Spieglein an der Fußballwand
Der Grunddurchgang in Russland ist absolviert und die Achtelfinalteilnehmer stehen fest. Die bisherigen Spiele zeigen, neben der ungebrochenen europäisch-südamerikanischen Dominanz, vor allem eines: Wie sehr politisch-gesellschaftliche Entwicklungen sich im Fußball widerspiegeln.
Ein 12 Meter von Jürgen Pucher
Die Gruppenphase der Fußballweltmeisterschaft in Russland ist absolviert und der erste freie Tag im vierjährig stattfindenden Fußballübermaß bietet ein wenig Zeit durchzuschnaufen und zu rekapitulieren. Rein sportlich ist die Geschichte schnell erzählt. Die Favoriten plagen sich gegen die vor allem defensiv gut organisierten „Kleinen“, setzen sich am Ende aber durch. Ausnahme: Deutschland. Aber dazu später. Schade ist es etwa um Peru, das für seinen mutigen Ansatz nicht belohnt wurde. Dass stattdessen der dänische und schwedische Normannen-Fußball eine Runde weiter sind, schmerzt den Ballsport-Gourmet ein wenig. Und die europäische Hegemonie mit südamerikanischen Tupfern setzt sich auch dieses Mal fort. Außer dem „Unfall“ Japan, schaffte es keine Mannschaft aus Asien oder Afrika in die Runde der letzten 16.
„Die Afrikaner“
Wie sehr diese Dominanz auch im Diskurs rund um das Spiel etabliert ist, zeigen die teilweise immer noch sehr kolonialistisch anmutende Kommentatorenbeiträge im deutschen, schweizerischen oder österreichischen Fernsehen, wenn es um Mannschaften aus Afrika geht. Das ORF-Schmähführer-Duo Herbert Prohaska und Roman Mählich, zeichnete sich etwa wiederholt dadurch aus, jede Mannschaft des Kontinents als „die Afrigana“ zu subsummieren. Hat schon jemals wer gehört, dass Dänemark, die Schweiz oder gar das große Deutschland als „die Europäer“ bezeichnet werden? Das nur als ein kleines Beispiel, wie der Diskurs hier noch immer über die Geringschätzung (fehlende Disziplin), die Verniedlichung (sie spielen eh schön, aber… und der Trainer hat so coole Dreadlocks) und das nicht ganz ernst nehmen daherkommt.
Überhaupt ist ganz besonders diese Weltmeisterschaft ein Spiegel der aktuell stattfindenden politischen Entwicklungen. Ob das die auf der VIP-Tribüne scherzenden Bösewicht-Staatschefs beim Eröffnungsspiel zwischen Russland und Saudi-Arabien sind oder die immer wieder aufblitzenden Nationalismen von den Tribünen und den Spielern selbst. Abseits der Inszenierung des Gastgeberteams, gipfelte das in der Partie Schweiz gegen Serbien, wo das serbische Publikum den Spielern mit kosovarischem Hintergrund im Team der Eidgenossen zunächst einen sehr feindseligen Empfang bereitete und diese sich nach ihren Torerfolgen mit dem Vorzeigen des albanischen Adlers revanchierten. Der serbische Coach verstieg sich im Anschluss der Partie außerdem zu der Aufforderung, den Schiedsrichter doch bitte zum Gerichtshof in Den Haag zu schicken, die Serben wären ja nach dem Balkankrieg auch reihenweise dort gelandet.
Fußball als Spiegel der Entwicklungen
Schnell sind nach solchen Geschichten alle immer mit den Appellen daran, die Politik doch bitte sehr aus dem Stadion rauszuhalten, zur Stelle. Eine der lächerlichsten Forderungen, die nach Spielen wie jenem zwischen Serbien und der Schweiz gebetsmühlenartig wiederholt werden. Wie das gehen soll, sagt nie jemand dazu, wohlwissend, dass es ein doofer Stehsatz ist. Politik ist überall. Wie Individuen, die von etwas wie dem Kosovo-Serbien-Konflikt täglich betroffen sind, dann plötzlich auf der Bühne Fußballplatz ihre identitätsstiftenden Elemente ablegen sollen, fragen die betroffen dreinschauenden Rainer Pariaseks dieser Welt nie dazu. „Herbert, hat so etwas im Stadion was verloren?“, suggestivfragt er lieber in die Runde, die Antwort schon vorwegnehmend. Allein die mediale Besprechung in der Schweiz, wo der Mainstream noch vehementer von Xherdan Shaqiri und Co gefordert hat, so etwas doch künftig unbedingt zu unterlassen, zeigt doch schon, wie hochpolitisch diese Angelegenheit ist.
Die Schweizer „Nati“ war schon im Vorfeld der WM immer wieder mit von Ressentiments triefenden Kommentaren bedacht worden. Im Wesentlichen drehten diese sich um das wahre Schweizertum und ob das in einer von „Secondos“ dominierten Mannschaft denn überhaupt noch möglich sei. Der Diskurs war und ist dort, wo eine nach rechts driftende Gesellschaft eben so zu Hause ist. Und dann erdreistet sich dieser „Flüchtling“, dem man eine neue Heimat geboten hat, auch noch, seine Konflikte vom zu Hause seiner Eltern in die Nationalmannschaft mitzubringen, wo das natürlich nichts verloren hat. Matthias Daum sei hiezu mit seinem Kommentar in „Die Zeit“ zitiert: „Es geht nur mehr um den Adlerjubel. Um die gekränkten helvetischen Kleinkrämerseelen, die nicht ertragen, dass in der durchtrainierten Brust eines Profifussballers für mehr Platz ist als lediglich ein pumpendes Herz mit Schweizer Kreuz.“
Sommermärchen war einmal
Aber auch über das Schweiz-Kosovo-Serbien Thema hinaus, sind Bruchlinien der Gesellschaften in den Länderauswahlen sichtbar. Das polnische Team etwa, wo zwischen Robert Lewandowski (kein Freund der Regierung) und Kuba Błaszczykowski (ein stramm-nationalistischer Pole) eine solche Bruchlinie verläuft, die dem Teamerfolg natürlich nicht zuträglich ist. Aber auch beim mittlerweile abgelösten Weltmeister dringen die gesellschaftlichen Probleme zu Hause in die Mitte der Mannschaft vor. Waren die Sami Khediras und Mesut Özils vor einiger Zeit noch gelungene Beispiele der Integration (eher Assimilierung), geht es heute mehr und mehr darum, warum der Türke nicht die deutsche Hymne singt. Durch die Dodl-Aktion von Özil und Ilkay Gündogan, dem gemeinsamen Foto mit dem wahlkämpfenden autoritären türkischen Präsidenten, haben sie sich und der Sache selbstredend auch noch einen Bärendienst erwiesen.
Weil jetzt brechen natürlich nach dem Misserfolg auch hier die brüchigen Nähte auf. Özil kämpft nicht für Deutschland, die Nachbesprechung des Ausscheidens erscheint manchmal gar so, als wäre der Arsenal-Spieler alleine schuld am Versagen der Deutschen. Natürlich sind hier schnell die Lemuren und grässlichen Fratzen der früheren Rumpelfußballgeneration der „echten Deutschen“, Lothar Matthäus und Co, zur Stelle, um ihren „Beitrag“ zu leisten. Eine sachliche Analyse des fußballerischen Totalausfalls ist nahezu unmöglich. Schwelende Konflikte, die ein Abbild der Situation im ganzen Land sind, brechen auf und zerstören Vieles, was in den letzten Jahren erreicht wurde. Sommermärchen und Maracana waren einmal. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Es wäre absurd zu glauben, dass die global sichtbaren politischen Trends im globalsten aller Sportereignisse, einer Fußballweltmeisterschaft, nicht sichtbar wären. Statt der dämlichen Forderung „der Sport muss unpolitisch sein“, wäre es vielleicht zielführender, sich mit den Themen auch medial auseinanderzusetzen. Anstatt elendslanger Nacherzählungen von Spielszenen ohne Substanz, könnte man eventuell die eine oder andere Sendeminute den Hintergründen der Teilnehmer widmen. Im Wissen der Sinnlosigkeit dieser Forderung schließen wir die Gruppenphase ab und blicken nach vorn, in Richtung des „unpolitischen“ Achtelfinales.