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Für Koller ein Experiment, für den ÖFB notwendig

Marcel Koller ist kein Freund von Experimenten. Das ging lange gut. Ein gut eingespielter Plan B wäre schon in Frankreich vonnöten gewesen. Ein gut eingespielter Plan B braucht Zeit. Diese Zeit gibt es aber nicht mehr. Nun müssen Dinge, die Koller wohl Ex

 

 „Wir haben nicht die Möglichkeit, groß zu testen und sind wieder auf Altbewährtes zurückgegangen“, sprach Marcel Koller bei der Bekanntgabe des Kaders gegen Irland. Keine Zeit für Experimente also. Dementsprechend sah die Startelf aus. Kevin Wimmer wieder als unglücklicher Linksverteidiger. Marcel Sabitzer als Junuzovic-Wusler, dem das Korsett der irischen Abwehr zu eng war. Alessandro Schöpf als Flügelspieler, dem wie seinem Gegenüber Marko Arnautovic durch kluge Iren wenig gelang.

 

Viel wichtiger aber als die eigene Leistung war jene des Gegners. Die Iren waren wie schon die Serben nahezu perfekt auf Österreich eingestellt. Da gab es nicht die Räume, die Kollers Elf in der Qualifikation für Frankreich bespielen konnte. Siege gab es im Kalenderjahr 2016 nur gegen Georgien, Malta und Albanien. Sieht sich Koller in den Spiegel, muss er sich dieser Erkenntnis stellen: Es passt etwas gewaltig nicht und das hat nichts mit „Momentum“, wie es Koller nennt zu tun. Andere würden „Spielglück“ sagen...

 

„Morgen können wir sowieso alle wieder lesen, dass es vorbei ist und dass wir sinnlos und nutzlos sind“, sagte Marko Arnautovic nach dem Spiel. Kollers Lieblingsspieler spricht gerne Sachen an. Und er hatte Recht. Der Boulevard stürzte sich auf das Team. „Peinlich“, schrieb sport24, das Sport-Portal der Tageszeitung Österreich. Für die Krone „trampeln“ die Iren auf dem österreichischen WM-Traum und sogar orf.at ist ungewohnt scharf, vermutete Koller am Montag „schwer in der Bredouille“. Trainerdiskussion überall. Nur ÖFB-Boss Windtner will das nicht und das ist vermutlich auch klug.

 


Realistische Punkte

 

Realismus tut nun gut, gerade in dem Land, in dem es zwischen schwarz und weiß, Weltklasse und Deppen der Nation wenig gibt. Wirft man einen Blick auf die Ergebnisse der EM-Quali, so sieht man viele Siege mit einem Tor Unterschied. Sechs von neun. Insofern bekommt Kollers Anmerkung zum Momentum etwas Gewicht. Man war schließlich nie so gut, über einen längeren Zeitraum Gegner vom Kaliber Russland oder aktuell Serbien mit einer Packung nach Hause zu schicken.

 

Zudem gilt es die Auslosung zu beachten. Irland hatte schon zwei Spiele gegen die schwächsten Teams der Gruppe, Moldawien und Georgien. Die Tabelle kann nach der fünften Spieltag schon wieder anders aussehen, Serbien muss nach Georgien, Irland und Wales treffen einander, Österreich hat mit Moldawien daheim eine vergleichsweise leichte Aufgabe. „Meine Meinung ist so, dass wir weiter arbeiten und schauen, dass wir Punkte sammeln, denn ich glaube nicht, dass Irland, Serbien oder Wales alles gewinnen. Die spielen auch noch alle gegeneinander“, konkretisiert Arnautovic diesen Umstand.

 

Es ist also nicht alles so schlecht, wie es jetzt aussehen mag. In Ordnung ist aber deshalb noch lange nicht alles. „Ich werde mich schon auch hinterfragen und mir Gedanken machen, was ich aber immer tue“, analysierte sich Marcel Koller selbst nach dem Spiel, „Ich muss dementsprechend Spieler aussuchen und sie einstellen, um Spiele wieder zu gewinnen.“ Koller hat damit einerseits recht. Große Veränderungen taktischer Natur werden schwierig werden, gibt es doch jetzt nur das Spiel gegen die Slowakei und eben das Heimspiel gegen Moldau, bevor es ums Eingemachte geht. Andererseits hat er unrecht, wenn er denkt, schlichte Personalwechsel würden helfen. Einen riesigen Pool an Spielern hat er ja auch nicht zur Verfügung.

 


Personelles

 

Just das ist das Dilemma. Kollers 4-2-3-1 ist ausgeguckt und ausgerechnet, im Grunde durch. Aber die Zeit drängt und wann soll das Nationalteam einen neuen taktischen Zugang erarbeiten? Direkt vor dem Moldawienspiel? Oder im (vermutlichen) Endspiel gegen Irland im Juni? Daraus ergibt sich die etwas ambivalente Feststellung, man müsse taktisch etwas ändern, es nicht aufs Personal reduzieren, aber viel anderes bleibt nicht übrig. Eine verzwickte Situation. Koller muss taktisch adaptieren, beim selben Spiel wird auch Moldawien gut hinten stehen können und auf Konter hoffen. Personell liegen auch Einschränkungen vor, letztlich gibt es nicht wirklich Spieler, die erstens letztes Jahr einen kometenhaften Aufstieg hinlegten und zweitens noch nie mit dabei waren.

 

Die wichtigste Baustelle ist also links hinten. Und da wird Marcel Koller nicht umhin kommen, David Alaba auszuprobieren. Die Gründe sind bekannt. Im gegenwärtigen Kader würde das bedeuten, dass Stefan Ilsanker die defensivere Position von Julian Baumgartlinger übernimmt, dieser auf die Acht vorrückt. Hätte Koller das Vertrauen in Suttner oder Stangl, würden die ohnehin schon längst spielen. Mag sein, dass Stangl heute Abend seine Chance bekommt. Und selbst wenn Koller nicht müde wird, die Wichtigkeit Alabas in der Zentrale zu betonen, so ist das eine Variante, die endlich einmal aufs Feld gehört. Wann, wenn nicht jetzt?

 

Auch die Feldposition in der Offensive müsste adaptiert werden. Schließlich braucht es Spieler im Zwischenlinienraum, nachdem die Gegner sich meist tief zurück ziehen, um Österreich auszukontern. Sabitzer auf der Spielmacherposition hat nicht geklappt, eventuell muss er nur die paar Meter weiter vor, höher stehen, sodass ein 4-4-2 entsteht. Mit einer echten Flügelzange könnten dann die offensiven Außenspieler ebenfalls zentral ins letzte Angriffsdrittel vorstoßen. Die technischen Fertigkeiten sich durch die Mitte durchzuspielen bringen sie allesamt mit.

 

Denkbar wäre es auch, Valentino Lazaro weniger als Rechtsverteidiger, denn als Offensivspieler zu sehen. Denn richtig befriedigend laufen die Spiele rechts vorne nicht ab, sei es mit Harnik, Sabitzer oder Schöpf. Zudem kommandierte Koller ihn nicht zur U21 ab, sondern eben Schöpf, Schaub und Gregoritsch. Lazaro sucht oft eins-gegen-eins-Situationen, weiß als Red Bull Salzburg-Spieler, wie man durch tiefstehende Abwehrreihen durchstoßen kann. Ein ganz neuer Reiz, etwa mit dem gegenwärtig treffsicheren, bulligen und erfahrenen Guido Burgstaller auf einer der Offensivpositionen, wäre denkbar.

 


Fazit: Kollers Ausnahmen müssen zur Regel werden

 

Ein 4-4-2 mit Ilsanker als Sechser, Lazaro als rechter Flügel, Sabitzer neben Janko und Alaba als Linksverteidiger – das klingt nach ungefähr vier Veränderungen mehr, als Koller sie gerne hätte. Es wäre ein Experiment. Eine Ausnahme in Kollers Denke. Etwas, was er nicht machen will, aber machen muss. Jede Veränderung ist mehr, als sie Koller gerne hätte. Sonst hätte er es längst gemacht.

 

So gut alles jahrelang geklappt hat, so sehr muss nach den vier Qualispielen attestiert werden, dass es eben nicht mehr gut geht. Jahrelang hat man sich bei den Verantwortlichen um den Plan B, der über die Brechstange hinaus geht, herum gedruckt. Jetzt geht es nicht mehr anders und jetzt geht es nur noch durch zuvor abgelehnte personelle Veränderungen und nicht allzu große taktische Veränderungen. Noch ist nicht alles verloren, aber es ist quasi fünf vor zwölf.

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