Kollers Lernprozess

Teamchef Marcel Koller hat verstanden, dass er sein Team auch nach den Stärken und Schwächen des Gegners ausrichten muss. Das Remis in Kasachstan geht trotzdem auf seine Kappe.   von Gerald Gossmann.

 

Peter Lindens Urteil nach dem Hinspiel: „Wer Fortschritte sieht, lügt sich selbst in den Sack“ stimmt natürlich nicht. Das ist nicht erst seit dem gestrigen 4:0 klar. Natürlich ist Österreichs Team unter Koller weiter als unter seinem Vorgänger. Das beweist schon die Erinnerung an das Heimspiel gegen Kasachstan unter Constantini, das so gänzlich anders ablief als das Heimspiel gestern. Marcel Koller ist ein richtiger Teamchef. Mit dem gestrigen Spiel hat er dazu auch Reaktionsfähigkeit bewiesen und seine Fehler vom Hinspiel ausgemerzt. Sogar Rainer Pariasek rieb sich im ORF-Studio verwundert die Äuglein und stammelte in Richtung Chefanalytiker Prohaska: „Ist das eine andere Mannschaft heute?“ Nein. Beinahe alle Spieler, die nach dem 0:0 vom Boulevard und auch von seriösen Medien in Grund und Boden geschrieben wurden, standen auch gestern am Platz. Der einzige Unterschied: Koller orientierte sich in seiner Spielanlage am Gegner aus Kasachstan. Die Außenverteidiger beteiligten sich am Offensivspiel, der Ballbesitz wurde mehr an den Flügeln als durch die Mitte genützt und Janko ersetzte Harnik. Logisch. Auch wenn sich der Teamchef durch seine logischen Anpassungen den Vorwurf gefallen lassen muss, das Spiel in Kasachstan vergeigt zu haben.


Im Rückspiel erzeugte Österreichs Mannschaft eine beinahe spielandauernde Überlegenheit. Auch wenn die Mittel dazu keine Neuen waren. Österreichs Mannschaft steht hoch, spielt Pressing, erkämpft Bälle, bringt sie schnell nach vorne, läuft schnell wieder zurück. Mehr geht noch nicht. Spielgestaltungskompetenz und die Forderung nach klareren Bewegungsabläufen und Automatismen in der Offensive werden vom Teamchef regelmäßig damit beiseitegeschoben, dass in wenig Zeit eben nicht viel möglich sei. Mag sein, dass das Team noch Entwicklung braucht, auch im Offensivbereich. Das Problem in Kasachstan lag aber im Detail. Natürlich funktionierte gegen eine tiefstehende und destruktive kasachische Mannschaft das Spiel durch die Mitte auf den Konterstürmer Harnik nicht. Das Spiel über die Flügel auf den im Strafraum beheimateten Janko lieferte im Heimspiel den Gegenentwurf und den Beweis dafür, dass das Rezept für das Auswärtsspiel im Rezept des Heimspiels und somit im Detail gelegen hätte.

 


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Kollers Umgewöhnungsprozess

Auch die Gründe für Kollers Vorgehen sind im Detail zu finden. Marcel Koller ist erstmals in seiner Karriere Trainer einer Nationalmannschaft. Nicht selten betont er, dass die seltenen Zusammenkünfte mit einer Mannschaft für ihn einen Umgewöhnungsprozess bedeuten. Dass der Prozess noch andauert, machte die Situation vor dem Spiel in Kasachstan deutlich. Koller nominierte die gleiche Startelf wie schon gegen Deutschland, weil er dachte, dass die kleinstmögliche Veränderung von Startelf und System den größtmöglichen Effekt erzielen könne. Sprich: Eine Mannschaft, die wenig Zeit miteinander und mit dem eigenen Trainer verbringt, soll sich festigen indem sie das macht was sie immer macht. Wurscht ob gegen die Kasachen ein anderes Rezept von Nöten gewesen wäre. Das geht bei einem Klub, durch ständiges Beisammensein und eine größere Anzahl an Spielen, vielleicht gut. Beim Nationalteam ist es aber die falsche Strategie, auf die Mechanismen des Klubfußballs zu setzen. Die Unsicherheit Kollers liegt darin begründet, dass er sich in die Rolle des Teamchefs, der sein Team nur alle paar Wochen sieht, erst hineinleben muss. Das macht er gerade, auch wenn sein Findungsprozess in Kasachstan auf Kosten des Teams ging.


Dabei ist Österreichs Teamchef aber lernfähig. Was Koller auszeichnet und ihn von so manchem Vorgänger unterscheidet: er hat im Rückspiel Reaktionsfähigkeit bewiesen und die richtigen Anpassungen in System und Aufstellung vorgenommen. Das Spiel in die Breite gezogen, Außenverteider nach vorne beordert, ein Spiel über die Flügel angeordnet und den  Rest nah am Sechzehner postiert, mit dem Auftrag, verlorene Bälle schnell zurückzuholen. Österreich hat dadurch 4:0 gewonnen, auch weil das Vergeben von Torchancen nicht mehr entscheidend war. Man erspielte einfach so viele Möglichkeiten, dass auch eine wenig optimale Ausbeute nebensächlich geworden wäre.


Das Team ist nicht wirklich weiter, der Teamchef vielleicht schon

Österreichs Team hält nach dem Doppel gegen Kasachstan bei vier Zählern. Welche Auswirkungen aber haben die letzten beiden Spiele auf das Team und seine Chancen in der Qualifikation für Brasilien? Wurden Arnautovic & Co. nach dem Remis in Kasachstan von Medien und Fans schon abgeschrieben, lichtete sich nach dem 4:0 die Vielzahl vernichtender Stimmen. Auch die Journaille berichtet wieder positiv von Herzibinki Alaba und dem doch nicht ganz so schlimmen Arnautovic. Zu Tode betrübt und Himmelhochjauchzend innerhalb weniger Tage hat der österreichischen Volksseele zwar keine sechs Punkte, aber wieder einmal Abwechslung für den Stimmungshaushalt beschert. Was hervorzustreichen ist: Österreichs Team hat ein Rezept gefunden, auch gegen einen defensiven Gegner, weil der Teamchef die Mixtur abänderte.


Was bei aller wiedergewonnen Euphorie aber angemerkt werden sollte: der klare Sieg von gestern bedeutet nicht, dass das Team in seiner Entwicklung jetzt weiter ist, als vor dem Doppel gegen Kasachstan. Das Positive an den beiden Partien: der Teamchef ist es vielleicht schon.


g.gossmann@90minuten.at 

 

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