Detailkritik am Nationalteam: Darfs ein bisserl mehr sein als das Pflänzchen?

Kritik an der Nationalmannschaft – auch wenn sie nur ein Detail betrifft – gilt derzeit als No-Go. Der Fan zeigt sich dabei als himmelhochjauchzend patriotisch, viele Journalisten als fachlich wenig sattelfest. von Gerald Gossmann   Das Nationalteam ist s

logo_qualitaetsjournalismusKritik an der Nationalmannschaft – auch wenn sie nur ein Detail betrifft – gilt derzeit als No-Go. Der Fan zeigt sich dabei als himmelhochjauchzend patriotisch, viele Journalisten als fachlich wenig sattelfest.

von Gerald Gossmann

 

Das Nationalteam ist so gut organisiert wie lange nicht mehr. Koller hat den Zufall in vielen Bereichen auf ein Minimum reduziert. Jedenfalls fast. In der Offensive hapert es noch. Vor allem die Laufwege ins vordere Spielfelddrittel ohne Ball wurden auch gegen Rumänien in niedrigem Tempo und ohne erkennbaren Plan ausgeführt. Eine einzementierte Null auf der Anzeigetafel unter Österreich war die Folge. Eines steht fest: Nach den ersten vier Spielen unter Koller kristallisiert sich das Spiel nach vorne immer stärker zur Problemzone heraus. Das mag an den kurzen Einheiten liegen, die Koller mit seinem Team bislang zur Verfügung hatte und deshalb durchaus verständlich sein. Erwähnt muss es trotzdem werden. Taktische Detailanalysen, die eigentlich nach jedem Spiel ihre Berechtigung hätten, werden in Österreich aber gerne durch Wortspiele ohne Aussage ersetzt. „Die Entwicklung des Teams ist wie ein kleines Pflänzchen, das man stetig gießen muss", sagt Koller und macht damit PR-technisch alles richtig. Das gibt einen guten Sager. Mehr will die hiesige Journaille nicht. Auch nicht der traditionelle Fan.


Oder täuscht das Vorurteil und eine Detailkritik ist möglich? Auch nach einem Sieg einer österreichischen Nationalmannschaft? Ich erwähnte das wenig konstruierte Offensivspiel am Tag des Rumänien-Spiels, also nach dem 3:2-Sieg gegen die Ukraine, in meiner Kolumne und mache es als Problemstelle fest. Erstens: weil eine Erwähnung durchaus seine Berechtigung hat. Auch in einer vor Patriotismus strotzenden Stimmung nach einem der rar gesäten Siege. Zweitens: Weil das „Pflänzchen" sprachtechnisch auch nicht vergewaltigt werden muss. Die Kolumne war als eine Art Detailkritik gedacht, nicht als vernichtendes Urteil. Der traditionelle Fan nimmt einem, solch unpatriotisches Gedankengut aber übel, auch wenn es der Fachlichkeit mehr Genüge tut als das überstrapazierte Wortspiel. „Schwarzmalerei", meint der traditionelle Fan und bleibt stur: Nach Krankl, Hickersberger, Brückner und Constantini soll das geschundene Pflänzchen gefälligst gedeihen und nicht schon wieder verwelken. Der gequälte Fan ist der Kritik am Nationalteam überdrüssig geworden. Verständlicherweise. Und dennoch darf dieser Umstand nicht als Grund dafür herhalten, eine Detailkritik nicht zu äußern.



Hintergrund: Die Vision des Teamchefs - zwischen Erfolgsformel und Seifenblase

 


Dass das Offensivspiel zur Problemzone werden könnte, erkennen am Tag nach dem Spiel auch abseits.at und ballverliebt.eu. Immerhin. Ansonsten hält sich die schreibende Zunft vorwiegend an Arnautovic, das Pflänzchen und Einzelkritiken der Spieler. Und wähnt sich damit in falsch verstandener Objektivität, die vor allem fehlende Analysefähigkeit überdecken soll. Koller habe ja erwähnt, dass er im Trainingslager das Hauptaugenmerk auf Automatismen in der Defensive legen werde, wird betont. Die Offensive ist halt als nächstes dran. Also keine Aufregung.

 

Detailkritik berechtigt?

Ich möchte es aber trotzdem genau wissen: wann bekommt die Offensive den Feinschliff oder bleibt vorne alles der individuellen Kreativität der Spieler überlassen? „Kreativität kann nur durch die Spieler kommen", sagt Marcel Koller nach dem Rumänien-Spiel auf meine Frage. „Für alles andere ist in der Nationalmannschaft zu wenig Zeit, um da viel zu machen."


Hört sich nicht gut an. Vor allem dann, wenn man sich Aussagen anderer Trainer rückbesinnt. Der deutsche Teamchef, Jogi Löw, erklärte bei der WM 2010 nach einem Spiel gegen Australien, dass er den sehr destruktiv erwarteten Gegner nur durch im Vorfeld konstruierte Spielzüge spontan auseinandernehmen konnte. Das Spiel ging 4:0 an die Deutschen. Wenn der eine Teamchef also in der Lage ist Spielzüge auch für die Offensive zu konstruieren, dann wäre es doch seltsam, wenn der andere mit ähnlichen Rahmenbedingungen von Undurchführbarem spricht? Natürlich braucht das Zeit, aber ausschließen sollte man es von vornherein nicht.


Vieles hat sich unter Koller zum Positiven verändert, auch wenn das nach der Ära Constantini nicht schwer gewesen sein mag. Präsident Windtner gibt sich dieser Tage stolz und sagt: „An der profunden Vorbereitung und Aufbereitung wird es dieses Mal nicht scheitern." Er denkt nach dem Nicht-Taktiker ist der Taktiker da. Die Vielschichtigkeit moderner Matchvorbereitung erkennt er dabei ebenso wenig, wie der von fachlich schwacher Journaille schlecht informierte Fan. Im Sinne einer konstruktiven Entwicklung des Teams, sind kritische Betrachtungen von Details aber unabdingbar. Auch nach Siegen. Auch gegen den undifferenzierten Patriotismus der Himmelhochjauchzenden.

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