Kollers Meisterprüfung: Die Notwendigkeit der taktischen Weiterentwicklung

Marcel Koller steht im Rahmen der Qualifikation zur Euro 2016 vor seiner Meisterprüfung. In den letzten Jahren konnte er taktisch einiges bewegen, aber auch er schaffte es in knapp drei Jahren noch nicht, aus einem halbwegs heimstarken europäischen Hinter

 

Es muss schon einen besonderen Reiz ausgemacht haben, ein Team zu übernehmen, dem taktisches „Nackerbatzldasein" nachgesagt wurde, noch dazu, da Koller die zwei Jahre vor der Übernahme des ÖFB-Teams keiner Trainertätigkeit nachgegangen ist. In der Koller-Vita waren damals vermerkt: Zwei Schweizer Meistertitel, ein Aufstieg in die deutsche Bundesliga und ein achter Platz mit Bochum in der höchsten Deutschen Spielklasse. Das ist – zumindest international - mehr, als bis dato heimische Coaches in den letzten Jahren schafften. Aber auch nicht so viel mehr, dass die Stimmung im Alpenland Österreich von Expertenseite her euphorisch gewesen wäre.

 

Nachfolger von „DiCo"
Wie viel Marcel Kollers Vorgänger Dietmar Constantini taktisch nun tatsächlich auf dem Kerbholz hatte oder seinen Kickern Spiel für Spiel mitgab, muss nicht mehr länger besprochen werden. Galant umschrieben: „DiCos" Fußball passte wohl nicht mehr in die moderne Fußball-Zeit.

 

Der Schweizer Koller wiederum sah sich der Rolle gewachsen, rund um Bundesligalegionäre wie Christian Fuchs oder Sebastian Prödl sowie den Richtung Weltklasse aufstrebenden David Alaba ein Team aufzubauen, das nach Brasilien fahren sollte. Der Status Quo war retrospektiv gesehen nicht gut. Das österreichische Nationalteam konnte einen irren Hurrafußball spielen (z.B. gegen Serbien auswärts), wusste aber mit dem Spielgerät gegen defensive Gegner selten etwas anzufangen; zeigte vor allem fernab der heimischen Stadien richtig miese Leistungen. Ein Spiel ruhig aufzubauen, Druck konstant zu halten und den Gegner vor Probleme zu stellen waren keine Attribute des heimischen Kicks.

 

Dazu kam unter Constantini oftmals eine noch ungeordnete Defensive. Neben diesem kurzen Abriss an spielerischen Mängeln war es vor allem sein Führungsstil, der sauer aufstieß. Sein Happel'sches Granteln mag bei Pressekonferenzen vielleicht nicht die falschen treffen. Aber es traf erfahrene Stützen wie Martin Stranzl, Alexander Manninger oder György Garics, die nicht mehr im Team spielten. Und dann war da noch die Causa Ivanschitz. Auch das Talente-Reinschmeißen mit Dragovic oder Alaba konnte diese Vorgaben nicht kompensieren. Kurz: Es lag einiges im Argen, als Marcel Koller am 1. November 2011 übernahm.

 


Koller kein Wunderwuzzi
Koller ist kein Wunderwuzzi – einer seiner Lieblingssätze zu Beginn seiner Amtszeit - und so manche Karriere entwickelte sich wohl nicht so, wie er es sich erwartet hätte. Seine erste Startelf im Spiel gegen die Ukraine im November 2011 spricht Bände für die Entwicklung der österreichischen Kicker in den vergangenen drei Jahren: Robert Almer, Franz Schiemer, Sebastian Prödl, Emanuel Pogatetz, Christian Fuchs, David Alaba, Andreas Ivanschitz, Marko Arnautović, Martin Harnik, Julian Baumgartlinger, Marc Janko. Fränky Schiemer, Emanuel Pogatetz und Andi Ivanschitz hat er nun nicht mehr einberufen, Sebastian Prödl und Julian Baumgartlinger waren lange verletzt, Robert Almer ist Zweiergoalie, Marc Janko ist im Ausgedinge in Sydney, Martin Harnik läuft seiner Form hinterher, genauso wie Kollers Lieblingsschüler Christian Fuchs. So richtig aufgedrängt haben sich in den vergangenen Koller-Jahren wenige Spieler, der nicht schon vor drei Jahren herumgeisterten.

 

Das erste Länderspiel unter Koller



 

Taktische Grundausrichtung
Marcel Koller begann seine Arbeit beim heimischen Team dort, wo Constantini relativ gut gearbeitet hatte – beim Konterspiel. Koller versuchte das Ganze mit starkem, hohen Pressing zu garnieren und die ungeordnete Defensive besser zu organisieren. Der Schweizer etablierte ein 4-2-3-1/4-4-1-1 mit einer an sich viel rotierenden Zentrale auf den Positionen Sechs, Acht und Zehn. Die Mannschaft hingegen präsentierte sich zunächst trotzdem eher unvorhersehbar. Spielte das Team in Lemberg bei Kollers Premiere gut, verlor es. Spielte es gegen Finnland im Wintertest schlecht, gewann es. Österreich ging in allen vier der ersten fünf Tests zu Beginn der Ära Koller früh in Führung, profitierte von Tormannfehlern und Elfmetern, mit Ausnahme von den bieder verteidigenden Rumänen (0:0).

 

Die Vorgaben waren in der Frühphase immer recht ähnlich. Es sollte hoch gestanden und angepresst werden, die Außenbahnspieler eingesetzt und die Außenverteidiger mit einbezogen werden. Schalteten sich zwei der drei Zentralen in den Angriff ein, sollte der Dritte absichern helfen. Die Umsetzung klappte aber nicht immer.

 


Die Quali trotz vieler Führungen vergeigt

Die Qualifikation zur WM 2014 begann dann denkbar schlecht: 1:2 gegen Deutschland, 0:0 in Kasachstan, beide Male ohne Ausnahmespieler Alaba, beide Male mit derselben Grundausrichtung. In Wien konnte zwar Deutschland an den Rand eines Unentschieden gekickt werden, in Astana war der Spieß umgedreht. Im Rückspiel gegen Kasachstan gelang dann immerhin ein komisches 4:0. Hatten die Kasachen in der Heimat noch ungefähr so gespielt, wie Österreich es gegen Deutschland tat, standen sie nun tief, waren wenig aggressiv und ließen Österreich gewähren.

 

Beim 2:1 gegen die Schweden passte dann scheinbar endlich alles. Österreich ging in Führung, Schwedentrainer Hamren reagierte im zweiten Durchgang und bohrte die Außenverteidiger und die Mittelfeldzentrale an, Koller konterte mit Schiemer. Das ging auf. Nach einem einfachen 6:0 gegen die Färöer zeigte das Team zwei Gesichter. Vier Punkte aus zwei verkrampften Kampfspielen gegen die Iren, ein lascher Auftritt in München und die vergeigte Führung in Schweden. Platz drei, kein Play Off.

 

Summa summarum ging Österreich in den entscheidenden Spielen gegen Schweden und Irland immer in Führung, konnte aber „nur" sieben von zwölf möglichen Punkten holen. Daheim, gepusht von zehntausenden Fans, klappte viel, frühe Tore und Glück begünstigten die Spielverläufe. Beide wichtigen wie retrospektiv unnötigen Punkteverluste geschahen auswärts. Das passt ins Bild. Von den 17 Punkten holte Österreich bis auf fünf alle daheim.

 


Kollers Pressen von Baumgartliner, Alaba und Junuzovic abhängig

Freilich, siehe eingangs, ist ein Nationalteamtrainer immer auch vom vorhandenen Personal abhängig. Die besten Spieler für die Offensive standen nicht immer zur Verfügung oder waren außer Form. Koller machte taktische Fehler, wie etwa in Irland nach der Junuzovic-Verletzung beim Stand von 1:1 die Defensive zu stabilisieren, statt beim Offensivplan zu bleiben. Österreich lebt in Kollers System von einem kompakten Mittelfeld, das aus drei Mann besteht. Dummerweise funktioniert das Anpressen, Ballerobern und Umschalten de facto nur dann wirklich gut, wenn das Trio Baumgartlinger, Alaba und Junuzovic auf dem Platz steht. Alles andere wäre Augenauswischerei. Andere auf diesen Positionen scheiterten zumeist: An sich oder am Gegner, der umstellte. Gegnerische Trainer wie Erik Hamren in Schweden oder Oscar Tabarez beim Heim-1:1 im Test gegen Uruguay erkannten das, ebenso wie beim Test gegen Wales auswärts. Jedes Mal stellten die gegnerischen Trainer Kicker ab, die den Sechser beschäftigten und ein Loch in die Zentrale rissen. Mit mehr Beschäftigung für die formschwachen Außenverteidiger, was die Anbindung an die offensiven Flügel störte, war es meistens um den Spielaufbau geschehen.

 

Das sind keine Ideen, die den Hirnen Klopps, Mourinhos oder sonst einem Wunderwuzzi entsprangen, sondern relativ einfache Kniffe. Bis auf das Heimspiel gegen Schweden fehlte auch die Antwort darauf. Koller reagierte selten mit großen Umstellungen, wechselte eher im System. Freilich, mit Leitgeb/Ilsanker, wie gegen Island, funktionierte das Pressing in der Offensive und im Mittelfeld ansprechend. Doch da standen diese beispielsweise noch unter Roger Schmidt „im Saft". Unter Hütter funktioniert auch das nicht mehr so gut. Zudem war es ein Freundschaftsspiel.

 


Koller gefordert: Mehr als „veränderte Aufstellungen" notwendig

Die Wahrheit liegt auf dem Platz, der Schlüssel dazu sitzt auf der Bank. Koller lernte, dass er sich auf Gegner einstellen muss. Wie etwa in Schweden, als er Dragovic auf die Sechs stellte, um im Angriff mehr Breite zu haben. Die Challenge für Koller: Die verschiedenen gezeigten Varianten müssen in einem Spiel abrufbar sein. Vom 4-2-3-1/4-4-1-1 mit spielerisch starker Zentrale nach der Führung auf ein 4-3-3 mit italienischer, defensiver Ausrichtung zu wechseln wird kaum funktionieren. Dafür sind die Offensivspieler im Konter nicht kaltblütig genug. Das in Schweden gezeigte 4-1-4-1 muss Variante B werden. Die Vorgabe von Koller darf nicht immer nur durch veränderte Aufstellungen – flinker Stürmer statt Janko, Mittelfeldanordnung – ersichtlich sein. Schafft der Gegner das Offensivpressing mit der Zeit zu umgehen, muss das Mittelfeldpressing besser funktionieren, also eine Reaktion von Koller kommen.

 

Nach drei Jahren kennt der nach wie vor selbe Grundstock die Vorstellungen des Schweizers. Werden die letzten Tests entsprechend gedeutet, wir Österreich aber viel defensiver auftreten als es noch zuvor der Fall war. Taktisch muss sich da kaum etwas ändern, die Spieler müssen pressen, Tore schießen und den Vorsprung verteidigen. Das Grundkonzept passt, es gibt neben der Hurravariante noch sichere Varianten. Gegen Russland, Schweden und Montenegro muss nun abgeliefert werden, die Spieler müssen Kollers Ideen durchziehen, auch wenn Bonusspieler fehlen oder einen schlechten Tag haben. Und Liechtenstein und Moldawien müssen so oder so geknackt werden.