Draußen vor den Toren

Brasilien hat den Confed-Cup durch einen 3:0-Erfolg über Spanien eindrucksvoll für sich entschieden. Teamchef Luiz Felipe Scolari würde das Volk gern so vereint sehen wie seine Mannschaft. Doch auf der Straße herrscht Wut über Stadionprojekte wie das Mara

 

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Der Finaltag beginnt mit einer ordentlichen Portion Ungewissheit. Rund ums Maracana sind neuerliche Demonstrationen angekündigt und niemand kann sagen, welches Ausmaß sie annehmen werden. Die Anreise zum Spiel erfolgt deshalb äußerst zeitig. Per Bus geht es in die Nordzone Rios, in den Stadtteil Tijuca, der das Stadion umgibt. Nur ein paar Polizisten harren dort neben ihren Motorrädern dessen, was auf sie zukommt. Und das ist vorerst nicht viel: Die Straßen sind beinahe menschenleer. Viele Bars haben ihre Rollläden erst gar nicht hochgezogen und die Geschäfte sind am Sonntag ohnehin geschlossen.

 

Ein paar Kreuzungen weiter wird die Szenerie von Leben erfüllt. Schon von weitem sind die Fahnen und Transparente einer Demo zu sehen. Begleitet von Sambatrommeln und Trompeten ziehen rund 2.000 Leuten durch die Straßenschluchten zwischen den Hochhäuser. Es ist eine bunte Gruppe: Männer, Frauen, Junge, Alte, Weiße, Schwarze. Dressen von Flamengo und Vasco da Gama sind genauso zu sehen wie jene von Fluminense und Botafogo. Ein guter Teil der Teilnehmer macht zwar einen studentischen Eindruck, eine homogene Masse sind sie aber nicht. Und schon gar keine gewalttätige. Statt Vermummung ist Interaktion mit den Anwohnern angesagt, die von den Fenstern und Balkonen herunterwinken und so ihr Verständnis für die Anliegen signalisieren. An die Passanten auf der Straße werden Flugblätter verteilt.

 

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Wer braucht die WM?
Die Demo steht unter dem Motto „Domingo eu vou ao Maracana" (Am Sonntag gehe ich ins Maracana) – der Titel eines Sambaklassikers, der von den Fußballfans auch gern im Stadion gesungen wurde. Zuletzt hat man ihn im Maracana jedoch selten gehört, denn der Betongigant war während der vergangenen acht Jahre wegen diverser Bauarbeiten mehr als die Hälfte der Zeit geschlossen. Weil auch andere Stadien wie das zurzeit gesperrte Estadio Engenhao nicht zur Verfügung stehen, müssen Rios Vereine für Meisterschaftsspiele immer wieder in Satellitenstädte außerhalb der Metropole ausweichen. Ausbaden müssen das die Fans, die für die Fahrt zu „Heimspielen" oft mehrere Stunden im Bus sitzen.

 

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Das Maracana soll nach dem Confed-Cup privatisiert werden. Eine Schule, Trainingsstätten für diverse Sportarten und weitere öffentliche Einrichtungen mussten bereits weichen, für die Zeit nach der WM droht ein drastischer Anstieg bei den Kartenpreisen. Auf den Transparenten werden diese Entwicklungen kritisiert. „Copa pra quem?" (Die WM, für wen?) und „Maraca publico" (Für ein öffentliches Maracana) steht da zu lesen. Die FIFA, Rios Gouverneur Sergio Cabral und der Mediengigant O Globo, der teilweise sehr negativ über die Proteste der vergangenen Wochen berichtet hat, werden zum Teufel gewunschen.

 

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Mit einigem Sicherheitsabstand folgen dem Demozug rund 50 Militärpolizisten. Dafür, wie beschaulich alles abläuft, wirken die Männer mit ihren gezogenen Schlagstöcken merklich nervös. Etwas radikaler geht es derweil in einem anderen Teil der Stadt zu. Wie ein Live-Ticker zu den Demonstrationen vermeldet, haben 40 Aktivisten der Fanorganisation „Frente Nacional dos Torcedores" den noch in Bau befindlichen neuen Sitz des brasilianischen Fußballverbands CBF im Nobelviertel Barra da Tijuca besetzt. Ein symbolischer Akt. Die Gruppe, die den Rücktritt des CBF-Präsidenten Jose Maria Marin fordert, zieht nach Verhandlungen mit der Polizei wieder von der Baustelle ab und schließt sich den Demos am Maracana an.

 


Ein Heer und ein Favela-Panzer
Das dort stattfindende Finale des Confed-Cups geht als Sportereignis mit dem höchsten Sicherheitsaufgebot in die brasilianische Geschichte ein. Über 11.000 Polizisten und Militärangehörige wurden abkommandiert, um die Demonstranten daran zu hindern, die FIFA-Veranstaltung zu stören. Das Ausmaß wird deutlich, je näher man dem Stadion kommt. Erst eine Straße mit geparkten Lkws, in denen die Polizeipferde herangekarrt wurden, dahinter Spezialeinheiten an allen neuralgischen Punkten. An den Kreuzungen vor dem Stadion haben sie in drei Ketten hintereinander Stellung bezogen. In ihrem Rücken steht ein gepanzertes Monstrum von einem Fahrzeug: der Caveirao, mit dem die Polizei ansonsten in Favelas einfällt, um Drogenbosse festzunehmen oder Unruhen niederzuwalzen. Heute dient der gepanzerte Mannschaftswagen mit seinen Schießscharten als Warnung an übermütige Demonstranten und als Fotomotiv für die Fußballfans aus der brasilianischen Mittelschicht, von denen viele genauso wie die Journalisten aus Europa ein solches Fahrzeug noch nie so hautnah gesehen haben.

 

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Rundherum treibt das FIFA-Fest seine bekannten Blüten. Fans in absurden Kostümen und mit bemalten Gesichtern trinken Bier aus Budweiser-Bechern und essen Einheitsfastfood. Doch in der Sperrzone wird mit zweierlei Maß gemessen: Während WM-Gegner und fliegende Händler ausgesperrt bleiben, dürfen religiöse Gruppen ungestört ihr Propagandamaterial verteilen. Im Stadion kommen die Vertreter der Protestbewegung dann aber noch zu einem unerwarteten Auftritt. Während der Abschlusszeremonie entrollen drei Statisten Transparente gegen die Privatisierung des Maracana und homophobe Tendenzen in der brasilianischen Politik. Für Pressefotos reicht der Kurzauftritt, dann werden sie abgeführt. Das Gros der 73.500 Zuschauer bekommt nichts von der Aktion mit.

 

Scolari und die Realität
Als danach der Fußball in den Mittelpunkt rückt, erlebt das komplett umgebaute Novo Maracana das erste historische Match seiner Geschichte. Das junge brasilianische Team, dessen Mitglieder sich im Zuge des Confed-Cups mehrmals positiv zu den Protesten geäußert haben, spielt die spanischen Welt- und Europameister in Grund und Boden und zeigt, dass die große Zeit des Tiki-Taka abgelaufen sein könnte. Das Publikum reagiert verzückt und schon zur Pause singt das ganze Stadion „O campeao voltou" (Der Champion ist zurück) und „O Maraca e nosso" (Das Maracana gehört uns).

 

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In diesen Momenten treten die Proteste vor den Stadiontoren in den Hintergrund. Bei der anschließenden Pressekonferenz wird Luiz Felipe Scolari jedoch unsanft in die Realität zurückgeholt. Auf die Frage eines englischen Journalisten, wie sich der Sieg denn anfühle, wenn vor dem Stadion ein Heer von Sicherheitskräften steht, das ausreichen würde, um in Paraguay einzumarschieren, verliert der brasilianische Teamchef die Contenance. Der Fragesteller möge sich doch an die Unruhen vor den Olympischen Spielen in London erinnern und sich nicht in die Angelegenheiten fremder Länder einmischen, sagt Scolari. Bereits zuvor hatte er gemeint, das Land solle sich die Einheit seiner Mannschaft als Vorbild nehmen. Wenn es nur so einfach wäre.

 


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