Hyballa: 'Soll ich jetzt eine österreichische Frau heiraten?'
Er trainierte mit 16 seine erste Mannschaft, mit 36 will er Sturm Graz das Fußballspielen lehren. Peter Hyballa im Interview mit 90minuten.at über die fehlende Alternative zum Angriffsfußball, die fehlende Basis im eigenen Nachwuchsbereich und die fehlend
Er trainierte mit 16 seine erste Mannschaft, mit 36 will er Sturm Graz das Fußballspielen lehren. Peter Hyballa im Interview mit 90minuten.at über die fehlende Alternative zum Angriffsfußball, die fehlende Basis im eigenen Nachwuchsbereich und die fehlende Akzeptanz ausländischer Trainer in Österreich.
Das Gespräch führte Gerald Gossmann
Peter Hyballa hat sich den Montag nach der Niederlage gegen Salzburg frei genommen. „Einen Tag nur chillen", sagt er und fährt nach Wien zum Bummeln. Mit zwei Einkaufstaschen bepackt erscheint er zum Interviewtermin auf der Mariahilferstraße, weil ein Tag ohne Fußball bei ihm eben doch nicht geht.
90minuten.at: Die erste Halbzeit gegen Salzburg waren die unterhaltsamsten Bundesligaminuten seit langem. Zufrieden werden Sie trotzdem nicht sein, oder?
Peter Hyballa: Unsere Idee war eigentlich in der ersten Linie anzupressen bei Red Bull, was uns nicht ganz geglückt ist. Red Bull hat ein klasse Positionsspiel aufgezogen, die haben uns mit ein, zwei Kontakten ausgespielt. Wir hatten aber auch tolle Chancen durch ein gutes Kombinationsspiel, was natürlich besonders auf diesem Boden beeindruckend war. Beide Mannschaften haben versucht Fußball zu spielen. Wir hätten bei den Gegentoren Druck auf den Ball machen müssen, dann kannst du auch hoch stehen. Wenn du keinen Druck auf den Ball kriegst, wird es immer ein bisschen gefährlich. Red Bull ist eine gute Mannschaft und wir haben schon auch gut Fußball gespielt. In der zweiten Halbzeit haben wir ein Powerplay aufgezogen. Szabics hatte eine tausendprozentige Chance. Also ich war vom Spiel nach den ersten zwanzig Minuten zufrieden.
Wie hat Ihr Umfeld bei Sturm auf die Niederlage reagiert? Es herrschte doch eine große Euphorie im Vorfeld.
Vorm Spiel waren alle euphorisch und die Angriffseuphorie hatten sie auch noch nach dem Spiel. Wir hatten laut Statistik 29 Torschüsse. Das schaffte Sturm Graz das letzte Mal unter Osim. Und das ist ne Hausnummer. Wir haben gegen den Meister gespielt und auf schlechtem Boden. Obwohl man natürlich klar sagen muss, dass wir verloren haben und null Punkte am Konto stehen. Wir müssen uns in einigen Sachen natürlich klar verbessern.
Sie sind erst seit kurzem Sturm-Trainer. Wie beginnen Sie mit einer neuen Mannschaft das Training. Welche Mechanismen müssen zuerst greifen?
Ich hatte ja schon ein paar Klubs. Die ersten Tage rede ich relativ wenig. Da lasse ich sie spielen, um mir einen Eindruck zu verschaffen, wer was kann und wie die Mannschaft selber Fußball auslegt. Und dann habe ich begonnen Schritt für Schritt in den Spielformen einzugreifen. Ich habe gesagt: Ich würde das gerne so und so haben und könnt ihr das umsetzen. Zum Beispiel habe ich in einem Testspiel einmal gesagt: Ich möchte, dass ihr bei Ballgewinn in der Umschaltphase in acht Sekunden beim gegnerischen Tor seit. Das kannst du dann runterzählen. Dann war es interessant zu sehen wer Fußball spielt und wer den Ball nach vorne haut. Also erst guckt man und dann vermittelt man seine Idee von Fußball.
Konfrontieren Sie die Mannschaft gleich mit allen taktischen Maßnahmen? Es gibt in Österreich Trainer, die zuerst die Defensive stabilisieren wollen. Ist das eine Methode?
Nein, das Training ist auf alle Mannschaftsbereiche ausgelegt. Wir haben Spielformen in denen alles drinnen ist. Ich gebe immer vier fünf Ideen in die Spielformen was wir mit dem Ball oder gegen den Ball machen. Als Trainer kannst du die Praxis am Feld natürlich noch mit Theorieeinheiten danach verstärken. Ich erkläre bei jedem Training was jetzt passiert und warum es passiert.
Die Defensive einer Mannschaft kann man relativ schnell stabilisieren. Kann man auch das Offensivspiel als Trainer gezielt beeinflussen?
Ja. Du kannst natürlich das Training stark auf die Passqualität ausrichten und sagen: Wir spielen zwei Wochen nur ein, zwei Kontakte. Jedes Training. Wenn ein schlampiger Pass gespielt wird, unterbrichst du sofort. Wenn du den Ball hast geht es um passen, dribbeln und schießen. Das kann man fördern. Wenn man im Passspiel sicher ist, kann man auch den Gegner müde spielen.
Wie wichtig sind Ihnen beim Offensivspiel Automatismen und einstudierte Laufwege?
Klar gibt's das. Das ist ganz wichtig. Aber du brauchst auch Mut. Spieler haben immer die Idee, dass sie dem Ball führenden Spieler helfen, indem sie ihm entgegenkommen. Aber wenn du entgegenkommst, machst du den Raum eng. Wenn du wegläufst vom Ball machst du den Raum groß und somit schaffst du mehr Raum. Der Gegner hat dann Schwierigkeiten diesen Raum zu belaufen. An diesen Sachen haben wir gearbeitet. Natürlich ist es dann auch eine Mutfrage ob der eine Spieler den Raum schaffenden Spieler anspielt. Weil bei Fehlpässen entstehen Probleme. Aber diese Passgenauigkeit kann man trainieren. Und dazu kommt, dass man immer auf den Ball draufgeht.
Muss man dazu auch mehr Kondition trainieren, damit man immer auf den Ball draufgehen kann?
Du kannst Passformen mit Konditionselementen in Spielformen verbinden. Natürlich wird es manchmal auch getrennt. Aber nur, weil wir was anderes reinstreuen wollen. Aber grundsätzlich ist das Training zu 95 Prozent Passformen und Spielformen. Und weil man manchmal den Ball auch nicht mehr sehen kann, schieben wir andere Einheiten dazwischen.
Sind Sie auch abhängig von der Qualität der Spieler. Oder kann man jeden Spieler durch viel Übung zur Offensivmaschine umfunktionieren?
Wenn du richtig gute Qualität hast, machst du die Schritte schneller nach vorne. Wenn du ne mittlere oder schlechtere Qualität hast, brauchst du mehr Geduld. Trainer und Mannschaft hätten diese Geduld, aber Aufsichtsräte und Manager oft nicht. Ich habe auch nach dem Salzburg-Spiel gesagt: Lachen ist nicht verboten.
„Wie sollst du Stefan Maierhofer sechs Meter vor dem Tor verteidigen? Das funktioniert nicht."
Können Defensive und Offensive gleichzeitig funktionieren. Oder geht das eine immer auf Kosten des anderen?
Mein Name wird immer mit Offensive verbunden.
Weil Sie es ja auch selbst sagen.
Ja. (überlegt) Jein. Wir trainieren auch sehr viele Situationen, wenn der Gegner den Ball hat. Wir rennen ja nicht einfach nach vorne. In den ersten zwanzig Minuten gegen Salzburg, wo wir noch nicht so im Spiel waren, da standen wir ja tief. Die Spieler dürfen nach hinten laufen, wenn sie keinen Druck auf den Ball kriegen. Beim zweiten Tor gegen Salzburg war ja auch der Fehler, dass wir zu hoch gestanden sind. Da müssen die Spieler sogar nach hinten. Aber grundsätzlich glaube ich, dass man bei einer hohen Verteidigung Fehler besser korrigieren kann. Wenn man gleich tiefe Verteidigung spielt, kommt der Ball ja automatisch öfter Richtung Sechzehner. Und wie sollst du Stefan Maierhofer sechs Meter vor dem Tor verteidigen? Wie soll das funktionieren? Das funktioniert nicht. Und deshalb wollen wir den Gegner, so lange es geht, vom Tor weghalten. Viele Gegner stehen tief und alle sagen super. Aber die verlieren auch oft. Auch bei der EM. Wer ist Europameister geworden? Die Mannschaft, die ziemlich weit oben angegriffen hat...
...und die Mannschaft, die dieses System schon ziemlich lange spielt. Sturm Graz spielt nach dieser Philosophie erst sehr kurz. Muss das nicht erst in Fleisch und Blut übergehen, damit das auch funktioniert?
Die Umschaltphasen sind die wichtigsten Phasen im Spiel. Und deswegen warten viele Mannschaften einfach auf den Fehler des Gegners. Aber ich will den Gegner so lange wie möglich weg vom Tor halten.
Man hat Ihnen in Aachen vorgeworfen, dass Sie nie Balance zwischen Offensive und Defensive gebracht haben. Wie lange braucht so ein System, bis es funktionieren kann?
In Aachen haben wir eine Raute gespielt mit 19 und 20-jährigen. Wir haben aber damit 58 Tore geschossen. Gut wir haben 60 bekommen. Aber was passiert, wenn ich mehr Wert auf die Defensive lege? Dann schieße ich wahrscheinlich 45 Tore und kriege bei der Qualität der Mannschaft 48 Tore und werde auch Zehnter. Klar können wir uns zehn, zwanzig Meter nach hinten ziehen, aber wie sollen wir dann ein Tor schießen?
Erfolgreiche Mannschaften zeichnen aus, dass sie vorne Räume öffnen ohne hinten welche preiszugeben. Ist das langfristig Ihr Ziel mit Sturm?
Das ist auf jeden Fall das Endziel. Ist ja klar. Aber auch Deutschland hat mit einem guten System den EM-Titel nicht geholt. Aber wenn sie nicht offensiv trainiert werden, dann schlagen sie auch nicht Griechenland in der Art und Weise. Fußball ist so eng und Red Bull und Sturm Graz waren in diesem Spiel auf einer Höhe. Versucht man offensiv zu spielen, leidet sicher ab und an die Defensive darunter. Wenn du aber was für die Defensive tust, leidet die Offensive darunter. Die Balance ist das richtige. Aber die Balance stimmt immer, wenn du gewinnst und das haben wir am Samstag nicht gemacht.
„Die No-Names haben einfach Bock zu arbeiten."
Welche Rolle spielt in Ihrer Arbeit die Gegneranalyse?
Ich habe innerhalb von zehn Tagen vier Spiele gesehen, weil ich auch die Liga nicht so gut kenne. Ich will informiert sein. Das ist mein Fundus als Trainer. Wir schreiben uns das auf und die DVDs kriegen wir auch immer. Aber ich muss auch ehrlich sagen, dass wir zuerst auf uns schauen. Die Gegneranalyse hat Auswirkungen auf die Spielformen, das merken die Spieler gar nicht. Und ich sage den Spielern die Stärken und Schwächen ihrer Gegenspieler. Ich bin da total detailverliebt. Aber wir reden mit der Mannschaft nicht wirklich viel darüber.
Das heißt: die Spielformen wechseln von Woche zu Woche, weil sie auf den Gegner abgestimmt werden?
Ja. Wenn du dich auf Red Bull vorbereiten willst, dann musst du Spielformen finden, wo du das Umschalten trainierst, weil sie da einfach gut sind.
Ist das Spiel, dass Sie sich vorstellen, mit jedem Kader umzusetzen?
Ich denke schon. Auch mit einer nicht fitten Kreisligamannschaft würde ich dasselbe machen. Pressing kann doch jeder Spieler auf der Welt.
Sie sind schon seit 20 Jahren Trainer, haben mit 16 begonnen. Wie das?
Ich habe in der U-17 Fußballgespielt und man hat mich gefragt ob ich nebenbei die Bambinis trainieren möchte. Und ich dachte, wo ich doch eh jeden Tag am Fußballplatz herumlungere, trainiere ich doch gleich die Kinder, obwohl ich selbst noch Kind war. Ein Jahr später habe ich die U-12 trainiert. Meine C-Lizenz habe ich mit 18 gemacht, meine B-Lizenz mit 20, meine A-Lizenz mit 24 und meinen Fußballlehrer (die höchste Ausbildung in Deutschland, Anm.) mit 29. Und dann habe ich gemerkt, dass ich als Trainer mehr Talent habe. Es hat als Spieler für ganz oben nicht gereicht. Die Arbeit mit Kindern hat mir auch Spass gemacht, weil die so eine Lebensfreude hatten und ich mag lebensfreudige Menschen. Die sind nicht immer am meckern. Das ging dann Schritt für Schritt. Als junger Trainer guckst du dir auch was ab, von dem Trainer der über dir trainiert. Ich bin nach Schalke gefahren oder zu Vitesse Arnheim, das war alles bei mir in der Nähe.
Bekannte Fußballer machen sich oft über Trainer mit bescheidenen Kickfähigkeiten lustig. Ist Ihnen so etwas auch passiert?
Mir ist so etwas egal. Ich finde Trainer gut, wenn ich ihr Spiel gut finde. Aber du merkst natürlich schon, dass man über Arbeit und Erfolg nach oben kommen muss. Matthias Sammer hat damals direkt Borrussia Dortmund als erste Trainerstation bekommen. Meine erste Trainerstation waren die Bambinis von Borrussia Bochholdt. Das ist einfach der Unterschied. Die No-Names haben einfach Bock zu arbeiten und die machen einfach. Mir hat in meiner Trainerlaufbahn niemand die Tür aufgehalten, sondern ich habe selber die Tür aufgerissen und gesagt: Hier bin ich und ich würde gerne den nächsten Schritt gehen.
Hatten Sie in Deutschland die Chance ganz nach oben zu kommen oder war nach ihrer Station bei Aachen in der 2. Deutschen Bundesliga Endstation?
Nein, natürlich hätte ich die Chance. Ich habe gegen Thomas Tuchel A-Jugend Finale gespielt und er ist Bundesliga-Trainer. Thomas Tuchel hat damit für uns Nachwuchscoaches alle Türen geöffnet. Ich habe ja auch mit Aachen guten Offensivfußball gespielt, mit einer ganz jungen No-Name-Mannschaft sind wir ganz locker ins Mittelfeld der zweiten Liga gekommen. Das war sehr gut. Also warum soll es kein Angebot geben aus einer höheren Liga. Es ist noch immer mein Ziel.
„Ich könnte den Ex-Profis ja auch sagen, dass ich studiert habe und weiß, was Trainingslehre ist."
Hätten Sie in Ihrer Trainerkarriere schon einmal bemerkt, dass Ihnen die Karriere als Profifußballer in gewissen Bereichen fehlt?
Nein, ich glaube im Jahr 2012 ist das nicht mehr so. Es gibt genügend Trainer, die keine Profispieler waren und in Deutschland merkt man diesen Trend sehr stark. Ich kann ja jetzt nicht jeden Tag mit einer Depression aufwachen und sagen: Ich war kein Profispieler, ich schaff es nicht nach oben. Ich bin auch kein Feind der Profi-Spieler. Ich habe jetzt Peter Schöttel zweimal getroffen und ich glaube, dass das ein guter Trainer und ein interessanter Typ ist. Er war halt ein sehr guter Fußballer und ich habe damit kein Problem. Aber dann sollen die sehr guten Fußballer aber mit den nicht so guten Fußballern auch kein Problem haben. Man muss einfach gucken: Wie lässt der Fußball spielen. Ich könnte den Ex-Profis ja auch sagen: Ich hab studiert. Ich weiß was Trainingslehre ist. Ich hab im Kommunikativen viel gemacht. Ich verstehe vielleicht nicht so gute Fußballer besser. Und und und.
Bei der Bundesliga-Auftaktpressekonferenz haben Sie alle Ihre Trainerkollegen kennen gelernt. Wie sind Sie aufgenommen worden?
Ganz normal. Wir haben uns die Hand gegeben. Wenn wir uns in einem Jahr wieder treffen und ich dann noch immer Sturm Graz-Trainer bin, wäre das natürlich herzlicher. Peter Schöttel kam relativ zügig auf mich zu. Ich habe mich dann mit Roger Schmidt unterhalten, weil wir uns kennen. Man kommt schon ins Gespräch.
„Mit ausländischen Trainern hat man Probleme, aber mit ausländischen Spielern nicht?"
Ich frage deshalb, weil viele österreichische Trainer einen unbekannten Ausländer nur ungern auf einem der zehn heiß begehrten Trainerstühle sehen. Merken Sie das?
Ja gut, ich habe einmal ein Interview von Didi Kühbauer gelesen, der das dann so kritisiert hat. Aber ich maße mir nicht an, einen Trainer hier zu kritisieren, ich habe da eine Trainerloyalität. Es ist auch gutes Recht zu sagen was man will, wir leben ja in einer Demokratie. Es ist halt nur nicht mein Style. Aber wenn die mich kritisieren, müssen die damit rechnen, dass ich zurückkritisiere. Mit ausländischen Trainern hat man Probleme, aber mit ausländischen Spielern nicht? Aber was soll ich machen: Soll ich jetzt eine österreichische Frau heiraten?
Befürchten Sie, dass man Ihnen ihre mutigen Sprüche bei Nichterfolg schnell um die Ohren hauen wird?
Ja, ich bin ja auch nicht blöd. Ich weiß, wenn wir gegen Austria Wien nicht gewinnen sollten, dann werden mir die Sprüche um die Ohren gehauen. Aber ich habe keine Angst davor. Ich versuche einfach nett und akkurat meine Sachen zu erledigen.
Denken Sie, dass es ein Problem ist, dass beim letzten österreichischen Trainerlehrgang ausschließlich Ex-Profis ausgebildet wurden?
Ein guter Ex-Profi ist nicht gleich ein guter Trainer. Aber ein Nicht-Profi ist auch nicht gleich ein guter Trainer, nur weil er vielleicht die Universität besucht hat. Was ich lächerlich finde ist, dass ehemalige Spieler verkürzte Lehrgänge bekommen. Das finde ich albern.
Beim DFB ist ja das jetzt behoben.
Ja, da wurde das behoben. Es gibt jetzt ein ganz klares Profil und da guckt Frank Wormuth, der Chefausbildner, ein super Fachmann, drauf. Er schaut, ob jemand ein Trainertalent hat und ob der wirklich Profitrainer werden kann. Der guckt null auf den Lebenslauf, sondern auf das was er bis jetzt trainiert hat und was das für ein Typ ist.
„Wie soll ich Spielern Mut machen, wenn ich selbst Angst habe?"
Viele österreichische Trainer standen im letzten Jahr augrund ihrer destruktiven Spielweise in der Kritik. Wie haben Sie das Niveau der abgelaufenen Saison gesehen?
Wer Fußball liebt, liebt Barcelona, Arsenal oder Bayern München, weil die Fußball spielen. Und auch ich mag Mannschaften, die nach vorne spielen. Aber wenn Trainer sich für die Defensive entscheiden, ist das auch ein Plan. Ich gucke mir lieber den FC Barcelona an, weil die nach vorne spielen und so lange in Ballbesitz bleiben. Ich habe einige Spiele letztes Jahr in Österreich gesehen, wo sich Mannschaften unnötiger Weise zurückgezogen haben und dann wenn sie hinten sind, spielen sie erst tollen Fußball. Da denke ich mir: Wenn der Trainer gesagt hätte, fangen wir gleich so an, vielleicht hätten sie sogar gewonnen. Das hat einfach viel mit Angst zu tun. Nächste Woche gegen Austria kann ich mich ja auch am Strafraum zurückziehen, damit wir erstmal ein 0:0 halten und irgendwann schießen wir schon ein Tor. Ist auch ein Plan. Und Spieler merken auch, wenn der Trainer Angst hat. Und wie soll ich Spielern Mut einflößen, wenn ich selber Angst bekomme?
Sie haben kürzlich auch betont, dass Sie bei Sturm mehr Druck auf die Akademien und deren Trainer ausüben wollen, weil da mehr kommen muss.
Alle fordern immer junge Spieler, die auch steirisch sind und dies und das. Und ich übe Druck auf die Akademietrainer aus, weil sie für ihre Arbeit Geld bekommen. Und ihr Auftrag ist es, mir gute Spieler anzuliefern. Ihr Auftrag ist nicht Meister zu werden. Gute Ergebnisse zu holen ist immer toll, wenn ich aber keine Spieler kriege, die nicht schon gewisse Sachen können, kann ich sie auch nicht spielen lassen. Weil als Profitrainer bekommst du immer auf die Schnauze. Und ich habe kein Problem mit elf Steirern zu spielen, nur müssen die irgendwo herkommen.
Was müssen die Spieler mitbringen um in die Kampfmannschaft hochgezogen zu werden?
Die müssen eine gute Passqualität haben, eine gute Körperkraft haben, etwas Besonderes in ihrem Spiel. Wenn ich 18-jährige Spieler aus der Akademie bekomme, muss ich sie eh noch entwickeln, aber es muss auch Druck auf dem Akademietrainer sein. Mein erster Ansprechpartner ist der Markus Schopp. Und ich komme ja aus dem Stall der Nachwuchstrainer. Ich mag ja auch Jugendtrainer, aber ich habe mich als Jugendtrainer immer selber unter Druck gesetzt. Und ich finde ja auch, dass die Akademietrainer einen guten Job machen, aber es kann immer besser sein. Und es ist ja gut, wenn ich als Cheftrainer sage: Macht was. Dann mache ich deren Arbeit und den Nachwuchstrainer doch wichtig.
„Ich könnte auch sagen: mich interessiert es einen Scheißdreck was die Akademietrainer machen und kaufe Spieler ein"
Und nehmen die Akademietrainer Ihre Aufforderung auch an?
Ja klar. Die nehmen mich auch ernst, weil ich aus ihrem Stall komme. Ich könnte ja auch sagen: Mich interessiert es einen Scheißdreck was ihr da unten macht und kaufe Spieler nur ein. Dann meckern die ja auch. Es muss ein Geben und Nehmen sein. Aber ich kann mich auch nicht um alles kümmern, ich muss einfach soviel Vertrauen haben, dass die mir was anliefern.
In Österreich weiß man oft schneller warum etwas nicht funktionieren kann, als das man etwas umsetzt. Merken Sie etwas von dieser Mentalität?
Irgendwann muss man mit dem Umsetzen aber anfangen. In Deutschland haben die Nachwuchsleistungszentren unheimlich viel Gewicht, die wurden unheimlich stark gemacht. Aber ich mache auch Druck auf den Klub. Denn wenn man keine Kohle in den Nachwuchsbereich steckt, dann gehen auch die besten Talente zu Red Bull oder nach Deutschland oder nach Italien. Du musst auch investieren und wenn du das nicht tust, kommt auch nichts raus.
Das heißt konkret: Es sind zu wenige Nachwuchsspieler da, die man in die Kampfmannschaft hochziehen könnte, oder?
Ich bin jetzt seit sechs Wochen da. Die ersten zwei Wochen hier habe ich sieben bis acht Amateurspieler dazu genommen und ich habe einen Eindruck gewonnen. Da waren schon Jungs dabei, aber mehr kann es immer sein. Fakt ist, dass einige gute Junge bei Red Bull spielen. Unser Ziel muss sein, dass die mit 18 bei uns in der Kampfmannschaft spielen, also müssen die hier bleiben. Und da muss man in Konkurrenz mit großen Klubs treten. Man muss den Jungs zeigen, dass wir sie so gut machen können, dass sie über die Kampfmannschaft von Sturm Graz ins Ausland gehen können. Dieses Vertrauen müssen sie kriegen und der Klub muss in diesem Bereich investieren, sonst verstehe ich auch, dass die Spieler weggehen.
Einige Spieler die schon ins Ausland gewechselt sind, haben nach ihrem Wechsel gesagt, dass sie im Ausland erstmals richtiges Taktiktraining kennen gelernt haben. Sind Ihre Spieler taktisch gut geschult oder gibt es Nachholbedarf?
(Überlegt) Ja, es gibt ja auch Spieler die schon im Ausland gespielt haben und die verstehen sehr schnell die Idee. Wenn ich jetzt sagen würde, sie sind taktisch nicht gut geschult, wäre das viel zu arrogant. Sie haben schon viele Dinge drauf. Wo es besser werden muss, ist die Wichtigkeit des Umschaltens, Passqualität kann immer besser sein und die Idee des hohen Verteidigens verstehen sie immer mehr.
„Der Klub muss im Nachwuchsbereich investieren, sonst verstehe ich auch, dass die Spieler weggehen"
Bei Aachen hieß es, dass die Spieler Ihre komplexen Vorgaben zum Teil nicht umsetzen konnten. Woran lag das?
Das kann auch ein Grund gewesen sein. Aber ein paar Monate vorher haben wir Mainz und Eintracht Frankfurt ausgeschalten - mit den komplexen Methoden. Man versucht, dass es die Spieler immer mehr verstehen. Und es ist doch gut, wenn man komplex beginnt, weil zurückgehen kann ich ja immer noch. Vielleicht verstehen sie es ja und dann kann ich noch komplexer werden.
Wenn Sie drei Wünsche für Sturm freihätten, welche wären das?
Ich wünsche dem Klub Titel. Dass sich der Klub international einen Namen macht. Und ich wünsche dem Klub unheimlich viele Talente, die lange hier bleiben.
Wollen Sie auch lange hier bleiben?
Das weißt du ja nie im Fußball. Am längsten war ich bisher bei der U-19 vom Vfl Wolfsburg – drei Jahre. Aber ich weiß wie Fußball funktioniert. Aber fünf Jahre für einen Trainer ist wie in anderen Berufen 30 Jahre. Und ich habe aufgehört als Trainer zu planen. Fußball ist ein Tagesgeschäft und so plane ich auch.
Danke für das Gespräch.
g.gossmann@90minuten.at
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