Sturm kam in den Celtic Park und nach 15 Minuten Spielzeit hing der Grazer Himmel voller Geigen. Tomi Horvat schickte einen Ball aus 20 Metern auf die Reise, der sein Ziel im linken Kreuzeck hinter Goalie Kasper Schmeichel fand. Ein Gemälde von einem Tor.
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Die 2.500 mitgereisten Sturm-Fans waren nach einer Viertelstunde schon im emotionalen Ausnahmezustand. Es sollte allerdings bereits der Höhepunkt dieses Abends im Europa-League-Spiel in Glasgow gewesen sein. Einmal klopfte Otar Kiteishvili noch an die Außenstange, dann war Sturm damit beschäftigt, im Minutentakt nach schottischen Großchancen durchzuschnaufen.
Spielbericht: Sturm verliert trotz Traumtors in Glasgow >>>
Sturm schenkt das Momentum her
Im Spiel der Säumel-Elf zeigte sich etwas, das schon in der Liga in letzter Zeit immer wieder zu erkennen war. Nach einer Führung setzt bei den Schwoazn der Rückzugseffekt ein. Die Mannschaft wird passiv-reaktiv und gibt das Heft des Handels aus der Hand.
In der Partie am Donnerstag hat Sturm sein Gegenüber wieder zurück ins Leben geholt, das ganz offensichtlich aktuell nicht am Höhepunkt seiner Schaffenskraft ist.
Gegen Teams wie Blau-Weiß Linz können die Grazer sich dieses Heft nach Rückschlägen wieder zurückholen. Gegen Kaliber wie Celtic Glasgow lässt sich der Spieß dann nicht mehr umdrehen. In der Partie am Donnerstag hat Sturm sein Gegenüber wieder zurück ins Leben geholt, das ganz offensichtlich aktuell nicht am Höhepunkt seiner Schaffenskraft ist.
Die keltische Abteilung aus Glasgow war vor dem Spiel schon in der Krise, es setzte in der Liga eine Niederlage gegen Schlusslicht Dundee und in den Pubs der Stadt konnte der interessierte mitreisende Grazer Fan an jedem Tresen erfahren, dass Trainer Brendan Rodgers angezählt sei.
Baustelle Rechtsverteidiger
Diese Verunsicherung war der Celtic-Elf am Feld dann auch anzusehen. Nach der Sturm-Führung waren die Schotten dann endgültig vorbereitet, um aus der Bahn geworfen zu werden. Aber Sturm ließ sie aufkommen, zog sich zurück und überließ den Gastgebern Chance um Chance, um wieder Fahrt aufzunehmen.
Tim Oermann ist kein guter Rechtsverteidiger. Jeyland Mitchell, der ihn nach 45 Minuten erlöste, stabilisierte die Seite defensiv ein Stück weit, ist aber im Spiel nach vorne nahe dran an einer Vorgabe.
Bis zur Pause ging das noch irgendwie gut, nach einer Stunde und weiteren Hochkarätern für Celtic, besorgte ein Doppelschlag der Heimmannschaft die Wende und den Endstand dieses Abends. Neben der mentalen Angelegenheit, der Passivität nach der Führung, zeigen sich auf internationaler Ebene die Schwachpunkte dieser Sturm-Mannschaft zudem offensichtlicher als in heimischen Gefilden.
Tim Oermann ist kein guter Rechtsverteidiger. Jeyland Mitchell, der ihn nach 45 Minuten erlöste, stabilisierte die Seite defensiv ein Stück weit, ist aber im Spiel nach vorne nahe dran an einer Vorgabe. Tomi Horvat, im Mittelfeld vor dem Rechtsverteidiger, ist offensiv die bekannte Zaubermaus, hat defensiv aber mitunter massive Schwächen und entblößt somit diese Seite noch weiter.
Sinnbild Tochi Chukwuani
Dort hat Trainer Jürgen Säumel definitiv den größten Handlungsbedarf. Und Sportchef Michael Parensen sollte jetzt beginnen, sich für die Jänner-Transferzeit nach einem Upgrade für diese Position umzusehen. Man könnte bei Jusuf Gazibegovic anrufen, der unter dem aktuellen Kölner Trainer wohl kein Stütze mehr werden wird.
Seine guten Momente, die er hat, weil er ein hoch veranlagter Fußballer ist, machte Chukwuani durch zögerliche und am Ende falsche Entscheidungen sofort wieder kaputt.
Und ganz vorne zeigte sich, dass es allen eingesetzten Stürmern an diesem Abend an der Fähigkeit fehlte, gegen ein starkes Innenverteidiger-Duo die Bälle festzumachen und die Luftduelle für sich zu entscheiden. Letztere verlor Sturm nahezu zu 100 Prozent, in der Ballbehauptung sieht die Statistik kaum besser aus.
Sinnbildlich für den am Ende gebrauchten Abend in Schottland manifestierte sich all das in der Person Tochi Chukwuani, der zum wiederholten Male im Zweikampf zu spät kam und schließlich mit offener Sohle das Bein des Gegners statt den Ball traf. Er flog dafür völlig zurecht vom Platz. Die eingangs erwähnte Passivität war an ihm das ganze Spiel besonders gut zu sehen. Seine guten Momente, die er hatte, weil er ein hoch veranlagter Fußballer ist, machte er durch zögerliche und am Ende falsche Entscheidungen sofort wieder kaputt.
Boring Celtic Park
Jürgen Säumel sollte nach dem Spiel sagen, solche Spiele würden seine Mannschaft stärker machen, es gäbe so viel daraus zu lernen. Stimmt ganz sicher, in erster Linie gilt es bei Sturm aber am Mindset zu arbeiten und die Unsitte der Erstarrung nach Führungen schleunigst auszutreiben. Torschütze Horvat hielt im Interview nach dem Spiel fest: Wir waren nicht vorsichtig genug. Mit ihm sollte Säumel als erstes reden, war doch das glatte Gegenteil der Fall.
An personellen Schrauben in der Abwehr kann erst im Winter gedreht werden und in der Offensivabteilung muss der Sturm-Coach seinen Leuten verdeutlichen, dass sie viele Voraussetzungen für mehr Präsenz und Durchschlagskraft hätten, diese aber auch abrufen müssten. Gegen den WAC und Rapid folgen die Liga-Probegalopps, bevor es gegen Nottingham zur nächsten Europacup-Bewährungsprobe kommt.
Eine abschließende Anmerkung noch zum sagenumwobenen Celtic Park. Auch dort zeigt sich, wie verwöhnt österreichische Stadionbesucher von den großen Fangruppen dieses Landes sind. Auf der Insel herrscht nicht nur in der Premier League, sondern auch in Schottland gepflegte Langeweile auf den Rängen. Ab und an einmal ein Raunen, ein kleiner Lärm nach dem Torerfolg und 15 Minuten vor dem Ende geht der Schotte nachhause. How boring.
Jürgen Pucher ist Buchautor, Politikwissenschaftler, Fußballjournalist und praktizierender Sturmfan in Wien. Der Steirer war Mitgründer der Fanplattform Sturm12.at. Seit 2015 ist Pucher als Betreiber des Podcast BlackFM aktiv, der sich den "Schwoazn" widmet. Für 90minuten.at schreibt er in regelmäßigen Abständen die Kolumne "12 Meter".
Jürgen Pucher