Das Spiel mit der Analyse
Sportjournalisten schreiben dem Leser hierzulande gerne nach dem Mund. Daran trägt auch der Leser Schuld. Ein Appell. von Gerald Gossmann .
Es mutet schon skurril an, wenn Journalisten den Austria-Kader unter Vastic verdammen und unter Stöger als hochklassig bezeichnen. Warum? Weil der Kader so ziemlich unverändert blieb. Das mediale Beispiel, das auf den ersten Blick skurril erscheint, ist gängige Praxis in Österreichs Sportberichterstattung. Und das hat einen Grund: Der Leser will eben in Zeiten ausbleibenden Erfolgs Gründe geliefert bekommen. Möglichst schnell, möglichst schnörkellos und vereinfacht. Was liegt also mehr auf der Hand, als ungeschaut der Qualität des Kaders die Schuld zu geben. Bei Misserfolg. Jetzt auch bei Erfolg. Ein gutes Beispiel war das letzte Länderspiel-Doppel. Österreich spielt in Kasachstan 0:0. Die Fans schlagen um sich, die Presse auch. Ein paar Tage darauf schlägt Österreich die Kasachen 4:0. Die Fans jubeln, die Presse auch.
Aber was heißt das jetzt? Schreibt der österreichische Sportjournalist seinen Lesern ungeniert nach dem Mund?
Nicht immer. Der österreichische Sportjournalismus hat an Qualität gewonnen. Vor allem im Netz. Der kritische Ansatz gefällt dem Leser. Meistens jedenfalls. Im Netz versuchen die Protagonisten immer öfter auch Detailanalysen abzugeben. Ungeachtet der vorherrschenden Stimmung in der Bevölkerung, ungeachtet ob der Zeitpunkt der Analyse die Stimmung der Leser gerade trifft.
Und genau hier stößt der kritische, analytische, detailverliebte Journalismus an seine Grenzen. Grenzen, die der User fleißig mitbaut. Denn im Gegensatz zum Print spielen hier zuweilen nicht Geldgeber und Sponsoren, Abhängigkeitsverhältnisse und Verhaberung den Miesepeter, sondern die Gewohnheit des klassischen Lesers.
Wann darf analysiert werden? Ein Beispiel: Die kritischen Stimmen gegen den damaligen Teamchef Constantini gingen von Online-Redaktionen aus. Die Kritik wurde gerne gelesen. Jedenfalls von Konsumenten kritischer Fußballberichterstattung. Constantini zu kritisieren war nicht schwer. Zu klar waren seine Verfehlungen, zu durchsichtig sein undurchsichtiger Plan. Journalisten mussten nur das ohnehin ersichtliche beschreiben, wollten sie den Leser zufrieden stellen. Das war nicht falsch. Das war auch nicht dem Leser nach dem Mund geschrieben. Aber es war eine Analyse im Nachhinein. Sozusagen die Kritik an einem Zustand, der bereits offensichtlich in seinen Trümmern lag, und nur durch Worte und Sätze manifestiert werden musste. Das war richtig so und gefiel dem Publikum. Weit schwieriger gestalten sich dagegen Analysen, die im Vorfeld abgegeben werden. Beispielsweise zum Zeitpunkt einer Trainerbestellung. Und nicht nach einer Trainerablöse, wo die Gründe des Scheiterns zumeist alle kennen und der Leser dem Journalisten nur mehr dankbar sein muss, weil er Fachverstand und Mumm aufbringt, seine Gedanken auch in Worte zu gießen. Ein Beispiel: Mit der Bestellung von Marcel Koller schöpfte der Fußballkonsument Hoffnung. Vor allem Hoffnung auf einen taktikaffinen Teamchef. Koller war im letzten Jahr der erfolgreichste Teamchef seit langem. Das gefällt einer Vielzahl an Lesern. Kritische Detailanalysen über die Arbeit des Teamchefs gestalten sich seitdem schwierig. An dieser Stelle benannte ich vor einem halben Jahr Schwachpunkte in Kollers System. Zum Beispiel den fehlende Plan für die Offensive (das standardisierte Pressing jetzt einmal ausgenommen). Es gibt keine auf den Gegner zugeschnittenen Laufwege, keine Kreativität aus dem System heraus. Das merkt man in Kollers Länderspielen immer öfter. Gelesen wurde die Analyse nicht gerne. Es gab zwar Zustimmung, die Ablehnung der Analyse gegenüber war jedoch größer. Die Nationalmannschaft hatte gerade 3:2 gegen die Ukraine gewonnen. Da schickt sich Kritik nicht gerade, auch wenn sie nur ein Detail betrifft. Ein Kollege meinte damals zu mir: „Die Geschichte habts zu früh gebracht." Und er beschreibt damit eine Linie, die Österreichs Sportjournalismus verinnerlicht hat. Schreib nichts, bevor es dein Leser nicht auch kapiert hat. „Wir schreiben dem Leser nicht nach dem Mund. Wir dürfen ihm aber auch nicht mehr als eine Nasenlänge voraus sein. Sonst verlieren wir ihn." Hans Dichand hat einmal gesagt: „Wir schreiben dem Leser nicht nach dem Mund. Wir dürfen ihm aber auch nicht mehr als eine Nasenlänge voraus sein. Sonst verlieren wir ihn." Der Satz trifft auch hier zu. Während im großen Deutschland Detailanalysen auf der Tagesordnung stehen, gelten sie hier noch als Kaffeesudleserei. Auch bei Lesern. Aber was sollte dagegen sprechen, beispielsweise ein Detail in Kollers System zu durchleuchten und die berechtigte Frage zu stellen: Ob das ohne Adaption funktionieren wird? Als Christoph Daum vor zwei Jahren in Deutschland als Frankfurt-Trainer ins Gespräch gebracht wurde, waren deutsche Qualitätsmedien zur Stelle. Sie analysierten seine wenig zeitgemäße Arbeitsweise und machten auf Problemstellen aufmerksam. In Österreich hätten Journaille und Leser zuallererst die Floskel „Lassen wir ihn einmal arbeiten" ausgepackt. Anderswo wäre das undenkbar. Es ist kein Zufall, dass sogar das deutsche Qualitätsblatt „Die Zeit" die intellektuelle Dimension des Fußballs erkennt und in wenigen Wochen eine eigene Fußballseite startet. Der Zugang fehlt in Österreich. Während der „Spiegel" ein eigenes Sportressort hat, sucht man im österreichischen Pendant, dem „Profil", vergeblich danach. Fußball hat hierzulande etwas Launiges, aber nichts Intellektuelles an sich. Dabei wären Medienvertreter auch hier dem Leser verpflichtet zu analysieren, anstatt nach eigenen und kollektiven Stimmungsbefindlichkeiten zu berichten. Aber weil der Leser nicht mitspielt, weil er allzu oft nicht mag, was ihm vorgesetzt wird, lässt man es eben gleich. Darf man den ÖFB schon jetzt kritisieren? Somit stellt sich für Medien und Journalisten auch aktuell die Frage: Darf man den ÖFB schon jetzt dafür kritisieren, dass er bis auf einen neuen Teamchef wenig von der geplanten Strukturreform umgesetzt hat? Oder sollte man die Stimmung der Bevölkerung abwarten, die nach einem möglichen Scheitern des ÖFB-Teams in der WM-Qualifikation der medialen Kritik förderlich sein könnte? Nicht zu unrecht merkte Admira-Coach Didi Kühbauer im Gespräch mit 90minuten.at an: „Zuerst werden den Sportlern von Journalisten die Rosen gestreut und wenn sie keinen Erfolg haben ist alles schlecht. Danach weiß ich es auch besser." g.gossmann@90minuten.at
Während in Deutschland auch bei einer Weltgröße wie Guardiola seine Kompatibilität mit Bayerns Spielermaterial analysiert wird, mag der Leser das hierzulande einfach nicht. Egal ob Schöttel zu Rapid. Hyballa zu Sturm. Oder Stöger zur Austria. Eine Analyse im Vorfeld hat etwas anrüchiges, etwas vages Faktenbefreites, etwas von unseriöser Mutmaßung. „Lassen wir ihn doch erst mal arbeiten", lautet die Standardreaktion der Leser. Bis heute ist dabei nicht wirklich klar, ob die Vorlieben des Lesers den Journalismus beeinflussen oder der Journalismus, der sich nach Stimmungslagen richtet, dem Leser ein Gewohnheitsmuster aufgedrückt hat.
Aber wer, wenn nicht Journalisten können Vorgänge, die sie ganzes Jahr über beruflich und gegen Bezahlung beobachten, analysieren? Auch im Vorfeld, nicht erst im Nachhinein, wo man dem Leser dann unweigerlich nach dem Mund schreiben muss.