Sturm: Neustart frisch, saftig, steirisch
Viele Trainer haben sich seit Franco Foda an Sturm Graz versucht. Zur fehlenden personellen Konstanz, kam eine fehlende Linie in strategischer Hinsicht. Das soll jetzt alles anders werden. Sturm Graz in a nutshell kurz vor dem Start der Meisterschaft.
Wenn wirtschaftlich nicht die Möglichkeit besteht, nehmen wir nicht die dritte oder vierte Wahl. Dann gehen wir mit dem in die Saison, was wir aktuell zur Verfügung haben.
Jeder Stein im Klub soll umgedreht werden.
+ + 90minuten.at Exklusiv + + Eine Reportage von Jürgen Pucher
“Die Amtssprache bei Sturm ist wieder steirisch”, erklärt Präsident Christian Jauk stolz grinsend bei der Präsentation des neuen Trainers Christian Ilzer, ein gebürtiger Oststeirer aus Puch bei Weiz. Das ist auch nicht zu überhören. Dazu kommen der Obersteirer Andreas Schicker als Geschäftsführer Sport, der Grazer Thomas Tebbich als Geschäftsführer Wirtschaft, die Assistenztrainer im Team von Ilzer, Vereinslegende und Traktor-Poet Günther Neukirchner und viele mehr. In Messendorf wird wieder gebellt, wie man sich in Restösterreich über die steirische Färbung des hierzulande gesprochenen Deutsch gerne ein bisschen lustig macht. Der Wiener im Team ist aus seiner Pause nicht mehr zurückgekehrt. Günter Kreissl und der Klub haben sich einvernehmlich darauf geeinigt, dass der frühere Sportdirektor nicht mehr Teil des ausgerufenen Neustarts bei Sturm sein wird. Bei allen Verdiensten von Kreissl, die man nicht leugnen kann und muss, zeigt das aber auch eines: Es ist den Verantwortlichen ernst, mit dem Neubeginn.
Architekt Schicker
Kreissl stand für vieles, aber Dinge wie eine einheitliche Spielidee von der Jugend bis zur ersten Mannschaft, intensive Förderung der jungen Spieler und eine Planung abseits des Credos des schnellen Erfolgs, waren nicht unbedingt ganz oben auf seiner Agenda. Der SK Sturm wird für seinen neuen Weg sicher noch die eine oder andere Personalie brauchen. Andreas Schicker wird nicht alle sportlich relevante Belange alleine stemmen können. Aber es sollten Leute kommen, die den neuen Weg zu 100 Prozent mittragen können und wollen. Nicht jemand, der sich dafür ein gerüttelt Maß verbiegen müsste. Der neue Sportchef ist es nämlich auch, der der hauptverantwortliche Architekt für das jetzt am Tisch liegende Konzept ist.
Die Idee dahinter ist zudem gar nicht so neu, wie es jetzt den Anschein hat. Als letzten Winter schon klar wurde, dass Günter Kreissl als Sportdirektor aufhören wird, hat Schicker bei einem Hearing dem Vorstand in den Grundzügen schon den jetzt begonnenen Weg skizziert. Es soll breite Zustimmung gegeben haben. Offenbar hat es den Herren gedämmert, dass ein Klub wie Sturm nur mittel- bis langfristig planen und mit Einbindung des eigenen Nachwuchs arbeiten sollte. Auch wenn erst nach dem Abschied von Nestor El Maestro offiziell ein Umdenken kommuniziert wurde, hat der Prozess wohl schon früher begonnen. Das verheerende Frühjahr 2020 war dann nur noch ein sehr gutes Argument für den neuen Weg.
Drei Transferzeiten und schwarz-weiße Dreifaltigkeit
Was ist von diesem neuen Weg nun zu erwarten? Zunächst einmal braucht es Geduld. Der Kaderumbau dauert laut Andreas Schicker ein wenig. Die Vertragssituation und der durch Corona schwierige Transfermarkt würden nicht erlauben, dass in der jetzt am Wochenende beginnenden Saison schon eine Elf am Platz stehen wird, die komplett nach den Wünschen der neuen sportlichen Leitung zusammengestellt ist. Drei Transferzeiten würde das schon in Anspruchnehmen, sagt der neue Sportchef im Podcast BlackFM.at . Ein Credo sei nämlich jetzt auch: “lieber keinen Transfer als einen schlechten.” Das ist auch gleich ein Link zum neuen Stellenwert der Jugend. Lieber soll ein Risiko mit einem jungen Talent eingegangen werden, als eine Position mindestens eine Saison lang mit einem gestandenen Durchschnittskicker zuzustellen.
“Es ist extrem wichtig, wenn wirtschaftlich nicht die Möglichkeit besteht auf einer gewissen Position das zu tun was wir uns vorstellen, nehmen wir nicht die dritte oder vierte Wahl. Dann gehen wir mit dem in die Saison, was wir aktuell zur Verfügung haben. Erst zu einem Zeitpunkt wo es möglich ist, holen wir uns am Transfermarkt eine beste Option”, sagt der neue Trainer Christian Ilzer. Generell sollte man bei Transfers von fünf zumindest vier Treffer haben, fügt er noch hinzu. Dazu kommt die neue schwarz-weiße Dreifaltigkeit. Das bedeutet übersetzt: Amateure, Kapfenberg und erste Mannschaft. Der Klub hat sich durch die Kooperation mit dem KSV die Möglichkeit geschaffen, seine Leute entweder in der Regionalliga, zweitklassig oder in der ersten Mannschaft auflaufen zu lassen, um Spielzeit in unterschiedlichen Leistungsstufen zu sammeln. Konkretes Beispiel: der dritte Goalie Christopher Giuliani wird in der zweiten Liga bei Kapfenberg im Tor stehen und so bekommt Luka Maric Spielzeit bei den Amateuren.
In die Ritterburg!
Ein aktuelles Thema ist es außerdem noch, Leute anzubringen, mit denen man definitiv nicht mehr plant. Markus Lackner wurde bereits nach Ried abgegeben. Es bleibt, einen Platz für Lukas Grozurek, Emeka Eze oder auch Lukas Spendlhofer zu finden. Warum letzterer keine Chance mehr bekommt, darüber hält man sich eher bedeckt. Eine Erklärung wird wohl sein, dass der Innenverteidiger seine Rolle als absoluter Führungsspieler, die ihm dem Vernehmen nach relativ stattlich entlohnt worden ist, nie wirklich ausfüllen konnte. Die Augen offen halten muss Sturm, trotz großer wirtschaftlicher Einschränkungen durch die Corona-Krise, auf der linken Abwehrseite. Hoffnungsträger Vincent Trummer fällt acht Monate aus, es steht dort mit Amadou Dante nur noch ein Spieler für die Position zur Verfügung. Auch im Sturm würde man sich einer sehr guten Option eventuell nicht verschließen, erklärt Andreas Schicker.
Kader, Struktur und die generelle Neuausrichtung sind die eine Sache. Am Feld ist dann die andere. Alles, was da ist, muss sich dann in einer Spielidee bei Christian Ilzer wiederfinden. Diese heißt laut Eigendefinition „Schnellangriffsfußball“. Eine hohe Anzahl an Sprints und Geschwindigkeit in der Spitze und dem Abwehrzentrum sind dafür wesentliche Bausteine. Der Trainer zeichnet gerne das Bild der Ritterburg, wo entweder das Tor mit vielen Rittern belagert, oder wenn es zu ist, der Weg außen herum gesucht werden soll. In jedem Fall geht es dem 42-Jährigen um viel Tempo, spielerische Lösungen und vor allem Vehemenz in der Strafraumpräsenz. Das erfordert natürlich einen Fokus auf die Fitness des Kaders. Hier wird Sturm Schwerpunkte setzen müssen, war die Mannschaft doch letzte Saison nicht unbedingt dafür bekannt, in den letzten 20 Minuten Spiele zu entscheiden.
Gedrehte Steine
Auch in Richtung Teambuilding und mentales Training gibt es jetzt in Graz einen neuen Impuls. Jahrelang verpönt, gibt es jetzt vier bis fünf Tage im Monat Besuch von Matthias Berthold. Der frühere Schisport-Trainer hat auf mentale Betreuung von Fußballern umgesattelt. “Jeder Stein im Klub soll umgedreht werden”, verlautbarte Präsident Jauk im Sommer. Zumindest das ist schon jetzt eingetreten und umgesetzt. Seit sicher einem Jahrzehnt wurde beim SK Sturm nicht mehr so viel verändert und grundlegend neu angegangen. Welcher Stein dann tatsächlich zur besseren Seite gewendet wurde, wird wie immer erst die Zeit zeigen.
Der Zeitpunkt inmitten der Corona-Krise ist für die Schwarz-Weißen ein bisschen Glück im Unglück. An sich ist die Pandemie natürlich, wie für sehr viele Teile der Gesellschaft, auch für einen Fußballklub ein großes Problem. In erster Linie wirtschaftlich. Verkäufe im Winter können, je nach Entwicklung der Zuschauerregelungen, von Andreas Schicker nicht ausgeschlossen werden. Nichtsdestotrotz ist diese Situation für einen Neustart, wo keiner weiß, wie schnell das neue Werkl rund laufen wird, nicht die schlechteste. Man kann ein wenig unbeobachteter und ruhiger an die Phase des Ausprobierens herangehen. Aber es gilt natürlich weiterhin den Ball flach und die Erwartungshaltung niedrig zu halten. Weder vom gern nervös-hysterischen Umfeld in Graz noch vom sehr leicht sehr aufgeregten Präsidenten des Klubs, dürfen sich Andreas Schicker und seine Leute vom Weg abbringen lassen.