Aufregung um zurückgezogene ÖFB-Zitate: ‚Demokratiepolitischer Wahnsinn'

Für Aufregung sorgt ein kritischer Artikel der Tageszeitung „Der Standard" über die Umstrukturierung des österreichischen Fußballverbandes. ÖFB-Generaldirektor Alfred Ludwig zog seine Aussagen vor Veröffentlichung des Artikels mittels Anwalts-Schreiben zu

 

Der ÖFB schreibt derzeit viele Erfolgsgeschichten. Das A-Team ist auf dem Weg, sich zum ersten Mal in der Geschichte auf sportlichem Weg das Ticket für eine Europameisterschaft zu holen, die Euphorie rund um Marcel Koller, David Alaba, Marko Arnautovic & Co sprengt alle bisher gekannten Grenzen, die Nachwuchs-Auswahlen qualifizieren sich der Reihe nach für diverse Großevents. Wirtschaftlich wurde im Frühjahr eine mehr als solide Bilanz veröffentlicht. Unangenehmes über den ÖFB kann man dieser Tage eher selten lesen. Und wenn doch mal ein Journalist unangenehm nachfragt, scheint die Haut der ÖFB-Verantwortlichen eher dünn zu sein.

 

Schwaches Merchandising
Die Tageszeitung „Der Standard" brachte am 17. Juni 2015 einen Artikel (Fußball: ÖFB wird auf neue Beine gestellt), in dem über die Umstrukturierung innerhalb des Verbands geschrieben wird und kommt mit der Info, dass Ludwig wohl spätestens nach der Euro 2016 in Pension gehen wird. Zudem wird über das ungenutzte Potenzial im Bereich Marketing geschrieben: Nur 170.000 Euro generiere der Fußball-Verband durch den Verkauf von Merchandising-Artikeln. Für Marketing-Experten eine äußerst schwache Performance. Der Standard schreibt: „Das könnte auch daran liegen, dass der ÖFB dafür keinen Experten im Haus hat. Ludwig verlässt sich auf seinen Freund Fritz Bauer. Dessen Unternehmen Mitraco ist seit 1978 für Merchandising zuständig." Interessant: Alfred Ludwig kommt in diesem Artikel jedoch nicht zu Wort.

 

Gespräch im Café Central
Wie sich am Mittwoch jedoch noch herausstellt, haben die beiden Redakteure Tom Schaffer und Andreas Sator jedoch nicht einfach darauf verzichtet, Ludwig zu diesem Thema zu befragen. Im Gegenteil: Einige Tage zuvor, am 11. Juni, saßen die beiden Redakteure gemeinsam mit dem ÖFB-General im Café Central zusammen, um sich über dieses und andere Themen in einem Gespräch zu unterhalten. Wie vereinbart schickten die beiden Redakteure die von ihnen ausgewählten Zitate, die sie für ihren Artikel brauchen, am 12. Juni um 15:35 an den ÖFB zur Freigabe.

 

ÖFB zieht Zitate zurück
Danach geht es erst so richtig los: Der ÖFB zieht zunächst per Mail (12. Juni um 21:19) von Pressesprecher Wolfgang Gramann sämtliche Zitate zurück. Eine ausführliche Antwort des betreffenden Redakteurs auf die Absage wird mit einem Schreiben eines Anwalts Gottfried Korn am 13. Juni am Nachmittag sinngemäß ähnlich beantwortet: Keine Freigabe der Zitate. Am 15. Juni – einen Tag nach dem 1:0-Sieg in Russland und zwei Tage vor der Veröffentlichung des Artikel – kam dann noch einmal eine Mail von ÖFB-Pressesprecher Gramann, „dass keines der Zitate freigegeben wird." Fazit: Die Redakteure müssen den Artikel nach juristischer Rücksprache im Verlag ohne Zitate von Alfred Ludwig veröffentlichen.

 




 

„Gar nicht ok"
Zunächst blieb der Öffentlichkeit dieser Umstand verborgen, denn im Artikel findet sich überraschenderweise kein Hinweis darauf, dass der ÖFB und Alfred Ludwig nicht bereit waren, die Zitate freizugeben. Das ändert sich, als Andreas Sator via Twitter auf diesen Umstand aufmerksam macht und schreibt: „Der ÖFB hat alle Ludwig-Zitate hier http://derstandard.at/2000017566946/Fussball-OeFB-wird-auf-neue-Beine-gestellt ... übrigens via Anwalt zurückgezogen. Keine Diskussion möglich. Gar nicht OK imho."

 


Inhaltlicher Zusammenhang nicht zu erkennen
90minuten.at hat ÖFB-Mediendirektor Wolfgang Gramann damit konfrontiert und wollte wissen, warum der ÖFB die Zitate von Alfred Ludwig zurückgezogen hat. Die Antwort: „Drei kurze, vom gesamten Interview isolierte, Zitate wurden mir letztes Wochenende, als wir mit dem Nationalteam in Moskau waren, vom Standard zur Freigabe übermittelt. (Anmerkung: Wir haben beim Interview mit Tom Schaffer und Andreas Sator darüber informiert, dass wir an diesen Tagen nur eingeschränkt erreichbar sind) Ich habe diese dann Generaldirektor Ludwig vorgelegt. Da es für uns nicht zu erkennen war, in welchem inhaltlichen Zusammenhang diese Zitate verwendet werden, haben wir keine Freigabe erteilen können und aufgrund der schlechten Erreichbarkeit unseren in Wien befindlichen Anwalt beauftragt, dies dem Standard in schriftlicher Form mitzuteilen."

 

„Kein Interview"
Eine Antwort, die der zuständige Redakteur Andreas Sator so nicht stehen lassen will. Sator widerspricht auf Anfrage von 90minuten.at, dass es sich dabei um ein klassisches Interview gehandelt hat: „Am Tisch lagen drei Aufnahmegeräte, Herr Ludwig, der schließlich in seiner langjährigen Laufbahn sehr viel Erfahrung mit Medien gesammelt hat, saß zwei Journalisten gegenüber: Er wusste, dass er kein privates Gespräch führt, sondern eines, das zumindest in Teilen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird. Als Entgegenkommen haben wir dem ÖFB direkte Zitate vor Veröffentlichung per Mail zukommen lassen, um Missverständnissen vorzubeugen. Beim Gespräch mit Herrn Ludwig handelte es sich um kein Interview, das wurde im Vorfeld mit seinem Pressesprecher und auch vor Beginn des Gesprächs dann noch einmal mit Herrn Ludwig selbst besprochen. Ein herkömmliches Interview wird im Format „Frage-Antwort" veröffentlicht, ein solches sollte natürlich auch zumindest die groben Inhalte, die behandelt wurden, wiedergeben. Wir haben hingegen aber ein Gespräch vereinbart. Die Auswahl der Zitate obliegt dem Journalisten. Ich sehe die Vorwürfe des ÖFB daher als Eingriff in unsere redaktionelle Unabhängigkeit."

 

Sator: „Das macht kein Medium der Welt"
Dass der ÖFB die Zitate nicht freigeben kann, da es „nicht zu erkennen war, in welchem Zusammenhang diese Zitate verwenden werden", kritisiert Sator scharf: „Mir ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass im ersten Mail vom Pressesprecher des ÖFB lediglich kritisiert wurde, dass unsere Zitate nicht den Inhalt des Gesprächs wiedergeben würden. Außerdem wurde ein Zitat beanstandet, das aus dem Zusammenhang gerissen worden sein soll. Daraufhin habe ich ein langes Antwortmail geschrieben, in dem ich den Kontext des Zitats erklärt habe. Dabei habe ich auch den betroffenen Teil des Transkripts des Interviews angehängt, das der Darstellung des ÖFB widerspricht, es sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Die anderen zwei Zitate wurden aber nicht als verzerrend beanstandet. Der ÖFB ist auf mein langes, erklärendes Mail aber nicht mehr eingegangen. Uns wurde am Ende nur mitgeteilt, dass keines der drei Zitate freigegeben werde, weil dem ÖFB nicht klar sei, in welchem Zusammenhang Herr Ludwig zitiert wird."

 

„Demokratiepolitischer Wahnsinn"
Sator ergänzt: „Ein Zitat sagte aus, dass das mit den Sponsoren im ÖFB gut laufe, ein anderes, dass Ludwig in den Ruhestand gehen werde. Dabei kann man meiner Meinung nach wirklich nichts falsch verstehen. Die einzige Möglichkeit den ÖFB zufriedenzustellen wäre am Ende wohl gewesen, den gesamten Artikel vor Veröffentlichung zu übermitteln. Dann wäre der ‚Zusammenhang' der ÖFB-Interpretation zufolge wohl geklärt. Das macht kein Medium der Welt: Man würde sich den Mächtigen völlig unterwerfen, deren Kontrolle Teil des Jobs eines Journalisten ist, kurz: es wäre ein demokratiepolitischer Wahnsinn."

 

Schlechte Erreichbarkeit als Grund für den Anwalts-Brief?
Schlussendlich widerspricht Sator auch der Darstellung des ÖFB, dass die schlechte Erreichbarkeit während des Russland-Qualifikationsmatches der Grund für das Schreiben des Anwalts gewesen ist. „Das Schreiben des Anwalts von Herrn Ludwig stellt meiner Meinung nach einen klaren Einschüchterungsversuch dar. Das Mail des Anwalts war inhaltlich deckungsgleich mit einer vorigen Reaktion des Pressesprechers auf die von uns zuvor zugesandten drei Zitate und daher für reine Informationszwecke gar nicht mehr notwendig. Der ÖFB-Anwalt hat uns auch nicht mitgeteilt, dass die weitere Kommunikation über ihn laufen solle. Da ich mit dem Pressesprecher des ÖFB in der ganzen Causa in Kontakt war, habe ich auch die weitere Kommunikation in diesem Fall über ihn erledigt. Auch er hat mir nicht mitgeteilt, dass er keine Zeit habe und der Anwalt für ihn einspringen werde. Wir wussten, dass sich der ÖFB-Pressesprecher mit dem Team in Moskau aufhält und er nicht sofort antworten kann. Es bestand aber auch gar kein Zeitdruck. Das Gespräch fand am Donnerstag, den 11. Juni statt, der Artikel erschien am Mittwoch, den 17. Juni, in der Online- und Printausgabe. Der E-Mail-Verkehr zwischen dem ÖFB-Pressesprecher und mir führt die ÖFB-Argumentation ad absurdum. Ich habe sowohl am Freitag, am Samstag, am Sonntag wie auch am Montag Mails von ihm erhalten, er war also sehr wohl erreichbar und hat die Kommunikation über das gesamte Wochenende in Moskau mit uns geführt", so Sator abschließend.

 

Ergänzung: Kurz nach dem Erscheinen des Artikels hat sich ÖFB-Generaldirektor Alfred Ludwig bei 90minuten.at-Chefredakteur Michael Fiala persönlich gemeldet. "Es tut mir leid, ich wollte niemanden einschüchtern. Das ist von unserer Seite nicht sehr glücklich gelaufen", meinte Ludwig am Telefon. Nach Konsultation seines Anwaltes habe dieser ihm dazu geraten, die Zitate zurückzuziehen, da man nicht wisse, in welchem Umfeld diese erscheinen. Zudem habe laut Ludwig die Distanz aus Moskau und die Anspannung vor dem Russland-Match dazu geführt, diese ungünstige Entscheidung zu treffen. Abschließend meinte Ludwig: "Die Kritik, die im Standard bzgl. Merchandising formuliert wurde, ist berechtigt." 

>>> Artikel auf derstandard.at: Fußball: ÖFB wird auf neue Beine gestellt