Marcel Koller: 'Ich sage dem Paul Gludovatz ja auch nicht, was er in Ried zu tun hat'
Warum sich Werner Gregoritsch im ÖFB unterordnen muss, eine Verhaberung mit den Altinternationalen nicht geplant ist und Taktik einen großen Stellenwert seiner Arbeit einnimmt. Marcel Koller im Interview mit 90minuten.at. Das Gespräch führten Gerald Gos
Warum sich Werner Gregoritsch im ÖFB unterordnen muss, eine Verhaberung mit den Altinternationalen nicht geplant ist und Taktik einen großen Stellenwert seiner Arbeit einnimmt. Marcel Koller im Interview mit 90minuten.at.
Das Gespräch führten Gerald Gossmann und Michael Fiala
Vor einigen Monaten wurden Sie und Willi Ruttensteiner mit der Konzeption einer durchgängigen Spielphilosophie betraut. Wie soll die nun aussehen?
Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Wir versuchen die Ideen des ÖFB und meine Ideen zusammen zu führen. Wir möchten die Ideen im Offensiv- und Defensivverhalten festhalten und das auch nach unten geben. Das haben wir auch mit den Nachwuchsauswahl-Trainern besprochen. Wir tauschen uns regelmäßig darüber aus.
Wie werden Sie das A-Team einstellen?
Wir wollen agieren, nicht zuschauen und abwarten bis der Gegner Fehler macht. Wir wollen den Gegner aktiv zu Fehlern zwingen, in Ballbesitz kommen und wir wollen versuchen das ganze Feld auszunützen, Positionen zu halten, den Ball am Boden zu halten, einen technischen Fußball zu zeigen, so schnell wie möglich in den gegnerischen Sechzehner zu kommen und Abschlüsse suchen.
Und diese Eckpunkte sollen auch in die Nachwuchsauswahlen übertragen werden, oder?
Ja, obwohl es auch immer den Gegner zu berücksichtigen gilt. Es gibt Nationen die stärker sind als wir und da muss man von Gegner zu Gegner schauen. Dem A-Team geht es auch darum Punkte zu holen. Das ist jetzt der Weg, aber gegen einen stärkeren Gegner muss man auch einmal sagen, dass wir uns zurückziehen. Aber auch da wollen wir hinter der Mittellinie agieren und in Ballbesitz kommen. Das sind taktische Varianten.
Wie würden Sie einen Trainer sehen, der „schwule Fußballer für undenkbar und unnatürlich“ hält?
Ich bin überzeugt davon, dass es auch schwule Fußballer gibt. Aber das siehst du nicht oder das weißt du nicht. Und schwule Fußballer werden vielleicht auch alles versuchen, damit man es nicht sieht. Ich denke, wenn sich einer outet, der kann den Fußball vergessen. Es würde alles auf ihn einprasseln, deshalb will keiner der erste sein.
„Werner Gregoritsch ist jetzt beim Nationalteam und nicht mehr beim Klub, wo er alleinige Verantwortung hatte“
Der neue U-21 Trainer hat die Aussage über schwule Fußballer einmal getätigt. Zu seiner Bestellung hat er dazu betont, sich in Sachen Philosophie nicht dreinreden zu lassen. Birgt die Situation Konfliktpotenzial?
Wir haben uns zweimal gesehen, da hat es einen guten Austausch gegeben. Die U21 ist ein wichtiger Teil von uns und es ist wichtig gut zusammenzuarbeiten. Sodass wir von oben sagen können, wir wollen das so und so haben. Der Werner Gregoritsch ist jetzt beim Nationalteam und nicht mehr beim Klub, wo er alleinige Verantwortung hatte. Er ist jetzt unterstellt und für die U21 zuständig. Er muss schauen, dass er gute Spieler hervorbringt und weiterentwickelt, damit wir auch Spieler hochnehmen können.
Wir haben aber noch gar nicht richtig über die Durchgängigkeit gesprochen. Es gibt aber ganz klar einen Punkt, wo man sagen muss: Ich will so spielen und das hat auch einen Grund.
Wie intensiv ist eigentlich die Zusammenarbeit zwischen Teamchef und U21-Coach in der Praxis?
Man tauscht sich aus, vor allem wenn die Lehrgänge sind.
Es gibt ja auch immer wieder Konfliktpotential, wenn Spieler aufs A-Team und die U21 verteilt werden müssen. Wie schwierig ist dieser Balanceakt?
Entscheidend sind nicht der Koller und auch nicht der Gregoritsch. Entscheidend ist: wie kann man erfolgreich sein? Wenn ich einen Spieler hochnehme, der realistische Chancen hat zu spielen, ist das etwas anderes als wenn ich einen Spieler hochnehme, der die Nummer 20 ist. Wir wollen auch, dass die U21 erfolgreich ist.
Wie ist man auf den Werner Gregoritsch gekommen?
Das ist ein Trainer der schon länger dabei ist. Und: er hat mit Jungen gearbeitet.
„Ich habe mit Werner Gregoritsch noch nicht über Taktik gesprochen. Vielleicht decken sich unsere Ansichten ja eins zu eins.“
Man hätte vielleicht auch einen Trainer nehmen können, der sich mit der Philosophie des ÖFB und der Durchgängigkeit identifiziert, oder?
Man darf auch nicht jede Aussage auf die Goldwaage legen. Wir haben ja miteinander noch nicht intensiv über fußball-taktische Maßnahmen gesprochen. Vielleicht decken sich unsere Ansichten ja eins zu eins. Das weiß man nicht.
Waren Sie in seine Bestellung involviert?
Der Willi Ruttensteiner und das Präsidium haben das miteinander ausgearbeitet, in der Entscheidungsfindung war ich mit dabei.
Zu Ihrem Aufgabenbereich zählt auch sich in die Trainerausbildung mit einzubringen. Warum gibt es keinen österreichischen Trainer im bedeutenden Fußballausland?
Man muss im Klub erfolgreich sein, muss Meister werden und auch international für Aufsehen sorgen. Wenn man das ein, zweimal macht, dann wird auch das Ausland aufmerksam. Es werden ja nicht nur die Spieler gescoutet, sondern auch die Trainer. Man guckt da schon genau hin.
Wie viel Konzept, wie viel Taktik steckt in Ihrer Arbeit?
Eigentlich sehr viel. Wir haben bisher eine Woche gearbeitet, da kann man das ein oder andere mitgeben. Beim nächsten Länderspiel haben wir drei Tage, obwohl da nicht alle von Beginn an dabei sind. Da kann man nicht mehr viel machen, was natürlich schade ist.
Wie kann ein Trainer dann sein taktisches Konzept im Nationalmannschaftsbereich vermitteln?
Schauen Sie zum Beispiel bei Deutschland. Das geht nur über Jahre. Das ist beim Nationalteam die Schwierigkeit. Aber da haben ja alle die gleichen Vorraussetzungen.
Das heißt: Der Trainer einer Nationalmannschaft kann weniger Einfluss nehmen als ein Trainer beim Klub.
Ja klar, weil beim Klub kannst du ja jeden Tag mit der Mannschaft arbeiten und beim Nationalteam hast du ein paar Einheiten. Aber das wusste ich ja vorher schon, aber es ist trotzdem eine Umstellung, dass man nicht jeden Tag auf die Spieler einwirken kann.
„Wir wissen nicht, ob die Spieler das im Kopf behalten haben oder alles wieder weg ist.“
Ihr Schweizer Trainerkollege Lucien Favre plant Laufwege und Spielsituationen bis ins Detail voraus. Ist das wichtig?
Ja, aber es ist nicht das Einzige. Sicherlich sind Laufwege und Strategien wichtig, aber man hat nicht die Zeit wie im Klub, es dauert länger. In der Woche vor dem Ukraine-Match hat man schon einiges gesehen, aber jetzt sind drei Monate vergangen und wir wissen nicht, ob die Spieler das im Kopf behalten haben oder alles wieder weg ist. Das wird sich zeigen.
Arbeiten Sie ein taktisches Konzept schon im Vorfeld aus oder erst direkt mit der Mannschaft gemeinsam?
Nein, ich muss die Idee vorher schon im Kopf haben. Wenn ich das nicht weiß, dann vergeht ja noch mehr Zeit. Ich muss meine Idee im Kopf haben und damit gehe ich in die Trainingseinheit. Das ist schon viel Arbeit.
Würden Sie prinzipiell auch Spieler auf anderen Positionen einsetzen, als sie es jahrelang im Klub gespielt haben, weil Sie der Meinung sind, dass sie es dort besser können?
Wenn ich der Überzeugung bin, dass er auf der Position für das Team mehr bringen kann und er dazu bereit ist, dann ja, warum nicht?
Sie haben sich zu Ihrem Amtsantritt die Österreich-Spiele der abgelaufenen Qualifikation angesehen. Österreich hat ähnlich viele Gegentore wie Kasachstan oder Aserbaidschan erhalten. Woran hat das gelegen?
Es ist wichtig, dass alle gegen den Ball arbeiten. Ich habe mitbekommen, dass dann immer auf die Verteidigung geschimpft worden ist, aber Defensivarbeit ist nicht nur Verteidigung, das beginnt bereits vorne. Das haben wir gegen die Ukraine zum Teil schon gezeigt, trotzdem haben wir zwei Tore bekommen, die passiert sind, weil wir uns taktisch nicht richtig verhalten haben.
Das heißt: die vielen Gegentore in der abgelaufenen Qualifikation hatten nichts mit individuellen Fehlern zu tun sondern waren auf ein mannschaftstaktisches Problem zurückzuführen.
Das habe ich nicht gesagt. Es ist nicht meine Aufgabe die Vergangenheit zu beurteilen. Ich habe nur zugeschaut und kenne die Hintergründe nicht. Das Spiel gegen die Ukraine kann ich beurteilen, mehr nicht.
In einem Kurier-Interview haben Sie einmal erzählt, dass Sie Ihren Vorgänger Constantini anrufen werden. Schon passiert?
Nein, das ist noch nicht passiert.
„Ich finde Taktik wichtig.“
Kann ein Trainer vom Spielfeldrand auch noch taktisch Einfluss auf die Mannschaft nehmen?
Schwierig, weil es oft so laut ist. Die Arbeit läuft im Vorfeld ab.
Kann eine Mannschaft mit guten Spielern unter einem schlechten Trainer schlecht aussehen? Sprich: Wie wichtig ist der Trainer für eine funktionierende Mannschaft?
Das kann ich nicht beurteilen, weil wir unter Trainern ja nicht alles Persönliche weitergeben.
Der Trainer ist wichtig, das ist unbestritten. Früher haben viele gesagt, wenn es gut lief, dass wir den Trainer doch gar nicht brauchen. Aber das ist nicht so, es braucht jemanden der die Richtung vorgibt.
Wie viel Taktik, wie viel Konzept verträgt eine Mannschaft?
Ich finde Taktik wichtig und ich nehme den Teil den das Team braucht. Auch den Teil, den der Spieler selbst braucht. Ob der Alaba drei Meter nach vorne soll um zu attackieren oder drei Meter weg bleiben soll. Diese Dinge muss man sehen.
Sind taktische Maßnahmen einfacher umzusetzen, wenn die Spieler taktisch gut geschult sind?
Ja, wenn die Spieler in der Jugend schon gewisse Grundverständnisse mitbekommen ist es für sie oben viel einfacher. Wenn sie noch nie etwas von Verschieben oder Absichern gehört haben wird es schwierig. Wenn man erst mit 22 oder 23 damit beginnt wird es immer schwieriger.
Zu Ihrer Bestellung wurden Sie von Altinternationalen heftig kritisiert. Hat Sie die Kritik irritiert oder war das eine normale Reaktion?
Nein, ich bin schon lange im Fußball dabei. Mich hat das Gerede rundherum nicht interessiert. Man hat mich mittlerweile gesehen. Man hat gesehen wie ich über Fußball denke. Ich persönlich habe das nicht so hoch bewertet wie Sie.
Denken Sie, dass Sie es ohne Lobby in einem kleinen Fußballland wie Österreich schwer haben werden als Teamchef zu überleben?
Schlussendlich hängt es auch von den Ergebnissen ab. Wenn wir gewinnen wird alles gut sein. Wenn wir verlieren, werden sich jene die vorher geschossen haben im Recht fühlen. Das ist überall so. Das ist unser Job. Für mich ist die österreichische Nationalmannschaft entscheidend und das wir Erfolg haben. Ob mich jetzt ein Freund von hier oder ein Freund von da unterstützt, ist nicht entscheidend.
„Ich werde keinen Haberer einspeisen“
Aber es könnte entscheidend werden. Bei Ihnen wird nach zwei schlechten Spielen Kritik kommen. Bei einem Österreicher wahrscheinlich erst nach fünf oder zehn Spielen.
Aber ist es deshalb besser den einen oder anderen Spieler deshalb aufzubieten weil er der Freund von dem einen oder anderen ist. Oder ich versuche einen Haberer bei mir einzuspeisen. Wir müssen gute Spieler finden, dann werden wir auch erfolgreich sein.
Das heißt: Sie werden nicht vermehrt Kontakt zu den Netzwerkern und Größen des heimischen Fußballs suchen, damit Sie Ihren Job länger behalten?
Nein, was bringt das. Für mich ist das Team das Entscheidende. Nur das ist wichtig. Wenn ich meine ganze Energie auf das Drumherum verwende, dann kann ich nichts Entscheidendes machen.
Ihr Assistent Fritz Schmid setzt sich in seinem Buch für mündige Fußballer ein. Wie weit darf Kritik eines Spielers bei Ihnen gehen?
Wenn Sie etwas zu sagen haben, können sie das intern machen. Man ist ja auch froh, wenn Ideen und Vorschläge kommen. Man muss das dann diskutieren und schlussendlich sagen: Bringt uns das etwas für das Team oder will sich der Spieler nur persönlich in den Vordergrund stellen. Wenn die Spieler eigene Ideen haben ist das aber zu begrüßen.
Wie weit kann ein Spieler gehen der besonders gut ist ohne sich in die Mannschaft zu integrieren?
Also es muss sicher die Bereitschaft da sein sich in die Mannschaft zu integrieren. Es sind Teamregeln da. Aber die muss man auch zuerst aufbauen. Wir haben einfach Regeln, wo es keine zwei Meinungen gibt.
„Ich denke nicht, dass Gludovatz beim Nationalteam sagen kann, wer zu spielen hat.“
Wie beurteilen Sie generell das Spielermaterial der Österreicher?
Talent ist vorhanden. Es gibt viele Junge, die den Sprung schaffen können, die aber noch nicht dort sind, wo sie regelmäßig auf einem Level spielen. Das ist natürlich wichtig, Konstanz in die Leistung zu bringen. Wir haben gute Spieler im Nationalteam, als Mannschaft können wir noch zulegen. Wir müssen gemeinsam nach vorne gehen und gemeinsam verteidigen. Damit das ganze noch kompakter wird.
Paul Gludovatz hat letztens gemeint: Wenn ein Spieler aus der österreichischen Bundesliga gleich gut ist wie ein Spieler aus der deutschen Bundesliga, dann sollte man auf den heimischen Kicker zurückgreifen. Wie sehen Sie das?
Das ist die Meinung von Gludovatz und ich denke nicht, dass Gludovatz beim Nationalteam sagen kann wer zu spielen hat. Weil ich ihm ja auch nicht sage was er in Ried zu tun hat. Grundsätzlich ist das situationsbedingt. Welches Gefühl habe ich bei einem Spieler? Wie passt er auf den Gegner ausgerichtet ins Konzept? Da sind viele Dinge, die man so global nicht sagen kann. Für mich spielt das dann keine Rolle ob er in Deutschland, England oder Österreich spielt.
Mit welchem Kader wollen Sie in die WM-Qualifikation gehen?
Wir wollen die nächsten Spiele noch zum Kennen lernen nützen. Um zu schauen, welche Spieler passen könnten. Es gibt auch immer wieder Verletzungen oder Formschwächen. Aber den Stamm wollen wir schon schnell finden. Wir können auch nicht jedes Mal zehn Neue holen, weil wir unsere Ideen ja auch einer Mannschaft weitergeben und nicht immer von vorne anfangen wollen.
Das heißt es wird nicht viele Veränderungen im Kader geben.
Kommt darauf an was Sie unter viel verstehen. Fünf sollten schon drinnen sein.
In welchem Bereich muss sich die Mannschaft entwickeln?
Sicherlich die Geschlossenheit, die defensive Kompaktheit, die Entschlossenheit in den Zweikämpfen. Das gesamte Team muss weiter zulegen. Nach vorne die Präsenz im Sechzehnmeter. Wenn wir das in den Griff bekommen, werden wir einen Schritt nach vorne machen.
Danke für das Interview!.