Die Austria vergisst auf den Spielaufbau

Seit einigen Wochen ist Gerald Baumgartner Trainer der Wiener Austria. Der Saisonstart verlief katastrophal, von der Spielweise Dortmunds - Baumgartners Vorbild - ist man meilenweit entfernt. Doch nicht Pressing und Gegenpressing funktionieren noch nicht.

 

Die Wiener Austria stand zum Beginn dieser vierten Runde der tipico-Bundesliga unter immensen Druck, nur ein Tor aus drei Spielen und nur zwei Punkte bedeuteten den schlechtesten Saisonstart seit acht Jahren – noch dazu war das Anfangsprogramm mit Grödig, WAC, Altach und nun Wr. Neustadt vergleichbar einfach.

 

Woran lag es, dass es bislang mit einem Sieg nicht geklappt hat? Zuvor wurden als Gründe bevorzugt die Systemumstellung und die fehlende personelle Tiefe im Sturm bemängelt. Zumindest beim zweiten Punkt konnte der Vorstand Trainer Baumgartner unter die Arme greifen. Mit Omer Damari war diese Baustelle scheinbar geschlossen - mit dem zweiten Torschuss bringt Damari seinen neuen Verein in Front. Dennoch hat es am Ende nur für einen Punkt gereicht.

 

Woran liegt es, dass die Austria – aus spielerischer Sicht – nicht in die Erfolgsspur einbiegen kann? Dazu müssen wir darauf zurückkommen, wie Trainer Baumgartner sein System in der Vorbereitung beschrieben hat: hohes Pressing, Gegenpressing, schnelles Umschalten.

 

Baumgartner wird nicht müde zu behaupten, dass im Training "gut gearbeitet" wird und nur "Kleinigkeiten fehlen". Dementsprechend müsste man die Spielidee bislang im Ansatz erkennen können. Dem gilt es auf den Grund zu gehen.

 


Analyse: Pressing und Gegenpressing

Das ideale Pressing von Baumgartner ist hoch und aggressiv, er verglich es bei seiner ersten Pressekonferenz sogar mit dem von Borussia Dortmund. Doch wieviel Klopp steckt schon in der Austria? Beim Beobachten des Spiels fällt es schwer, ein besonders hohes Spiel gegen den Ball zu erkennen und auch der Blick auf die Heatmap bestätigt diesen Verdacht.

 

Nachdem die Austria aber über weite Teile der zweiten Hälfte auf das 3:2 gedrückt hat und dabei eine exorbitante Menge an hohen Bällen geschlagen hat ist eher die Heatmap der 1.Halbzeit gegen Wiener Neustadt aussagekräftig.

 

Heatmap Austria Wien vs Wiener Neustadt - 1. Halbzeit

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Aussagekräftiger ist die Grafik, wenn man sich zum Vergleich Mannschaften mit hohem Pressing ansieht (ebenfalls nur die 1.
Halbzeit), wie jene von Red Bull Salzburg gegen Grödig:

 

Heatmap Red Bull Salzburg vs Grödig - 1. Halbzeit

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Zum Vergleich auch noch das Vorbild von Baumgartner, Borussia Dortmund:

Dortmund

 

Es fällt sofort auf, wie sehr die Höhe variiert. Die Austria kommt keineswegs genug ins letzte Drittel, wo das Pressing hinzielen soll (siehe rote Bereiche der Heatmap). Beeindruckend ist in dem Bezug die Heatmap von Red Bull Salzburg.

 

Von dem hohem Pressing scheint bei der Austria hier in Summe nicht viel rauszuspringen. Wie es vielleicht laufen könnte sah man bei einer Großchance von Damari, kurz vor dem Ausgleich. Es wird die Mitte zugestellt, unterstützt werden die Achter dabei durch den einrückenden Außenspieler Meilinger. Solche Szenen waren aber Mangelware. Viel eher wurde der Spielaufbau der Austrianer durch das Pressing der Neustädter ganz leicht ausgehebelt. Gut zu sehen in der achten Minute, als Suttner durch vier Spieler zugestellt wurde und der Ball nur mit Mühe retour gespielt werden kann.

 

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 (Screenshot Sky)

 

Im Laufe der 1. Halbzeit wurde das Spiel immer mehr zu einer Veranschauung von Pressing, wie ihn eigentlich die Austria spielen wollte. Die Neustädter konnten teilweise zu viert Druck auf den Ballführenden machen, speziell bei Ballverlust hatte man rasch Zugriff auf den Gegner. Besonders gut zu sehen war das beim Ausgleich, bei dem es nach dem Fehler von Lindner dadurch sofort zu einer 3gg3-Situation am Sechzehner kommen konnte.

 


Analyse Gegenpressing

"Nach vorne verteidigen" auch bekannt als Gegenpressing ist inzwischen in aller Munde. Seit dem Durchmarsch von Red Bull Salzburg in der vergangenen Saison wollen einige Mannschaften diese Spielanlange kopieren und erhoffen sich ähnlich durchschlagende Erfolge. Darko Milanic ging sogar so weit und meinte, Gegenpressing ist inzwischen Zwang, der von der Öffentlichkeit eingefordert wird. Quasi: Man kann sich nicht mehr dagegen wehren, man muss nach vorne verteidigen.

 

Gegenpressing ist aber nicht gleich Gegenpressing und abgesehen von den verschiedenen Ausführungsformen, welche alle ihre Vor- und Nachteile haben, sieht man vor allem sehr oft mangelhaftes Gegenpressing. In diesem Zusammehang hat Abseits.at-Redakteur Axl eine Beispielszene geschnitten die zeigt wie einfach mangelhaftes Gegenpressing überspielt werden kann:

 



Kampl one touch pass vs Ried von axlsem

 

Das von Ried praktizierte Gegenpressing ist das sogenannte ballorientierte Gegenpressing, gutes Beispiel dafür ist Red Bull Salzburg. Es wird manchmal auch als Chaos-Pressing bezeichnet, bei dem die Mannschaft mehr oder weniger wild Richtung Ball schiebt, bei Überzahl ergeben sich dadurch freundlicherweise auch zugestellte Passwege. Es stellt aber eine Sonderform des Gegenpressings dar, theoretisch kann man dieses durch gute Ballverarbeitung aushebeln, wie man oben am Beispiel von Kampl sehen konnte.

 

Zurück zur Austria: Bei den Veilchen konnte man am Samstag zumeist ein zugriffsorientiertes Gegenpressing erkennen. Wie der Name es bereits vermuten lässt, möchte man so schnell wie möglich Zugriff auf den Gegner bekommen: bei Ballverlust presst nur ein Mann, die anderen Spieler stellen dafür alle möglichen Passwege zu und der Ballführende wird quasi von "der Außenwelt abgeschnitten" - praktiziert wurde es vor allem unter Heynckes bei den Bayern.

 

Dotmunds Pressing ist anders, man deckt nicht die Gegner Mann gegen Mann ab, sondern deckt im Raum, in dem sie sich bewegen (spielraumorientiert). Besonders schön war Austrias Pressing in Minute sechs zu sehen: Grünwald presst alleine, die anderen Spieler der Austria beschränken sich darauf, die Passwege des Gegners in Deckung zu nehmen.

 

Man muss sagen, beinahe wäre es bereits in dieser Szene von Erfolg gekrönt gewesen. Doch genau hier lassen sich Probleme aufdecken, sowohl vor dem 1:1 als auch beim Führungstreffer der Niederösterreicher. Beim 2:1 kommt es zum Ballverlust bei der Wiener Austria, nachdem Wr. Neustadt zu dritt in der Mitte Druck erzeugen konnte und eigentlich hätte man hier aber alle Vorrausetzungen zum Gegenpressing.

 

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(Screenshot Sky)

 

Man steht in Überzahl und hat Zugriff auf den Gegner und seinen Passwegen, in dem Fall bekommt jedoch Ortlechner keinen Zugriff auf den Ballführenden, Ramsebner keinen Zugriff auf Abspielstation Rauter. Das Gegenpressing verläuft im Sand. Ein Blick auf die Statistik bestätigt den Eindruck vom zugriffsorientierten Gegenpressing. Dieses muss aufgrund seines Prinzips weniger abgefangene Bälle aufweisen sondern viel eher Ballgewinne nach Zweikämpfen in denen der Ballführende nicht mehr weiß wohin er spielen soll.

 

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Tatsächlich kam es nur zu drei relevanten Ballgewinnen in 90 Minuten, die auf Gegenpressing zurückzuführen sind, alle drei durch De Paula. Doch hier kommen wie auch schon zum Problem der Austria: Über die Zweikampfstatistik müsste man mehr Ballgewinne finden, hier relevant sind die 4 in der gegnerischen Hälfte, dahinter ist der Weg zum Tor schon wieder sehr weit.

 

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Analyse Spielaufbau
In der 2. Halbzeit kam die Austria auf weit über 70% Ballbesitz, wobei nur vier Schüsse, darunter ein direkter Freistoß von de Paula, auf das Tor von Vollnhofer kamen. Was weniger Fragen bezüglich des Pressings sondern viel eher über die Qualität des Spielaufbaus aufwirft.

 

Dieser lief über die Breit stehenden Innenverteidiger, Suttner und Stryger Larsen schoben hingegen weit vorne, dadurch wurde der Spielaufbau Ortlechner und Ramsebner überlassen. Wobei, nicht ganz: Man beobachtet bei den Pässen ein leichtes Übergewicht bei Ortlechner (70:50) welches zu einem starken Übergewicht wird, wenn man sich die Pässe von Ramsebner noch einmal genauer anschaut.

 

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Ein Großteil von Ramsebners Pässen landete wiederum bei Ortlechner. Dieser zog den gesamten Spielaufbau an sich, der damit seine Probleme hatte:

 

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Die hier ersichtliche Spieleröffnug der Austria ist eindimensional und berechenbar. Hinzu kommt, dass die Ausführung von Ortlechner noch Potenzial hat. Vom Ansatz waren die Zuspiele von Ramsebner sogar vielversprechender, doch dieser wurde im Spielaufbau nicht so stark einbezogen wie der Kapitän.

 

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Abgesehen von gut zehn Querpässen zu Ramsebner, die großteils postwendend wieder zurückkamen, wurden 20-30 Pässe auf Suttner/Salamon gespielt, die wiederum als tief stehende Linksverteidiger in ihrem Aktionsradius stark eingeschränkt sind. So fehlt dem Linksverteidiger natürlich die ganze linke Spielfeldhälfte. Der Rest (wieder ca. 20 Pässe) wurde lang nach vorne gespielt, jedoch wurde auf einen Diagonalpass auf den rechten Flügel großteils verzichtet. Als Linksfuß in der Innenverteidigung sollte dies eigentlich die erste Wahl sein.

 

Von den Außenverteidigern konnte in Sachen Aufbau Suttner auf sich aufmerksam machen. Mehrere einschneidende Läufe bedeuteten einen nicht zu vernachlässigenden Raumgewinn mit einem entscheidenden Vorteil bei der Spieleröffnung.

 

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Jedoch geschah dies dermaßen sporadisch und wenn dann nur aus der Not heraus, dass man in diesen Fällen von der Eigeninitiative des Spielers ausgehen muss. Folgerichtig war bei Salamon davon dann wenig zu sehen. Was außerdem auffiel waren die einrückenden Außenspieler, die sich viel in der Mitte aufhielten, dadurch musste die Austria im vorderen Drittel oft abbremsen und den Retourgang einlegen, wobei der Rückpass dabei nicht weniger als sechs Mal zum Gegner gespielt wurde. Dadurch hatte Wiener Neustadt mehr Konterchancen als zu erwarten war.

 

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Mit zunehmender Spieldauer wurden dann alle Konzepte nach und nach über den Haufen geworfen und immer mehr weite Bälle nach vorne geschlagen, wobei Baumgartner mit der Einwechslung von gleich zwei Stürmern (Kamara, Harrer) zusätzlich zu Damari dem auch wenig entgegensetzte.

 


Fazit: Das größte Sorgenkind ist der Spielaufbau

Die Austria ist weit von dem entfernt, was Trainer Baumgartner als Ziel formuliert hat. Das Gegenpressing greift nur sehr selten, die Anzahl der Ballgewinne im vorderen Angriffsdrittel ist überschaubar.

 

Das größte Sorgenkind ist jedoch der Spielaufbau, der nahezu allein von Kapitän Orltechner betrieben wird, was zu eindimensional ist. Dieses Problem sieht man sehr oft bei Mannschaften, die auf Gegenpressing setzen wollen und dadurch überspitzt formuliert vom Fehler des Gegners abhängen. Dies ist jedoch obsolet, wenn der Ballbesitz zu 70% der Zeit in den Reihen der eigenen Mannschaft ist. Dann gilt es über Varianten im Spielaufbau sich unter Druck in Überzahlsituationen zu bringen. Nur mit hohen Vertikalen Bällen wird man auch in Zukunft nur wenig Chancen herausspielen.