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Last Exit Willi Ruttensteiner?

Die öffentliche Auseinandersetzung des ÖFB mit der latenten Krise ist mittlerweile nicht nur peinlich, sondern lässt auch wenig Hoffnung für die Zukunft aufkommen. Kann ÖFB-Sportdirektor Willi Ruttensteiner das Ruder noch herumreißen? Von Michael Fiala

 

Mentalproblem? Fehlendes Momentum? Keine Effizienz? Noch enger zusammenrücken? Viele Verletzungen? Formschwankungen? Pech im Abschluss? Druck durch Kritik und dadurch schlechte Leistungen?

 

Wenn es darum geht, die aktuelle Krise (2016 gab es 6 Niederlagen, 3 Remis und nur 3 Siege, davon nur ein Sieg in einem Pflichtspiel) des österreichischen Nationalteams zu erklären, ist - zum geringen Teil unbewusst aber durchaus leider meist bewusst - den Spielern, dem Präsidenten und leider auch Teamchef Marcel Koller jedes Mittel Recht, um die Öffentlichkeit zum Narren zu halten.

 

Beispiel 1: ÖFB-Präsident Leo Windtner
Lange Zeit war ÖFB-Präsident Leo Windtner in einer komfortablen Lage: Unangenehme Fragen der Medien waren in den vergangenen Jahren, nach dem Teamchef Marcel Koller das Ruder übernommen hatte, nur selten ein Thema - wenn, dann ging es nicht um sportliche Themen, die heikel waren. Die souveräne EM-Qualifikation den Medien zu erklären war eine der Hauptaufgaben des obersten ÖFB-Vertreters. Dass dabei Floskeln von den Medien zum Großteil dankbar angenommen wurden, mag auch dazu geführt haben, dass man sich daran gewöhnt hat, die Analyse – zumindest in der Öffentlichkeit – ad absurdum zu führen.

 

Die Zeiten haben sich aber mittlerweile geändert. Spätestens nach dem 0:1 gegen Irland muss etwa auch der ÖFB-Präsident erklären, was falsch gelaufen ist. Dass Windnter dabei direkt nach dem Match die Klaviatur der gängigsten Phrasen spielt, ist bedenklich – und es lässt wie schon vor wenigen Wochen vermutet, erneut Zweifel aufkommen, ob der ÖFB in der Lage ist, eine ernsthaft gemeinte Analyse durchzuführen.

 

Im ORF-Interview sagte Windtner: “Nüchtern betrachtet ist das 2016er-Jahr ein Seuchenjahr geworden. Es ist uns nicht gelungen, die Form aus der EM-Quali weiter drüber zu bringen, es sind aber auch viele Einzelursachen dabei wie Verletzungen oder Formschwankungen.”

 

Oder er sagte auch in Bezug auf das 0:1 gegen Irland: “Es ist eine Selbstvertrauenssache in großem Maße. Wir haben frisch und dynamisch begonnen, haben es aber nach dem Lattentreffer verabsäumt, weiterzumachen. Wenn wir das Tor machen, löst sich automatisch der Knoten. Das ist 100% eine mentale Geschichte. Die Spiele gewinnt man bekanntlich im Kopf, da haben wir ein Problem.”

 

Zusamenngefasst: Das österreichische Team hat ein Kopf-Problem.

Dass es natürlich nicht daran liegt, haben die meisten Fans, die sich ein wenig mit Fußball auseinandersetzen, längst durchschaut, auch wenn leider viele Medien immer wieder in weiterer Folge in ihrer Berichterstattung auch auf die mentale Komponente zurückgreifen.

 


Wenn quasi der oberste Chef eine derartige Analyse von sich gibt, ist es nicht weiter verwunderlich, dass auch quasi seine “Untergebenen”, im konkreten Fall die Spieler, diese Floskeln inhalieren und verinnerlichen.

 

Beispiel 2: David Alaba
So meinte etwa David Alaba rund um das Irland-Spiel: "Wir sind eine Mannschaft, die hungrig und selbstkritisch ist. Wir wissen alle, dass wir mit dem Länderspiel-Jahr 2016 nicht zufrieden sein können.” Ein guter Beginn, doch dann folgt: “Wir wollen nach der langen Pause im neuen Jahr wieder Vollgas geben, als Team zusammenrücken und wieder erfolgreichen Fußball spielen."

 

Beispiel 3: Marko Arnautovic
Dazu passt es leider aber auch gut, dass Alaba-Buddy Marko Arnautovic nach dem Spiel davon gesprochen hat, dass Irland keinen Fußball gespielt habe. “Bei denen war es nur lang, hoch, kämpfen und schlagen - koste es, was es wolle, den Ball zu erreichen.” Interessanterweise hat Teamchef Koller in der Jahresbilanz-Pressekonferenz nach dem Slowakei-Match eine ähnliche Formulierung gewählt (siehe Seite 3). In Wirklichkeit ist es ein Eingeständnis der eigenen, schwachen Leistung, vor allem in der zweiten Hälfte, als das Nationalteam nicht einmal Ansatzweise gezeigt hat, wie man das irische Team biegen kann. Zu guter letzte sagte Arnautovic den wartenden Journalisten: “Kleinigkeiten haben diesmal entschieden” und er baute auch schon vor, indem er - wohlwissend, dass es Kritik hageln wird - meinte: “Morgen können wir sowieso alle wieder lesen, dass es vorbei ist und dass wir sinnlos und nutzlos sind.”

 

Gut, jetzt könnte man zur Verteidigung der Spieler sagen, dass man direkt nach dem Spiel, speziell wenn es nicht gut läuft, nicht gerade viel Lust hat, mit Journalisten zu sprechen. Zu oft kommen dann leider auch immer wieder die gleichen Fragen, die derartige Antworten provozieren. Und abgesehen davon: Bei Interviews mit Alaba kommt selten mehr Inhalt als oben gelesen.

 

Dennoch wirken diese Sätze bereits so austauschbar und inhaltsleer, dass der Verdacht aufkommt, dass die interne ÖFB-Analyse kaum Ansätze bietet, die schlechten Leistungen zu erklären. Sich darüber aufzuregen, dass Irland “keinen Fußball spielt”, ist die eine Sache. Aber keine Lösungen finden, ist eigentlich der Kern der Problematik.

 

Zumindest ein Spieler zeigt sich hier von einer anderen Seite, doch dazu später.

 


Wirklich schmerzhaft wird es aber erst jetzt, denn leider hat die Jahresbilanz-Pressekonferenz mit Marcel Koller den Verdacht verstärkt, dass die Analyse der Krise bisher nur sehr mangelhaft durchgeführt wurde, wenn man die Nicht-Entwicklung 2016 betrachtet.

 

Beispiel 4: Teamchef Marcel Koller
Es ist wirklich ärgerlich. Ärgerlich deshalb, weil Koller einerseits Recht hat, wenn er sagt, dass sämtliche WM-Qualifikationsspiele bisher sehr knapp verlaufen sind. So weit, so richtig. Mit ein wenig Spielglück, wenn man der Argumentation von Koller inhaltlich folgt, wäre der eine oder Punkt mehr auf dem Konto der Österreicher (und entsprechend weniger auf jenem der Gegner). Der WM-Traum wäre intakt. Die Krise wäre abgesagt, auch wenn die spielerischen Probleme weiterhin nicht korrigiert wären (aber das würde die breite Medienöffentlichkeit nur tangential berühren). Doch an dieser Stelle gilt es aufzuwachen: Mit ein wenig Spielglück hätte beispielsweise Georgien gegen Österreich 2:2 gespielt, oder hat man die letzten 20 Minuten des ersten WM-Quali-Matches bereits verdrängt?

 

Oder: Die Kritik an den Spielern, so Koller, habe dazu beigetragen, dass der Druck für einige Spieler zu groß wurde. Daher die schlechten Leistungen. Hat Koller wirklich geglaubt, dass diese Argumentation unreflektiert geschluckt wird? Die erste etwas größere Kritikwelle setzte erst nach der Niederlage gegen Ungarn ein. Davor waren kritische Stimmen in Österreichs Medienlandschaft so gut wie gar nicht wahrzunehmen. Die schlechte Leistung zeigte das ÖFB-Team aber bereits zuvor, wie auch Kollege Martin Blumenau gleich zu Beginn seines Blogs folgerichtig bemerkt.

 

Das mit Abstand ärgerlichste Argument und den deutlichsten Widerspruch seiner Argumentationskette brachte Koller jedoch mit dem Hinweis auf das Spiel der Iren, das Arnautovic bereits als Unspiel titulierte. In Anspielung auf die zarte Forderung der Mainstream-Medien, doch einmal etwas anderes zu probieren, meinte der Schweizer: “Wollen wir unsere Spielweise, die wir über 5 Jahre aufgebaut haben, verlassen? Wollen wir nicht mehr Fußballspielen, sondern lange Bälle nach vorne spielen oder wollen wir weiterarbeiten?”

 

Nein, das will natürlich niemand. Das hat auch niemand verlangt. Es war ein ganz schlechter Versuch von Koller, diesem Argument den Wind aus den Segeln zu nehmen. Vor allem deswegen, weil das österreichische Team in der zweiten Hälfte gegen Irland genau auf das Mittel der Iren zurückgegriffen hat, um doch noch ins Spiel zurückzufinden. Mehr Widerspruch geht eigentlich nicht mehr.

 


Beispiel 5: Julian Baumgartlinger

Nur eine Person im ÖFB-Umfeld hat in den vergangenen Tagen Klartext gesprochen: Julian Baumgartlinger. "Es ist relativ einfach: Wir überraschen nicht mehr. Wir können auch nicht mehr überraschen, weil wir uns auf ein relativ hohes Niveau herangespielt haben. (...) Wir ziehen unseren Stil durch, was eine Konstanz vom Trainer-Team her zeigt und auch die Durchführung unseres System, das sich bewährt und in der EM-Qualifikation zum Erfolg geführt hat. Nur die Gegner bereiten sich auf uns vor. Das gehört auch zur modernen Spielanalyse und Vorbereitung dazu, dass der Gegner versucht, uns das Leben so schwer wie möglich zu machen.” Da spricht jemand, der mittlerweile in die Schule von Roger Schmidt geht.

 

Soft-Facts erklären keine Krise
Spielglück, mangelnde Effizienz, zu hoher Druck auf die Spieler, und so weiter und so fort: All dies sind Soft-Facts und können das eine oder andere Spiel vielleicht in eine Richtung lenken. Nicht begründen können diese Faktoren jedoch eine latente Krise des ÖFB-Teams, das es derzeit einfach nicht mehr schafft, sich auf Teams einzustellen, die das >>> Zentrum der Österreicher einfach manndecken. Möglicherweise ist dies auch ein Zeichen, dass der >>> Abgang von Co-Trainer Fritz Schmid im Jahr 2013 nie kompensiert werden konnte.

 

In Summe waren die letzten Tage zunächst aus Ergebnis-Sicht (0:1 gegen Irland) ernüchternd. In weiterer Folge ist jedoch auch der Glaube verloren gegangen, dass der ÖFB in der Lage ist, eine inhaltlich fundierte Analyse durchzuführen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.

 

Kann ÖFB-Sportdirektor Ruttensteiner eingreifen?
Verdächtig ruhig ist es in der vergangenen Tagen ÖFB-Sportdirektor Willi Ruttensteiner angegangen. Er wäre wohl der Einzige im ÖFB, der Marcel Koller nicht nur inhaltlich paroli bieten kann, sondern auch die entsprechende Autorität Kraft seines Amtes besitzt, um in der Winterpause vielleicht doch die notwendige Kurskorrektur einzuleiten. Bisher zeigte sich Ruttensteiner immer zu 100% loyal mit Koller, abgesehen davon wäre ein derartiger Eingriff von ganz oben für den Schweizer nicht leicht zu verkraften. Man darf aber dennoch gespannt sein, ob dieses Match in der Winterpause gespielt wird. Es wäre jedenfalls ein knappes Match, bei dem die richtige Taktik von enormer Bedeutung sein wird.

 

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