Das 2:1 Österreichs gegen Georgien brachte drei Punkte auf das WM-Quali-Konto. Auf Marcel Koller warten jedoch drei zentrale Baustellen, die nicht erst seit gestern bekannt sind. Eine Analyse von Georg Sander
Wer sich heute noch einmal so manche Szene der Defensive des Spiels gegen Georgien ansieht, dem muss Angst und Bange werden, wenn die möglichen Nutznießer des Chaos in Österreichs Abwehr nicht Kazaishvili, Ananidze oder Kashia heißen, sondern Bale, Ramsey oder Ledley. Natürlich merkt der Fußballpurist an, dass in Qualispielen auswärts eigentlich nur drei Punkte zählen; nämlich jene drei, die es für einen Sieg gibt. Egal wie er zustande kommt. Bis zum Heimspiel gegen Wales am 6. Oktober wird sich Marcel Koller aber über einige Dinge Gedanken machen müssen. So manches Problemfeld gehört schleunigst beackert, noch dazu, weil diese bereits länger bekannt sind.
Martin Harnik
Dass auch ohne Ex-Kapitän Christian Fuchs die linke Seite stärker bespielt wird als die rechte, liegt fast auf der Hand. Dort ist Marko Arnautovic, Kollers Liebkind. Harnik wiederum ist schon seit längerem eine schwierige Personalie, nicht erst seit der insgesamt schlechten EM. Der Neo-Hannoveraner wirkt fahrig, tauchte zeitweise ab, war kaum präsent. Die schlechte (Nationalteam)-Form konservierte sich bei ihm über den Sommer. In dieser Verfassung hilft er dem Team wenig weiter. Marcel Sabitzer war jetzt auch nicht die Erleuchtung. Von einem Rechtsaußen muss mehr kommen. Ein, zwei gute Aktionen sind zu wenig für 70 Minuten Einsatzzeit. Es war wohl nicht das Spiel der letzten Chance für den 29-Jährigen, aber einen Gefallen hat er sich und seiner Karriere im Nationalteam nicht gemacht; mit Sabitzer, Gregoritsch, Schöpf, Lazaro und Schaub hat Koller viele Alternativen.
Links hinten
Eine Theorie: Im Kader gibt es einen Weltstar, der links hinten Weltklasse spielt. Im Nationalteam spielt er im Mittelfeld, wo dieser Spieler „nur noch“ sehr gut ist. Da die Gegner wissen, was der kann, nehmen sie ihn stark in die Mangel. Durch die Manndeckung gehen einige Prozent in beiden Fällen verloren. Wie wäre der Spieler besser eingesetzt, wo kann er mehr Leistung bringen? Angesichts der Überforderung von Markus Suttner, taktisch wie technisch, wäre Marcel Koller gut beraten, seinen besten Spieler auf die Position zu stellen, wo eben dieser am besten ist. Tolle Außenverteidiger sind im Fußball rar gesät. Markus Suttner hat leider schon mehr als einmal bewiesen, dass er eine Schwachstelle im Team ist, zu allem Überdruss gibt es nicht noch unzählige weitere gute Linksverteidiger. Die Schwächen des Ingolstadt-Legionärs zogen die gesamte Abwehr runter, Alaba, Baumgartlinger, Hinteregger mussten Fehler von Suttner kompensieren.
Die vogelfreie Schlussphase
„Das 1:2 war ein Lucky Punch, ein Weitschuss. So was kann schon einmal reingehen“, sagte Marc Janko nach der Partie. „Wenn Janko das 3:0 macht, ist es gelaufen“, sagte Marcel Koller. Gelang das Verwalten eines (nicht immer so deutlichen) Vorsprungs in der EM-Qualifikation noch recht passabel, so schwamm das Team dieses Mal in der Schlussphase gewaltig. Die österreichische Abwehr hatte kaum mehr einen Plan, wie sie sich der wild anstürmenden Heimmannschaft erwehren soll. Es war daher ein bisschen verwunderlich, dass Koller rund um Minute 70 mit Schöpf, Sabitzer und Gregoritsch drei offensive Kräfte brachte. In früheren Schnittpartien hatte Koller das schon so gehandhabt. Die Absicherung kommt wenn, dann sehr spät. Was früher schon geklappt hat ist dem rot-weiß-roten Team aktuell gegen Wales, individuell starken Serben oder taktisch disziplinierten Iren eher nicht zuzutrauen. So sehr der Vorwärtsgang, vorgegeben von der Bank, schön ist, muss man doch beachten, dass dieses Team derzeit nicht auf der Welle der Leichtigkeit wie in der EM-Quali schwimmt. Erfahrene Spieler wie Prödl oder Ilsanker könnten da ein passables Mittel sein.
Mehr Mut, Herr Koller!
Mit der gegenwärtigen Startelf überrascht Marcel Koller niemanden mehr. Wenn schon eine eher biedere Mannschaft wie Georgien phasenweise Gefahr hervorrufen kann, was passiert dann erst bei besseren Teams? Merke: Nur der Gruppensieger fährt fix nach Russland! Wales wird Alaba anbohren, Vertikalpässe unterbinden und die Außenverteidiger mehr als nur beschäftigen, da sie die Schwachstelle sind. Koller muss die defensive Kompaktheit stärken und vorne mehr Variabilität zeigen. Das bedeutet wohl, dass es einen Mittelfeldspieler mit mehr Defensivaufgaben geben wird müssen und vor allem einen Spieler mehr in der Offensive, der nicht abtaucht. Marcel Koller hat die Alternativen in der Hand, nun braucht es Mut, diese auch einzusetzen. Ein erster Schritt dazu wurde – trotz dreier Punkte auf dem Konto – gestern leider verabsäumt.
>>> Taktik-Analyse zu Georgien vs Österreich: Alle EM-Probleme sind noch da