Fußball, die heilige Kuh
Acht Mannschaften, drei Monate Spielbetrieb, reiche Club-Besitzer – und mit Del Piero, Trezeguet oder Anelka jede Menge alternde Stars: Willkommen im Fußball-Entwicklungsland Indien! Von Alexander Kords
In den meisten Ländern Europas ist der Ligabetrieb seit vielen Jahrzehnten etabliert. In Österreich etwa spielen Rapid und Co. seit 1911 um Punkte, England ermittelt sogar schon seit 1892 einen jährlichen Meister im Liga-Modus. Angesichts dessen kann man es durchaus als Kuriosität ansehen, wenn irgendwo in der Welt eine neue Eliteliga aufmacht. In Indien passiert dies am nächsten Wochenende: Die Indian Super League (ISL - Twitter) öffnet am 12. Oktober buchstäblich ihre Tore. Dabei könnte die Entstehungsgeschichte des Wettbewerbs kaum künstlicher sein.
Werbeclip für die ISL mit Del Piero
Teams wurden versteigert
Bis März dieses Jahres wurden die acht Franchises, die in Form von Fußballteams in der neu geschaffenen Liga gegeneinander antreten werden, versteigert. Interessenten mussten nicht nur ein Finanzierungskonzept vorlegen, sondern auch konkrete Pläne, wie sie in der jeweiligen Region Fußball-Entwicklungsarbeit leisten wollen. Der Einstiegspreis von umgerechnet etwa 1,5 Millionen Euro stellte dabei wohl die kleinste Hürde dar. Zur teuersten Franchise wurde letztlich die in der 14-Millionen-Metropole Kolkata. Dafür wollte der Bollywood-Star Shah Rukh Khan sein Börsel etwas erleichtern, wurde aber letztlich von der Firma Kolkata Games and Sports überboten, die für 2,3 Millionen Euro den Zuschlag erhielt.
Zum Konsortium gehört neben dem ehemaligen Cricket-Spieler Sourav Ganguly und drei indischen Unternehmern auch der spanische Meister Atlético Madrid an – weshalb der neu entstandene Club nahezu zwangsläufig den Namen Atlético de Kolkata bekam. An anderen Vereinen sind durchaus Schauspieler beteiligt: Bollywood-Ikone John Abraham etwa sicherte sich NorthEast United, mit ihm im Boot sitzt der indische Fußball-Club Shillong Lajong F.C. (der dank seines Gründungsjahrs 1983 zumindest ein bisschen Fußball-Tradition mitbringt). Zu den Besitzern des FC Pune City zählen der Schauspieler Salman Khan und mit dem AC Florenz ein weiterer ausländischer Fußballverein.
22 Spieler: 14 Inder, acht aus dem „Rest der Welt"
Nachdem die Besitzverhältnisse geklärt waren, ging es an die Umsetzung der durchaus komplizierten Zusammenstellung der Teams. Die ISL hatte nämlich sehr konkrete Vorstellungen, wie die Kader der Vereine aussehen sollen. So musste jeder Club mindestens 22 Spieler verpflichten, von denen 14 Inder sein und acht aus dem Rest der Welt kommen mussten. Vier der einheimischen Spieler mussten aus der Stadt stammen, in der sich der Club befindet. Nach Vorbild von US-Sportligen wie der NBA und der NFL fanden im Juli und August zwei so genannte Drafts statt. Dabei wählten die Clubs abwechselnd Kicker aus einem Pool von 84 indischen und 49 ausländischen Spielern.
Del Piero, Anelka, Trezeguet & Co
Die interessanteste Personalie ist jedoch der „Marquee Player", den jeder Verein verpflichten musste. Laut Statuten ist das ein Spieler „mit großer internationaler Vergangenheit". So finden sich illustre Namen in der ISL wieder: Die Delhi Dynamos etwa haben sich die Dienste des bald 40-jährigen Alessandro Del Piero gesichert, bei Pune City geht David Trezeguet auf Torejagd. Sein französischer Landsmann Nicolas Anelka vom Mumbai City FC zählt nicht einmal zu den Marquee Players, diesen Rang nahm ihm sein Teamkollege Freddie Ljungberg ab. Bei den Kerala Blasters übernimmt der ehemalige englische Nationaltorhüter David James, mit 44 Jahren längst im Fußballer-Pensionistenalter, sogar eine Doppelfunktion als Spielertrainer. Auch einige von James' Übungsleiter-Kollegen sind durchaus namhaft: Marco Materazzi, 2006 mit Italien Weltmeister, trainiert den Chennaiyin FC, und der legendäre Brasilianer Zico steht beim FC Goa an der Seitenlinie.
Die Marquee Players enthüllen die ISL-Trophäe
In Mumbai with the teams' marquee players at the unveiling of the @IndSuperLeague Trophy
@DelhiDynamos pic.twitter.com/6Jow9svCNL
Angesichts des Aufwands, der bei der Gründung der Liga betrieben wurde, und der großen Geldsummen, die dabei geflossen sind und immer weiter fließen, kann beim Blick auf den Spielkalender durchaus Ernüchterung eintreten: Jedes Team spielt zunächst zweimal gegen jedes andere, die besten vier der Abschlusstabelle tragen Halbfinals mit Hin- und Rückrunde aus, Absteiger gibt es nicht. Bereits am 20. Dezember endet die Premiere der ISL mit dem Finale, wobei die beiden Endspielteilnehmer in der gesamten Saison lediglich 17 Matches gespielt haben werden. Ein klassisches Spieltags-Wochenende findet dabei allerdings nicht statt, vielmehr wird beinahe jeden Tag eins der insgesamt 61 Spiele ausgetragen.
Solid on the ground. Lethal in the air. Manuel Friedrich brings in an ocean of experience for Mumbai City FC. pic.twitter.com/8a94K7htJL
—">http://t.co/8a94K7htJL">pic.twitter.com/8a94K7htJL— Mumbai City FC (@MumbaiCityFC) 4.">https://twitter.com/MumbaiCityFC/status/518415068732465152">4. Oktober 2014
Spieler nicht sesshaft
Ein ganz schön straffer Zeitplan, bei dem es sich vor allem für die ausländischen Profis nicht lohnt, überhaupt sesshaft zu werden. Der ehemalige deutsche Nationalspieler Manuel Friedrich, letzte Saison noch bei Borussia Dortmund unter Vertrag und jetzt im Kader des Mumbai City FC, erzählte kürzlich in einem Interview mit dem Radiosender 1LIVE, dass sowohl die Mannschaft als auch die Mitarbeiter des Vereins während der gesamten Spielzeit im Hotel untergebracht sind – was auch sicherstellt, dass jeder Spieler pünktlich zum Training erscheint und sich nicht in der 18-Millionen-Stadt verläuft. Zudem wird den europäischen Spielern ein Ernährungsberater zur Seite gestellt, der strikt davon abrät, das indische Essen zu probieren – die Zeit, die ihr Magen bräuchte, um sich daran zu gewöhnen, ist einfach nicht gegeben.
I'm pleased to join Mumbai City FC & very exciting in joining Indian Super League.
(Anelka twittert seine Verpflichtung in der ISL)
Die ISL weckt Assoziationen mit den zahllosen Versuchen, den Fußball in den USA sesshaft zu machen. Man erinnere sich nur an New York Cosmos, wo Ende der 1970er Franz Beckenbauer und Pelé zusammenspielten. Cosmos hat sich 1985 aufgelöst, die North American Soccer League, in der der Verein spielte, gibt es auch nicht mehr. Auch wenn die ISL noch lange mit dem Ruf zu kämpfen haben wird, nichts weiter als eine Geld-Liga zu sein, so bringt sie von Beginn an frischen Wind in den indischen Fußball: Junge Spieler profitieren von den reichhaltigen Erfahrungen ihrer ausländischen Teamkollegen und von den professionellen Strukturen in ihrem Verein. Ob die ISL dem Nationalsport Cricket auf lange Sicht ernsthafte Konkurrenz machen kann, bleibt jedoch abzuwarten.