Das Löw-Schicksal: Jogi wird zum Jogl
Jogi Löw kommt als angeschlagener Teamchef nach Österreich. Trotz rekordverdächtiger Bilanz mit dem deutschen Team holt ihn sein Image der zu soften Antithese eines Erfolgstypen erneut ein. von Gerald Gossmann Die deutsche Nationalmannschaft spielt Fußba
Jogi Löw kommt als angeschlagener Teamchef nach Österreich. Trotz rekordverdächtiger Bilanz mit dem deutschen Team holt ihn sein Image der zu soften Antithese eines Erfolgstypen erneut ein.
von Gerald Gossmann
Die deutsche Nationalmannschaft spielt Fußball. Seit sechs Jahren. Verantwortlich dafür: ein gut angezogener Mann mit adrettem Haarschnitt und Leidenschaft für Parfum. Deutschlands Kicker wurden durch ihn zu Sympathieträgern und der deutsche Fußball zum Vorzeigemodell. Jogi Löw zählt heute, neben Showmaster Günther Jauch und Altkanzler Helmut Schmidt, zu den beliebtesten Deutschen. Vor allem, weil er den Rumpelfußball abschaffte und durch ein offensives Kurzpassspiel ersetzte. Der Deutsche hätte dem Mann mit den gut sitzenden Hemden am liebsten Orden und Verdienstkreuze en masse zugeworfen, einen Nobelpreis verliehen oder einfach einen schnellen Schmatzer auf der Straße aufgedrückt. Denn: Löw hat neben erfolgreichem Fußball gleich eine Imagekampagne für den deutschen Fußball auf Schiene gebracht. Mit Erfolg.
2006 übernahm Löw das DFB-Team von Jürgen Klinsmann. Schon als sein Assistent soll er das Spiel der Deutschen nach seiner Handschrift geprägt haben. Und er setzte seinen Schreibstil fort. Vor der Europameisterschaft 2008 war Deutschland bereits drei Spieltage vor Schluss qualifiziert, wurde beim Turnier Zweiter. Für die WM 2010 qualifizierte sich sein Team mit acht Siegen und zwei Unentschieden. Beim Turnier holte man Platz 3. Und auf dem Weg zur Europameisterschaft 2012 ließ man dem Gegner gar keine Punkte mehr übrig. 10 Spiele. 10 Siege. In 32 Qualifikationsspielen kassierte sein Team nur eine Niederlage. Löw wurde Konzepttrainer genannt und Super-Jogi.
Seit dem EM-Aus gegen Italien ist alles anders. Löw ist zu weich, besitzt zu wenig Killerinstinkt und auch wenn man seinen Hemden ihren adretten Sitz nicht abspricht, der Anzug der Mannschaft soll grundsätzlich falsch sein. „Es ist ja alles schön und gut mit Spielphilosophie und Offensive. Grundsätzlich sind es aber zu viele Torchancen, die der Gegner hat", maulte ZDF-Experte Oliver Kahn nach der zweiten Niederlage in Folge. Kahn selbst hatte Löw noch als Bundestrainer. Der sägte ihn ab und gab Lehmann den Vorzug. Ein ehrgeiziger Mann wie Kahn vergisst aber nicht, wenn ihm die Heim-WM genommen wird. Denn bei aller Wertschätzung für kritische Äußerungen, welche Alternative würde Kahn zum derzeitigen Fußball sehen? Zurück zum Rumpelfußball, auch wenn die halbe Welt auf neue Strategien setzt? Einen Weltmeistertitel gegen Spanien zu ermauern erscheint aus heutiger Sicht jedenfalls ähnlich riskant oder riskanter, als auf Löws Philosophie zu setzen.
Löw wird von seinem früheren Image eingeholt
Fakt ist: Jogi Löw merkt nach den beiden Niederlagen, dass er im eigenen Land nicht nur Freunde hat. Kahn begleicht nun eine alte Rechnung mit dem Teamchef. Auch Beckenbauer und ein Haufen an Altkickern hält Löw für zu weich und zu anders, als sie selbst es waren. Löw mag zwar ein idealer Teamchef für die neu gewonnenen Event-Fußballfans des Landes sein. Für die jungen Girlies, die ihn anschmachten und plötzlich Fußball gut finden. Aber für echte Kicker der alten Schule gilt er als Waschlappen. Schon seit jeher. Nur sein Erfolg verhinderte frühere Kritik an ihm. Jetzt wird Jogi, nach Jahren der Unantastbarkeit, zum Jogl gestempelt. Zu einem Jogl, der seine Teamspieler nicht im Griff hat, weil er selbst nicht Manns genug ist. Die „Bild" urteilte dazu eben: „Jetzt macht sich Jogi sogar schon vor den Ösis in die Hose." Und damit holt ihn sein Image, das eine Art Antithese des Erfolgstypen verkörpert, erneut ein. Löw wurde von Beginn seiner Trainerkarriere wenig zugetraut. Die großen Jobs in der Bundesliga bekamen verdiente Nationalspieler. Löw fing als Spielertrainer beim Schweizer-Klub FC Frauenfeld an. Ein Freund holte ihn später als Co-Trainer zum VfB Stuttgart. Er wurde Cheftrainer. Kurz darauf stand er im Europacupfinale der Pokalsieger. Auch beim DFB lief es ähnlich. Löw wurde Assistent von Ex-Nationalspieler Klinsmann, weil er nicht sofort die Autorität als Teamchef gehabt hätte.
Stronach hielt Löw für keinen Winnertypen
Löw war auch Trainer in Österreich. Bei Tirol, dann bei der Austria. Immer unterschätzt. Im Grunde nicht ernstgenommen. Jogi Löw wurde mehr belächelt denn respektiert. Ein Ausländer in der österreichischen Liga, der den Heimischen noch dazu fachlich überlegen ist, wird nicht gerne gesehen. Das war damals nicht anders als heute. Einmal rutschte Löw im Kabineneingang des Austria-Stadions aus – vor laufenden Kameras. Er erfing sich. Das Ganze sah trotzdem lustig aus. Es ist eigentlich das Einzige, das in Österreich von Löw blieb – trotz Meistertitel mit Innsbruck. Und das bewusst. Der Jogi als Jogl. Das fanden Krankl & Co. lustig.
Noch ein Beispiel: nach einer Negativserie bei Austria Wien wollte Austria-Mäzen Stronach dem heutigen Bundestrainer eine Hilfskraft zur Seite stellen. In Person von Sportdirektor Günther Kronsteiner. Die Kronen Zeitung schrieb damals: „Besonders bemängelt wurden die taktischen Mängel der Austria unter Trainer Löw. Kronsteiner versuchte noch, den Trainer davon zu überzeugen, diese Mängel in Teamarbeit zu beheben. Löw weigerte sich jedoch und wollte weiterhin die alleinige sportliche Verantwortung haben." Löw wurde also bei der Austria wegen taktischer Mängel entlassen. Inoffiziell hielt Stronach Löw aber für zu wenig Winnertyp. Stronach hielt öffentlichkeitswirksame Blender wie Krankl, den er sogar als Teamchef durchsetzte, für fähiger. Löw war dem Selfmade Milliardär zu weich, zu unsicher, zu wenig Erfolgsgarant. In einem Interview mit dem „Kurier" erklärte Löw vor wenigen Monaten: „Wenn mich Jürgen Klinsmann nicht geholt hätte, wäre ich heute nicht Bundestrainer, sondern vielleicht Trainer beim DSV Leoben."
Die Show ist eröffnet, Löw wird zum Tanzbären umfunktioniert
Löw packte aber die Kurve, wurde Bundestrainer der deutschen Elf und gleichzeitig zu Everybodys Darling. Als deutscher Teamchef ging es die letzten Jahre immer steiler nach oben. Nach der jetzigen Kritik an seiner Person, zu ruhigen Spielern, schwachen Hymnensängern und zu vielen Migranten im Team, muss aber auch Löw einsehen, dass Beliebtheit und Fachlichkeit keine Kategorien sind, die im Sport zählen. Löw ist Teil einer Show geworden. Vielleicht trägt er auch selbst Schuld daran, weil er die Erwartung vor der EM in die Höhe schraubte. Löw wollte den Macher geben, der Erfolg auf den Punkt einfahren kann. Eine ganze Nation fordert nun die Einlösung des Versprechens und spätestens den WM Titel 2014.
Dabei übersieht Deutschland, dass es zwar eine goldene Generation besitzt, nicht aber automatisch mit Abstand die besten Spieler der Welt. Viele Prozentpunkte des Erfolgs der letzten Jahre sind der Arbeit von Löw zuzuschreiben. Trotzdem: die Show um die Person des Teamchefs ist längst eingeläutet. Die Bild-Zeitung hat sich warmgeschossen und den Teamchef zum Tanzbären umfunktioniert, der tanzen soll, immer schneller und wendiger. Sollte er stolpern, wird er zum Abschuss freigegeben. Kein leichtes Unterfangen für einen Trainer, der zwar den Zufall in Sachen Planbarkeit des Erfolgs minimieren konnte, ihn aber in einer Sportart wie Fußball nie ganz ausschalten wird können.
Löws Zukunft hat einen ungerechten Beigeschmack: die erfolgreiche Qualifikation wird als selbstverständlich erachtet, der WM-Titel 2014 ist ein Muss. Gelingt das nicht, wird Löw als beliebter Loser in den Geschichtsbüchern stehen.
g.gossmann@90minuten.at