Michael Gspurning: ‚Das Recht des Lauteren wird nie zum größtmöglichen Erfolg führen‘

Der Fußball schreibt seine eigenen Geschichten. Michael Gspurning, dreifacher A-Nationalteamkicker, hat viele davon zu erzählen. Im Interview mit 90minuten.at spricht er über seine Karriere, was Spielern bei Vereinswechseln durch den Kopf geht und warum s

 

90minuten.at: Sie sind 34 Jahre alt. Ihre Karriere war für einen österreichischen Kicker eher ungewöhnlich. Warum?

Michael Gspurning: Ich bin keiner gewesen, der den klassischen Weg gegangen ist, wollte immer woanders mein Glück probieren. Teils notgedrungen, teils, weil ich es so wollte. Ich bin dankbar für meine Karriere und die vielen Erfahrungen, die ich machen konnte. Es ist auch ein perfekter Einstieg in die zweite Karriere. Ich hoffe, dass ich da auch so erfolgreich sein kann. Es waren auch Dinge dabei, die nicht so gepasst haben, aber das macht meine Karriere auch so speziell. Ich habe keinen Schritt bereut. Ich wusste mit dem Wechsel nach Seattle schon, dass das mit dem Nationalteam schwierig wird und auch beim Transfer zu Schalke wusste ich, dass ich zunächst Spiele bei den Amateuren absolvieren werde. Mit diesem Schritt gelang es mir aber auch, mich wieder in die große Fussballwelt zurückzukämpfen. Und auch dieser Schritt zu Union Berlin ist eine weitere Entwicklung für mich als Person.

 

Journalisten und Fans runzeln bei manchen Transferentscheidungen allgemein die Stirn. Können Sie uns einen Einblick geben, wie Karriereentscheidungen getroffen werden?
Es gibt meiner Meinung nach zwei Kategorien von Spielern: Die einen sind die, die für viele Millionen aus den Verträgen raus gekauft werden, die es sich aussuchen können. Die weit größere Gruppe muss heutzutage aber froh sein, wenn es überhaupt ein Angebot gibt. Es wird immer extremer. Die meisten Spieler haben nur noch die Chance, ablösefrei zu wechseln. Du kannst noch so verdienstvoll sein, aber es stellt sich dann eher die Frage, ob du dieses Angebot jetzt annimmst oder noch auf ein anderes wartest. Es ist selten der Fall, dass Angebote zeitgleich auf dem Tisch liegen. Meistens passiert es hintereinander. Dann muss man abwägen: Ist das Angebot finanziell ok? In meinem Alter stellt man sich auch die Frage, wie die Chancen danach stehen. Bei mir wusste Union Berlin schon ganz gut, dass ich mich mit der zweiten Karriere schon auseinander setze. Sie haben gesagt, dass ich der erfahrene Back-Up sein soll und auch die Möglichkeit habe, mich auf das Danach vorzubereiten. Ende November war ich beispielsweise beim Trainerlehrgang in Lindabrunn.

 

Die Familie spielt dann auch eine Rolle...
Ich habe zwei Kinder, meine Tochter ist jetzt in die Schule gekommen und die Frage war, was machen wir? Wieder einen Umzug? Sie hat in Griechenland und in den USA gelebt. Meine Frau und ich haben entschieden, dass die Kinder daheim in der Steiermark wohnen sollen. Wir haben das Glück, beide Großelternteile im selben Ort zu haben. Also haben wir entschieden, dass sie in Österreich in die Schule geht. Dass der Papa nur alle zwei, drei Wochen heimkommt, ist natürlich nicht ideal; aber für die Kinder wäre ein weiterer Umzug noch schlechter. All diese Aspekte muss man abwägen.

 

In Österreich wird gern der ideale Zeitpunkt für einen Auslandstransfer diskutiert. Gibt es den, wenn man nicht wie beispielsweise Marcel Sabitzer mit 18 schon auf vielen Zetteln großer Klubs steht?

Der ideale Zeitpunkt kann und ist auch für jeden Spieler unterschiedlich. Das hängt von so vielen persönlichen Komponenten ab. Im Endeffekt muss man ein gutes Einschätzungsvermögen besitzen und dann auch auf das nötige Glück hoffen. Das Timing ist generell sehr entscheidend. Du musst eine tolle Saison spielen und dann im Idealfall auch noch ablösefrei sein. Man wird im Fußball nämlich auch irrsinnig schnell vergessen. Ich war in Griechenland und den USA sechs Jahre lang Stammspieler. Dann bin ich wegen des Geldes zu PAOK gegangen, obwohl ich wusste, dass ich ein halbes Jahr auf der Bank sitzen würde. Für mich war das ein überschaubarer Zeitraum. Ein halbes Jahr später hieß es: Der spielt nicht! Das hat mich damals sehr überrascht, ich wusste ja, dass ich nicht spielen würde. Man ist wirklich schnell weg vom Schuss. Dann kam eine Phase, in der ich öfters die Vereine gewechselt habe. Man muss es nehmen, wie es kommt. Diese Dinge betreffen wie gesagt 80 bis 90 Prozent der Spieler, die all das abwägen müssen. Ob es zu früh oder zu spät ist, ist in meinen Augen sehr individuell zu bewerten. Bei Xanthi gab es einen jungen Keeper mit griechischem und russischem Pass. Der hätte wahrscheinlich nie gespielt, weil nach meinem Abgang kam ein Franzose als Nummer 1. Der Franzose überzeugte aber nicht. Sie haben den Jungen rein gegeben. Nach einem halben Jahr hat Zenit St. Petersburg angeklopft, er ist hin gegangen und im Abschlusstraining vor der Saison hat sich der Einsertorwart verletzt. Jetzt hat Yuri Lodygin einen Millionenvertrag, ist Stammkeeper bei Zenit und Teil der russischen Nationalmannschaft. So kann das Leben auch spielen.

 


Verstehen Sie es, wenn die Öffentlichkeit Transferentscheidungen diskutiert?

Das ist Teil des Spiels. Im Endeffekt muss der Spieler selbst entscheiden, was ihm wichtig ist. Bei Sven Ulreich, da hieß es auch, dass er nur wegen des Geldes von Stuttgart zu Bayern gegangen ist. Ich hätte damals auch zu Panathinaikos gehen können, andererseits war für mich der Reiz, nach Amerika zu gehen, größer. Jetzt werde ich auch gefragt, warum ich nicht zu einem kleineren Verein gehe, wo ich Nummer eins bin. Das ist eh eine gute Frage. Hätte ich auch machen können. In Berlin bin ich aber mehr, das Bindeglied zwischen Trainern und Mannschaft. Ich habe aber meiner Meinung nach mehr Facetten, die ich auch fördern will. Der eine will halt eher spielen, ich wollte das hoch professionelle Umfeld, um mich weiter zu entwickeln und mir ein Netzwerk für die Karriere danach aufbauen. Eines ist sicher: Es wird immer Leute geben, die jede Entscheidung kritisieren. Nicht derjenige, der die Entscheidung anzweifelt, muss hier sein, sondern der, der die Entscheidung trifft.

 

Torhüter, die nicht spielen, kennt man aus dem Nationalteam. Wir träumen ja immer von Keepern bei der Roma und in Stuttgart. Was sagen Sie dazu?
Wer war unser bester Mann bei der Euro?

 

Robert Almer.
Danke. Ich war mit dem Robert zuletzt beim Torwarttrainerkurs und ich seh' das nicht objektiv, das gebe ich zu. Ich schätze ihn als Spieler und als Mensch noch mehr. Er ist ein Phänomen für mich. Er hat es über zweieinhalb Jahre geschafft auf den Punkt genau Leistung zu bringen ohne die berühmt berüchtigte Spielpraxis. Man kann ihm nicht einmal irgendwas vorwerfen. Das ist ja das Schöne am Fußball: Er ist nicht immer logisch. Ich verstehe die Argumente, dass einmal Wohlfahrt bei Stuttgart gespielt hat und Konsel bei der Roma. Verschiedene Zeiten zu vergleichen ist aber immer auch damit verbunden, zu erkennen, dass Schlüsse daraus zu ziehen, durchaus ein verzerrtes Bild ergeben können. Ich kann nur bewerten, was ich sehe. Robert war unser bester Mann bei der Euro. Ok, die anderen waren außer Form. Aber er war in Form. Ein lustiges Kapitel ist es dennoch: Für die B-Lizenz beim Trainer braucht man glaube ich 150 Ligaspiele oder 10 Länderspiele. Ich scheitere an den Länderspielen, Robert an den Ligaspielen. Da schließt sich der Kreis, denn jede Karriere ist unterschiedlich. Aber unser Land bringt immer wieder Torhüter hervor. Die nächste Generation an Torwarttrainern arbeitet schon daran, dass das so bleibt. Wir wollen wieder eine führende Torhüternation werden.

 

Liegt es punkto Nationalteam auch an der exponierten Position als Goalie? Ein Innenverteidiger kann auch rechts, links oder im Mittelfeld spielen.
Die ganze Diskussion finde ich deshalb gut, weil sie zeigt, wie wichtig der Torwart ist. Es gibt immer bessere Generationen als andere. In der Schweiz gibt es derzeit ein Überangebot an Torhütern, Polen auch. Der letzte U21-Jahrgang der Deutschen war mit ter Stegen, Leno und Horn. Beim jetzigen Jahrgang tun sie sich schwer, jemanden zu finden. Die Dinge können sich schnell ändern. Aber die Frage, warum wir keinen Torwart von Weltformat haben, ist legitim. Sie ist sogar wichtig um sachlich die Lage beurteilen zu können und Gründe dafür aufzudecken. Wenn wir die richtigen Schlüsse daraus ziehen, können wir Schritte setzen, dies zum Besseren zu verändern. Das muss aber fachlich und sachlich geschehen. Diese Sachlichkeit fehlt mir in der aber auch in der Gesellschaft generell ein bisschen. Es gibt oft nur schwarz/weiß-Denken und den großen Aufschrei. Ob es sich jetzt um politische Wahlen oder Sonstiges geht. Warum wird nicht in Ruhe analysiert und diskutiert? Das Recht des Lauteren wird nie zum größtmöglichen Erfolg führen

Wir danken für das Gespräch!

 

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