Wo bleibt das Gegenpressing der Austria?
Auch nach dem fünften Bundesliga-Spiel unter der Führung von Gerald Baumgartner konnte die Austria keinen Sieg einfahren. Hat sich das Team im Vergleich zum Spiel gegen Wiener Neustadt entwickelt? Eine Taktik-Analyse von Momo Akhondi
Erschwerend für Baumgartner vor dem Sturm-Spiel war seine dreitägige Abwesenheit beim Training, geschuldet durch seine noch laufende Ausbildung zum Profitrainer. Der Ex-St. Pölten-Trainer hat gegen den SK Sturm Graz sein Team umgestellt, um zum Erfolg zu kommen. Davide de Paula flog aus der Startelf, sein Platz wurde von James Holland eingenommen, was insofern überraschend war, weil de Paula als bislang Einziger in der Lage war, beim sogenannten „Balljagen" – auch bekannt als Gegenpressing – das Spielgerät nach Ballverlust sofort wiederzugewinnen (siehe Artikel letzte Woche "Die Austria vergisst auf den Spielaufbau"). Nachdem das offenkundig die Spielphilosophie von Trainer Baumgartner ist, kam diese Entscheidung überraschend, vor allem weil Holland eine gänzlich andere Rolle im Spiel übernahm.
Grafik 1
Wie man in Grafik 1 erkennen kann, sind die Ballgewinne – sei es durch Zweikampf oder durch einen abgefangenen Ball – durch Holland (Nummer 25) zu 100% in der eigenen Spielhälfte passiert. Ballgewinne in diesem Bereich des Spielfeldes bedeuten prinzipiell, dass das Spiel neu aufgebaut werden muss. Das Momentum um schnell umzuschalten geht meistens verloren. Das Ziel müsste es also sein höher zu stehen, früher zu stören und bei Ballverlust die Unordnung des Gegners maximal auszunützen, um schnell den Gegenstoß starten zu können. Um zu zeigen wie es gehen kann, müssen wir wieder einmal auf das große Vorbild aus der Mozartstadt verweisen. Dort hat Neuzugang Naby Keita (siehe Grafik 2) gegen die Admira gezeigt, mit welcher Intensität das Gegenpressing betrieben werden sollte:
Grafik 2
Wir beobachten allein durch den Sechser der Salzburger vier Ballgewinne tief in der Hälfte der Admira. Bei der Austria kam das gesamte Mittelfeld auf einen solchen Ballgewinn durch Grünwald. Das wirft die Frage auf: wo bleibt Baumgartners Gegenpressing?
Dass die Austria nicht auf genug Ballgewinne in der gegnerischen Hälfte kommt, hat dieselben Gründe wie in der vergangenen Woche: die Austria steht einfach nicht hoch genug, sondern lässt sich nach wie vor vom Gegner zu sehr nach hinten drängen, was auch der Vergleich der Heatmaps zwischen Austria und Salzburg eindrucksvoll zeigt:
Links: Heatmap Sturm vs Austria - Rechts: Admira vs Salzburg
Dementsprechend ist es natürlich schwer, Ballgewinne in der gegnerischen Hälfte zu erwarten. Trainer Baumgartner hat zu Saisonbeginn hohes Pressing angekündigt. Nach fünf Spielen ist davon aber immer noch nichts zu sehen. Die Ballgewinne sind allesamt in Zonen, in denen es keine direkte Gefahr für das eigene Tor bedeutet. Dementsprechend bezweckt der Druck auf den Gegner hier eher das Verhindern von gegnerischen Torchancen als das Herausspielen der Eigenen.
Das alles sollte die Sorgenfalten bei Baumgartner tiefer werden lassen. Das Gegenpressing der Austria kann in dieser Form nicht so sein wie er sich das vorstellt. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, es war inexistent. Einerseits ist seine Mannschaft teilweise zu behäbig, einfach zu weit weg vom Gegner, um nach einem Ballverlust direkt Überzahl in Ballnähe zu schaffen.
6. Minute Sturm vs Austria - Screenshot Sky
Hier hätte die Austria in der 6. Minute zeigen können, dass man als Sieger vom Platz gehen will. Die Mannschaft hätte wie angekündigt hoch stehen müssen und dadurch mit sechs Mann Druck auf den Ballführenden ausüben können, um so den Ball sofort zurückzuerobern. Dass es für Sturm dann brenzlig werden kann ist augenscheinlich. Stattdessen ist der Abstand zwischen den drei vorderen Spielern im Angriff und den dreien im Mittelfeld besorgniserregend groß, vor allem da wir uns erst in der Anfangsphase der Partie befinden.
Andererseits schaffte es die Austria immer wieder, sich den Schneid abkaufen zu lassen, indem man den Gegner trotz Überzahl durchbrechen lässt. Die Spieler scheinen verstanden zu haben, dass sie nach Ballverlusten schnell mehrere Spieler in die Nähe des Gegners bringen müssen. Hier ist es jedoch wichtig zu unterscheiden ob man nur viele Spieler in der Nähe hat oder ob diese auch Zugriff auf den Ballführenden bekommen und ihm dadurch den Ballbesitz streitig machen können.
Überzahl Austria, 15. Minute, Screenshot Sky
In dieser Szene (15. Minute) konnte die Wr. Austria gut Überzahl in Ballnähe kreieren, der Gegner stand sogar mit dem Rücken zum Tor von Heinz Lindner. Eigentlich perfekte Voraussetzungen, zur Balleroberung. Obwohl diese dann zwar in der eigenen Hälfte stattgefunden hätte, wäre der Weg zum Strafraum der Grazer dann trotzdem relativ frei. Und obwohl man hier die Überzahl geschaffen hatte, bekam man im Verbund keinen Zugriff auf den Ball. Der Gegenspieler konnte mit einer geschickten Körpertäuschung alle drei Spieler ins Leere laufen lassen. Wieder verlief das Pressing im Sand.
Überzahl Austria, 26. Minute, Screenshot Sky
Auch in der folgenden Situation war die Austria zu sorglos in der Ball-Rückeroberung. Wenn man, wie hier, rasch Überzahl in Ballnähe schaffen möchte, muss man vorher in Kauf nehmen, dass dann woanders am Spielfeld Spieler fehlen werden die dann den Ballführenden attackieren können. Jedoch gab man dem Gegner viel zu oft zu viel Zeit, um sich mit dem Ball am Fuß zu drehen und die Überzahl zu überspielen, indem der Ball einfach schnell weitergespielt wurde. Wenn die Grazer dies noch zielgerichteter gespielt hätten, wäre die Austria dadurch sehr oft, sehr schnell in Unterzahl-Situationen gekommen.
Überzahl Austria, 90. Spielminute, Screenshot Sky
Hier ein weiteres Beispiel (90. Spielminute), bei dem die Austria den Ball hätte gewinnen können. Nachdem Baumgartner wieder einmal Kamara und Harrer einwechselte, um den Sieg in der Schlussphase zu erzwingen, konnte die Austria – vor allem durch weite Bälle – höher in der gegnerischen Hälfte stehen. Bei diesem Ballverlust in der 90. Minute wäre es durchaus möglich gewesen, durch Gegenpressing sofort wieder den Weg zum Tor zu suchen, vor allem wenn man bedenkt, dass der Gegner selber noch auf der Jagd nach dem Siegestreffer war und dadurch selber die Ordnung ein Stück weit aufgegeben hatte. Und auch hier wurde schnell Überzahl am Flügel hergestellt. Bedauerlicherweise konnte man erneut keinerlei Zugriff auf den Ball bekommen. Auch hier ist die Chance, das Spiel noch herumzureißen vergeben worden.
Spielaufbau
Da bleibt aber noch das eigentliche Sorgenkind der Wr. Austria - und das ist und bleibt der Spielaufbau. Und es schien zunächst so, als ob die Mannschaft sich im Spiel gegen Sturm Graz etwas überlegt hätte. Vor allem Kapitän Ortlechner spielte in der Anfangsphase kaum hohe Bälle: Es wurde stattdessen bevorzugt auf Mario Leitgeb gespielt, der sich dann tief zwischen die eigenen Innenverteidiger fallen ließ. Das ist zwar auch nicht ideal, weil Leitgeb dadurch immer wieder zurückkommen musste, den Ball abholte nur um dann wieder aufzudrehen; doch es war ein Fortschritt zu letzter Woche. Auch Shikov brachte eine neue Komponente ins Spiel der Austria: den langen Diagonalball, wie diese Grafik zeigt:
Passspiel Shikov
Shikov versuchte mehrmals den langen Ball auf den linken Flügelspieler (zumeist Royer). Und auch wenn viele nicht ankommen, sah dies vielversprechend aus. Auch sonst hatte der Spielaufbau der Austria einige Besonderheiten: Die Flügelspieler, allen voran Meilinger, hatten sehr oft die Tendenz in die Mitte zu ziehen. Indem sie dadurch den gegnerischen Außenverteidiger mit ins Zentrum ziehen, schafften die Flügel dadurch viel Raum für ihre Mitspieler, allen voran Stryger der dann viel Platz auf der Seite vorfinden konnte.
Jedoch wurde das mit Fortdauer der Partie wieder aufgegeben. Stryger und Suttner wurden nicht angespielt obwohl sie oft freistanden, stattdessen wurde immer wieder der Weg durch die Mitte gesucht. Dieser war aber naturgemäß zu, weil zusätzlich zu den beiden Innenverteidigern und Sechsern auch ein gegnerischer Außenverteidiger nun das Zentrum bewachte. Man beraubte sich also quasi um seinen eigenen Vorteil.
Besorgniserregend war erneut die exorbitante Anzahl an Pässen, die Shikov zu Ortlechner spielte, denn mit Fortdauer der Partie fiel auch der Kapitän immer mehr in das vom letzten Spiel bekannte Schema zurück und es wurde wieder auf den langen Vertikalpass zurückgegriffen.
Fehlpässe Orltechner
Was ebenfalls Anlass zur Sorge gab, war die Einbindung von Tormann Lindner im Spielaufbau. Dieser konnte der Mannschaft oft nicht helfen, ein Rückpass zum Tormann bedeutete mehrfach das Ende des geordneten Spielaufbaus. Ganze sechs Mal wurde der Ball blind nach vorne geschossen. Ein weiteres Zeichen für mangelnde Ideen im Spielaufbau der Wiener Austria.
Passspiel Lindner
Fazit: Das angekündigte System ist weiterhin nicht zu erkennen
Am 10. Juni bat Trainer Baumgartner zum ersten Training der Wr. Austria. Seitdem sind über zwei Monate vergangen, doch das angekündigte System ist weiterhin nicht wirklich zu erkennen. Es fehlen alle elementaren Bestandteile, um ein hohes Pressing spielen zu können. Die Mannschaft steht nicht hoch genug, kommt dadurch zu selten in Überzahl bei Ballverlusten und man schafft es außerdem dann nicht, dem Gegner schnell genug die „Luft zum Atmen zu nehmen".
Hinzu kommt der nach wie vor besorgniserregende Spielaufbau. Mit Fortdauer der Partie werden die Pläne zudem immer wieder über den Haufen geworfen und die Mannschaft fällt ins alte Schema zurück. Alles in allem spielt das Austria dadurch ähnlich passiv wie letztes Jahr; dabei war es doch Baumgartners größtes Anliegen das zu ändern. Dieser bittet wiederum um Geduld, es fällt einem aber schwer, Fortschritte zu erkennen, die diese Geduld rechtfertigen. Was ebenfalls auffällt, ist der Unterschied im Ton, den Baumgartner inzwischen anschlägt. Hatte er vor Wochen noch gemeint „dass man einigen den Kopf waschen muss", macht die Mannschaft inzwischen „vieles richtig" aber es würde nur mehr ein Quäntchen fehlen, damit der Knoten platzt. Es ist jedoch mehr als fraglich, ob der Knoten bald platzen wird.