Sturm: Notbremse für Neustart

Sturm Graz spielt schrecklichen Fußball und hat keinen Erfolg damit. Wer immer noch nicht begriffen hat, dass es jetzt eine nachhaltige Veränderung in der Ausrichtung des Klubs braucht, dem ist auch nicht mehr zu helfen.

Die elf Kumpels, die sich für “ihren” Klub den Arsch aufreißen, egal was sonst ist, die gibt es nämlich leider nicht mehr. Nirgendwo. Überall spielen Söldner auf Zeit und es ist die Aufgabe eines Klubs und seines Trainers, diesen austauschbaren Parameter so unwichtig als möglich zu machen.

Jürgen Pucher

++ 90minuten.at-Exklusiv ++ Ein 12 Meter von Jürgen Pucher

 

Eigentlich habe ich ja befürchtet, dass diese ganze Misere der Corona-Geisterspiele und ihre Tristesse kaum Inspiration für geistreiche Kommentare zum Geschehen in der österreichischen Bundesliga im Allgemeinen und zum SK Sturm im Speziellen zulassen werden. Nach dem Beschau der ersten beiden Runden, wurde ich eines besseren belehrt. In negativer Hinsicht. Was die Grazer Schwarz-Weißen beim Comeback nach dem Lock-Down abgeliefert haben, kann schwer unbesprochen bleiben. Sturm Graz ist ein Schatten seiner selbst und was da im Moment zu sehen ist, ist dieses Klubs unwürdig und eine Zumutung für die Fans, die sich das noch dazu zuhause ansehen müssen und nicht einmal im Stadion lautstark ihren Unmut kundtun können.

 

Sündteurer Kader läuft planlos umher

Zur Erinnerung: Hier läuft einer der teuersten Sturm-Kader aller Zeiten über den Rasen. Ich habe noch die Worte des Präsidenten im Ohr, wie sehr man sich bei den Gehältern von Kiril Despodov oder Bekim Balaj nach der Decke hätte strecken müssen. Aber der Trainer würde sie brauchen, diese Spieler, die angeblich den Unterschied machen. In Wirklichkeit ist es aber eher so, dass sie eher selten etwas ausrichten konnten und des Maestros Strategie abseits davon scheint - höflich formuliert - etwas dürftig zu sein. NEM sprach nach der Katastrophenpartie bei Rapid von “einem kleinen Formtief”. Da hat wohl der einen oder andere daheim in die Couchtischkante gebissen, angesichts dieser Verharmlosung. Was wäre dann bitte bei einer veritablen Formkrise zu sehen gewesen?

(Artikel wird unterhalb fortgesetzt)

In Wahrheit ist es doch so: Sturm spielt schon die ganze Saison einen ziemlichen Stiefel zusammen. Eigentlich sogar seit dem Cup-Titel 2018. Man redet dauernd von der Relevanz des schnellen Erfolgs und der dem geschuldeten Defensiv- und “Abwarten”-Strategie. Nicht nur, dass dieser Fußball nur schwer anzuschauen ist, es funktioniert zudem meistens nicht. Sturm zeigt also weder ansehnlichen Fußball, noch bringt er die gewünschten Ergebnisse. Die selbsternannten Experten sind dann immer geschwind mit der Problemanalyse zur Stelle: Die Spieler haben keinen Charakter, die rennen nicht, und so weiter. Wir kennen das. Es mag schon sein, dass in diesem aktuellen Sturm-Kader tatsächlich ein paar dabei sind, die nicht die allerstabilsten sind, wenn der Gegenwind rauher wird. Vom Kapitän angefangen. Fakt ist aber auch: Eine Mannschaft braucht eine Struktur und eine Ausrichtung, in der sie ihre Stärken ausspielen kann.

Söldner auf Zeit brauchen eine starke Struktur

Die elf Kumpels, die sich für “ihren” Klub den Arsch aufreißen, egal was sonst ist, die gibt es nämlich leider nicht mehr. Nirgendwo. Überall spielen Söldner auf Zeit und es ist die Aufgabe eines Klubs und seines Trainers, diesen austauschbaren Parameter so unwichtig als möglich zu machen. Das heißt, ich kann es selbst schon nicht mehr lesen, so oft habe ich es schon geschrieben: Her mit einer langfristigen Philosophie, nach der man sein fluktuierendes Personal castet. Trainer und Spieler. Dazu eine strategische Ausrichtung des Nachwuchs, der ebenfalls diesen Planungen folgt. Das vorherrschende kurzfristige Denken muss endlich aufhören. Schluss mit diesen unnötigen Leihgeschäften, um schnell Lücken zu füllen. Schluss mit den Last-Minute-Transfers Ende August oder Ende Jänner. Stattdessen langfristiger Aufbau mit einer intensiven Einbeziehung der Nachwuchsleute.

Jetzt wäre wieder einmal eine gute Gelegenheit damit zu beginnen. Sechster und letzter wird man ohnehin in dieser Meistergruppe. Diese Mannschaft im Europacup zu sehen, wäre zudem eine Zumutung. Also: Legen wir fest, wie wir spielen wollen. Über den Sommer hinaus und nicht nur bis Saisonende. Beginnen wir jetzt zu testen, wer aus dem aktuellen Kader und dem Nachwuchspersonal dazu passt. Wer das nicht tut, soll in Zukunft woanders die Schuhe schnüren. Und holen wir neue Leute, die sich ins Konzept einbauen lassen. Und dann: Gebt dem neuen Team - unter welchem Trainer auch immer - die nötige Zeit um das zu etablieren und zum Laufen zu bringen.

Das, und nichts anderes, soll der neue Sportchef Andreas Schicker mit Unterstützung des Vorstands ab heute tun. Passiert das jetzt wieder nicht, dann wird dieser Klub in die austauschbare Belanglosigkeit abgleiten und sich zu den dutzenden bereits dort herumlungernden Vereine gesellen. Das entwickelte Leitbild und seine wesentlichen inhaltlichen Bausteine kann man sich außerdem dann an den Hut stecken, weil nichts davon jemals ernsthaft in die Tat umgesetzt wurde.