Das Dilemma des ÖFB: 1, 2 oder 3 - letzte Chance vorbei
Das Nationalteam schlägt ersatzgeschwächte Letten und verhindert damit die größte Niederlagenserie der Nachkriegszeit. Österreichische Medien, nicht nur der Boulevard, feiern das Team trotzdem. Constantini hat endlich den charakterfesten Stamm und die ric
Das Nationalteam schlägt ersatzgeschwächte Letten und verhindert damit die größte Niederlagenserie der Nachkriegszeit. Österreichische Medien, nicht nur der Boulevard, feiern das Team trotzdem. Constantini hat endlich den charakterfesten Stamm und die richtige Taktik gefunden und auch ansonsten alles richtig gemacht. Zum Beispiel den Haufen an Ausländerkindern verbannt, der eine Clique bilden wollte. Das war gut so, sagen die Sportredakteure der Printmedien des Landes.
Auch wenn wenig bis nichts geklärt ist. Von einem Stamm kann nicht gesprochen werden, da Janko, Maierhofer, Korkmaz, Arnautovic, Prödl, Ibertsberger, Leitgeb, Kavlak, Pehlivan, Dragovic, Scharner, Pogatetz & Co. schon auch noch dazugehören. Und: Charakterfest waren auch jene die gegen Belgien und die Türkei aufliefen, sagen jedenfalls Zahlen, die den Kickern mehr Laufarbeit als der Norm entsprechen würde, attestieren.
Und: Taktik wird zwar herbeigeredet, zu sehen war davon aber wenig. Sogar Seitenwechsel dürfen von Alaba und Junuzovic eigenmächtig angeordnet werden. Räume die von den Letten freigegeben wurden, zum Beispiel an den Flügeln, wurden zwar genutzt um Druck über die Seiten zu erzeugen. Räume die zu waren, wie alle rund um den 16er, blieben aber auch zu. Trotzdem schreibt der Redakteur von orf.at heute, dass das Spiel der Österreicher dem von Barcelona ähnle, womit er gelinde gesagt der Volksverdummung für schuldig gesprochen werden müsste.
Österreichs Fußball könnte theoretisch rosigen Zeiten entgegen gehen. Es wird trotzdem nichts daraus, weil man Weiterentwicklungen kategorisch ablehnt. „Wir können uns nicht jedes Spiel weiterentwickeln, sonst wären wir ja bald hinter Spanien“, sagt der Teamchef derzeit. Eine Weiterentwicklung wäre aber gerade in Zeiten wie diesen bitter nötig.
Während Teamchef Constantini aber noch immer nicht die Fahnenstange der Provinzialität erreicht zu haben scheint, wird Österreichs Spielermaterial immer internationaler, bei der EM 2016 wird überlegt, statt 16 sogar 24 Mannschaften an der Endrunde teilnehmen zu lassen. Sprich: die Qualifikations-Chancen erhöhen sich in zweifacher Hinsicht. Bessere Spieler, leichterer Modus.
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Trotz all dieser rosigen Aussichten, wird Österreich aber scheitern, weil österreichische Funktionäre und Trainer alle Entwicklungen verschlafen haben, die den Fußball in den letzten Jahren verändert haben. ÖFB-Präsident Windtner sagt: „Im Fußball kann sich alles schnell wieder zum Guten wenden“, weil er sich die Arbeit einer Aufarbeitung ersparen will. Man hofft also auf ein besseres Morgen in Denkmustern von gestern.
Damals konnte Deutschland unter Franz Beckenbauer noch Weltmeister werden, obwohl dieser angeblich nur „Geht´s ausse und mochts eicha Spü“, sprach. Österreichische Funktionäre und Trainer hoffen auch heute noch auf einen Run, einen Lauf, dadurch entstehende Euphoriewellen, die eine breite Brust und Siege, Siege, Siege zur Folge haben. So wie das 1996 bei Rapid der Fall war – mit breiter Brust und Leidenschaft bis ins Europacup-Finale. Kämpfen, Beißen, Laufen, Fußballspielen. Damals, als der Zufall noch ein ständiger Begleiter im internationalen Fußball war, galt diese Formel als Patentrezept. Ganz Europa arbeitete so, auch die Österreicher. Heute ist Österreich als Bastion, in der Weiterentwicklung verweigert wird, übrig geblieben.
Der Fußball in den letzten Jahren entwickelt sich immer schneller. Es ist kein Zufall, dass Österreich immer mehr abdriftet. Andere kleine Länder wie die Schweiz, die Slowakei oder Slowenien sind auf den Zug der Moderne aufgesprungen und fahren ausgezeichnet damit.„Wer den modernen Fußball verstehen will, muss sich mit Mathematik & Geometrie beschäftigen, mit Winkeln und Diagonalen, der muss das tun, was viele Fußballtrainer inzwischen vor dem Spiel und nach dem Spiel, manche auch in der Halbzeit tun“, schrieb der „Spiegel“ vor ein paar Wochen.
Erfolgreicher Fußball lebt von modernen Spielanalysen. Fußballklubs beauftragen Unternehmen, die Stadien mit Sensoren und Kameras versehen und sie anschließend mit Daten beliefern. Über Sensoren werden alle Zuckungen jedes Spielers auf dem Spielfeld registriert und ausgewertet. Angeblich können 4,5 Millionen Daten aus einem Spiel gesaugt werden. Moderne Trainer wissen alles: Bewegungsprofile der gegnerischen Spieler, ihre Sprintdaten, Ausdauerwerte, Ballsicherheit. Es werden Auswertungen über Ballstafetten gemacht und die Systeme danach ausgerichtet.
Constantini sagte einmal: „Ob ein Spieler schneller den Berg runter kommt oder nicht, sehe ich mit freiem Auge.“ Verwissenschaftlichung des Fußballs liegt ihm nicht besonders. Mit Taktik hat er sowieso nichts am Hut, was er auch zugibt. „Wenn ich den Spielern alles vorgebe, gibt es nichts Kreatives mehr.“
Mourinho hält viel von systemorientiertem Denken, vielleicht wurde er auch deshalb ohne große Kicker-Vergangenheit zum besten Trainer der Welt. Die Laufwege von Gegnern führt er seinen Spielern mit 2-D-Animationen vor.
Constantini & Konsorten zeigen ihren Spielern ganze Spiele oder fordern gleich Eigenverantwortung ein. Sprich: Eigenstudium der Spiele.
Moderne Trainer werten tausende Daten nach einem Spiel aus, wodurch sie sogar kleinste Ungereimtheiten im System ausmerzen können. Das Spielfeld wird in Dreiecke, Vierecke, Fünfecke unterteilt, es werden darin Spielzüge erlernt um im Spiel Überzahlkonstellationen kreieren zu können.
Mittlerweile machen das nicht ausschließlich die ganz Großen, sondern immer mehr Trainer in immer mehr Ländern. „Entschieden wird ohnehin am Platz“, sagt man in Österreich. Im internationalen Fußball werden aber Spiele im vornherein detailliert geplant. Was nicht heißen soll, dass der Fußball seine Unberechenbarkeit verloren hat. Hat er nicht. Der Zufallsfaktor wird nur minimiert. Mannschaften die nicht darauf setzen, werden in Zukunft noch weniger ein Leiberl reißen als wir es jetzt bereits tun.
Für nächste Saison haben die ersten beiden Deutschen Bundesligen eine Firma beauftragt, die ihre Stadien mit Sensoren ausstattet. Der deutsche Fußball geht den Weg der Mathematisierung mit. Muss er auch, will er nicht auf der Strecke bleiben. Slomka, Tuchel, Klopp & Co. arbeiten schon jetzt mit detaillierten Auswertungen. Auch hier war es kein Zufall, dass gerade diese Trainer weit vorne in der Tabelle landeten.
In Österreich will man sich nicht an internationalen Entwicklungen orientieren, weil es einerseits mit zuviel Aufwand verbunden wäre. Andererseits glaubt man nicht daran. Nicht nur Trainer und Funktionäre, die ohnehin. Aber auch Journalisten. Markus Geisler von der Sportwoche schrieb kürzlich in Richtung Constantini, in Anlehnung auf seinen „Taktik ist überbewertet“-Sager: „Geben Sie doch einfach zu, dass Ihnen da ein unbedachter Blödsinn herausgerutscht ist. Dann wäre das Thema vom Tisch und sie könnten dabei noch an Größe gewinnen.“
Es wird also kein systemorientiertes Denken vom Teamchef eingefordert. Nein. Er soll einfach so tun, als ob er den „Taktik ist überbewertet“-Sager gar nicht so gemeint hätte, nur damit endlich alles wieder gut ist. Österreichische Logik eben.
Was der Journalist damit eindeutig zeigt: Ganz Österreich glaubt nicht daran, dass wir den Anschluss an die Fußballnormalität nur durch Anschluss an internationale Entwicklungen schaffen können. Paul Gludovatz, einer der wenigen Modernen in Österreich, wird in der Sportwoche auch auf den Taktik-Sager des Teamchefs angesprochen. Seine Antwort: „Ein Teamchef kann eigentlich nur eines machen, nämlich Taktik.“ Ob er auch mal Teamchef werden mag? „Den Herren vom ÖFB bin ich zu direkt, die werden mich nicht fragen.“
Eine österreichische Quadratur des Kreises, die nicht zufällig, sondern durch kontinuierliche Orientierungslosigkeit des ÖFB, der man fast schon Vorsatz unterstellen müsste, im Abseits enden wird.
Gerald Gossmann