Kann man dem ÖFB gratulieren?
Die Arbeitsmethoden des neuen ÖFB-Betreuerstabs zeigen, dass das österreichische Nationalteam jahrelang unprofessionell betreut wurde. Der Paradigmenwechsel ist vollzogen. Die ÖFB- Verantwortlichen rühmen sich. Aber steht ihnen Ruhm überhaupt zu? von Ge
Die Arbeitsmethoden des neuen ÖFB-Betreuerstabs zeigen, dass das österreichische Nationalteam jahrelang unprofessionell betreut wurde. Der Paradigmenwechsel ist vollzogen. Die ÖFB- Verantwortlichen rühmen sich. Aber steht ihnen Ruhm überhaupt zu?
von Gerald Gossmann
Jetzt wird klar, warum sich die Habererpartie von Altinternationalen vor einem Paradigmenwechsel geängstigt hat. Wenn ein Assistenztrainer im modernen Fußball Sportwissenschaften studiert, Trainer ausgebildet, ein Buch geschrieben und als Journalist gearbeitet hat, vier Sprachen spricht, also über den Tellerrand geblickt hat, dann wird klar, dass ein Manfred Zsak in einem gängigen Bewerbungsverfahren, in einem ernsthaften Fußballland, keine Chance auf irgendeine Funktion hätte. Auch Constantini nicht. Nicht Krankl. Nicht Hickersberger. Was ja auch statistisch belegt ist. Kein österreichischer Coach coacht in relevantem Gebiet. Und jetzt coacht ein Schweizer das ÖFB-Team, weil es an Relevanz gewinnen will. Logisch.
ÖFB Präsident Windtner ist stolz auf seinen neuen Vorzeigetrainer. Der neue Teamchef wird von Qualitätsmedien in den Himmel gelobt. Das ist Balsam auf die geschundene Präsidentenseele. Das ist Bestätigung für seine Entscheidung. Unter Constantini war nix mit Lob. Sein Vorgänger Stickler heimste ebenso wenig ein. Zehn Jahre rieben sich Stickler und Windtner die Köpfe. Zig Arbeitskreise versuchten den Stillstand des österreichischen Teams zu ergründen. Ohne Erfolg.
Stronach befahl den emotionalen Krankl, Stickler den seriösen Hickersberger, Windtner den Feuerwehrmann mit Schmäh.
Marcel Koller wurde nicht nach Wesensmerkmalen bestellt. Er fliegt zu seinen Spielern, erklärt seine Vorstellungen, spricht mit den Klubtrainern, bringt Videos mit, zeichnet, setzt auf sportmedizinische Tests, auf Individualtraining, auf genaue taktische Vorgaben. Sprich: er bringt Leistung. Auch schon vor Vertragsbeginn. Kindercamps hat er keine zu betreuen.
Und: In bemerkenswerter Auffälligkeit stehen die Aussagen der Mitglieder des neuen Betreuerstabs konträr zu jenen ihrer Vorgänger, was aufzeigt, dass das Nationalteam über Jahre hinweg nicht ausreichend betreut wurde.
Der Constantini – Koller/Schmid/Janeschitz-Vergleich
Constantini sah sich als Alleinherrscher. Ivanschitz, Garics, Arnautovic, Ibertsberger, Stranzl, im Grunde auch Janko, wurden verbannt. Ohne Begründung. Schmid sagt: „Heute ist der Trainer nicht nur Übungsleiter, er hat auch Menschen zu führen und ein ganzes Projekt zu steuern. Das hat sich in den letzten Jahren ganz deutlich verändert.“
Constantini hielt Theorie und Taktik für überbewertet. Schmid sagt: „Heutzutage ist ein Fußball-Trainer, der sich nicht mit der Theorie oder im weitesten Sinne mit den Wissenschaften und den Informationen, die im Umfeld vorhanden sind, auseinandersetzt, früher oder später auf verlorenem Posten.“
Koller sagt: Theorie steht immer im Vordergrund. Man muss die Spieler informieren.“
Constantini führte die schlechten Ergebnisse auf individuelle Fehler der Spieler zurück. Marcel Koller erklärte nach eingängigem DVD-Studium der Spiele der letzten Jahre: „Es sind Dinge aufgefallen, die wir versuchen müssen zu ändern. Nicht nur individuell, sondern mit dem ganzen Team.“
Constantini hielt Marko Arnautovic für zu schlimm für das Nationalteam. Schmid sagt: „Ein Trainer darf sich nicht nur um technisch-taktische Inhalte kümmern. Er hat auch einen großen pädagogischen Auftrag.“
Da deckt sich keine Aussage.
Missstände werden korrigiert, die selbst verursacht und verschleppt wurden
Jahrelang erfüllte kein österreichischer Teamchef ein internationales Anforderungsprofil. In Zukunft soll weniger unfreiwilliges Kabarett, dafür aber mehr Inhaltliches geboten werden. Das zeigten die ersten Pressekonferenzen des neuen Betreuerstabs. Das zeigt das erste Training unter Koller. Was international bereits üblich ist, überrascht in Österreich aber immer noch. Ein intellektueller Trainer, noch intellektuellerere Assistenten, ein Facebookaccount.
Da ist nichts mehr mit Kartentippeln. Kein Beflegeln von kritischen Journalisten. Da wird jede Frage auf Punkt und Beistrich beantwortet. Auch Fragen nach taktischen Inhalten. Auch mit den Spielern wird gesprochen. Ivanschitz: "Koller spricht sehr viel mit uns, er gibt uns taktische Anweisungen und bietet Lösungsvorschläge an. Ich kenne das von Mainz, wo es ähnlich ist. Das tut dem ÖFB-Team gut."
Thomas Janeschitz legt noch nach: „Wir haben das Betreuerteam an ein internationales Niveau angepasst."
Präsident Windtner: „Wir hatten die 78er und die 90er. Jetzt sind wir im 21. Jahrhundert angekommen."
Zwar mit 10-jähriger Verspätung, scheint aber egal zu sein.
Die Verantwortlichen des ÖFB rühmen sich, Missstände ausgeräumt zu haben, die sie selbst verursacht haben und treiben damit unbewusst die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit in die Höhe.
Auch wenn man bloß von Unterirdisch auf Augenhöhe gekommen ist. International arbeiten die meisten Nationalmannschaften nicht unähnlich.
Die ÖFB-Führung hat Fehler korrigiert.
Fehler, die Österreichs Fußball über Jahre hinweg ins Abseits des europäischen Fußballs kickten.
Das Gratulieren dazu fällt schwer.