Warum das Nationalteam kann, woran die Klubs scheitern
Das österreichische Nationalteam eilt von Erfolg zu Erfolg. Die Strategie von Marcel Koller ist jedoch nicht auf den österreichischen Klubfußball umlegbar. Eine Gegenansicht von Georg Sander
Das österreichische Nationalteam braucht noch ein Pünktchen. Entweder heute in Schweden oder im Oktober. Österreich wird das erste Mal aus eigener Kraft zu einer Europameisterschaft fahren; es ist zudem das erste große Turnier seit 1998 (abgesehen von der Euro 2008). Den Klubs bleibt der Vorstoß in die Relevanz verwehrt. Als Schuldiger ist durchaus der „moderne Fußball“ auszumachen.
Etwas Großes Erreichen. Davon träumen Menschen mit zu viel Geld und Fußballleidenschaft. Großes im Wortsinne haben die heimischen Mannschaften seit Jahren aber nicht erreicht. Meistens war der finanzielle Preis zu hoch (Kartnig und Sturm) oder die Abkehr (Stronach und Austria) oder der Rückbau (Mateschitz und Salzburg) die Konsequenz. Großes im österreichischen Klubfußball gab es zuletzt rund um und vor der Jahrtausendwende zu betrachten. Teilerfolge, wie etwa Champions League-Gruppenphasen oder Europa League-Achtelfinali, zählen international letztlich wenig. Etwas Großes schafft nun aber gerade Marcel Koller.
Einfach, mag man sagen. Wer einen Alaba, einen Junuzovic und so weiter hat, hat es leicht. Wer ein ranziges 2:1 in Moldawien erreicht, wer oft 1:0 gewinnt, der hat auch Glück. Aber so einfach ist das nicht. Koller hat eine stringente Taktik, die auf die Spieler passt. Sein erster Anzug ist perfekt, der zweite ist etwas knittrig, aber er passt auch irgendwie. Das Spielglück gilt nicht, wenn knappe Siege sicher erspielt sind. In einer gesamten Qualifikation gibt es zudem auch schlechte Tage. Dann spielt Österreich unentschieden – oder gewinnt trotzdem. Viel wichtiger: Koller hat seinen Stamm. Das Team ist eingespielt. Es sind Freunde. Das sieht man. Auf Klubebene ist das fast unmöglich - für heimische aber auch fast alle anderen Teams.
Der moderne Fußball
Es ist müßig, sich nun wieder auf Bosman zu beziehen. Aber 1995 war nun einmal ein Paradigmenwechsel im europäischen Klubfußball. Ein weiterer kam schleichend. Nämlich die finanzielle Aufrüstung der Ligen, auch der zweiten Spielklassen, allen voran Deutschlands und Englands. Denn die großen Klubs grasen nun nicht mehr nur die Jugendabteilungen und die Topklubs ab. Auch viele Vereine mit kleineren Namen, wie Union Berlin oder Brentford FC haben das nötige Kleingeld, Spieler von österreichischen Top-Vereinen zu verpflichten. Dem entgegen kommt, dass in kleineren Ligen, zu denen die heimische zählt, das Gehaltsniveau in den letzten zehn Jahren gesunken ist. Es zahlt sich einfach aus, auch zu kleineren Vereinen zu gehen. Und wer in der zweiten Liga ist, endet irgendwann vielleicht als Erstligakicker. Wie zum Beispiel bei Kevin Wimmer, Lukas Hinterseer oder Ramazan Özcan. Davon profitiert der Teamchef in hohem Maße. Denn Woche für Woche gegen die besten der Welt zu spielen (oder im Fall von David Alaba ein eben solcher zu sein), ist mit ein Grund, warum Österreich vor dem souveränen Abschluss der Quali zur Euro 2016 steht. Im Unterschied zu den Koller-Vorgängern weiß der Schweizer damit auch etwas anzufangen.
Dieser Braindrain macht aber eben nicht nur vor Spielern halt. Auch wenn eines der folgenden Beispiele hinkt: Aber die letzten drei Meistertrainer der Bundesliga sind mittlerweile im Ausland beschäftigt. Ein Kernpunkt aber in Bezug auf Marcel Koller ist: Er setzt immer auf „sein“ Personal. Das muss man sich erst einmal vorstellen: Von Kollers erster Startelf im November 2011 (!) werden heute Dienstag mit nahezu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit acht (!!) Spieler wieder in der Startelf stehen: Almer, Fuchs, Prödl, Baumgartlinger, Alaba, Arnautovic, Harnik und Janko. In dem Fall aber nicht, weil Koller etwa stur ist, sondern weil sie sich seitdem und zum Teil viele Jahre davor schon zumindest in der europäischen Mittelklasse halten. Das kann freilich kein Vereinstrainer bewerkstelligen. Aber gerade die Eingespieltheit des Nationalteams ist ein Grund, warum man Nummer 13 der Welt ist. Das gibt einfach Sicherheit.
Um das zu illustrieren, sei hier ein Zweijahresvergleich mit den heimischen Spitzenklubs SK Rapid Wien und Red Bull Salzburg angestellt:
Kontinuität vor Augen geführt:
Vor gut zwei Jahren, am 10. September 2013, gewann Österreich gegen Irland mit 1:0. Die Startformation: Almer – Fuchs, Dragovic, Prödl, Garics – Baumgartlinger, Kavlak – Burgstaller, Alaba, Harnik – Weimann. Von der Bank kamen Arnautovic, Leitgeb und Janko. Einzig Weimann und Burgstaller befinden sich nur auf Abruf, Kavlak ist verletzt.
Am 29. August 2013 spielte Red Bull Salzburg das Play-Off für die Europa League gegen Zalgiris Vilnius. Am Feld: Gulacsi – Ulmer, Rodnei, Ramalho, Klein – Mane, Ilsanker, Kampl, Meilinger – Soriano, Nielsen. Von der Bank kamen Reyna, Berisha und Hierländer. Noch im Salzburg-Kader stehen Ulmer, Soriano und Berisha, Reyna und Nielsen kehrten nur zurück. Der Trainer hieß Roger Schmidt.
Am selben Tag spielte Rapid gegen Dila Gori. Am Feld: Novota – Schrammel, Dibon, Sonnleitner, Trimmel – Petsos, Pichler – Sabitzer, Hofmann, Schaub – Burgstaller. Von der Bank kamen Behrendt, Palla und Grozurek. Weiterhin beim SCR sind auch nur noch Novota, Schrammel, Dibon, Sonnleitner, Petsos, Hofmann und Schaub. Zwar mehr als bei RBS, aber auch nur sieben von 15 eingesetzten Spielern.
Kollers Eingespieltheit wird unerreichbar sein
Es wird wohl kein Zufall sein, dass seit der Einführung der Champions League zur Saison 1992/93 von 156 Hauptrundenteilnehmern nur vier aus Österreich kamen. Den Fokus auf die letzten zehn Jahre ersparen wir uns an dieser Stelle. Außergewöhnliche Leistungen benötigen eben außergewöhnliches Personal und – wenn man aus einer kleinen Liga kommt – außergewöhnliche Leistungen. All das auf drei, vier Spiele zu Beginn der Saison zu fokussieren, ist im heutigen Fußball beinahe unmöglich. Außer eine Fußballmannschaft würde tatsächlich über vier, fünf Jahre zusammen gehalten werden können. So lange die Fernseh- und Sponsorentröge in den großen Ligen prall gefüllt sind, wird kein heimischer Klub verhindern können, dass die besten und die zweitbesten Spieler nach zwei, drei Jahren weg gehen. Kontinuität am Spielersektor ist eigentlich unmöglich.
Ein anderer Ansatz muss her. Der etwas sperrige und schwierig zu erfassende Begriff „Vereinsphilosophie“ hilft hierbei. Hier kann der Verein eingreifen. Welche Spieler verpflichte ich schon von der Jugend weg? Was müssen diese können? Welche Art von Trainer verpflichte ich? Hier lohnt sich wie immer ein Blick in die Schweiz. Der FC Basel zieht seit 15 Jahren eine Philosophie durch. Da können Spieler kommen und gehen, Trainer gewechselt werden. Das funktioniert auf dieser Ebene freilich auch mit dem nötigen Kleingeld; das hat Red Bull Salzburg, SK Rapid und Austria Wien schaffen das in kleinerem Maßstab. Aber was vor allem klar sein muss: Ein FC Basel hat mindestens zehn Jahre Vorsprung auf die heimischen Klubs, was die Umsetzung einer Vereinsphilosophie betrifft. Wollen die heimischen Klubs Großes erreichen, müssen sie einfach intensiv an sich selbst arbeiten. Die erste Elf ist dabei nur ein kleiner Puzzleteil.