Der Sturm-Trainer ist für Menschen, die ihn vor einem Mikrofon interviewen durchaus eine Herausforderung. Er geht so gut wie nie aus sich heraus, es ist ihm nicht anzumerken, wie es in seinem Inneren aussieht und er lässt jede noch so gute Steilvorlage des Fragenstellers für einen Schmäh oder eine emotionale Botschaft gnadenlos vorüberziehen.
Ein Stoiker an der Linie
"Eine buddhistische Unaufgeregtheit", nannte das Frank Wonisch im Podcast "BlackFM" diese Woche. Jürgen Säumel gab dort ein Interview. In einer Zeit, in der das Umfeld in Graz in einer Mischung aus Vorfreude, Nervosität und höchster Aufregung den letzten beiden Spielen in der Liga entgegenfiebert. Es geht für Sturm um die Titelverteidigung. Und der Trainer spricht in das Podcast-Mikrofon, als befände man sich in der Anfangsphase der Meisterschaft, wo man sich das alles einmal in Ruhe anschaut.
Auch nach noch so turbulenten Spielen, wie der 0:1-Heimniederlage gegen die Austria, lässt sich Jürgen Säumel nicht zu einer emotionalen Nachbetrachtung hinreißen. Das ist im und um den Klub sonst kaum jemandem gelungen.
Alle seien fokussiert, man arbeite konzentriert und die Vorbereitung auf den ersten möglichen Showdown in Hütteldorf verlaufe wie vor jedem anderen Spiel auch. Zitat Ende. Wenn man der deutschen Sprache nicht mächtig ist und Säumel über die Begeisterung der Fans oder die Atmosphäre im Stadion sprechen hört, wäre man geneigt zu glauben, er redet gerade über den Speiseplan in der Kantine am Trainingsgelände.
Dieser Langmut, dieser stoische Zugang bei öffentlichen Auftritten, brachte dem Trainer anfangs viel Kritik ein. Diese Art würde sich negativ auf die Mannschaft auswirken, die ohnehin psychologisch nach all den Abgängen schon in den Seilen hängen würde. Die Ergebnisse blieben zwischendurch aus und einige Spieler waren ganz offensichtlich in dieser Zeit nicht ganz auf der mentalen Höhe.
Plötzlich liegt in der Ruhe die Kraft
Säumel blieb sich aber treu. Er ließ bei Pressekonferenzen zwar den einen oder anderen Satz fallen, den man als Motivationsgeste deuten konnte. Wie er nach außen auftrat, blieb aber unverändert. Man kann in die Kabine einer Fußballmannschaft abseits von Instagram-tauglichem Siegesgeschrei und hart an der Schmerzgrenze vorbeischrammendem Co-Trainer-Motivationsgerede, nicht hineinschauen.
Dort scheint aber irgendwas ganz gut zu funktionieren. Und wie es im Fußball oft so ist, erweisen sich im Laufe der Zeit Dinge, die zuerst skeptisch betrachtet wurden, später als gar nicht so schlecht. In der Ruhe liegt die Kraft – selten hat ein Spruch besser gepasst als zur aktuellen Situation des SK Sturm.
Auch nach noch so turbulenten Spielen, wie der 0:1-Heimniederlage gegen die Austria, lässt sich Jürgen Säumel nicht zu einer emotionalen Nachbetrachtung hinreißen. Das ist im und um den Klub sonst kaum jemandem gelungen. Genauso bleibt der Mann an der Linie bei sich, wenn gerade Red Bull Salzburg mit 4:2 vor einem Tollhaus in Liebenau abgefertigt wurde.
Stabilität bringt Sturm wieder in die Spur
Die anfangs kritisierte Attitüde von Säumel, ist plötzlich etwas, das Stabilität ausstrahlt. Und vielleicht war es genau das, was in der Phase der taumelnden Mannschaft, als wesentliche Akteure wie Otar Kiteishvili oder Gregory Wüthrich ganz offensichtlich neben den Schuhen standen, Sturm wieder in die Spur gebracht hat. Der Coach ist stabil. Alles, was passiert, passiert hinter dieser Wand.
Jürgen Säumel wird mit verschränkten Armen die Spiele verfolgen. Und egal, wie sie ausgehen, aus der Ruhe bringen wird es ihn nicht.
Das ist nicht immer einfach anzusehen und anzuhören. Es ist für Journalisten mitunter frustrierend. Aber es ist ein Weg, wie man diesen Job in der Außendarstellung anlegen kann. Nach innen bekommen Säumel und seine Assistenten Sargon Duran und Michael Madl den Laden immer besser in den Griff.
Die namhaften Abgänge wurden über das Kollektiv abgefangen, das Team lässt sich durch schwierige Phasen wie die Doppel-Niederlage gegen Austria Wien oder viele Ausfälle nicht aus der Ruhe bringen und was auf der Bank während eines Spiels entschieden wird, bestätigt sich in der Regel durch die entsprechende Wirkung auf dem Feld.
Einer wird bei sich bleiben
Jetzt geht es nach Hütteldorf, tausende Schwoaze kommen mit und hoffen auf eine vorzeitige Fixierung des Meistertitels im Heimstadion von Rapid. Die Euphorie ist groß, die Aufregung auch. Die Fanszene holt das erste Mal tief Luft, für den großen Coup, den Titel nach dieser Saison tatsächlich noch einmal zu holen.
Oder es kommt zum großen Finale gegen Dietmar Kühbauer in Liebenau. Ein Szenario, das schon jetzt allen Sturmfans die Knie schlottern lässt. An einen in Graz meisterfeiernden WAC, wagt aktuell niemand zu denken.
An einem wird das zumindest äußerlich alles vorüberziehen. Jürgen Säumel wird nicht von seinem Weg abweichen. Er wird mit verschränkten Armen die Spiele verfolgen. Und egal, wie sie ausgehen, aus der Ruhe bringen wird es ihn nicht.
Jürgen Pucher ist Buchautor, Politikwissenschaftler, Fußballjournalist und praktizierender Sturmfan in Wien. Der Steirer war Mitgründer der Fanplattform Sturm12.at. Seit 2015 ist Pucher als Betreiber des Podcast BlackFM aktiv, der sich den "Schwoazn" widmet. Für 90minuten.at schreibt er in regelmäßigen Abständen die Kolumne "12 Meter".