Quo vadis SV Stockerau?

Anfang der 1990er Jahre erlebte der SV Stockerau mit dem Cupsieg und den Europacup-Spielen gegen Tottenham Hotspur einen sensationellen Höhenflug. 22 Jahre später heißt die Realität 2. Landesliga – eine Rückkehr in den bezahlten Fußball scheint ausgeschlo


Wir schreiben den 21. August 1991. Es läuft die 66. Minute des Europapokal-Erstrundenhinspiels SV Stockerau gegen Tottenham Hotspur, als sich Stockeraus Kapitän Michael Keller den Ball auf den Elfmeterpunkt zurechtlegt. Sein Blick ist ganz auf den Ball fixiert, langsam geht er sieben, acht, neun Schritte zurück und läuft an. Der Schuss ist platziert, aber der norwegische Torhüter Erik Thorstvedt im Kasten der Engländer streckt sich mit seinen 1,93 Metern ins linke Eck und hält. Was damals noch keiner der 15.500 Zuschauer im Wiener Praterstadion ahnen konnte: Keller vergab damit nicht nur den möglichen Ausgleich zum 1:1 und damit eine faustdicke Sensation des damaligen Zweitligisten, sondern leitete mit dieser vergebenen Großchance auch den Niedergang des Stockerauer Fußballs ein, der nie wieder so große Fußballwelt schnuppern sollte, wie an diesem Spätsommertag.

 

22 Jahre später eine Randnotiz
22 Jahre später ist der Cupsieg 1991 im Finale gegen Rapid und die damit verbundene Teilnahme am Europapokal der Pokalsieger nur noch eine Randnotiz der heimischen Fußballgeschichte. Die Realität für den SV Stockerau heißt 2. Niederösterreichische Landesliga Ost, wo es an diesem Wochenende gegen den SC Lassee um Punkte geht. Und auch, wenn die junge Mannschaft von Trainer Markus Bachmayer das Spielgeschehen anfangs klar dominiert und schnell mit 2:0 in Führung geht, sind einige der Zuschauer nicht zufrieden. Im Gegenteil: „Der Verein ist am Boden und wird von dort auch nicht mehr so schnell aufkommen", lautet der düstere Kommentar eines Fans, der seinen Namen lieber nirgendwo lesen möchte. „Bei so wenigen Zuschauern kennt hier schließlich jeder jeden und ich möchte auch gerne weiterhin hierher kommen und gemütlich mein Bier trinken." Ob das in der 2. Landesliga noch Spaß macht? „Naja, Spaß würde ich das nicht nennen. Ich komme halt, weil das für mich irgendwie zur Wochenend-Tradition dazugehört."

 

200 zahlende Zuschauer
Damit ist dieser Fan mittlerweile ziemlich alleine, große Zuschauermassen wie zu den Glanzzeiten Anfang der 1990er Jahre strömen schon lange nicht mehr ins Alte Au Stadion. „Damals fanden am Freitag Abend, als wir spielten, im ganzen Weinviertel kaum andere Spiele statt", sagt Präsident Othmar Holzer im Gespräch mit 90minuten.at, „da kamen noch alle zu uns. Heute sind wir mit einem Schnitt von 150 bis 200 zahlenden Zuschauern dort, wo auch alle anderen Mannschaften in dieser Spielklasse sind, nur verlieren sich die in unserem großen Stadion (Anm.: 3.000 Plätze) leider etwas." Dazu kommt, dass die Szenerie zwischen vor sich hin rostenden Werbebanden, der in die Jahre gekommenen Haupttribüne und den altertümlichen Flutlichtmasten alles andere als modern wirkt. „Trotzdem sind wir damit sehr zufrieden", sagt Holzer, „wir haben inklusive drei Trainingsplätzen, von denen zwei mit Flutlicht ausgerüstet sind, grundsätzlich alles, was wir brauchen – auch, wenn ein neuer Anstrich dem Stadion und insbesondere den Flutlichtmasten sicherlich gut täte."

 

Die knappen Finanzen
Aber dafür fehlt das Geld, womit wir beim Grundproblem des SV Stockerau wären: Den knappen Finanzen. Hauptgeldgeber ist die Gemeinde Stockerau, daneben weitere Einnahmequellen und Sponsoren zu finden laut Holzer „keine leichte Angelegenheit". Schuld daran sei neben dem wirtschaftlichen Niedergang der Industriestadt Stockerau (viele Betriebe haben in den vergangenen Jahrzehnten geschlossen, andere wurden an internationale Konzerne verkauft) vor allem die geringe Wertigkeit des Amateurbereichs. „Die Leute können sich rund um die Uhr nationalen und internationalen Spitzenfußball im TV ansehen und jammern dann bei uns über das Niveau der Spiele. Wir können unmöglich die Qualität wie Rapid, Austria, Barcelona oder Real bieten, viele Zuschauer verstehen das aber nicht." Und auch viele möglichen Sponsoren nicht. „Viele verlangen sportliche Leistungen bevor sie investieren, um diese Leistungen aber bringen zu können bräuchten wir Geld." Da beißt sich also nicht nur sprichwörtlich die Katze in den Schwanz und das ist – neben der von Fans hinter vorgehaltener Hand ausgesprochenen Vermutung, dass die Sponsoringmisere zum größten Teil hausgemacht sei - Hauptgrund dafür, warum der SV Stockerau seinen Fokus vermehrt auf junge Spieler legen will und muss. Einige davon kommen aus den eigenen Nachwuchsteams, viele auch aus dem Unterbau der Wiener Klubs, wo ihnen der Durchbruch nicht geglückt ist.

 

Realität heißt 2. Landesliga
„Wir haben sicherlich einen der jüngsten Kader der Liga und wollen diesen Weg gemeinsam mit unserem Trainer – der uns auch nach dem Abstieg aus der 1. Landesliga im Vorjahr erhalten bliebt – weitergehen", sagt Holzer. Ziel sei damit im heurigen Jahr ein Platz unter den Top 5, langfristig soll es auch wieder nach oben gehen. „Spätestens 2017 hoffen wir zum 110-jährigen Vereinsjubiläum wieder eine Klasse höher zu spielen." Ob der Verein auch darüber hinaus Ambitionen hegt? „Die Regionalliga hätte sicherlich einen gewissen Reiz und würde sich vom Aufwand in überschaubaren Grenzen halten", sagt Holzer, „dafür würden wir aber natürlich mehr Sponsoren und ein höheres Budget benötigen." Eine Rückkehr in den bezahlten Fußball ist damit also ausgeschlossen? „Das würde ich nicht sagen; vorstellbar ist so etwas prinzipiell schon", sagt Holzer und lächelt. „man wird schließlich noch träumen dürfen, realistisch ist das aber auf absehbare Zeit nicht."

 

Die Realität heißt also auch weiterhin 2. Landesliga, in der Stockerau gegen Lassee in den Schlussminuten beinahe noch den Sieg aus der Hand gibt und schlussendlich mit viel Glück 2:1 gewinnt. In der Tabelle liegt man dank des Dreipunkters nun auf Platz 6; zwei Punkte hinter dem USV Scheiblingkichen und einen weiteren Punkt hinter dem ASK Eggendorf. Überlegener Tabellenführer ist mit 33 Punkten aus zwölf Spielen der ASK Ebreichsdorf – nach großer Fußballwelt klingt das aber alles nicht.