Grazer Hilflosigkeit

Wieder einmal hat Sturm Graz ein Interviewverbot für ein Medium ausgesprochen. Die Grazer Hilflosigkeit schadet aber vor allem dem Klub selbst. Ein Kommentar von Michael Fiala

 

Es ist schon wieder passiert: Sturm Graz hat dem Online-Portal sturmnetz.at ein Interviewverbot auferlegt. Ab sofort gibt es von Sturm-Spielern und –Funktionären für das Online-Portal keine Interview-Termine mehr. Dies ist dem deutlich kritischeren Sturm-Portal sturm12.at, das Ende 2014 seinen Betrieb nicht zuletzt auch deswegen eingestellt hat, auch schon passiert. Eine ähnliche Erfahrung hat das junge Podcast-Medium blackfm gemacht und es wurde sinngemäß mitgeteilt, dass man aus Klub-Sicht lieber den Kopf in den Sand steckt als aktiv an der Kommunikation mit den Fans zu arbeiten. Auch 90minuten.at gegenüber wurde nach dem Veröffentlichen von kritischen Artikeln (z.B. hier oder hier) bereits ein Interview-Boykott angedroht, jedoch nie umgesetzt.

 

Das Portal sturmnetz.at war bis vor wenigen Wochen weder besonders kritisch noch besonders Klub-Loyal aufgefallen. Auslöser für die aktuelle Diskussion war ein Interview von sturmnetz.at mit Samir Muratovic, das mit der Pressestelle nicht akkordiert war. Auf Anfrage von 90minuten.at sagt Sturm Graz dazu offiziell: „Wir waren von Beginn des Projekts mit Sturmnetz in gutem Kontakt. Es gab nie ein Interviewverbot. Es wurde lediglich, in gemeinsamer Absprache geklärt, dass wir Sturmmedium Nummer eins sind und die Sturmberichte selbst auf unseren Medien verbreiten. Dennoch wurde zum Beispiel das Esser-Interview oder auch das Interview mit Wetl genehmigt. Das aktuelle Interview mit Muratovic wurde hinter unserem Rücken durchgeführt. Ohne es anzufragen. Das ist nicht zu akzeptieren. Das Interview bei der Pressestelle anzumelden wird mit jedem Medium so gehandhabt und ist auch bei anderen Vereinen so üblich.“ Die Suppe dafür, dass Muratovic dennoch ein Interview gegeben und quasi die eigenen Regeln gebrochen hat, muss das Portal jetzt selbst auslöffeln.

 

"Von einem Interviewverbot ist keine Rede"

Von einem Boykott will der Verein jedoch nichts wissen: „Sturmnetz hat auch weiterhin 3 Akkreditierte (2 Redakteure, 1 Foto) bei unseren Heimspielen und kann dort sowie bei öffentlichen Vereinspresseterminen (PKs, Mixed Zone, GV, etc.) Offizielle interviewen. Also keine Rede von Interviewverbot.“ Auf Nachfrage von 90minuten.at erklärt der Verein jedoch, dass sturmnetz.at derzeit dennoch das einzige Medium Österreichs sei, das keine Interviewtermine bekomme. So war es angeblich auch schon von Beginn an mit sturmnetz.at ausgemacht und wurde von den Verantwortlichen des Mediums so akzeptiert. Dieser Aussage stehen jedoch bereits veröffentlichte Interviews auf sturmnetz.at gegenüber.

 



 

Die Begründung „Sturmmedium Nummer 1“ sein zu wollen, wurde übrigens bereits auch im Fall des Podcast-Mediums BlackFM gegeben (siehe Posting). Diese Begründung ist – die Leser haben es längst durchschaut – an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten.

 


Scheinheilig?

Ob der SK Sturm „Sturmmedium Nummer eins“ wird oder ist, liegt nicht daran, ob man einem „konkurrierenden“ Medium drei, fünf oder gar 12 Interviews pro Jahr zugesteht. Vielmehr liegt es an Sturm Graz selbst. Viele Vereine, vor allem auf internationaler aber auch auf nationaler Ebene, machen es vor, wie man selbst erfolgreich zum Medium wird – und aber die positiven Effekte vieler anderer, auch Fan-Medien als Multiplikator nützt. By the way: Konsequenterweise dürfte Sturm Graz keinem anderen Medium mehr Interviews geben, um die Strategie „bestmöglich“ umzusetzen.

 

Der immer wieder kehrende beleidigte Umgang mit kritischen Medien zeigt jedenfalls vor allem eines: Und zwar, dass sich in der Führungsetage rund um Gerhard Goldbrich Hilflosigkeit breit macht. Hilflosigkeit, die dem Verein aber nicht nützt. Im Gegenteil: Vielmehr schadet ein derartiges Verhalten dem Klub selbst. Abgesehen davon, dass Boykotts wie jene an ein mangelndes Verständnis für Selbstreflexion und ein entsprechendes Bewusstsein im eigenen Unternehmen denken lassen.

 

PR-gewaschene Berichterstattung ist zu wenig

Einen gewissen Stamm an Fans wird man mit unkritischer, PR-gewaschener Berichterstattung durch vereinseigene Medien oder auch durch dem Verein zu Füßen liegenden Print-Titel immer erreichen können. Dass sich Sturm Graz als einziger Verein der tipico-Bundesliga dazu entschließt, bei anderen, kritischeren Medien, seinen Beitrag durch Totschweigen zu leisten ist aber aus strategischer Sicht schlichtweg dumm. Es geht vor allem auch darum, dass Sturm die Chancen nicht erkennt, die sich durch Medien wie sturm12.at, blackfm oder sturmnetz.at bieten. Die Sturm-Fans wussten den Aufwand von sturm12.at etwa zu schätzen. 3,5 Millionen Visits und 330.000 Unique User im letzten Jahr des Bestehens sind dafür der beste Beweis. Und sie diskutierten mit: Mehr als 110.000 Kommentare zählten die Betreiber in den sechs Jahren des Bestehens unter den Texten, die ebenfalls sehr gut frequentierten Social-Media-Kanäle noch gar nicht eingerechnet.

 

3,5 Millionen Kontaktchancen für einen Verein, der seit Jahren auch darum kämpft, mehr Zuschauer in Stadion zu bekommen. Die letzten beiden Heimspiele fanden vor absoluten Minuskulissen mit knapp über 5.000 Zuschauern statt – trotz Ticketaktion. Daraus ergeben sich interessante Fragestellungen, die wir in einem Interview mit Gerhard Goldbrich Anfang Februar klären wollen; sofern wir dürfen.

 

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