'Aus journalistischer Sicht wäre eine Niederlage gegen Österreich aufregend'

Was hält ein deutscher Sportjournalist vom österreichischen Fußball? Jan Christian Müller von der Frankfurter Rundschau erklärt im Gespräch mit 90minuten.at warum Österreich der härteste Gruppengegner der Deutschen wird, der richtige Trainer bislang zum E

Was hält ein deutscher Sportjournalist vom österreichischen Fußball? Jan Christian Müller von der Frankfurter Rundschau erklärt im Gespräch mit 90minuten.at warum Österreich der härteste Gruppengegner der Deutschen wird, der richtige Trainer bislang zum Erfolg des Nationalteams fehlte und Fuchs auch für Deutschland spielen würde.

Das Gespräch führte Gerald Gossmann

 

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Jan Christian Müller: "Cordoba tut in Deutschland niemandem mehr weh" (Foto: G. Gossmann / 90minuten.at)


90minuten.at: Für Österreicher sind Spiele gegen Deutschland das Highlight des Jahres. Und für den Deutschen?

Jan Christian Müller: Die Bedeutung des Spiels in Deutschland ist nicht genauso groß wie andersrum. Aber natürlich hat Cordoba auch bei uns kein Mensch vergessen. Weht tut das hier aber niemandem mehr, außer den Spielern die damals gespielt haben.


Was fällt einem Deutschen spontan zum österreichischen Fußball ein?

Da fällt mir ein, dass viele Spieler in Deutschland spielen. Ihr habt mit Pogatetz und Prödl super Abwehrspieler. Ihr habt mit Baumgartlinger und Ivanschitz Stammspieler bei Mainz05, Harnik ist ein superschneller Stürmer, Arnautovic hat nach oben hin alle Möglichkeiten, zeigt das aber leider nur in fünf von vierunddreißig Bundesligaspielen. Ihr habt Fuchs, einen tollen linken Verteidiger, der in Deutschland vermutlich sogar einen Stammplatz in der Nationalmannschaft hätte, weil wir dort schon seit Jahren Probleme haben. Einziger Schwachpunkt: die Torhüterposition.



„Der Respekt vor dem österreichischen Fußball ist viel größer geworden"

 

 

Hat sich die Sicht des Deutschen auf den österreichischen Fußball dadurch verändert?

Ja. Der Respekt ist auf jeden Fall viel viel größer geworden. Man merkt das, wenn man mit den Leuten spricht und auch wenn man mit den Spielern der deutschen Nationalmannschaft spricht. Auch Joachim Löw ist dieser Meinung. Eure Spieler sind nämlich keine Mitläufer, sondern Männer die voran gehen, eine gewisse Lockerheit haben, aber mit toller Disziplin und mit Ernst bei der Sache sind. Es gibt auch viele österreichische Jugendspieler in Deutschland. Darum reisen auch immer wieder Scouts nach Österreich.



„Warum ihr keine Erfolge hattet? Vielleicht war noch nie ein wirklich guter Trainer da."

 

Wirklich zählbare Erfolge hat die österreichische Mannschaft dennoch nicht eingefahren. Trotz vieler Legionäre in den letzten Jahren. Wie kann das sein?

Vielleicht war noch nie ein wirklich guter Trainer da. Man hatte immer ein bisschen das Gefühl, dass die Österreicher so drauf los spielen. So nach dem Motto: Geht raus und spielt. Jetzt habt ihr einen Schweizer Trainer und der hat viel Ahnung von Taktik. Und auch dadurch ist der Respekt von deutscher Seite für den österreichischen Fußball noch größer geworden. Wenn man gegen bessere Mannschaften spielt, wo individuell jeder einzelne Spieler ein Stückchen besser ist, dann ist die Taktik natürlich unheimlich wichtig.

 

Jetzt ist in Österreich ein Schweizer Teamchef. Wäre das umgekehrt vorstellbar, dass in Deutschland ein Österreicher Bundestrainer wird?

Wäre im Moment nicht vorstellbar. Aber nicht nur kein Österreicher, sondern überhaupt kein Ausländer. Es gibt ja auch nicht wirklich eine Krise im deutschen Fußball.



„Bei der Ausbildung der Trainer scheint es in Österreich noch ein Vakuum zu geben"

 

In Österreich konnte der Teamchef noch vor zwei Jahren von überbewerteter Taktik sprechen.

Ja, das war Constantini. Und das war auch ein Problem im österreichischen Fußball.

 

Wüssten Sie, dass österreichische Trainer derzeit in der deutschen Bundesliga gefragt wären?

Nein. Vielleicht sollte man hier auch ansetzen. Denn in der Ausbildung der Talente ist in Österreich sehr viel besser geworden. Die Schweiz war für die Deutschen Vorbild in der Talentausbildung, weil die dort sehr weit vorne sind. Und in Österreich hat der Willi Ruttensteiner sehr gute Arbeit geleistet. Aber im Trainerbereich scheint es da noch ein Vakuum zu geben.

 

In Österreich saßen im letzten Lehrgang zur höchsten Trainerlizenz von 15 Teilnehmern 15 Ex-Profis. Wie ist das in Deutschland?

Ich sehe in Deutschland, dass die besten Trainer diejenigen sind, die keine Profis waren. Zum Beispiel: Thomas Tuchel, der sich sehr früh eine schwere Knieverletzung zugezogen hat und dann eben schon mit 22 begonnen hat, wie ein Trainer zu denken. Einem Ex-Profi gegenüber hat der natürlich dann 10 bis 12 Jahre Vorsprung. Meine Erfahrung ist: man ist am besten gar kein Super-Profi gewesen, damit man ein Super-Trainer wird.

 

Teamchef Löw wurde nach dem Ausscheiden bei der Europameisterschaft medial ziemlich geprügelt. Verständlich?

Löw hat bis zum Halbfinale gegen Italien alles richtig gemacht. Man glaubte immer, dass das was der sagt die reine Wahrheit der Fußballlehre ist. Und dann hat er gegen Italien einen ziemlich schweren taktischen Fehler begangen. Seine taktische Vorgabe ging nicht auf. Und dann war die Fallhöhe natürlich groß, für einen Trainer, der bislang alles richtig gemacht hatte.

 

Hat Deutschland wirklich das Recht, den EM- oder WM-Titel einfach so einzufordern?

Fordern kann man ihn nicht, weil Spanien eine absolute Ausnahmegeneration hat. Aber die Mannschaft und der Trainer haben ihn ja selbst gefordert. Wir haben gedacht, dass Spanien die einzige Mannschaft ist, die es zu überwinden gilt – aber dann war Italien noch im Weg.

 

Welches Standing hat Löw bei den Legendenspielern wie Beckenbauer & Co.?

Löw hat sich in den Jahren extrem viel erarbeitet. Es war anfangs schwierig als Co-Trainer. Auch er war kein großer Fußballspieler. Er hat in seiner Karriere mehr Zweitligaspiele als Bundesligaspiele gemacht. Er hatte dann Erfolge und das Standing war am Ende sehr sehr groß. Aber jetzt fängt die Kritik an. Und natürlich ist es auch bei uns so, wie in allen Ländern. Es gibt diese Übergurus, die Ex-Nationalspieler wie Prohaska oder Krankl, die ihr ja auch habt. Die werden als Kolumnisten gefragt, sind auf Sky und dort sagen sie ihre Meinung.



„Österreich wird der härteste Gegner der Deutschen. Noch vor Schweden und klar vor Irland"

 

Wer wäre denn überhaupt besser als Löw? Bieten sich da Alternativen an?

Derzeit gibt es niemanden der sich aufdrängt. Obwohl alle glauben, dass Löw nur noch bis 2014 weitermachen wird. Co-Trainer Flick wird es nicht sein, weil der nur ein guter Co-Trainer ist. Mirko Slomka von Hannover 96 macht sich ein bisschen Hoffnung darauf.

 

Wer wird zum härtesten Gegner der Deutschen? Irland, Schweden oder Österreich?

Österreich. Ich denke, dass Österreich - von allen die mit uns in der Gruppe sind – die beste Mannschaft hat. Ich schätze sie auch stärker ein als Schweden. Vielleicht liegt es auch daran, weil wir die österreichischen Spieler regelmäßig sehen. Aber vom individuellen Potenzial her seit ihr besser als Irland und vermutlich auch besser als Schweden. Und jetzt mit dem Super-Trainer sowieso.

 

Wie würden Sie auf eine Niederlage gegen Österreich reagieren? Oder ist das undenkbar?

Nein, undenkbar ist das nicht. Aber es könnte vehemente Kritik nach sich ziehen. Bei der Nationalmannschaft gucken alle hin, da werden morgen 16 Millionen Leute vor dem Fernseher sitzen. Und da würde es Kritik geben. Überhaupt jetzt, wo die Spiele gegen Italien und Argentinien verloren wurden. Gegen Österreich wäre es dann die dritte Niederlage in Folge, weil man das Match vom Freitag ja nicht als ernsthaftes Länderspiel zählen kann. Löw würde dann einen Druck erfahren, wie er ihn noch nie erfahren hat. Er spürt ihn ja jetzt schon so ein bisschen.

 

Hätte so eine Niederlage gegen Österreich etwas Reizvolles für einen Journalisten? Die Zeitungsseiten würden sich ja dadurch schneller füllen.

Reibungspunkte sind für uns Journalisten immer interessanter. Wenn alles glatt läuft und man zwölfmal in einer Qualifikation gewinnt, dann wiederholt man sich viel leichter. Ich will jetzt nicht sagen, dass wir uns über eine Niederlage freuen, aber journalistisch ist es natürlich aufregender wenn so etwas passiert.

Danke für das Gespräch.

 

g.gossmann@90minuten.at

 

Linktipps:

‚Von einem Pflichtsieg in Wien redet sicherlich keiner, der sich ernsthaft mit Fußball beschäftigt'

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