Pulverl zum Frühstück und Herzogs wilde Flucht
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Pulverl zum Frühstück und Herzogs wilde Flucht

Was rund ums ÖFB-Team bei der WM 1990 in Italien wirklich passiert ist. Andreas Herzog, Andreas Ogris, Peter Schöttel und Co. packen aus.

90minuten widmet sich in seinem neuesten Themen-Schwerpunkt der WM 1990. Die Euphorie in Österreich war vor dem Turnier groß, die Enttäuschung danach auch.

In einer Oral History erzählen die damaligen ÖFB-Stars Andreas Herzog, Andreas Ogris, Peter Schöttel sowie Peter Rietzler, Alt-Chefredakteur von LAOLA1, was damals hinter den Kulissen wirklich passiert ist.

Es ist eine Geschichte von missglückten Trainingslagern, Pulverl zum Frühstück, einem bei den Trainings glänzenden Pensionisten, Kartnigs Auto und Herzogs Abenteuer in einer Bar in Florenz.

Die Vorbereitung: Enge Quali, dann Geheimfavorit

Toni Polster schoss Österreich zur WM
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Toni Polster schoss Österreich zur WM

Nach einer WM-Quali mit Hängen und Würgen, in der sich das ÖFB-Team im letzten Spiel gegen die im Zerfall befindliche DDR mit 3:0 durchsetzt, spielen die Österreicher eine fantastische Vorbereitung. Zumindest nach dem 0:0 gegen Ägypten in Kairo.

Im März wird Spanien in Malaga nach 0:2-Rückstand noch 3:2 besiegt, im April gelingt ein deutliches 3:0 gegen Ungarn. Anfang Mai erreichen die Österreicher im Praterstadion gegen den amtierenden Weltmeister Argentinien mit Diego Maradona ein 1:1. Und kurz vor dem Start ins Turnier bricht nach einem 3:2-Sieg in Wien gegen den amtierenden Europameister Holland endgültig Euphorie aus.

Rietzler: Wolfgang Winheim hat damals beim "Kurier" händeringend zu verhindern versucht, dass das Team auf der Titelseite als WM-Favorit bezeichnet wird. Je näher die WM gekommen ist, umso mehr hat sich das aufgeschaukelt.

Herzog: Ja, in Österreich geht das schnell.

Schöttel: Wir waren Geheimfavorit. Am lebendigsten in meinem Kopf ist das Spiel gegen Argentinien, es war das einzige Mal, dass ich gegen Maradona gespielt habe. Das war cool.

Rietzler: Damals habe ich in meiner Anfangszeit als Journalist miterlebt, was "himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt" heißt. Die Menschen haben nicht geglaubt, dass die Mannschaft die Quali schafft. Nach den Testspielen waren wir auf einmal schon Weltmeister. Es gab kein Mittelmaß.

Schöttel: Wir haben uns im Vorfeld natürlich Hoffnungen gemacht, dass wir da in der Gruppe drüberkommen.

Ogris: Worüber nie jemand ein Wort verloren hat: Nach dem Holland-Spiel sind wir nach Brixen auf ein Trainingslager gefahren. Das war schon ein bisschen komisch. Wir sind um 1 Uhr in der Früh angekommen, am nächsten Tag haben wir um 9 Uhr in der Früh die ersten Sprints gemacht. Da sind einige Spieler mit einem Muskelkater herumgelaufen. Wir haben viel im Ausdauer-, weniger im Taktik-Bereich gearbeitet. Wir haben trainiert wie die Geisteskranken. Das war nicht gut gewählt. Das war nicht förderlich für die Stimmung.

Der Kader: Ausgebooteter Kapitän, kaum Erfahrung

Heribert Weber - 1989 bestritt er sein letztes Länderspiel
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Heribert Weber - 1989 bestritt er sein letztes Länderspiel

Der Kader ist jung. Von den 23 Spielern sind nur Klaus Lindenberger (33), Christian Keglevits (29), Michael Konsel (28), Manfred Linzmaier (27), Toni Polster (26) und Andreas Reisinger (26) über 25 Jahre alt. Nicht mit von der Partie ist der 34-jährige Abwehrchef Heribert Weber. Im Vorfeld des Quali-Spiels gegen die DDR hatte er sich mit Teamchef Hickersberger überworfen.

Herzog: Weber hatte am Montag eine Zahn-OP, Hicke hat zu ihm gesagt: "Wenn du am Donnerstag nicht trainierst, spielst du am Samstag nicht." Weber war Kapitän, hat das nicht ernst genommen und nicht trainiert. Dann wollte ihn Hickersberger auf die Bank setzen, das wollte Weber nicht. Daraufhin hat ihn Hickersberger nachhause geschickt. Das hätte er im zunehmenden Alter anders gelöst.

Ogris: Die Entscheidung zu Heri Weber hat die Mannschaft belastet, aber sie war zu akzeptieren. Das Zerwürfnis zwischen den beiden hat sich nicht mehr kitten lassen.

Rietzler: Wir haben uns gewundert, dass sich Hickersberger das traut, den gestandenen Abwehrchef Weber auszubooten und den jungen Ernst Aigner mitzunehmen.

Schöttel: Das war schon eine spannende, überraschende Entscheidung damals.

Herzog: Uns hat die Reife gefehlt. Bei der WM war ein ganz anderer Druck da, du stehst in der Weltöffentlichkeit. Für mich als 21-Jährigen war das alles sehr beeindruckend, ich habe mir zu viele Gedanken gemacht, war verkrampft und nervös. Uns hat ein Schuss Erfahrung gefehlt, Spieler, die uns Junge darauf vorbereiten können, was da passiert.

Teamchef Hickersberger: Vom Spielertrainer in Traisen zum WM-Coach

Josef Hickersberger war kein Publikumsliebling
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Josef Hickersberger war kein Publikumsliebling

Der Teamchef selbst ist damals erst 42 Jahre alt. 1987 hatte er – zuvor Spielertrainer bei Traisen – als Co-Trainer von Teamchef Branko Elsner und gleichzeitig U21-Coach beim ÖFB angeheuert. Nach Elsners Aus Ende 1987 forderte die Öffentlichkeit Otto Baric als neuen Coach, doch Hickersberger wurde zum Teamchef befördert.

Rietzler: Hickersberger war am Anfang nicht wirklich beliebt, hatte einen schweren Stand, aber die Quali geschafft. Dann hat der ÖFB die Chance gewittert, mit Ernst Happel als Teamchef zur WM zu fahren. Happel hat aber gesagt: "Der Hicke ist der richtige, er soll zur WM fahren."

Herzog: Hickersberger hatte ein richtig gutes Standing in der Mannschaft. Wir hatten den absoluten Glauben an ihn – er war als Spieler und Trainer erfolgreich.

Rietzler: Er war immer ideal auf Pressekonferenzen vorbereitet, hat sich immer eine Geschichte überlegt, das war Storytelling. Er war ein richtig feiner Mensch, auch mit den gegnerischen Trainern. Er hat auch die Kritik sehr gut wegmoderiert.

Ogris: Jede seiner Aufstellungen wurde 15 Mal hinterfragt. Das war für ihn, aber auch für uns Spieler, keine leichte Situation.

Schöttel: Er war nicht nur ein sehr guter Trainer, sondern konnte auch sehr gut mit Menschen umgehen. Er war sehr geschickt und schlau in seinem Handeln.

Prohaska: Man braucht sich nur den Werdegang von Hicke anschauen. Der ist ein gscheiter Bursch. Er war ein guter Kicker, auch als Trainer erfolgreich. Natürlich könnte man im Nachhinein immer etwas besser machen und sagen. Ich habe mich während der WM nie in seine Sachen eingemischt, aber natürlich haben wir ab und zu über die kommenden Gegner oder unsere Spieler gesprochen.

Herbert Prohaska: Der Botschafter in Topform

Der "Schneckerl" geigte nur noch bei den Trainings
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Der "Schneckerl" geigte nur noch bei den Trainings

Warum Prohaska? Der "Schneckerl" war als Attaché mit bei der WM. Der ehemalige Italien-Legionär hatte seine Karriere ein Jahr zuvor beendet. In Italien ließ er es sich aber nicht nehmen, bei Trainingseinheiten mitzuwirken. Sein letztes Länderspiel bestritt er in der WM-Quali beim 0:0 auswärts gegen Island. An der Seite von Andi Herzog.

Herzog: Er hat aufgehört und ich bin der "neue Prohaska" geworden. Das war eine Verantwortung. Hickersberger hat dann die Entscheidung getroffen, ihn zurückzuholen. Für mich war das ein wichtiges Zeichen. In den Spielphasen, in denen ich mich nicht so gut gefühlt habe, habe ich ihm den Ball überlassen.

Herzog: Wir haben vor dem WM-Auftaktspiel im Training ein 11 gegen 11 gespielt. Einer hat gefehlt, also hat Hicke ihm gesagt, er solle mitspielen. Er war mit Abstand der beste Mann am Platz. Das war für uns nicht so schön, da ist der Rentner gekommen und hat gezaubert.

Ogris: Er hat teilweise ganz normal mit uns mittrainiert. Da hast du gesehen, welche Qualität er immer noch hat. Damals war jedes Training öffentlich, die Journalisten haben zugeschaut und wenn sie gesehen haben, wie er gekickt hat, ist schon wieder die Frage gekommen, ob der nicht spielen sollte.

Rietzler: Er war in einer Bombenform. Italien war genau seines – die Sprache, die Lebensweise.

WM-Quartier: Alm, Gefängnis, Raucherzimmer

Untergebracht war das Team in der Villa Medicea Paggeria in Artimio, einer Ende des 16. Jahrhunderts erbauten Medici-Villa irgendwo im Nirgendwo der Toskana. Der Weinkeller wurde zum Pressezentrum umfunktioniert. Die Unterkunft erfreute sich unterschiedlicher Beliebtheit.

Ogris: Das Quartier selbst war richtig schön. Wenn du im Urlaub absolute Ruhe haben willst, musst du genau dort hin. Wenn du bei einer WM bist, ist es aber schon auch wichtig, irgendwann mal das Quartier verlassen und einen Kaffee trinken oder spazieren gehen zu können. Du durftest aber nicht raus, das haben dir die Carabinieri verboten. Es war eher Gefängnis als Quartier.

Schöttel: Der Ogerl war immer eher einer, der gerne rausgegangen ist. Ich habe das Quartier extrem toll gefunden. Es war halt weit weg vom Schuss.

Rietzler: Heimo Pfeifenberger und die Tiroler haben geschwärmt, es war wie auf der Alm.

Herzog: Es gab dort Zweier-Bungalows. Ich war mit Kurt Russ im Zimmer, daneben waren Michi Baur und Otto Konrad. Otto ist jeden Tag um 7 Uhr in der Früh aufgestanden, mit dem Rad den Hang runter und wieder rauf gefahren. Dann hat er ganz laut "Hey, hey Wickie!" aufgedreht und alle aufgeweckt.

Ogris: Du bist zum Frühstück gekommen, da sind fünf Pulverl gelegen, die du nehmen musstest – Vitamine und weiß der Kuckuck was. Ich habe die nicht genommen. Uns wurde gesagt, die Deutschen würden das auch so machen.

Herzog: Es gab dort einen Pool. Heutzutage ist es hochmodern, nach dem Training in den Pool zu springen und "auszuschwimmen". Die Fotografen sind auf den Bäumen gehängt und haben Fotos gemacht, wie wir nach den Einheiten in den Pool gesprungen sind. Wir sind damals verrissen worden! Es hat geheißen: "Die sind auf Urlaub in Italien!"

Ogris: Unsere Karten-Partien haben das eine oder andere Mal länger gedauert. Im Zimmer war das Rauchen erlaubt. Wir haben damals alle Muratti geraucht. Wenn du ins Zimmer gekommen bist, bist du in eine Nebelwand gelaufen, da hast du nichtmal gesehen, wer am Tisch sitzt. Der Aschenbecher war so voll, dass du die Zigaretten nicht mehr ausdämpfen, sondern nur noch auf die anderen drauflegen konntest.

Schöttel: Ich war mit Robert Pecl im Zimmer. Geraucht wurde bei uns nicht, aber am Abend hat öfters der Teamchef angeklopft, um mit uns eine Runde Würfelpoker zu spielen. Er hat sich immer mit dem Codewort "Assenbaron" gemeldet.

Italien: 0:1 im Stadio Olimpico

Siegtorschütze Toto Schillaci
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Siegtorschütze Toto Schillaci

73.000 Fans und Gastgeber Italien empfingen das ÖFB-Team am 9. Juni im Römer Stadio Olimpico. Vier Minuten nach seiner Einwechslung erzielte der spätere Torschützenkönig Toto Schillaci in der 79. Minute nach einer Flanke von Gianluca Vialli per Kopf das einzige Tor.

Ogris: Ich wusste, wer Toto Schillaci ist, dass der bei dieser WM so einschlägt, habe ich nicht geahnt.

Herzog: Der Platz war so schön, da hast du kein Loch gefunden, ein Traum. Christian Keglevits war verletzt. Es gab ein Training, da hat Hickersberger zu ihm gesagt, dass er nicht im Kader ist, wenn er heute nicht trainieren kann. Keglevits hat die Zähne zusammengebissen, wurde in den Kader aufgenommen. Wir sind nach Italien gefahren und er konnte wegen der Verletzung nicht mehr trainieren. Wir sind alle mit einer gewissen Anspannung auf den Platz und er ist wie ein chinesischer Tourist mit der Kamera herumgelaufen.

Ogris: Es ist etwas Besonderes, wenn du ins Römer Olympiastadion kommst, und da sind 73.000 Leute.

Schöttel: Der Weg von der Kabine auf den Platz war elendiglich weit, das ist mir in Erinnerung geblieben. Ich habe im Mittelfeld gespielt, mein direkter Gegenspieler war Carlo Ancelotti. Das finde ich inzwischen richtig cool.

Herzog: Das Gefühl bei der Hymne, war das größte. Italien, die Serie A, das war damals das Nonplusultra. Ich habe die Italiener geliebt!

Ogris: Es hätte zur Halbzeit schon 3:0 für Italien stehen können. Das war schon Extraklasse, was die Italiener in ihren Reihen hatten.

Herzog: Beim Stand von 0:0 kommt eine Flanke von rechts, Giuseppe Bergomi erwischt ihn nicht, mir rollt der Ball beim Volley übers Schienbein und ich schieße drei Meter daneben. Wenn ich da das 1:0 gemacht hätte, würde ich heute noch die Ehrenrunden rennen, da hätte mich nie wieder einer eingefangen.

Rietzler: Man hat sich über das Gegentor geärgert, aber es ist halt passiert. Nur die größten Optimisten haben geglaubt, dass wir da gewinnen. Alle waren überzeugt, dass es mit dem Aufstieg schon klappen wird.

Tschechoslowakei: 0:1, ein Rückpass und ein Gerücht

Unglücksrabe Toni Pfeffer
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Unglücksrabe Toni Pfeffer

Im Duell mit der Tschechoslowakei steht Österreich schon unter Zugzwang. Es geht schief.

Nach einer halben Stunde spielt Toni Pfeffer einen katastrophalen Rückpass, Goalie Klaus Lindenberger zögert und legt, als er doch noch aus dem Tor eilt, Jozef Chovanec. Michal Bilek verwandelt den Elfer, Österreich verliert 0:1. Dabei war zu diesem Zeitpunkt schon praktisch klar, dass ein Remis wohl beiden Nationen zum Aufstieg reicht, sofern Österreich danach noch die USA besiegt.

Herzog: Ich habe folgende Erinnerung: Der tschechische Trainer hat zu Hickersberger gesagt: Spielen wir Unentschieden, die USA schlagt ihr sowieso, dann sind wir beide weiter. Hicke hat gesagt, dass er das nicht macht.

Ogris: Wenn das so war, hätten wir es nehmen sollen. Ich kann es mir aber nicht vorstellen, das ist ein Gerücht.

Rietzler: Ich kenne diese Geschichte auch, ich glaube aber nicht, dass das wirklich so war. Dafür war Gijon zeitlich noch zu nahe.

Schöttel: Es war so heiß an diesem Tag in Florenz, es hatte gefühlt 100 Grad.

Ogris: Man kann heute noch immer streiten, ob es nur ein schlechter Rückpass war, oder ob Lindenberger auch zu sehr auf der Linie gepickt ist.

Herzog: Der Toni war zwei Wochen lang komplett fertig. Das war damals schon schlimm, ich will gar nicht darüber nachdenken, was er heute zu Zeiten von Social Media mitmachen würde. Das hat ihm sicher ein paar Jahre in der Nationalmannschaft gekostet.

Ogris: Für den Toni war das ein Genickbruch. Dieser Rückpass hat bei ihm etwas ausgelöst, das hat er lange "mitgezaht". Das hat ihn eine lange Zeit begleitet. Heute lacht er darüber, wenn du ihn darauf ansprichst.

Rietzler: Es ist so schnell gegangen. Auf einmal war alles schlecht und negativ, die ganzen Geschichten sind wieder aufgebrochen. Die Tschechen waren ein richtiger Partycrasher.

USA: 2:1, Artners Attacke, Pecl macht den Tyson, Ogris trifft

Murray bejubelt Artners Ausschluss
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Murray bejubelt Artners Ausschluss

Doch noch ist es nicht vorbei. Mit einem Sieg gegen die USA hat das ÖFB-Team die Chance, als einer der besten Gruppen-Dritten aufzusteigen.

Österreich spielt ab der 33. Minute – Peter Artner sieht nach einem rüden Foul Rot – in Unterzahl, doch nach der Pause treffen Ogris (50.) und Gerhard Rodax (63.), der Anschlusstreffer von Bruce Murray in der 83. Minute ändert nichts mehr am Sieg der Österreicher.

Ogris: Wir wollten uns für die Niederlage gegen die Tschechoslowaken rehabilitieren. Aber es war schwierig, Peter Artner hat Rot gesehen. Er hat es in dieser Situation ein bisschen übertrieben. Daran merkt man, wie groß die Anspannung war – jeder hat einen Sieg erwartet, der uns ja auch gelungen ist.

Rietzler: Artner war in der Quali ganz wichtig, er war der Leib-Gendarm für Spieler, die Hickersberger aus dem Spiel nehmen wollte, 90 Minuten lang eine Klette. Artner ist im Glauben, Stammspieler zu sein, zur WM gefahren. Er wurde aber gegen Italien nach einer Stunde ausgewechselt und hat gegen die Tschechoslowaken keine Minute gespielt. Der war brennhaß. Er hat es als Beleidigung empfunden, und gegen die USA einfach den Erstbesten umgesenst. Er hat nachher gegenüber Journalisten sogar gesagt, dass er es dem Hicke zeigen wollte. In diesem Lager hat sich viel aufgestaut.

Herzog: Robert Pecl hat gegen Bruce Murray gespielt, ein Hüne. Nach dem Foul war eine Rudelbildung. Murray und Pecl kriegen sich in die Haare. Ich nehme Murray von hinten und sag ihm auf Englisch: "Sei ned deppat, der ist richtig hart, der tut dir sonst weh." Murray dreht sich um und hat zwei komplett verschwollene Augen – der hat ausgeschaut, als ob er gegen den Mike Tyson geboxt hätte. Er sagt: "Hey guy, look at my eyes!" Ich frag den Pecl, was war, sagt der: "Nix, beim ersten Ausschuss hab ich ihm mit dem linken Ellbogen eine gegeben, beim zweiten mit dem rechten."

Ogris: 51. Minute. Eckball für die USA, ich war eingeteilt, irgendwo am Sechzehner abzusichern, falls ein Abpraller kommt. Das gegnerische Tor war gefühlt kilometerweit entfernt. Rodax verlängert per Kopf, der Ball fällt mir vor die Füße. Ich sehe zwei Amerikaner und denke mir: Da renn' ich halt vorbei. Ich habe alles, was ich hatte, in diesen Sprint gelegt. Der Tormann kommt raus, ich lupfe ihn drüber. Für mich hat sich mit diesem Tor die Tür ins Ausland aufgemacht. Es war für mich ein versöhnlicher Abschluss dieser WM.

Toni Polster: Der enttäuschende Goalgetter

Toni Polster: Der enttäuschende Goalgetter
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Die einzigen beiden ÖFB-Tore fallen just, als Toni Polster gegen die USA zur Pause ausgewechselt wurde. Der Wiener ist der einzige Legionär im ÖFB-Kader und der große Star. Er hat die Saison beim FC Sevilla mit 33 Toren in 35 Spielen beendet.

Doch in der Heimat wird das nicht gewürdigt. Vor dem entscheidenden Quali-Spiel gegen die DDR wird Polster im Praterstadion von 58.000 Fans ausgepfiffen. Er "bedankt" sich mit einem Triplepack, fixiert beim 3:0 also praktisch im Alleingang die WM-Teilnahme. Bei der WM bleibt er torlos und enttäuscht.

Ogris: Diese Anfeindungen in der Quali haben in ihm schon etwas ausgelöst. Wenn dich ein Stadion mit 58.000 Zuschauern auspfeift, verursacht das etwas in dir. Das hat bei ihm sicher mitgespielt. Es war eine extrem schwierige Situation für ihn.

Herzog: Er war der Superstar, war auf einem anderen Level. Unsere Freundschaft hat sich erst später entwickelt, ich war damals erst sein Lehrbua.

Schöttel: Er war immer einer von uns, war Teil der Mannschaft, wurde nie anders behandelt.

Rietzler: Er war unser Aushängeschild, das wussten die Gegner ganz genau. Sie wollten ihn aus dem Spiel nehmen, das hat er gemerkt. Er wurde richtig gut zugedeckt.

Ogris: Der Hauptgrund war, dass die Meisterschaft in Spanien schon ziemlich zeitig zu Ende war. Er hatte dann verschiedenste Feierlichkeiten, unter anderem seine Hochzeit. Vielleicht war er nicht mehr unter der Spannung, die notwendig ist, um eine WM zu spielen. Er hat versucht, sein Bestes zu geben. Aber wie es bei diesen Extrem-Torjägern – und für mich bleibt er der beste österreichische Stürmer, den wir jemals hatten – so ist... Seine Formkurve ist zum falschen Zeitpunkt nach unten gegangen.

Herzog: Wenn ich schon älter und ein Führungsspieler gewesen wäre, hätte ich damals gegen die USA schon gesagt: "Trainer, bist wahnsinnig, wieso tauschst du den Toni aus!?! Wir brauchen ein Tor!"

Ausscheiden: Abflug mit zwei Tagen Verzögerung

Ausscheiden: Abflug mit zwei Tagen Verzögerung
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Nach dem Sieg gegen die USA dauert es noch zwei Tage, bis Gewissheit herrscht. Das 1:1 zwischen Irland und den Niederlanden fixiert das Ausscheiden der Österreicher.

Herzog: Als das Spiel aus war, sind ein paar in den Garten gegangen, ein paar aufs Zimmer, viele haben geweint.

Schöttel: Das Warten war schwierig, richtig schirch. Wir sind unsere Runden um den Pool gegangen. Am Ende war die Enttäuschung riesig.

Die Party: Kartnigs Auto und Herzogs wilde Flucht

Hannes Kartnig, am Bild ohne Mercedes
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Hannes Kartnig, am Bild ohne Mercedes

Zum Abschluss gibt es eine Feier. Oder zwei? Die Berichte darüber gehen auseinander. Tatsache ist aber, da war was los.

Schöttel: Manche haben nach dem Ausscheiden intensiv gefeiert. Ich weiß nur noch, dass sie irgendetwas in den Pool geschmissen haben, ich glaube, es waren Gartensessel. Sollte was kaputtgemacht worden sein, ich war nicht dabei.

Ogris: Wir haben das Quartier nicht verlassen. Obwohl wir ausgeschieden sind, war die Stimmung in Ordnung. Hannes Kartnig war das absolute Highlight – er war damals mit als Marketing- oder Verkaufschef des ÖFB. Wir hatten nur ein kleines Radio mit, haben Musik gespielt, sind zusammengesessen, haben Schmäh geführt und das eine oder andere Bier getrunken.

Dann kommt Kartnig mit seinem 500er Mercedes, macht die Türen und den Kofferraum auf und dreht die Soundanlage, die ein Vermögen gekostet hat, voll auf. Wir haben dort draußen richtig Gas gegeben. Und dann sind alle Spieler über sein Auto drübergegangen. Da hat er zum ersten Mal ein bisschen geschwitzt. Es war eine kleine Feier. Das war nach dem Spiel gegen die USA.

Prohaska: Da war so eine große Antenne oben auf dem Auto, die wurde dann von Keglevits und anderen immer wieder herumgebogen als sie auf dem Auto gestanden sind.

Rietzler: Es gab aber auch noch eine Feier, nachdem das Ausscheiden endgültig festgestanden ist.

Ogris: Ja, aber das war ein Kasperltheater, ein Kindergeburtstag.

Andreas Herzog, am Bild ohne Vanillekrapferl
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Andreas Herzog, am Bild ohne Vanillekrapferl

Herzog: Wir waren in der Stadt zum Essen. Nachher haben mich Heimo Pfeifenberger und Kurt Russ überredet, dass wir noch in eine Bar in Florenz gehen. Wir haben dort mit zwei Tirolerinnen geplaudert. Irgendwann haben Leute bemerkt, dass wir Österreicher sind und uns verarscht. In dem Sommer ist Roberto Baggio von der Fiorentina zu Juve gewechselt. Da hat Pfeifenberger keine bessere Idee, als "Juve, Juve!" zu schreien.

Watsche links, Watsche rechts. Zwei untersetzte Italiener mit Zopf dreschen ihn her. Heimo raus aus der Bar, Kurt Russ rennt an denen vorbei, haut einem eine in die Goschn und sprintet weiter. Ich stehe an der Bar mit zwei Vanillekrapferl in der Hand, hab das alles gar nicht mitbekommen. Die zwei Italiener drehen sich zu mir um, ich hau' die Krapferl runter und denke mir: "Herzerl, jetzt musst schneller rennen als gegen die Amis und die Itaker."

Ich sprinte Pfeifenberger und Russ hinterher, die beiden haben in der Morgendämmerung geglaubt, ich bin ein Italiener, sind immer schneller geworden. Das war die schnellste Kilometer-Zeit meines ganzen Lebens. Bei einem Park haben die beiden dann auf mich gewartet. Dort sehen wir, dass ein Taxi vor dem Lokal stehenbleibt und dann auf uns zukommt. Pfeifenberger und Russ sind wieder gelaufen, ich konnte nicht mehr, hab mich im Park hinter einem Gebüsch versteckt.

Das Taxi bleibt genau vor mir stehen. Ich dachte mir: "Jetzt steigen die Italiener aus und hauen mir mit dem Baseballschläger den Schädel ein." Auf einmal höre ich im Tiroler Dialekt: "Jo, wo bist denn?" Ich spring übers Gebüsch, sag nur: "Jo, des gfreit mi!" Steig zu den Mädels von vorher ins Taxi. Wir haben Pfeifenberger und Russ aufgesammelt und sind heim. Damals hatte ich wirklich Angst, heute tut es mir um die Vanillekrapferl leid.

Das Nachspiel: Verkürzte Urlaube und harte Kritik

Hans Krankl gefiel das alles gar nicht
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Hans Krankl gefiel das alles gar nicht

Vor dem Turnier träumten die Fans insgeheim von der ganz großen Sensation, danach war die Enttäuschung entsprechend groß. Hans Krankl, zu diesem Zeitpunkt Trainer des SK Rapid, ließ kein gutes Haar an den Vorstellungen in Italien. Im Vorwort eines WM-Buchs schrieb er unter anderem:

Krankl: Wer nicht in Form ist, der muss um sie ringen. Der muss versuchen, das Glück zu erzwingen. Österreich hat sich, abgesehen vom USA-Spiel, zweite Hälfte, ergeben. Kampflos. Da wurde nichts probiert, da wurde nicht geschossen, da wurde nicht gefightet. Lauwarm. Weder Fisch noch Fleisch. Doch Kampfgeist ist das Minimum. Nicht einmal er wurde geboten – abgesehen von Robert Pecl, teilweise von Ogris, teilweise von Herzog gegen die Amerikaner. Kümmerlich, einfach nicht genügend. Das ist der wahre Skandal.

Ogris: Ich stimme Krankl da nicht zu. So war es nicht! Die Leidenschaft, dass wir etwas erreichen wollten, hatten wir schon. Wir waren auch als Mannschaft richtig gefestigt. Uns hat das Quäntchen Glück gefehlt.

Herzog: Ich bin nach der WM drei, vier Tage nach Jesolo gefahren, ich habe das nicht so mitbekommen. Meine Eltern waren bei jedem Spiel, ihre Freunde haben Trikots drucken lassen. Nach einem Spiel wurden sie auf einer Raststation von Fans als meine Eltern erkannt und geschimpft. Irgendwo ist es ein gutes Zeichen, wenn du so hart kritisiert wirst, weil die Erwartungen halt groß waren.

Ogris: Du konntest nirgends hingehen, weil dich jeder angefeindet hat. Es war eine schwierige Zeit, weil du als Versager abgestempelt warst. Es war schwer zu verarbeiten. Ich hätte eigentlich nach der WM 14 Tage frei gehabt, habe aber nach einer Woche Urlaub in Kärnten wieder zum Trainieren begonnen. Ich wollte einfach wieder Fußballspielen.

Schöttel: Es gehört zu dem Geschäft, dass du kritisiert wirst, wenn du Erwartungen nicht erfüllst. Ich für mich habe mich eher geärgert, dass ich nur eineinhalb Spiele gemacht habe, nach der Auswechslung gegen die Tschechoslowaken zur Pause nicht mehr zum Einsatz gekommen bin.

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