Der Untergang ist nah
Vor 16 Jahren gewann der FC Parma den UEFA Cup, jetzt ist er hochverschuldet und steht mit dem Rücken zur Wand. Ein Protokoll des Untergangs. Von Alexander Kords
Man stelle sich einen Fußballclub vor, in dem die Spieler ihre Trikots nach der Partie mit nach Hause nehmen, um sie dort zu waschen, weil die vereinseigene Wäscherei kein Geld für Strom hat. In dessen Kabine es keine Bänke gibt, weil sie gepfändet wurden. In dem die Jugendspieler mit kaltem Wasser duschen müssen und sich deshalb regelmäßig Erkältungen einfangen. Klingt nach tiefster Amateurklasse, oder? Der besagte Verein ist aber nicht nur ein Erstligist, sondern noch dazu einer mit jeder Menge Tradition. Es handelt sich um den FC Parma, der vor genau 102 Jahren als Verdi AC geründet wurde und als AC Parma jeweils drei Mal den Europacup und den italienischen Pokal gewann. Aktuell steht der Club abgeschlagen auf dem letzten Platz der Serie A – und kurz vor der Pleite.
Das Drama begann 2004
Das Drama begann im Jahr 2004, als der Lebensmittelkonzern Parmalat, dem der AC Parma zur damaligen Zeit mehrheitlich gehörte, Insolvenz anmelden musste. Der Verein selbst hatte einen Schuldenberg von rund 200 Millionen Euro angehäuft – trotz der lukrativen Verkäufe von Stars wie Hernán Crespo, Gianluigi Buffon und Lilian Thuram wenige Jahre zuvor. Nur weil der italienische Industrieminister Antonio Marzano rechtzeitig ein entsprechendes Gesetz eingebracht hatte, ging der Verein nicht in der Parmalat-Konkursmasse auf und konnte stattdessen unter dem Namen FC Parma neu gegründet werden. Der Nachfolgeclub übernahm die Serie-A-Lizenz – und aus dem europäischen Fixstarter wurde ein höchstens mittelmäßiger Verein. Im Jahr 2007 kaufte Tommaso Ghirardi den maroden FC Parma und investierte rund elf Millionen Euro in neue Spieler. Es half nichts, der Club stieg 2008 in die Serie B ab. Ein Jahr später kehrte er zurück in die Oberklasse, doch trotz weiterer 30 Millionen Euro von Ghirardi blieben große Sprünge aus.
Im Jahr 2013 beging der Club seinen 100. Geburtstag, zu dem sich Ghirardi nicht lumpen und seine Spieler in luxuriösen Restaurants speisen und in Sternehotels übernachten ließ. Entsprechend hoch waren die Rechnungen für die Jubiläumssausen – zusätzlich zu den laufenden Spielergehältern in Höhe von jährlich rund 40 Millionen Euro. Als sich der FC Parma im Sommer 2014 endlich wieder für die Europa League qualifizieren konnte, verwehrte die UEFA den Start – offiziell wegen einer Steuerschuld von 300.000 Euro. Bald darauf wurde jedoch bekannt, dass der Schuldenberg erneut auf fast 200 Millionen Euro angewachsen war. Unter Ghirardi, der im Dezember 2014 seine Clubanteile für einen symbolischen Euro an eine zypriotische Holding verkaufte, waren über 600 neue Spieler ge- und ebenso viele wieder verkauft worden. Vieles deutet darauf hin, dass sich Pietro Leonardi, der von Ghirardi installierte und erst Anfang März 2015 zurückgetretene Sportdirektor, mit Provisionen und Handgeldern ordentlich die Taschen vollgemacht hat. Derzeit stehen gegen Ghirardi und Leonardi Verfahren wegen betrügerischem Konkurs an. Es gilt die Unschuldsvermutung.
"Technische Schwierigkeiten"
Seit beinahe einem Jahr warten Parmas Spieler, die noch beim Krisenclub verblieben sind, auf ihre Gehälter. Andere ließen sich ausleihen oder verkaufen, der italienische Nationalspieler Antonio Cassano, eines der größten Talente des Landes, löste im Jänner 2015 sogar seinen Vertrag auf, ohne überhaupt einen neuen Auftraggeber zu haben. Im Februar kaufte Giampietro Manenti den FC Parma – wiederum für einen Euro. Manenti ist der Geschäftsführer eines slowenischen Beratungsunternehmens, das laut offiziellem Geschäftsbericht keine Angestellten und im vergangenen Jahr keine Gewinne erzielt hat. Dennoch versprach der neue Präsident bei seinem Amtsantritt, dass er die Hälfte der Schulden des Vereins übernehmen und sich auch um die ausstehenden Spielergehälter kümmern würde. Dies geschah jedoch nicht, Manenti zufolge scheiterte die Zahlung allerdings bislang lediglich an „technischen Schwierigkeiten" bei der Überweisung. Inzwischen hatte die Staatsanwaltschaft von Parma den Konkurs des Clubs beantragt, die entsprechende Prüfung findet am 19. März vor einem Insolvenzgericht statt. Zugleich schaltete die Stadt Parma wegen ausstehender Zahlungen den Strom im Stadio Ennio Tardini ab. Das zwang den FC dazu, das Ligaspiel am 22. Februar gegen Udinese Calcio abzusagen. Auch die Fahrt zur Auswärtspartie beim CFC Genua eine Woche später musste ausfallen, weil die Reisekosten zu hoch gewesen wären.
Am vergangenen Sonntag rollte der Ball wieder in Parma, der FC konnte Atalanta Bergamo empfangen. Zu verdanken ist dies der Unterstützung der Liga, die kurzfristig fünf Millionen Euro bereitstellte, damit der Tabellenletzte zumindest die Saison zu Ende spielen kann. Ganz uneigennützig ist das nicht, schließlich würde es einer Wettbewerbsverzerrung gleichkommen, wenn die ausstehenden Spiele allesamt gegen Parma gewertet würden. Zudem würde eine juristische Auseinandersetzung mit dem TV-Sender drohen, der die Übertragungsrechte hält. Was nach der Saison mit dem FC Parma passiert, steht in den Sternen. Dass der Club den Abstieg auf sportlichem Weg noch verhindern kann, ist bei schon 13 Punkten Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz äußerst unwahrscheinlich. Klappt es doch, dann scheint angesichts der drückenden Schulden eine Lizenzerteilung für 2015/2016 ausgeschlossen. Und eine untere Liga eignet sich bekanntlich nur sehr bedingt, um rund 200 Millionen Euro Verbindlichkeiten abzubauen. Wie man die Situation auch dreht und wendet: Sie ist aussichtslos – und der traditionsreiche FC Parma wohl dem Untergang geweiht. Doch Italien und Fußball sind eine besondere Kombination, weshalb die Hoffnung doch zuletzt stirbt: Ein US-Fonds hat Bereitschaft zum Einstieg in den Pleiteklub signalisiert, teilte Italiens Verbandschef Carlo Tavecchio am Montag mit. Mit Investitionen in Höhe von 50 Millionen Euro könnte der ehemalige Fußball-Europapokalsieger auf den Verbleib in der Serie A hoffen. Doch ob ein US-Fonds den Klub nachhaltig sanieren wird?