosen Auftreten der Mannschaft, stößt dem Anhang die Ausredenvielfalt von Schöttel sauer auf. Ausreden wie „Unser Problem ist der Erfolgslauf der Austria" oder „Man erkennt erst im zweiten Jahr die Handschrift des Trainers" fliegen dem Trainer jetzt um die Ohren. Dabei betont Schöttel in fast jedem Statement, wie wichtig ihm seine nüchterne und sachliche Sichtweise sei. Wobei sich immer öfter die Frage stellt, wie seine selbstbeschriebene Sachlichkeit und manche seiner Aussagen zusammen passen:
Bei einer Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Wr. Neustadt schob Schöttel der zu jungen Mannschaft den schwarzen Peter zu: „Wir haben eine sehr junge Mannschaft, zum Teil die jüngste seit den 50er Jahren...Der Generationswechsel ist zum Teil vielleicht zu radikal ausgefallen... Dass wir da ein bisschen jung und unerfahren angetreten sind, hat man bemerkt." Mit Fakten lässt sich seine Aussage nicht untermauern.
Noch vor seiner Kritik an der zu radikal ausgefallenen Jugendwelle wollte Schöttel die Misere an den fehlenden Führungstreffern festmachen, die das geplante Spiel nicht zulassen. Rapid ging in neun Frühjahrsspielen fünfmal in Führung. Gewonnen hat man nie. Das Argument hat sich schnell in Luft aufgelöst. Also werden die Probleme jetzt an einer zu jungen Mannschaft festgemacht.
Die Vereinsführung führt ihr Credo ad absurdum.
Auch die Vereinsführung wirkt immer unglaubwürdiger. Erwähnen die Vereinsspitzen bei jeder Gelegenheit, dass nicht mehr Geld ausgegeben als eingenommen werden darf, führen sie ihr Credo mit den zuletzt getätigten Entscheidungen ad absurdum. Branko Boskovic wurde verpflichtet, um die schon im Herbst missmutigen Fans zu besänftigen. Ein Notkauf ohne Nachhaltigkeit. Mit Helmut Schulte wurde ein Sportdirektor verpflichtet, der vor allem um eine bessere Außendarstellung des Vereins bemüht ist, sportliche Lösungen aber weniger stark in Angriff nimmt als Pressesprecher-Aufgaben. In seiner bisherigen Zeit bei Rapid überwiegt der Floskelanteil, sportliche Lösungen hat Schulte bisher keine parat.
Wenig nachvollziehbar erscheint auch, warum die Rapid-Führung ihren schon im Herbst umstrittenen und etwas orientierungslos agierenden Trainer im Frühjahr vorzeitig um zwei Jahre verlängerte. Ohne Drucksituation, in der man fürchten müsste, dass einem der Trainer abhanden kommt. Die Vertragsverlängerung passierte einfach so, wie vieles bei Rapid. Einfach zufällig, aus einer spontanen Entscheidung des neuen Sportdirektors. Offiziell hieß es: Um vor der Mannschaft und öffentlich ein Zeichen zu setzen. „Nur ein starker Trainer ist ein guter Trainer", meinte Schulte, auch wenn neun sieglose Frühjahrsspiele seine These nicht unbedingt untermauern. Dass die Entscheidung Managementtechnisch eine „Harakiri-Vorgehensweise" darstellt, zeigt sich spätestens jetzt, wo eine Negativserie der Mannschaft die Vereinsführung wirtschaftlich in ihrer Handlungsweise unter Druck setzt.
Es ist dem Rapid-Anhang nicht zu verdenken, dass er einen Protestmarsch organisiert, um darauf hinzuweisen, dass die führenden Personen den Verein nicht umstrukturieren können. Wer glaubt, dass die Führungsetage auf Zuruf ein zukunftsfähiges Konzept modernster Prägung hervorzaubert, der irrt. Darum ging es auch den Protestierenden. Mit ihrem friedlichen Vorgehen hat der harte Fankern der Öffentlichkeit gezeigt, dass er in der Wahl der Protestform dazugelernt hat. Auch wenn ein bedingungsloses Anfeuern der Mannschaft dem Präsidenten (siehe auch Artikel von abseits.at: Rudolf Edlinger in "Sport am Sonntag": Analyse dreier fragwürdiger Aussagen) wohl sein letztes Argument gegen den Anhang genommen hätte, das er gestern bei „Sport am Sonntag" auch ohne zu zögern ausspielte.
g.gossmann@90minuten.at