Die Vision des Teamchefs - zwischen Erfolgsformel und Seifenblase

Marcel Koller will in Zukunft auf die eigene Stärke seines Teams bauen und weniger auf die Schwäche des Gegners. Der Ansatz ist mutig, könnte aber scheitern. von Gerald Gossmann aus Seefeld/Innsbruck (Tirol).

 

Österreich schlägt die Ukraine 3:2 und ist damit endgültig in der Moderne des Fußballs angekommen. Marcel Koller hat Augenhöhe hergestellt, die es seinem Team ermöglicht mitzuspielen und am Ende gar als Sieger hervorzugehen. Grundprinzipien im taktischen Bereich haben ausgereicht, das nicht nur der Zufall Entscheidungsträger spielt, sondern im Vorfeld Erlerntes abgerufen werden kann.


Das Ergebnis gegen die Ukraine klingt gut und lässt die Erwartungen in die Höhe gehen. Wie weit aber ist das ÖFB-Team unter Koller schon und wohin soll die Reise gehen? Kann man unter einem Trainer, der sich auch als solcher versteht, plötzlich mir nichts dir nichts die Qualifikation für die Weltmeisterschaft erwarten, obwohl das unter seinem Vorgänger noch ein Ding der Unmöglichkeit war?

 

 


Hintergrund

Ivanschitz: 'Ich hatte schon viele Trainer, die nicht viel Wert auf Taktik legten'


 

 

Koller spricht derzeit von Grundprinzipien, vom Einmaleins des Fußballs, von Automatismen die von Mal zu Mal besser greifen sollen. Also von Aufbauarbeit nach dem jahrelangen Nichts. Die Frage ist aber, wohin der Weg nach dem Erlernen des Einmaleins führt? Wohin kann Koller sein Team führen, wenn es das Versäumte aufgeholt hat und bereit für Höheres ist? Derzeit reichen Grundautomatismen wie hoch verteidigen, rasches Umschalten, Pressing und der Versuch schnell in die Spitze zu spielen aus. Auch wenn alles noch ein wenig holprig aussieht, ein klarer Plan ist erkennbar. Koller betreut das ÖFB-Team erst zum dritten Mal. Aber schon das Spiel gegen die Ukraine zeigte wo die Probleme lauern. Österreich war von seinem Gegner leicht auszurechnen. Das Spiel in die Spitze wurde schnell unterbunden, auch vieles andere. Denn was hierzulande nach der Ära Constantini als Revolution durchgeht, ist international eben nur das biedere Einmaleins des Fußballs.


Die Ursache des Problems könnte darin liegen, dass Koller seinem Team vor allem grundsätzliche Automatismen für sein Spiel mitgibt. Nicht punktgenau auf den Gegner zugeschnitten. Koller war bislang Klubtrainer. Auf Nationalmannschaftsebene ist die Gegneranalyse aber von noch größerer Bedeutung. Koller selbst will auf die Stärke seines Teams setzen, nicht zu viel auf den Gegner schauen. Das bestätigt der Teamchef selbst, das bestätigen auch viele seiner Spieler. Wie soll das aber weitergehen? Schickt Koller sein Team auch in die nächsten Länderspiele mit den immer selben Automatismen ins Spiel, wird sich nicht die von ihm herbeigesehnte Identität herauskristallisieren, sondern ein leicht ausrechenbares System. Auch gegen die Ukraine war zu sehen, dass das ÖFB-Team oft kontrolliert wurde, anstatt den Gegner zu kontrollieren, wie es dem Teamchef vorschwebt. Marko Arnautovic erklärt zwei Tage nach dem Ukraine-Spiel und zwei Tage vor dem Rumänien-Match, dass es noch keine Gegneranalyse für das kommende Spiel gab. „Wir werden uns das aber sicher anschauen, ob sie agieren oder sich zurückfallen lassen.


Wie sieht das Verhältnis von Gegneranalyse und Arbeiten an den eigenen Stärken anderswo aus?

Andreas Ivanschitz erzählt, wie die Matchvorbereitung in Mainz abläuft. Bei einem akribischen Taktiker wie seinem Trainer Thomas Tuchel. Zuerst erfolgt die Gegneranalyse zu Beginn der Woche. Alle Automatismen, die danach einstudiert werden, bauen darauf auf. Für jedes Match gibt es einen eigenen Plan mit neuen Automatismen. Klingt logisch und nachvollziehbar. Bei Koller läuft die Vorbereitung genau umgekehrt. Zuerst werden die grundsätzlichen Automatismen, die sich nicht am Gegner im Speziellen orientieren, gefestigt. Erst am Ende kommt die Gegneranalyse. „Im Grunde ist wichtig, dass wir wissen was unsere Stärken in der Defensive und Offensive sein sollen", sagt Koller. „Darauf liegt das Hauptaugenmerk. Man nimmt schon Schwächen und Stärken des Gegners dazu. Aber das große Ganze ist immer das Eigene."


marcel_koller_und_trainerteam_90minutenDas klingt mutig. Ein österreichisches Team das nicht auf die Anderen schaut, sondern vor allem auf sich selbst. Die Probleme dieser Philosophie zeigen sich aber schon beim 3:2-Sieg gegen die Ukraine. „Wir hatten Probleme, wenn die Viererkette eng zusammenstand, sie wieder breit zu machen." Es sei schwer gewesen, weil ja auch der Gegner darauf Einfluss nehme, erklärt Koller. Gerade hier zeigt sich, dass eine detaillierte Gegneranalyse den Spieß umdrehen könnte. Zugunsten der Österreicher. Zugunsten der Mannschaft mit dem Trainer, der den Gegner am besten durchleuchtet. Grundautomatismen können nur der Anfang sein. Denn über das Einmaleins des modernen Fußballs wird sowohl Deutschland als auch Schweden und Irland längst hinaus sein.


Auch das Offensivspiel war gegen die Ukraine nur marginal vorhanden. Was auch an den spärlichen Vorgaben für die Angreifer liegen könnte. Teamchef Koller stellte im Trainingslehrgang die Defensive in den Mittelpunkt, die Offensive wird der Kreativität der Spieler überlassen, bestätigen auch Involvierte. Es gäbe zwar Vorgaben, aber zu „80 Prozent seien die Spieler am Feld für Kreatives verantwortlich", erzählt Zlatko Junuzovic.

 

Überleben gesichert. Wie geht es weiter?

Kollers Vision und der Glaube an seinen Plan dürften sich am individuell guten Spielermaterial seines Teams orientieren. Der Teamchef denkt, dass Österreich sein Spiel gegen viele Nationen durchziehen kann. Aufgrund der hohen Dichte an qualifizierten Spielern. Das klingt ambitioniert, mutig und man sieht sich geneigt zu sagen: Das will ich sehen. Eine österreichische Mannschaft, die anderen Teams ihr Spiel aufdrückt. Vielleicht ist das sogar möglich, aber nicht in kurzer Zeit.


Kollers Vision von einer agierenden, selbstbestimmten Nationalelf ist kein schlechter, aber ein langwieriger. Die von Kollers Betreuerstab vermittelten Automatismen waren für das ÖFB-Team überlebensnotwendig. Gegen defensiv orientierte Rumänen bedarf es aber eines klaren Plans für das Offensivspiel, will man sich nicht an der Kompaktheit des Gegners aufreiben. Es stellt sich also die Frage, wie viele taktische Vorgaben zu den Standard-Automatismen noch dazu kommen. Noch scheinen vor allem eine detailliertere Gegneranalyse und klare Vorgaben für die Offensivkräfte zu fehlen, damit die Vision Kollers auch als realistisches Erfolgsmodell für die anstehende WM-Qualifikation durchgeht.


g.gossmann@90minuten.at

 

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