Ein Koller ist kein Constantini, aber ein Scharner ein Scharner
Das österreichische Team ist stark, wenn es aggressives Pressing spielt und zeigt dann Schwächen, wenn das Anfangspressing nicht zu einem schnellen Torerfolg führt. Das 2:0 ist als Fortschritt zu betrachten, auch ohne großen Erkenntnisgewinn. Aber es gib
Das österreichische Team ist stark, wenn es aggressives Pressing spielt und zeigt dann Schwächen, wenn das Anfangspressing nicht zu einem schnellen Torerfolg führt. Das 2:0 ist als Fortschritt zu betrachten, auch ohne großen Erkenntnisgewinn. Aber es gibt ja auch Paul Scharner.
von Gerald Gossmann
Der Boulevard wurde nach dem gestrigen Länderspiel ohne Erkenntnisse zurückgelassen. Zwar bewegten sich 10 von 11 österreichischen Mündern bei der Nationalhymne, was den 2:0-Sieg erklärbar macht, wenn die Journaille glaubt was sie schreibt. Was die These aber zum Einstürzen brachte: Gerade Torschütze Kavlak blieb stumm. Egal. Marcel Koller hat seine ersten fünf Länderspiele absolviert. Gesungen hat er nie. Seine Bilanz kann sich trotzdem sehen lassen: 3 Siege (Finnland, Ukraine, Türkei), 1 Remis (Rumänien), 1 Niederlage (Ukraine). Mit Koller hat Österreich Augenhöhe erreicht. Und einen Anflug von Konstanz. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten verfolgt das ÖFB-Team einen nachvollziehbaren Plan, schnörkellos umgesetzt. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten geht Österreich in eine Qualifikation mit einer realen Chance auf Spannung bis zum Ende. Das liegt daran, weil Kollers Team einige Automatismen mittlerweile wirklich gut beherrscht. Vor allem, dass Koller auf einen Stamm setzt, mit dem er seine Ideen weiterentwickeln will, wird sich von Spiel zu Spiel als Positiv erweisen.
Koller zeigte sich gegen die Türken, im letzten Test vor Deutschland, akribisch. Auch in der Gegneranalyse. 6 Spiele der Türken hat er im Vorfeld gesehen. Das Gesehene am gestrigen Abend hat ihn folglich wenig überrascht. Nach 5 Minuten führte Österreich 2:0. Wobei das gar nicht unbedingt ideal gewesen sein muss. Österreichs Spiel, das mittlerweile durchaus auf Augenhöhe zu höhergestellten Teams stattfindet, hat dann Probleme, wenn kein schnelles Tor fällt. Wenn das Anfangspressing nicht zu Erfolg führt. Wenn der Gegner die Räume eng macht und Österreichs Angriffsspiel sein Kreativpotenzial zeigen muss.
Die Offensive der Österreicher funktionierte bislang alleine bei Pressing und folgendem Ballgewinn. Zieht sich das ÖFB-Team einmal zurück, klappt auch der Spielaufbau nicht. Gegen die Ukraine und die Türkei ging man schnell in Führung. Gegen die Rumänen nicht. Nahezu logischerweise endete das Spiel gegen Rumänien vorne und hinten mit einer Null. Ohne nennenswerte Offensivaktionen. Der Ball wird im Spiel der Österreicher zwar oft schnell erobert, aber auch schnell wieder verloren. Was daran liegen könnte, dass Laufwege in der Offensive nicht klar geregelt sind. Koller schob die Abspielfehler nach Ballgewinn jedenfalls auf das Pressing der Türken.
Scharner hält Koller für ein „Schnitzel" und sich selbst für unverzichtbar, was er aber nicht mehr ist.
Dabei passt ansonsten vieles. Die Abwehr hat brenzlige Situationen selten zugelassen. Das Pressing zu Beginn war gut vorgetragen. Das Team verfolgt ein klares Konzept, das auf einer stabilen Abwehr, schnellem Umschalten und aggressivem Pressing (wenn auch nur die ersten zwanzig Minuten) fußt. Vergleicht man die Spiele gegen die Türkei unter Constantini mit jenem unter Koller, ist der Unterschied augenscheinlich. Kollers Automatismen, sein forciertes System - beides funktioniert nicht schlecht. Auch ohne Scharner in der Innenverteidung, der nach ausbleibender Stammplatz-Garantie aus dem Teamcamp abreiste.
Scharner hält Koller mittlerweile für ein „weichgeklopftes Schnitzel", verrät er im Interview mit dem Magazin „News", nachdem er zwei Tage zuvor noch „für fünf Jahre" kein Interview geben wollte. Schon unter Teamchef Hickersberger beklagte sich Scharner über unprofessionelle Zustände im Team. Damals noch aus nachvollziehbaren Gründen. Damals schien sein Aufruf einer im Sinne der Mannschaft zu sein. Nun wirken seine Motive wie die eines egomanischen Einzelsportlers. Nicht im Sinne der Mannschaft, sondern beinahe gegen den kollektiven Erfolg gerichtet. Betonte er montags auf der Pressekonferenz noch die Professionalität des Marcel Koller und den Plan, den jeder Spieler von ihm mitbekomme, spricht er sie ihm nach seiner Nichtnominierung in die Startelf im Interview mit „News" ab. Was wiederum stark nach gekränkter Eitelkeit riecht. Fest steht: Paul Scharner wird unter Koller nicht mehr im Team spielen. Die Verbannung hat wenig mit Constantinischer-Willkür zu tun, sondern ist nachvollziehbar. Damit ist Scharners ÖFB-Karriere voraussichtlich beendet. Wobei sein Wegfall weniger schmerzen wird, als unter Hickersberger. Mit Pogatetzt, Prödl und Dragovic stehen drei jüngere, aber international nahezu ebenso erfahrene Spieler auf seiner Position zur Verfügung. Den Boulevard wird der Abgang Scharners freuen. Die Erfinder der Hymne-Sänger-Erfolgs-Theorie haben besseren Stoff bekommen, weil Koller eben kein Constantini ist, aber Scharner ein Scharner bleibt.
g.gossmann@90minuten.at
Linktipp:
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