"Daten aus 177 FIFA-Mitgliedsverbänden besagen, dass nur etwa acht Prozent der dortigen Leitungsfunktionen von Frauen besetzt sind. Die Administration des Frauenfußballs ist ist also nach wie vor fest in männlicher Hand. Hier gilt es noch eine ganze Menge harter Bretter zu bohren."
Viele enge Matches
Der gute Eindruck, den diese Weltmeisterschaft hinterlässt, hängt aber auch nicht zuletzt mit der Kompaktheit des Feldes zusammen, in dem das Leistungsgefälle längst nicht mehr so groß ist wie früher. Viele enge Matches legen beredtes Zeugnis dafür ab, FIFA-Präsident Gianni Infantino ventilierte bereits seine Absicht, die nächste Endrunde mit 32 statt wie bisher 24 Teams auszutragen. Die Weltspitze ist zusammengerückt, auch Neulinge wie Schottland oder Chile gaben kein Kanonenfutter ab. Selbst der US-Equipe, so hoch ihr Standard auch ist, schien in manchen Momenten allein noch ihr an Arroganz grenzendes Selbstvertrauen den entscheidenden Vorteil vor der Konkurrenz zu sichern. Große traditionsreiche Fußballländer wie Italien, Spanien oder die Niederlande haben endlich Anschluss gefunden. Hoffnungsvoll stimmt, dass dies keine dem Zufall geschuldete Momentaufnahme darzustellen scheint, sondern einen auf Dauer angelegten Durchbruch, der auf der Basis eines unverzichtbaren strukturellen Unterbaus ruht.
Die Niederlande etwa sind das beste Beispiel dafür, welch spektakuläre Ausmaße ein Entwicklungsschub in solch einem Fall annehmen kann, aber auch Mahnung daran, woher der Frauenfußball kommt. Bondscoach Sarina Wiegman hat noch Erinnerungen daran, wie sie als Jugendliche mangels Alternative in einer Burschenmannschaft illegal ihrer Leidenschaft frönen musste. Erst 2007 war ein Ligabetrieb aufgenommen worden, bereits zehn Jahre später war Oranje Europameister. Nach der allerersten Qualifikation für eine WM-Endrunde 2015, stieß man nun bis ins Finale vor.
Doch obwohl die Spiele umkämpfter waren denn je, und die Zweikampfführung durchaus knackig angelegt wurde: Nach wie vor erfrischte der weitgehende Verzicht auf Mätzchen jedweder Art. Mit dem Mäntelchen vorgeblicher Cleverness nur unzureichend verschleierte Unsportlichkeiten blieben im Turnierverlauf Rarität. Eine weitere Erkenntnis: Fußball funktioniert tatsächlich auch bei uneingeschränkt positiver Atmosphäre auf den Rängen klaglos, Rückfälle in stammesgesellschaftliche Rituale sind hierfür keine notwendige Zutat.
Persönlichkeiten
Persönlichkeiten auf dem Feld dagegen schon eher – und an ihnen mangelte es nicht. Sei es eine mutige Trickserin wie Engländerin Nikita Parris, die die Bälle in einer feinmotorischer Präzision verarbeitet, dass die Zunge einfach schnalzen muss, oder eine abgeklärte Innenverteidigerin wie Nilla Fischer. Die 34-jährige Schwedin rettete ihrem Team bei einem Schuss in letzter Minute mit einer heroischen Kopfabwehr auf der Linie Platz drei. Und sie steht auch sonst ihre Frau. Die lange beim deutschen Meister Wolfsburg aktive Fischer setzt sich für Toleranz und gegen Homophobie ein, propagiert pro-europäisches Engagement. Was Inklusion und Vielfalt angeht, befindet sich der Frauenfußball auf der Höhe der Zeit, sind etwa offen lesbische Spielerinnen längst Normalität. Das oft leichtfertig strapazierte Wort vom Vorbild – hier trifft es zu.
Apropos Normalität. Die gesamte WM dürfte mittlerweile dort angekommen sein – und das ist vielleicht die erfreulichste Erkenntnis der vergangenen Wochen. Die mediale Vermittlung erfolgte weitestgehend so, wie sie einem Sportereignis von globaler Dimension angemessen ist. Fruchtlose Debatten wie jene, ob Männer- und Frauenfußball nicht doch unterschiedliche Sportarten seien, und letzterer daher etwa auf verkleinerten Plätzen ausgetragen werden sollte, blieben Marginalien. Häme und schlechte Witze wird es weiter geben, nie jedoch wirkten sie so sehr von gestern.
Es funktioniert - der Weg ist aber weit
Auch abseits sportlicher Parameter funktionierte das Premium-Produkt Weltmeisterschaft. Sportartikel-Gigant Nike hat in seiner Unternehmensgeschichte während einer Saison noch nie so viele Trikots verkauft, wie von jenem des US-Nationalteams der Frauen. Aus den Niederlanden und Großbritannien wurden rekordverdächtige TV-Quoten für die in insgesamt 135 Länder übertragenen Spiele gemeldet. Bemerkenswert: In Deutschland war das Mattscheiben-Publikum überwiegend männlich. In den Stadien selbst verfolgten im Schnitt etwas mehr als 21.000 Zuschauer pro Spiel das Geschehen – ein mehr als ordentlicher Wert.
Doch noch ist längst nicht alles Gold, was glänzt. Daten aus 177 FIFA-Mitgliedsverbänden besagen, dass nur etwa acht Prozent der dortigen Leitungsfunktionen von Frauen besetzt sind. Die Administration des Frauenfußballs ist ist also nach wie vor fest in männlicher Hand. Hier gilt es noch eine ganze Menge harter Bretter zu bohren.