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Der Taktiker

Die Frage nach der Vertragsverlängerung wurde Teamchef Marcel Koller in den vergangenen Wochen am häufigsten gestellt. Der Taktiker auf dem grünen Rasen zeigt auch hier seine Qualitäten. Ein Kommentar von Michael Fiala .

 

Die Erinnerung an die Vertragsverlängerung im Oktober 2013 ist in den Köpfen vieler Fans fest verankert: Nach einigen Wochen der Ungewissheit und einer Schmutzkübelkampagne der Zeitung Österreich verlängerte Marcel Koller mit dem österreichischen Fußballbund – und sagte seiner Heimat Schweiz ab. „Mein Bauchgefühl hat gesagt, du kannst noch nicht gehen, du bist hier noch nicht fertig", erklärt er im Ö3-Interview und ergänzte: „Dies war, auf den Fußball bezogen, die schwierigste Entscheidung, welche ich in meiner Karriere treffen musste. Ich habe vor zwei Jahren dieses Projekt beim ÖFB begonnen und ich will es weiterführen." Koller war also kein Verräter, wie es Österreich gerne vorab bereits prognostiziert hatte, sondern ein Volksheld. Koller war sogar DER neue Volksheld.

 

Koller hat sein Ziel erreicht
Ziemlich genau zwei Jahre später ist das Thema „Vertrag und Marcel Koller" wieder auf den Notizblöcken der Journalisten – und auch die Fans machen sich wieder – auch in den sozialen Netzwerken - ihre Gedanken dazu. Der Unterschied zu 2013: Mit dem Erreichen der Europameisterschaft hat Koller ein Ziel erreicht. Erstmals konnte sich ein ÖFB-Team auf sportlichem Weg für die Endrunde der besten europäischen Nationen qualifizieren. Und das mit Nachdruck: Gruppensieger, Platz 11 in der Weltrangliste mit dem möglichen Sprung in die Top 10.

 

Schon zu Beginn seiner Amtszeit in Österreich wurde Koller als „akribischer Arbeiter" beschrieben. So oft, dass diese beiden Wörter fast schon inflationär verwendet wurden, wenn man einem Trainer im österreichischen Fußball-Business die entsprechende Fähigkeit zuschreiben wollte. Hat man einen neuen Trainer verpflichtet und ihn „akribischer Arbeiter" genannt, war die Masse zufrieden. Kollers Akribie strahlte auf ganz Fußball-Österreich ab. Und selbst als Co-Trainer Fritz Schmid den ÖFB nach zwei Jahren verließ und einige die Gefahr sahen, dass nun das Superhirn des ÖFB-Trainerteams abhandengekommen war, zeigte Koller, dass er auch im taktischen Bereich die Zügel in der Hand hielte. Das Team entwickelte sich nicht nur stetig weiter, es holte sich in beeindruckender Art und Weise den Gruppensieg vor Russland oder Schweden.

 

 


Marktwert gestiegen
Genauso wie sich der Marktwert von David Alaba in den vergangenen Jahren stetig nach oben entwickelt hat, ist auch Marcel Koller vermehrt auf den Wunschlisten diverser Vereine gelandet. Wer eine Nation wie Österreich, die unter Didi Constantini im internationalen Niemandsland herumgegondelt ist, an die Top 10 der Weltrangliste heranführt, der hat etwas drauf. Denn eines muss auch klar sein: So stolz der ÖFB auch noch auf seine Nachwuchszentren und Projekte ist; der aktuelle Erfolg des A-Teams ist vor allem auf die Arbeit von Koller zurückzuführen.

 

„Das ist der Wunsch des Präsidenten"
„Ich gehe davon aus, dass wir zeitgerecht vor der EM wissen, wer nach der EM Teamchef ist. Wir wünschen uns alle Marcel Koller, das ist kein Geheimnis", sagte ÖFB-Präsident Leo Windtner vor wenigen Tagen im Interview mit der Tageszeitung „Die Presse". Auf die Aussagen von Windtner angesprochen sagt Marcel Koller gegenüber 90minuten.at: „Das ist der Wunsch des Präsidenten. Das ist auch nachvollziehbar."

 

Koller zeigt sich auch in diesen Wochen nicht nur auf dem Feld als gewiefter Taktiker. Koller ist klar, dass sich sein Marktwert in den kommenden Monaten vor und während der Euro nur schwer beschädigen lässt. Das wird wohl nur dann passieren, wenn Österreich mit drei Niederlagen sang- und klanglos ausscheiden sollte.

 

„Das Feuer brennt schon noch ..."
Auf die Frage nach einer möglichen Vertragsverlängerung sagte Koller im Rahmen der heutigen Pressekonferenz also: „Es ist wichtig, dass man Gespräche führt. Wir werden die zwei Spiele noch abwarten und haben dann ausgemacht, dass wir uns dann zusammensetzen." Nach der Pressekonferenz ergänzte er auf die Frage von 90minuten.at, wie viel Klubtrainer denn noch in Koller stecke: „Das Feuer brennt schon noch ..." und bestätigte unsere Aussage, dass es aus taktischer Sicht keinen besonderen Grund gibt, vor der Euro 2016 den Vertrag zu verlängern.

 

Nicht zuletzt bleibt auch die Ungewissheit, ob der ÖFB nach dem Ende der Koller-Ära – wann auch immer diese sein wird – in alte Personalien-Muster zurückfällt. Dies lässt vor allem die Fans und fachkundige Experten hoffen, dass Koller auch über 2016 hinaus Teamchef von Österreich bleibt. Der ÖFB ist sich dem auch bewusst und hat ein großes Interesse daran, die Personalie Koller frühzeitig unter Dach und Fach zu bringen, der Taktiker Koller jedoch eher das Gegenteil. Doch Fußball ist nicht nur Taktik, wie Koller auch schon 2013 im Rahmen der ersten Vertragsverlängerung gezeigt hat, sondern auch ein bisschen Bauchgefühl, auch wenn damit die Klischees einiger altgedienter Fußball-Internationalen bedient werden.

 

Man darf gespannt sein, mit welcher Taktik Koller in dieses Match gehen wird, wie stark in ihm das Feuer für die Nationalmannschaft (nach der Euro) noch brennen und welche Rolle das Bauchgefühl dieses Mal spielen wird. Es bleibt zudem zu hoffen, dass Kollers Taktik den ÖFB nicht überfordert, der Verband unter der Führung von Windtner zudem Verhandlungsgeschick beweist und Koller nicht zu sehr unter Druck setzt. Mit der Aussage, die Personalie noch vor der Euro klären zu wollen, hat Windtner das Tempo erhöht. Auf dem Feld war der Schweizer in den vergangenen Monaten unter anderem auch damit befasst, Alaba & Co beizubringen, das Tempo in der einen oder anderen Phase zu drosseln. Mit Erfolg. Genau dasselbe macht er jetzt auch abseits des Feldes und nimmt das Tempo beim Thema Vertragsverlängerung heraus. Denn gescheiterte Vertragsverhandlungen sind das Letzte, was das österreichische Team vor der Euro 2016 brauchen kann. So viel ist dem Taktiker Koller klar. Und hoffentlich auch dem ÖFB.

>>> Statistik-Check: So schafft Österreich im November den Sprung in die Top 10 der Weltrangliste

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