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WM 2019: Normalität als schönstes Kompliment

Die 8. Frauenfußball-WM endete am Sonntag mit einem 2:0-Finalsieg des favorisierten Titelverteidigers USA gegen Europameister Niederlande. Das Endspiel verlief über weite Strecken hochklassig, und auch über die Endrunde insgesamt gibt es viel Positives zu sagen.

Von Michael Robausch

 

„Wir haben nie den gleichen Matchplan, auch wenn wir zweimal gegen denselben Gegner spielen.“ Also sprach Peter Gerhardsson. Und in der Tat: Sein schwedisches Team überraschte im samstäglichen Spiel um Platz drei bei der Fußball-WM der Frauen die Gegnerinnen aus England in der Anfangsphase mit aggressivem Pressing. Bis zu fünf seiner Spielerinnen widmeten sich tief in englischem Territorium der Balleroberung. Weit nach vorne gezogene Wingbacks machten im Zusammenwirken mit schnellen, das direkte Duell suchenden Flügeln den leicht favorisierten Lionesses das Leben schwer. Es dauerte eine gute halbe Stunde, ehe die Elf von Coach Phil Neville Schritt für Schritt Abstand vom falschen Fuß gewann. Zu diesem Zeitpunkt jedoch führten die Schwedinnen bereits mit 2:0.

Erst nach der Pause näherte sich die Partie in Nizza der von vornherein erwarteten Charakteristik an. Schweden pflegte nun seine seit Generationen gepflegten Kernkompetenz des Türeschließens, Gerhardsson hatte auf eine Defensivformation mit drei Innenverteidigerinnen umgestellt. England, nunmehr mit zwei Spitzen im Zentrum und angetrieben von Fran Kirby, kam zwar besser ins Spiel – zu Chancen jedoch kaum. Die Fortifikation der Schwedinnen sollte bis zum Ende halten, ein 2:1-Vorsprung wurde in trockenen Tüchern über die Ziellinie geschaukelt.

 

Taktische Evolution

Der Erfolg der Skandinavierinnen, die sich zum dritten Mal in der WM-Geschichte Platz drei sicherten, beruhte also nicht zuletzt auf ihrem Spielplan. Blickt man auf diese 8. Welttitelkämpfe in Frankreich zurück, so ist die Evolution auf taktischem Feld eines ihrer augenfälligsten Merkmale. Die besten Teams der Welt sind mittlerweile ohne weiteres in der Lage, je nach Bedarf mehrere Systeme umzusetzen und können diese auch während eines laufenden Matches flexibel anpassen. Auch der nunmehr vierfache Champion USA mit seinem so reichhaltigen Arsenal an Möglichkeiten, brachte dieses durchaus pragmatisch zum Einsatz. Man scheute sich mitnichten vor fakultativem Dichtmachen, etwa im mitreißenden Viertelfinale gegen die gastgebenden Französinnen, dem mutmaßlich besten Spiel des Turniers.

Doch auch was Physis und Technik betrifft war das Niveau noch nie so hoch. Die Fortschritte hinsichtlich der athletischen Fertigkeiten der Spielerinnen, was etwa Ausdauer, Koordination, Schnelligkeit oder auch Sprungkraft betrifft, sind unübersehbar. Im Zusammenwirken mit gekonnter Ballbehandlung war das die Basis für eine ganze Reihe gutklassiger und kurzweiliger Partien mit allen dafür notwendigen Komponenten. Tempo und Dynamik stimmten, nicht selten trotz hochsommerlicher Temperaturen. Der größte Schritt nach vorne ist womöglich auf der Position der Torfrau zu konstatieren, eine, die lange als Achillesferse des Frauenfußballs verschrien war – und das nicht zu unrecht. Nun jedoch sind da letzte Frauen wie die Niederländerin Lineth Beerensteyn oder die Schwedin Hedvig Lindahl. Beide strahlen Ruhe aus und überzeugen mit einer Strafraumbeherrschung, die noch vor wenigen Jahren alles andere als selbstverständlich gewesen wäre.

"Daten aus 177 FIFA-Mitgliedsverbänden besagen, dass nur etwa acht Prozent der dortigen Leitungsfunktionen von Frauen besetzt sind. Die Administration des Frauenfußballs ist ist also nach wie vor fest in männlicher Hand. Hier gilt es noch eine ganze Menge harter Bretter zu bohren."

Viele enge Matches

Der gute Eindruck, den diese Weltmeisterschaft hinterlässt, hängt aber auch nicht zuletzt mit der Kompaktheit des Feldes zusammen, in dem das Leistungsgefälle längst nicht mehr so groß ist wie früher. Viele enge Matches legen beredtes Zeugnis dafür ab, FIFA-Präsident Gianni Infantino ventilierte bereits seine Absicht, die nächste Endrunde mit 32 statt wie bisher 24 Teams auszutragen. Die Weltspitze ist zusammengerückt, auch Neulinge wie Schottland oder Chile gaben kein Kanonenfutter ab. Selbst der US-Equipe, so hoch ihr Standard auch ist, schien in manchen Momenten allein noch ihr an Arroganz grenzendes Selbstvertrauen den entscheidenden Vorteil vor der Konkurrenz zu sichern. Große traditionsreiche Fußballländer wie Italien, Spanien oder die Niederlande haben endlich Anschluss gefunden. Hoffnungsvoll stimmt, dass dies keine dem Zufall geschuldete Momentaufnahme darzustellen scheint, sondern einen auf Dauer angelegten Durchbruch, der auf der Basis eines unverzichtbaren strukturellen Unterbaus ruht.

Die Niederlande etwa sind das beste Beispiel dafür, welch spektakuläre Ausmaße ein Entwicklungsschub in solch einem Fall annehmen kann, aber auch Mahnung daran, woher der Frauenfußball kommt. Bondscoach Sarina Wiegman hat noch Erinnerungen daran, wie sie als Jugendliche mangels Alternative in einer Burschenmannschaft illegal ihrer Leidenschaft frönen musste. Erst 2007 war ein Ligabetrieb aufgenommen worden, bereits zehn Jahre später war Oranje Europameister. Nach der allerersten Qualifikation für eine WM-Endrunde 2015, stieß man nun bis ins Finale vor.

Doch obwohl die Spiele umkämpfter waren denn je, und die Zweikampfführung durchaus knackig angelegt wurde: Nach wie vor erfrischte der weitgehende Verzicht auf Mätzchen jedweder Art. Mit dem Mäntelchen vorgeblicher Cleverness nur unzureichend verschleierte Unsportlichkeiten blieben im Turnierverlauf Rarität. Eine weitere Erkenntnis: Fußball funktioniert tatsächlich auch bei uneingeschränkt positiver Atmosphäre auf den Rängen klaglos, Rückfälle in stammesgesellschaftliche Rituale sind hierfür keine notwendige Zutat.

 

Persönlichkeiten

Persönlichkeiten auf dem Feld dagegen schon eher – und an ihnen mangelte es nicht. Sei es eine mutige Trickserin wie Engländerin Nikita Parris, die die Bälle in einer feinmotorischer Präzision verarbeitet, dass die Zunge einfach schnalzen muss, oder eine abgeklärte Innenverteidigerin wie Nilla Fischer. Die 34-jährige Schwedin rettete ihrem Team bei einem Schuss in letzter Minute mit einer heroischen Kopfabwehr auf der Linie Platz drei. Und sie steht auch sonst ihre Frau. Die lange beim deutschen Meister Wolfsburg aktive Fischer setzt sich für Toleranz und gegen Homophobie ein, propagiert pro-europäisches Engagement. Was Inklusion und Vielfalt angeht, befindet sich der Frauenfußball auf der Höhe der Zeit, sind etwa offen lesbische Spielerinnen längst Normalität. Das oft leichtfertig strapazierte Wort vom Vorbild – hier trifft es zu.

Apropos Normalität. Die gesamte WM dürfte mittlerweile dort angekommen sein – und das ist vielleicht die erfreulichste Erkenntnis der vergangenen Wochen. Die mediale Vermittlung erfolgte weitestgehend so, wie sie einem Sportereignis von globaler Dimension angemessen ist. Fruchtlose Debatten wie jene, ob Männer- und Frauenfußball nicht doch unterschiedliche Sportarten seien, und letzterer daher etwa auf verkleinerten Plätzen ausgetragen werden sollte, blieben Marginalien. Häme und schlechte Witze wird es weiter geben, nie jedoch wirkten sie so sehr von gestern.

 

Es funktioniert - der Weg ist aber weit

Auch abseits sportlicher Parameter funktionierte das Premium-Produkt Weltmeisterschaft. Sportartikel-Gigant Nike hat in seiner Unternehmensgeschichte während einer Saison noch nie so viele Trikots verkauft, wie von jenem des US-Nationalteams der Frauen. Aus den Niederlanden und Großbritannien wurden rekordverdächtige TV-Quoten für die in insgesamt 135 Länder übertragenen Spiele gemeldet. Bemerkenswert: In Deutschland war das Mattscheiben-Publikum überwiegend männlich. In den Stadien selbst verfolgten im Schnitt etwas mehr als 21.000 Zuschauer pro Spiel das Geschehen – ein mehr als ordentlicher Wert.

Doch noch ist längst nicht alles Gold, was glänzt. Daten aus 177 FIFA-Mitgliedsverbänden besagen, dass nur etwa acht Prozent der dortigen Leitungsfunktionen von Frauen besetzt sind. Die Administration des Frauenfußballs ist ist also nach wie vor fest in männlicher Hand. Hier gilt es noch eine ganze Menge harter Bretter zu bohren.

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