Special Violets: Vom Schuhe binden und Grenzen überwinden
Mit etwas Starthilfe des Stadtrivalen Rapid wurde im Frühjahr 2016 das Special Needs Team der Wiener Austria ins Leben gerufen. Der Fußball steht im Mittelpunkt, das Trainerteam will Zusammenhalt und Vertrauen fördern. Ein Lokalaugenschein von Stefan Berndl.
“Der Larry Kayode macht das auch so. Und der ist immerhin Torschützenkönig geworden.” Cheftrainer Roman Stary kniet auf der Laufbahn neben einem der Trainingsplätze der Akademie der Wiener Austria. Geduldig hilft er Marco Mikocki dabei, die Schuhe zu binden. Das Geheimnis sei, so Stary, “eine doppelte Masche.” Marco ist 21 Jahre alt und hat das Down Syndrom. Er ist einer von 18 Spielern des Special Needs Teams der Wiener Austria. “Wie der Larry”, wiederholt er begeistert. Wie Kayode bei der Kampfmannschaft ist auch Marco Stürmer. Er ist einer der wenigen Spieler im Team, mit einer mentalen Behinderung. Denn die Special Violets bestehen zum Großteil aus Gehörlosen. Was, so Stary, daran liegt, dass gerade diese Behinderungsklasse im Behindertensportverband bereits “in einer geregelten Meisterschaft” organisiert sei.
Was auf dem Platz möglicherweise ein Vorteil ist, da viele der Spieler in körperlich und fußballerisch guter Verfassung sind, ist laut Trainer Leo Vasile auch eine Herausforderung. “Die Disziplin ist nicht unbedingt die größte Stärke der Gehörlosen. Daher ist es eine Herausforderung, sie auch ins Team zu integrieren.” Vasile ist 30 Jahre alt und kam vom Behindertensportverband zum Special Needs Team der Austria. Der gebürtige Rumäne war “am Anfang noch etwas skeptisch. Aber nach drei, vier Monaten habe ich gesehen, dass das Projekt gut aufgenommen wird. Von der Austria und auch dem Umfeld.” Vasile ist, ebenso wie Stary und Alexander Schneider bereits von Beginn an im Trainerteam der Special Violets. Die erst vor kurzem ihr einjähriges Bestehen feierten.
Es hat sich sehr viel getan und zwar bei jedem Einzelnen. Jeder hat sich auf seine Art und Weise weiterentwickelt.
Rapid als Vorbild und helfende Hand
Offiziell gegründet wurden die Special Violets im Frühjahr 2016. Mit Matias Costa, vom Wiener Behindertensportverband, hatte dabei einer der Trainer des Special Needs Teams Rapids wesentlichen Anteil an der Entstehung. “Nachdem die Sache bei Rapid entstanden ist, haben wir immer mit dem Gedanken gespielt, so etwas auch bei der Austria aufzuziehen”, erzählt Alexander Schneider. Costa übernahm daraufhin die Initiative und brachte das Projekt beim Vorstandsvorsitzenden der Wiener Austria, Markus Kraetschmer, vor. Dieser gab sein Einverständnis und kurz darauf hatte das Unterfangen auch schon Fahrt aufgenommen. Nach einigen Sichtungstrainings war ein Kader von 18 Spielern gefunden, der sich bis heute nur bedingt verändert hat. “Wir wollen da auch eine gewisse Konstanz haben”, gibt Schneider an.
Seitdem hat sich viel getan. “Vor allem im Zusammengehörigkeitsgefühl”, meint Thomas Hanreiter. Der 43-Jährige ist Nachwuchstrainer bei der Austria und stieß im September 2016 zum Team der Special Violets. Für ihn war es “eine Herzensangelegenheit.” Er komplettierte damit das Trainerteam, das nun aus einem Quartett besteht. Roman Stary fungiert dabei als Cheftrainer. Stary wechselte vor drei Jahren als Trainer in die Akademie der Austria. Zuvor war er in bei der Kärntner Akademie aktiv. In Kärnten hatte der Wiener auch seine größten Erfolge als Spieler gefeiert. Etwa den Cupsieg im Jahr 2001. Und nun also die Austria und das Special Needs Team. Mit der Entwicklung im letzten Jahr ist Stary zufrieden: “Wir haben es gut geschafft, aus diesen Spielern ein Team zu formen. Sie ergänzen sich auch innerhalb der Mannschaft gut. Das macht dann doppelt Freude.”
Ein überraschend klarer Derbysieg
Trainiert wird, ähnlich wie beim Stadtrivalen Rapid, jede Woche dienstags. Eineinhalb Stunden, mal mehr, mal weniger. Ehe es jedoch losgeht, gilt es noch die Teams für das anstehende Turnier einzuteilen. Das erste Internationale Special-Needs-Team-Turnier Rapids steht an und die Austrianer hoffen, dieses so erfolgreich wie möglich absolvieren zu können. Für Stary ist das Ergebnis am Ende jedoch zweitrangig: “Für mich ist einfach wichtig und auch schön zu sehen, dass man sich mit internationalen Mannschaften messen kann. Dass man vielleicht Kontakte herstellt, oder auch Freundschaften entstehen.” Und womöglich kommt es auch zum Aufeinandertreffen mit dem Rapid-Team. Da haben die Rapidler noch etwas gutzumachen.
Denn die im April abgehaltene Derby-Premiere endete nebst einem Unentschieden mit einem 6:1-Erfolg der Austrianer. Der klare Sieg hat beide Teams überrascht. “In der zweiten Halbzeit ging uns einfach der Knopf auf”, meint Schneider. Im Vorhinein wusste keiner so recht, wo er steht. Zumal es die Special Violets erst seit einem Jahr gibt. In Ihrer Arbeitsweise unterscheidet die beiden Teams auch gar nicht so viel. Lediglich die Gewichtung der einzelnen Behinderungsklassen in der Mannschaft ist - wie bereits oben erwähnt - ein Thema. Das Trainerteam der Special Violets versucht daher auch, “Grüppchenbildung zu reduzieren”, wie Schneider sagt, “Damit ein Zusammenhalt und Vertrauen da ist.” Während die Gehörlosen abseits des Platzes noch recht viel unter sich bleiben, scheint das Team auf dem Platz bereits zu harmonisieren.
Erfolge geben dem Trainerquartett recht
Davon profitiert auch Marco. Er ist, so Schneider, ein Beispiel dafür, wie sich das Team weiterentwickelt hat. Etwa “wenn etwa Marco immer gute Ansätze zeigte, aber Probleme in den Trainingseinheiten hatte. Und dann plötzlich im Testspiel gegen die Damen von Landhaus einen Doppelpack erzielt. Zwei super Abschlüsse ins Eck, als ob er sein ganzes Leben nichts Anderes gemacht hätte”, erzählt Schneider. Der 34-Jährige ist seit vier Saisonen als Mentaltrainer und Sportpsychologe in der Austria-Akademie tätig. Bei den Special Violets sieht er als wichtigsten Aspekt, zu lernen, “mit den Grenzen der anderen umzugehen. Damit jeder seine Rolle in der Mannschaft findet.” Hier lernt auch das Trainerquartett stetig dazu. Das Team gebe dabei, so Stary, “auch viel zurück.”
Für die Zukunft hofft man darauf “neue Spieler zu gewinnen und uns weiter international und national präsentieren zu können”, so Hanreiter. Man will dem Weg, den das Team eingeschlagen hat, treu bleiben. Doch Stary ist auch bewusst, dass “sich in Österreich in den letzten Jahren nur wenig getan hat. In Deutschland ist man da schon viel weiter.” Was laut dem 43-Jährigen vor allem daran liegt, “dass es bei vielen anderen Bundesligaklubs einfach die Ressourcen nicht gibt, so etwas auf die Beine zu stellen.” Die Wiener Vereine hätten da einen großen Vorteil. Dessen sind sich die Austria als auch Rapid bewusst. “Ich hoffe aber, dass da jetzt ein wenig ein Schwung durch ganz Österreich geht”, so Stary abschließend.
Auf den Spuren Larry Kayodes
Kurzfristig ist nun allerdings erst einmal das Rapid-Turnier das nächste Ziel. Auch für Marco. Der Stürmer ist im Training mit vollem Ehrgeiz dabei, in einem abschließenden Spiel von Sechzehner zu Sechzehner darf er auch über einen Treffer jubeln. Die Freude ist groß. Auch die Teamkollegen und Trainer gratulieren. Mit großen Schritten läuft Marco Richtung Kamera, salutiert. Die doppelte Masche am Schuh scheint sich bezahlt zu machen. Das Turnier kann kommen.