Yüksel Sariyar: ‚Taktik ohne individuelle Qualität bringt nichts'
Der ehemalige Bundesliga- und Nationalteamspieler Yüksel Sariyar ist seit drei Jahren Spielertrainer in Mannersdorf. Im Interview mit 90minuten.at spricht der 35-jährige Mittelfeldspieler über Rassismus im Fußball, die taktischen Fähigkeiten von Didi Cons
Der ASK Mannersdorf rangiert in der Gebietsliga Süd/Südost im Mittelfeld. Yüksel Sariyar ist seit drei Jahren dort als Spielertrainer engagiert. Die Zeiten, als er 13 Mal das österreichische Nationalteamdress trug, mit Pasching gegen St. Petersburg im Europacup spielte oder das Dress seiner Jugendmannschaft, Austria Wien, überstreifen konnte, sind vorbei. Nach einem fehlgeschlagenen Engagement bei Wiener Neustadt und einem Wechsel nach Streda in die Slowakei, heuerte er im niederösterreichischen Unterhaus beim ASK Mannersdorf an. Vösen- statt Hütteldorf, sechste Liga. Für den ehemaligen Teamspieler ist das kein Problem: Er genießt es, zu coachen und sich ab und an einzuwechseln.
Vernunft vor Risiko, so wirkt er, als wir uns in einem Café in seinem Heimatbezirk Meidling treffen. Der Mittelfeldstratege wirkt sehr aufgeräumt. Ausgehend von der Frage, ob er als Kicker türkischer Abstammung mit Rassismus konfrontiert war oder ist, entwickelt sich ein Gespräch, das sich letzten Endes über Zusammenhänge zwischen Taktik und Klasse dreht.
90minuten.at: Wie sieht es gegenwärtig aus mit dem Rassismus in unteren Ligen? ÖFB und Bundesliga versuchen stark dagegen zu arbeiten.
Yüksel Sariyar: Dass diese ganze Arbeit bis ganz runter funktioniert, ist schwierig. In der Bundesliga und der Ersten Liga ist es da einfacher.
Kann man da im Fußballunterhaus überhaupt aktiv arbeiten? Was machen Sie, wenn der typische, etwas ältere Herr „Du depperter Türk'" oder Schlimmeres rein ruft?
Die gibt es natürlich überall, die alten Fans, die schon immer da sind und freilich auch alles besser wissen (lacht). Die sind auch mal unzufrieden, wollen einen schönen Fußball und viele Tore sehen. Als Spieler habe ich schon rassistische Äußerungen erlebt, als Trainer wurde auch hin und wieder etwas in meine Richtung geschrien. Für mich ist das lächerlich und es geht beim linken Ohr rein und beim rechten wieder raus. Diese Leute wird es immer geben und es ist schade, dass es sie immer geben wird. Aber ich kann halt nicht jeden einzelnen Mund stopfen.
Bei den Nachwuchsmannschaften wird das anders sein, weil die schon eher in der Realität angekommen sind, dass nun einmal nicht jede Familie seit vielen Generationen in Österreich wohnt?
Die Jungen sehen die Welt anders. Als ich jung war, war ich auch nicht immer der ganz Brave und in meiner Zeit war es ganz anders als jetzt. Man muss sich da der Gesellschaft einfach anpassen. Wenn die Jungen beleidigt werden, können die das aber auch nicht so verkraften und wehren sich auch. Ich steh da mittlerweile eben auf dem Standpunkt, dass ich es ignoriere.
Schon, aber als Sie um 2000 herum in den Profibereich gekommen sind, waren Sie da nicht irgendwie der einzige „Türke"?
Nein, aber es wird sicherlich einige Vereine geben, vor allem in unteren Klassen, die lieber auf Inländer setzen. Aber ich habe mich selbst nie so gesehen. Ich war und bin nie ein Ausländer in Österreich gewesen. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, habe Bundesliga gespielt und im Nationalteam. Wegen mir wird sich da keiner Gedanken gemacht haben, ob er lieber den Huber oder Maier holt.
Sehen Sie, dass es sich bei den Fans verändert? Auch im Laufe Ihrer Karriere?
In Pasching, wo ich meine schönste Zeit hatte, habe ich nie etwas Negatives erlebt. Aus den gegnerischen Sektoren ist aber schon immer wieder etwas gekommen, wegen der Herkunft auch. Aber das hat sich wohl bis heute nicht geändert und wird sich auch nicht mehr ändern.
Bleiben wir nun beim Sportlichen. Zu Ihrer Zeit musste Österreich die Europameisterschaft noch selber veranstalten, nun qualifiziert man sich vermutlich auf sportlichem Weg. Was ist weitergegangen?
Um ehrlich zu sein, gibt es wohl nur Red Bull Salzburg, die international etwas bewirken können, auch wenn sie es nicht in die Champions League geschafft haben. Dort hat aber eben die Austria eine super Leistung geboten. Aber zwischen dem Nationalteam und den Bundesligamannschaften ist schon ein Riesenunterschied. Die Nationalteamspieler kommen fast alle aus dem Ausland, spielen bei super Vereinen. Es ist ja nicht einfach, in Deutschland Fußball zu spielen. Man sieht ja, wie schwierig es für die heimischen Spieler ist, ins Nationalteam zu kommen, auch wenn es immer ein, zwei von Salzburg oder Rapid geben wird. Der Unterschied ist vor allem das Tempo, auch im Zweikampf.
90minuten.at beobachtet auch die taktischen Fortschritte ganz genau. Da hat sich im Zehnjahresvergleich schon einiges getan, oder?
Die Taktik entwickelt sich quasi täglich weiter. Aber früher sind die Spieler im Schnitt vielleicht 7,5 Kilometer gelaufen, jetzt rennen sie zehn Kilometer und mehr pro Spiel. Schon da gibt es einen großen Unterschied.
Vor zehn Jahren hat man aber schon auch noch anders, möglicherweise mehr auf Sicherheit bedacht, gespielt. Wie sahen damals die taktischen Vorgaben aus?
Das geht immer vom Trainer aus. Jeder Trainer spielt anders und gibt andere taktische Schwerpunkte aus. Im Profibereich musste ich sowieso jedes System spielen können und der Trainer holt auch die Spieler nach den Gesichtspunkten, die er sich vorstellt. Wenn der Trainer seine Spieler kennt, wird er auch wissen, was die können und wie er sie am besten einsetzt. Wir als Pasching damals haben beispielsweise auswärts gegen Rapid die ersten 20 Minuten überstehen und auf unsere Chancen warten wollen. Bei der Austria mussten es immer drei Punkte sein sowie schöner Fußball.
Aber gerade in der Analyse ist sehr viel weiter gegangen...
Auch zu meiner Zeit gab es die Spielanalyse nach den Partien. Die Trainer haben mit der Mannschaft geredet und auch mit jedem einzelnen. Vor allem mit denen, die Fehler gemacht hat. Mit denen hat man im Klub und im Nationalteam Einzelgespräche geführt. Aber manchmal reicht die Qualität auch einfach nicht. Wenn man sich die Austria jetzt ansieht, die spielen die schlechteste Saison. Man hat sich erwartet, vorne mitzuspielen. So ein Team hatten sie aber schon vor der Saison nicht. Und wenn Altach und der WAC – ohne die beleidigen zu wollen – vor der Austria sind, dann stimmt ja einiges nicht.
Haben sich die taktischen Vorgaben und der Umgang der Trainer mit den Spielern im Laufe Ihrer knapp zehnjährigen Profikarriere geändert? Didi Constantini, der sie zwei Mal trainierte, gilt ja nicht als der versierteste Taktiker.
Es ist sicherlich von Verein zu Verein anders. Und freilich ist es interessant, wie viele Kilometer wer gelaufen ist oder wie viele Zweikämpfe jemand gewonnen hat. Aber diese ganzen neuen Daten hin oder her: Das zeigt schon etwas, aber das Wichtigste ist, was am Platz passiert. In der einen Woche können die Werte super sein, in der anderen Woche wieder schlecht. Und zu Didi Constantini, unter dem ich bei Pasching und der Austria gespielt habe: Er war keiner, der gesagt hat, dass diese elf Spieler jetzt rausgehen und spielen sollen. Er hat uns sehr gut motiviert, hat uns unsere taktischen Aufgaben gegeben. Wir waren sowohl mit Pasching als auch mit der Austria, auf einem Europacupstartplatz.
Constantini ist also ganz anders, als er sich in den Medien darstellt, bzw. von diesen dargestellt wurde?
Jeder Coach hat seine Methode. Für den Spieler selbst ist es wichtig, sich taktisch auszukennen, die Laufwege zu beherrschen. Aber das richtige Motivieren macht dann noch einmal zehn, zwanzig Prozent aus.
Gut, Österreich war wohl lange nicht ein Land, das in der Taktik die Trends vorgab. Aber merkt man das nicht im Spiel selbst, wenn der Gegner taktisch reifer auftritt?
Es entscheidet am Ende des Tages die individuelle Klasse. Wenn der Gegner Spieler hat, die etwas Spielentscheidendes tun können oder besser sind, dann kannst mit der besten Taktik ins Spiel gehen – aber du wirst verlieren. Wenn Rapid gegen Bayern spielt, können die sich einstellen, wie sie wollen. Von 20 Spielen wird Rapid einmal ein Unentschieden schaffen oder gewinnen.
Können Sie, nun auch mit einigen Jahren Trainererfahrung, sagen, unter welchen Voraussetzungen eine Saison erfolgreich ist?
Zunächst einmal muss der Trainer zur Mannschaft passen und umgekehrt. Dann muss die Qualität der Spieler eben stimmen, die etwas Außergewöhnliches machen, etwas besser können als die meisten anderen. Wenn ich das alles hab, dann kann ich motivieren. Und natürlich bin ich motivierter, wenn ich jede Woche gewinne. Das wirkt sich auch auf dich als Spieler aus. Wenn du weißt, dass du gute Kicker um dich rum hast, spielst du auch besser. Taktik ohne individuelle Qualität bringt nichts. Bei Rapid ist das seit Jahren der Hofmann. Wenn die schlecht spielen, dann kann er Akzente setzen, durch Freistöße oder geniale Pässe. Die Austria hat jetzt keinen, der alleine ein Spiel entscheiden kann. Zu meiner Zeit gab es einen Acimovic, einen Kuljic. Und Rapid hat dann noch den Beric oder den Schobesberger. Der ist für mich einer der besten Spieler in Österreich. Der wird eine Mörderkarriere machen. Bei der Austria fehlt einer, der sagt: „Heast, wir sind schlecht, ich mach jetzt was." Und der das auch kann.
Zusammengefasst: Wenn ich dann beispielsweise fünf super Innenverteidiger habe, aber keine Außenverteidiger, dann spiel ich eben mit Dreierkette?
Genau. Ich habe in Mannersdorf auch keine Außenspieler, aber fünf, sechs zentrale Mittelfeldspieler und drei, vier Stürmer. Dann spiele ich 4-3-3. Du musst natürlich deine Mannschaft hernehmen und überlegen, was das beste System, die beste Taktik ist.
„Da passt die Taktik nicht", ist dann etwas zu kurz analysiert?
Du musst deine Spieler dort einsetzen, wo sie am stärksten sind. Heutzutage müssen die Profis zwei, drei Positionen spielen können, schon klar. Ich muss mich als Trainer an die Spieler anpassen und nicht „mein" System spielen, wenn ich die Spieler nicht habe. Dann geht das nach hinten los.
Außer beim Nationalteam – da kann man im Normalfall aus dem Vollen schöpfen.
Genau, Marcel Koller holt die Spieler, die zu seinem System passen. Und wir haben ein super Nationalteam. Koller kann sich top ausgebildete Spieler aus Deutschland oder England holen.
Schon wieder die individuelle Klasse?
Na klar, weil die anderen haben ja auch ihre Taktik.
Auch gegen Russland ohne Alaba?
Wir haben dort sicherlich eine fifty-fifty-Siegchance. Verlieren sollten wir aber nicht. Aber wie auch immer ist Österreich wohl bei der Euro dabei.
Wir danken für das Gespräch!