Helmut Kronjäger: 'In der Bundesliga wird oft nicht anders trainiert als in der Regionalliga'
Helmut L. Kronjäger trainierte vor zehn Jahren Ried. Seitdem ist es für Trainer ohne Bekanntheitsgrad nicht leichter geworden einen Job in der Bundesliga zu bekommen. Ein 90minuten.at-Gespräch über das schlechte Niveau des heimischen Kicks, Packelei ohne
90minuten.at: Wie würden Sie das Niveau der Bundesliga-Spiele derzeit beurteilen?
Helmut L. Kronjäger: Mittelmäßig. Wir waren schon einmal besser.
Woran liegt das?
Ich will die Trainerkollegen nicht allgemein beurteilen, aber ich glaube, dass zu wenig Innovation da ist. Unsere Trainer geben sich sehr leicht zufrieden. Wenn bei Rapid zweimal der gleiche Freistoßtrick ins Tor geht, mache ich mir Gedanken darüber, wie der gegnerische Trainer die Geschichte eigentlich analysiert. Die Trainer verkaufen sich nach außen nicht schlecht, aber es ist nicht diese schonungslose Akribie dabei, wie sie moderne Trainer in Deutschland haben. Da ist ein gewaltiger Unterschied.
Viele österreichische Klubs setzen auf defensive Ausrichtungen. International versucht man das Spiel zu gestalten. Warum erkennt man den Trend in Österreich nicht?
Wir waren vor zwei Wochen mit dem U17-Nationalteam auf Trainingslager in der Türkei. Wir versuchen mit dieser Mannschaft hoch zu verteidigen und ein Mittelfeldpressing aufzubauen. Und selbst in unserem Trainerkreis habe ich gehört – spielt nicht so schnell, nehmt das Tempo raus, steigt einmal drauf und spielt zurück. Da habe ich ein Problem damit. Wir gewöhnen Kindern und Jugendlichen das schnelle Spiel ab und im Profibereich kann ich dann doppelt und dreifach arbeiten, dass ich es wieder eintrainieren kann. Man sollte die Dynamik der Jungen einfach so lassen. Die laufen wie die jungen Hunde und sind bissig und wir wollen es ihnen dann abgewöhnen. Das ist falsch. Man muss doch soweit kommen, dass man den Gegner unter Druck setzen kann.
„Wenn ich theoretisch nichts weiß, kann ich praktisch nichts erkennen"
Wie sehen Sie die Bundesligamannschaften vom taktischen Aspekt her?
Viele Trainer spielen auf Konter, weil es das leichteste ist und wenn sie zu einer Mannschaft kommen die dominant spielt, haben sie schon ein Problem. Oft wird in der Bundesliga nicht anders trainiert als in der Regionalliga – und das kann nicht sein. Es muss an einer Universität anders unterrichtet werden als in der Volksschule oder an einer Hauptschule. Wir Trainer geben uns zu schnell und zu leicht zufrieden. In Russland gibt es eine Forschungsstätte Fußball an der Universität. Das gibt es bei uns nicht. Es beschäftigt sich sicherlich jeder Trainer mit seiner Mannschaft, aber zwischen beschäftigen und sich in die Materie einarbeiten ist halt ein Unterschied.
Man merkt ja auch bei vielen Bundesligatrainern, dass sie sich bei kleinen Klubs leichter tun, weil sie auf Konter spielen können, was bei einem Spitzenklub dann aber nicht mehr funktioniert.
Es ist das einfachste zwei schnelle Spitzen vorne hinzustellen und auf Konter zu spielen. Alles was da drüber geht ist Entwicklungsarbeit und da muss der Trainer auch lernen. Konter kann man in einer Woche ohne Probleme eintrainieren, weil es das leichteste ist.
Wie weit denken Sie kann der Trainer das kreative Spiel einer Mannschaft beeinflussen? Ist das möglich oder hängt das nur von den Einzelspielern ab?
Als Trainer muss man dazu bereit sein Fehler zu akzeptieren. Wir müssen in der Persönlichkeitsbildung darauf eingehen, dass die Spieler frei werden, ihre Kreativität einzusetzen und nicht nur Versagensängste haben. Im Jugendbereich muss man die Spielfreude vermitteln. Ein Spieler soll eine 1:1-Situation lösen gegen einen Gegenspieler, gegen zwei Gegenspieler. Aus diesen Überzahl-Unterzahl Spielen lernt der Spieler, welche Möglichkeiten er am Platz hat und welche für ihn geeigneter sind. Der Trainer muss den Spieler analysieren und mit ihm daran arbeiten, dass er die passenden Lösungsvorschläge für alle möglichen Spielsituationen für sich findet. Die Spieler müssen im Vorfeld auf alle Eventualitäten vorbereitet werden.
Sie plädieren also dafür die Theorie in Spielformen zu verpacken.
Richtig. Ich höre oft in Trainerkursen, dass wir zu oft Theorie machen. Ich sage aber: wenn ich theoretisch nichts weiß, kann ich praktisch nichts erkennen. Das theoretische Wissen gehört dazu. Trainer müssen in der Theorie sattelfest sein, damit sie das in eine spielnahe Situation bringen können.
„Es brauch noch Zeit, bis die Vereine die Erfolglosigkeit der Ex-Kicker als Trainer erkennen"
Derzeit sind sechs ehemalige Profispieler Bundesligatrainer. Denken Sie, dass sie aufgrund ihrer Bekanntheit sehr leicht und schnell zu einem Job als Trainer kommen?
Ja, mit Sicherheit. Der Einstieg ist auf jeden Fall viel leichter. In der Schweiz muss man nach der Ausbildung ein paar Jahre als Assistent arbeiten und darf nicht gleich in den Profibereich. Das finde ich vernünftig. Weil bei uns muss ja die Bundesliga als Probier- und Lernfeld für die Traineranwärter herhalten. Trainer-Sein ist auch mit viel Erfahrung verbunden. Bei uns lernen die neuen Trainer am lebenden Objekt und für die Mannschaften ist das eigentlich verlorene Zeit.
Im letzten Lehrgang zur UEFA-Pro Lizenz waren nur Ex-Profis, die sich jetzt in der Bundesliga bewähren dürfen.
Es ist ein Problem, dass jeder Ex-Kicker schon einmal einen Startvorteil hat. Ihm werden Ausbildungszeiten geschenkt. Der Heinz Hochhauser hat einmal zu mir gesagt: Schau, Kicker sind faul, warum sollen sich die ändern, wenn sie einmal Trainer sind.
Kennen Sie Trainertalente, die keine Chance bekommen?
Ich kenne jemanden, der perfekte Analysen für die LAZ-Spieler machen konnte. Dort war er für den ÖFB Fachmann genug, aber er wurde nicht zur Pro-Lizenz zugelassen, weil er nicht als Profi gekickt hat. Das sagt eigentlich alles. Den Bundesligisten bleibt gar nichts anderes übrig, als auf die Ex-Profis zurückzugreifen, weil es gar keine anderen gibt. Warum sollen wir weniger gute Trainer als die Deutschen haben? Das liegt nur am System. Es braucht aber noch Zeit bis die Vereine die Erfolglosigkeit der Trainer und Ex-Spieler erkennen. Auch im Amateurbereich.
„Ich kann nicht immer nur dem Spieler die Schuld geben"
Das heißt: die Bundesliga könnte viel konkurrenzfähiger sein, wenn erfahrene Trainer und Fachmänner auf den Trainerstühlen sitzen würden?
Ja, ich glaube, dass unser derzeitiges Niveau damit zusammenhängt. Es wird international viel mehr mit Trainerteams gearbeitet. Fachleute, die sich ergänzen und nicht als Rivalen gesehen werden. Auch die Präsidenten müssen lernen, dass Fußball zu komplex ist, um alles alleine zu schaffen. Ich kann nicht immer dem Spieler die Schuld geben. Ein Spieler spielt ja das, was ihm seine Trainer in seiner Karriere beigebracht haben. Viele Trainer reden sich da auf die Spieler aus.
Jimmy Hoffer wurde in Italien als taktisch zu schlecht ausgebildet bewertet. Bekommen die Spieler der österreichischen Bundesliga zu wenig taktisches Rüstzeug mit?
Ja. Ich habe zweimal in Italien hospitiert und dort dauert ein Taktiktraining schon einmal drei Stunden und da geht es um Meterarbeit. Die machen pro Woche bis zu zehn Stunden Taktiktraining, auch bei mittelmäßigen Vereinen. Da geht es um taktische Feinheiten, das muss man trainieren. Und das ist bei uns nicht so. Diese Akribie, sich selbst auf das Spiel und auch auf den Gegner vorzubereiten gibt es nicht. Bei uns hat der Augenthaler beim GAK ein Jahr mit Raute gespielt und keiner hat sich ausgekannt. Man stellt sich sehr schwer darauf ein. Man kann aber durch taktische Maßnahmen sehr viel erreichen. Ich war einmal bei einer Sitzung nach der Europameisterschaft dabei, wo es um die Frage ging, was denn taktisch von der Europameisterschaft übrig bleibt. Ich war damals erschrocken, wie wenig die Trainer das analysieren konnten.
„Ich sehe bei fast keinem österreichischen Verein eine Linie.“
Die Austria hat vor ein paar Jahren die Fußballphilosophie „gepflegter, technischer Fußball“ ausgegeben. Jetzt holt man einen Trainer, der eine ganz andere Philosophie vertritt. Nachvollziehbar?
Ich stelle mir die gleichen Fragen wie Sie. Man kann das so erklären: Strategie ist ein lang ausgerichteter Plan, wo ich über verschiedenen Positionen zum Ziel kommen will. Die Taktik ist das kurzfristige. Ein Vergleich: ich weiß, dass in einem gewissen Kaffeehaus am Nachmittag ein wunderschönes Mädl da ist. Meine Strategie ist jetzt: ich gehe zufällig, zu der Zeit wo sie da sein wird, dort hin. Wenn sie dann da ist, muss ich taktisch arbeiten und Blumen rauszaubern oder einen Schmäh anbringen. Wenn man das auf den Fußball umlegt, dann ist die Vision: ich möchte mich mit diesem Verein so und so positionieren. Wenn man das nicht macht, wird man immer scheitern. Bei Bayer Leverkusen gibt der Verein die Philosophie vor. Die haben immer zwei Co-Trainer, die der Verein stellt und die die Philosophie tragen. Auch bei Ajax muss der Trainer die Ajax-Philosophie spielen. Aber ich sehe bei keinem österreichischen Verein eine Linie. Am ehesten vielleicht noch in Ried. Bei der Austria wird es die Zukunft zeigen, wohin die Entwicklung geht.
Denken Sie, dass jeder Präsident nach einem Konzept fragt oder reicht oft ein bekannter Name?
Ja, der reicht, weil einfach der Name den Glanz noch hat. Viele Funktionäre beschäftigen sich ja gar nicht mit der Materie, weil sie sich schwer tun.
In Österreich werden ehemalige Profispieler Experte, Kolumnist oder eben Trainer. Bietet der kleine Markt überhaupt noch Platz für Fachmänner ohne Bekanntheitsgrad?
Wenn man Qualität suchen würde, dann schon. Ich suche ab Sommer auch eine neue Herausforderung, aber es ist schwer. Bei den Angeboten, die ich habe, geht es nur um den kurzfristigen Erfolg und das ist nicht das was ich mir vorstelle. Ich würde gerne den Beweis erbringen – und bei Ried ist es mir ja gelungen – dass ich mit einfachen Mitteln und Nonames Erfolg haben kann. Man muss halt mehr arbeiten als die anderen. Es muss aber ein Verein mit Strategie und Konzept sein. Wenn man aber mit verschiedenen Präsidenten spricht, kommt man drauf, dass das nur warme Luft ist. Mich hat einmal ein Präsident gefragt, ob ich denn nicht ein Konzept erstellen kann. Dann habe ich gesagt: ich möchte mit jungen österreichischen Spielern spielen und in zwei Jahren um den Meistertitel mitspielen. Sagt er: Das ist ja super. Sag ich: das ist nicht einmal Kaffeesud, das ist Blabla aber kein wirkliches Konzept.
„Mich treiben die Experten bei Bundesligaspielen in den Wahnsinn. Da werden nur Schmähs gerissen. Aber wenn ich lachen will, gehe ich ins Kabarett.“
Sie hatten selbst einmal einen Job in der Bundesliga, bei Ried. Wie bekommt man als Trainer ohne Bekanntheitsgrad einen Job in der Bundesliga?
Ich war Co-Trainer beim Heinz Hochhauser, der Heinz ist zur Austria und der Verein ist an mich herangetreten, ob ich das weitermachen würde. Ich wollte mich beweisen, das war meine Einstiegschance. Aber es bekommen auch heute noch viel zu wenige Nonames die Chance. Man tut sich einfach extrem schwer gegen einen bekannten Namen. Mich treiben auch die Experten bei Fußballspielen in den Wahnsinn . Da wird ja nicht analysiert, weil keiner dem anderen wehtun darf, sondern nur lustige Schmähs gerissen. Aber wenn ich lachen will, dann gehe ich ins Kabarett.
Man muss wahrscheinlich in der kleinen Fußballszene auch die richtigen Leute kennen, um an einen guten Job zu kommen.
Ja, natürlich. Oft zahlt ein Sponsor, den ein Trainer mitbringt, das Gehalt des Trainers. Einmal hat ein Trainer sogar einen Hauptsponsor mitgebracht, der das Gehalt übernahm und auch ansonsten den Verein sponserte. Und wenn der Trainer geht, geht der Hauptsponsor auch. Das wird immer schlimmer. Man könnte sich natürlich auch an dieses Netzwerk anbiedern, aber der Typ bin ich nicht. Weil, wenn eine Zusammenarbeit mit einem Verein zustande kommen sollte, dann muss ich ja ins Konzept passen und nicht nur aufgrund einer Empfehlung verpflichtet werden.
„Wenn alle das schreiben würden was sie wissen, stürzt Österreich zusammen.“
Denken Sie, dass die Bundesligisten in absehbarer Zukunft umdenken werden?
Ich hoffe, dass es anders wird, aber ich bin nicht überzeugt davon. Vieles wird davon abhängen, wie sich die zukünftige Trainerausbildung präsentieren wird. Viele talentierte Trainer haben in der Vergangenheit aufgehört, weil sie keine Chance zur Profi-Lizenz sahen, weil bekannte Ex-Spieler ihnen vorgezogen wurden. Das wird sich hoffentlich ändern. Im erfolgreichsten Verband in Österreich, dem ÖSV, findet man kaum Exrennläufer als Trainer, wohl aber sehr Engagierte. Und das in so einer hohen Qualität, dass Österreich zahlreiche Trainer in andere Länder erfolgreich exportieren kann. Das sollte auch Auftrag für den ÖFB sein, die Trainerausbildung auf ein Niveau zu stellen, dass man als österreichischer Trainer auch im Ausland eine reelle Chance auf eine Job hat, und nicht wie ich auf den Salomon Islands und im Bhutan als Exote gesehen wird. Erst durch meine dortige Arbeit konnte ich mich habilitieren und kann deshalb jederzeit in diese Länder zurückkommen. Es ist das gleiche wie bei euch Internetjournalisten. Ihr habt echte Fachleute und trotzdem werdet ihr bei den Printmedien zum Feindbild, weil die Verhaberung bei der Presse zum Verein ja auch gegeben ist. Wenn alle einmal das schreiben würden was sie wissen, stürzt Österreich zusammen.
Danke für das Gespräch.
g.gossmann@90minuten.at
Zur Person:
Helmut Kronjäger war Assistent von Ivica Osim bei Sturm Graz, Chefcoach bei Ried in der Bundesliga, trainierte verschiedene Nachwuchsauswahlen, ist in der Trainerausbildung tätig und war Teamchef im Bhutan und auf den Salomon Islands. Derzeit ist er Sportdirektor des Steirischen Fußballverbandes.
Fotonachweis: Daniel Shaked