Martin Scherb: ‚Solche Austria-Siege dürfen kein Dauerzustand werden'

Sky-Experte Martin Scherb spricht im Interview mit 90minuten.at über liegengelassene Chancen in der Entwicklung von Mannschaften, warum die Austria Thorsten Fink wie einen Bissen Brot gebraucht hat und in Graz derzeit die Mannschaft die Watschen bekommt u

 

Es gilt in Fußballfachkreisen nur noch als Frage der Zeit, bis Martin Scherb wieder an der Seitenlinie steht. Dem langjährigen SKN-Trainer, der den Landeshauptstadtklub aus den Untiefen des niederösterreichischen Unterhauses in die zweite Bundesliga brachte, wird der Cheftrainerjob in derBundesliga zugetraut. Derzeit ist er als Sky-Experte tätig und kann somit das Geschehen frei von der Leber weg analysieren.

 

90minuten.at: Wie sieht Ihr Bundesligaresümee aus? Fangen wir an der Tabellenspitze an!
Martin Scherb: Das Spiel gegen Salzburg war sicherlich enttäuschend für Rapid, aber nach zwei Mal darüber schlafen können sie zufrieden sein, es bestehen Chancen auf den Titel. Man hat eine internationale Gruppenphase erreicht, sich gegen Donezk gut verkauft. Für die KO-Spiele schaut es auch gut aus. Vom 1. Jänner 2015 weg bis jetzt kann es kaum besser laufen, auf allen Ebenen.

 

Red Bull Salzburg hat sich erfangen. Warum mussten die das überhaupt tun?
Vor allem auch, weil es in der entscheidenden Phase im Sommer viele Verletzungen gab. Jetzt ist man in der Spur. Aufgrund der Qualitätsverluste des letzten Jahres sind sie nicht mehr so dominant, sie hatten zu Saisonbeginn auf Grund der vielen Verletzten auch Pech; sie haben aber noch immer sehr viel Qualität. Das wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen bis zum Schluss.

 

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 Ich habe nach dem tollen Herbst letztes Jahr beim WAC keine taktische Weiterentwicklung in Richtung Plan B neben dem Konterspiel gesehen. < /div>< /div>< /blockquote >

 

Gehen wir ans andere Ende. Warum stehen dort zwei Klubs, die es eigentlich deutlich besser können?
Ich glaube, dass das eine Momentaufnahme ist. Der WAC musste sicher dem Europacupabenteuer Tribut zollen. Dann startest du schlecht, der Druck baut sich auf. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Aber ich habe nach dem tollen Herbst letztes Jahr keine taktische Weiterentwicklung in Richtung Plan B neben dem Konterspiel gesehen. Es dann zu erzwingen ist schwierig. Man hätte die Euphorie nutzen können, eine weitere Spielvariante einzuführen, gerade in der erfolgreichen Phase. Bei Ried ist es anders. Es hat mit dem Helgi (Anm.: Kolvidsson) einfach nicht funktioniert. Ich weiß auch keine Insidergeschichten, aber das passiert auch manchmal, dass ein Trainer nicht zu einer Mannschaft passt. Das macht ihn aber nicht zu einem schlechten Trainer.

 

Warum fällt Ried nicht mehr ein als Gludovatz?
Irgendwann wird er 90 sein, da geht es nicht mehr. Spaß beiseite: Ich glaube, man hat nach der Ära
Gludovatz versucht, sich etwas Neues zu überlegen. Holen wir aus: Als Ried aufstieg, waren sie eine Heimmacht, dort hat es jedem Gegner weh getan zu spielen. Aber diese Underdog/Wikinger-Image hat sich abgenutzt, dann kam Gludovatz und jetzt ist man auf der Suche. Fuchsbichler hat nicht funktioniert, Angerschmid nicht und dann das Glasner-"Legendengate". Da kommt man nicht zur Ruhe.

 

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 Ried hat die Spielidee, die Philosophie, die sie jetzt schon länger suchen, noch nicht gefunden. (...)Irgendwann muss aber klar sein, wofür ein Verein steht, welchen Wiedererkennungswert er hat. Das ist für mich bei jedem Verein eine wichtige Frage. < /div>< /div>< /blockquote >

 

Ried hat eine gute, solide Akademie und ein gutes Auge für Spieler, die sich dort entwickeln können ...
...aber die Spielidee, die Philosophie, die sie jetzt schon länger suchen, haben sie noch nicht gefunden. Jetzt muss man der Situation geschuldet auf Altbewährtes zurückgreifen und schauen, dass sie nicht absteigen. Aber ich weiß nicht, ob das wirklich ein Rückschritt ist. Irgendwann muss aber klar sein, wofür ein Verein steht, welchen Wiedererkennungswert er hat. Das ist für mich bei jedem Verein eine wichtige Frage.

 

Die Wiener Austria weiß eigentlich immer ganz genau, wie man spielen will. Nur klappt es derzeit nicht, nachdem es am Anfang besser funktioniert hat. Man steht noch in der Entwicklung?
Nach dem wirklich schlechten Jahr auf allen Ebenen, passt das mit Fink jetzt. Er ist eloquent, sein Auftreten ist gut, er gibt der Mannschaft am Platz klare Aufgaben vor und wurde sehr schnell das neue Gesicht der Veilchen. Es ist ja eher ungewöhnlich, dass man den neuen Cheftrainer nach so kurzer Zeit schon plakatiert. Aber die Austria hat ihn auf vielen Ebenen gebraucht wie einen Bissen Brot. Dass die Anfangseuphorie irgendwann vorbei ist, scheint aber auch klar. Jetzt normalisiert es sich.

 

Warum?
Spieler wie Gorgon oder Kayode spielten am Anfang über ihrem Niveau auf einer richtig positiven Welle. Jetzt wird vor allem von Seiten der Gegner Kayode gebasht und ihm Fallsucht und Schauspielerei unterstellt. Da würde ich – ob zu Recht oder zu Unrecht – als Trainer oder Sportdirektor einmal in die Offensive gehen. Da hakt es gerade. Und Fink hat umgestellt. Zu Beginn hatte er ein 4-2-3-1 mit Holzhauser und Vukojevic gespielt, die haben gefühlte 100 Pässe gespielt, quer und nach hinten, bevor es nach vorne gegangen ist. Thorsten Fink will über den Ballbesitz die Macht des Zufalls abschaffen. Jetzt spielt er oft nur mit Holzhauser oder Kehat, der dynamischer ist. Er sieht, dass es mit zwei defensiven Mittelfeldspielern zu langsam geht. Die Austria braucht aber noch dringend einen Stürmer wie Janko, mit dem Sportdirektor Franz Wohlfahrt auch verhandelt hat, aber mit Basel konnte man nicht mithalten.

 


Wie wird man weiterkommen? Vor allem atmosphärisch. Siege wie gegen Altach bringen Punkte, aber das ist nicht alles...
Atmosphärisch ist es jetzt einmal gut. Jetzt haben alle ein paar Tage frei gehabt, dann werden sie mit neuem Biss zurückkommen. Aber bis zum Winter wird es so weiter gehen. Fink wird keine neuen Spieler finden, wird auf seine 15, 16 Spieler bauen, vielleicht einen Jungen reinhauen. Man muss realistisch sein. Es war wichtig, gut gestartet zu sein, damit eine Ruhe herrscht. Platz drei ist das Ziel und dazu braucht es solche Siege. Aber sie dürfen kein Dauerzustand werden. Ich denke, die Austria wird im Winter personell reagieren. Sie brauchen dynamischere Spieler. Sie sind bis auf Kayode in der Offensive zu langsam. So sind sie im Moment genau da, wo sie hingehören. punktemäßig vielleicht nahe dran, leistungsmäßig ist da derzeit noch ein großer Unterschied.

 

Ok, die Austria investiert. Ist da Fink der, der das Scheiberlspiel nach Wien Favoriten zurück bringen kann?
Ich glaube schon. Zu Rapid fehlt noch einiges, zu Salzburg auch, aber es geht ja immer um Rapid. Da will man hin. Aber wenn ich mir ansehe, wo sie letztes Jahr um diese Zeit waren – schlechtester Start seit Ewigkeiten – sind sie in ruhigem Gewässer.. Unter Gerald Baumgartner wurde versucht, der Austria eine Spielphilosophie zu verpassen, die nicht ihrem Naturell entsprach; unter dem Motto „Der Fehlpass ist einer unser Spielmacher - Hauptsache wir pressen dann alle". Jetzt ist wieder Ballbesitzfußball angesagt. Da sind sie neben Rapid fast die Einzigen in der Liga. Das braucht auch die notwendige Zeit, die zum Beispiel Rapid seinem Trainer Zoki Barisic gegeben hat.

 

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 Wenn der Zoki Barisic einmal nicht mehr Trainer sein sollte, dann muss der Trainer zum System passen, nicht umgekehrt. Die Austria, jeder Verein, muss zu diesem Punkt kommen. < /div>< /div>< /blockquote >

 

Es fehlt ja auch die personelle Stabilität, die sich erst entwickeln muss. Mario Sonnleitner ist seit fünf Jahren Abwehrchef bei Rapid, Steffen Hofmann schon immer da...
Und wenn man sich die Offensive anschaut: Kainz, Schaub, Schobesberger sind schnell und können kicken. Rapid verfolgt da sehr professionell seinen Plan, beginnend mit Willi Schuldes im Nachwuchs. Wenn der Zoki Barisic einmal nicht mehr Trainer sein sollte, dann muss der Trainer zum System passen, nicht umgekehrt. Die Austria, jeder Verein, muss zu diesem Punkt kommen. Das ist wichtiger als nur Ergebnisse. Rapid hat diesen schwierigen Spagat auch gemeistert. Die haben auch ordentlich Watschen bekommen, als sie gegen Helsinki ausgeschieden sind. Man muss diesen Weg, für den man sich entschieden hat, gemeinsam gehen. Da müssen Präsident, Sportdirektor und alle im Verein wie eine Mauer zusammenstehen. Dann funktioniert es.

 

Kommen wir nun zum SK Sturm. Da träumte man vom Meistertitel. Der war damals schon außer Reichweite, als man davon träumte, nun sind es nach elf Runden sieben Punkte Rückstand auf die Tabellenspitze. Interessant ist, dass Franco Foda von lokalen Medien richtig gar nicht kritisiert wird. Wie kommt das?
Das ist wirklich schön für den Franco, eigentlich schön für jeden Trainer, wenn er nicht in der Kritik steht, wenn es nicht läuft. Aber es gehört in Wahrheit alles zusammen. Die Mannschaft verliert nie alleine und gewinnt nie alleine. Das wissen aber bei Sturm die Verantwortlichen selber ganz genau und hinterfragen sich selber auch. Ich denke, alle im Umfeld wünschen sich nach den zahlreichen Personalrochaden in den letzten Jahren mehr Stabilität. Deshalb bekommt im Moment die Mannschaft mehr ab als der Trainer.

 

Sie sind ja auch dynamischer als die Austria, also in der Offensive..
Sie stehen kompakt, stehen aber zu breit, es fehlt an Tiefe. Dabei haben sie wie Sie richtig sagen die Spieler. Donis Avdijaj ist super. Ich dachte zu Beginn seiner Spielerlaufbahn in Österreich, er wäre ein etwas arroganter, überheblicher Spieler. Aber er macht nicht nur den Mund in Interviews auf, sondern er ist dann auch auf am Platz da und übernimmt Verantwortung. Wer das macht, darf auch so etwas sagen. Es fehlt dann vielleicht wie bei der Austria mit Holzhauser aber doch der Spieler, der zwischen den Abwehrreihen agiert. Oder hinten: Madl und Spendlhofer hatten im Frühjahr zentral alles, beziehungsweise vieles im Griff. Heuer wirkt das nicht mehr so souverän wie noch letzte Saison. Da greift dann das Eine ins Andere.

 

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 Aber man muss eben ein Mittel gegen die Teams finden, die tief stehen, vor allem mit dem Anspruch von Sturm. Der Admira kann das vollkommen wurscht sein. < /div>< /div>< /blockquote >

 

Gegen die „Großen" geht es aber meistens, seit Jahren.
Gegen die Kleinen haben sie keinen Raum. Rapid, Salzburg, Austria – da gibt's einen offenen Schlagabtausch. Aber es liegt auch an der Liga. Wie viele Mannschaften gelten als Ballbesitzmannschaften? Austria und Rapid - und dann war es das auch schon. Salzburg ist eine andere Kategorie. Mattersburg versucht es auch, aber die haben mit Onisiwo und Perlak auch viel Dynamik. Wir, in der österreichischen Bundesliga sind eben zu 80 Prozent eine Umschaltliga.

 

Das macht die Spiele aber recht spannend.
Es ist ein gutes Tempo drinnen, fast alle Teams versuchen schnell nach vorne zu spielen. Aber man muss eben ein Mittel gegen die Teams finden, die tief stehen, vor allem mit dem Anspruch von Sturm. Der Admira kann das vollkommen wurscht sein.

 


Sturm hat vom Titel 2011 wenig mitgenommen, oder?
Sie haben es ja versucht, als dann Hyballa kam. Er war innovativ, aber ein schwieriger Typ. Ich bin kein Sturm-Insider, aber es war von außen offensichtlich, dass es da schon länger interne Machtspiele gab. In den letzten Monaten vermittelt Sturm da ein viel geschlosseneres Bild, wozu man sicher auch gute Partnerschaften mit den lokalen Medien benötigt. Aber auch Sturm braucht etwas, wo der Sturm-Fan sagt: Ja, so spielen wir, ja so sind wir und ja das versuchen wir. Das fehlt noch etwas im Moment.

 

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 Man hat da manchmal den Eindruck wie Damir Canadi, dass die
Schiedsrichter etwas pfeifen müssen, woran sie selber gar nicht glauben. Sie wollen nicht so kleinlich pfeifen, aber müssen es. < /div>< /div>< /blockquote >

 

Ein Thema, das die Liga auch dominiert hat, waren die Schiedsrichter. Wäre ein weiterer Faktor zum Schließen dieser Lücke eventuell ein besseres Schiri-Wesen? Seit Plautz gibt es keinen „Superschiedsrichter" mehr, unsere pfeifen doch recht kleinlich, oder?
Es gibt im Fußball 17 Spielregeln. Die gelten auf der ganzen Welt. Die werden, soweit ich weiß verschieden interpretiert. Man hat da manchmal den Eindruck wie Damir Canadi, dass die Schiedsrichter etwas pfeifen müssen, woran sie selber gar nicht glauben. Sie wollen nicht so kleinlich pfeifen, aber müssen es. Ich glaube aber, dass sie ansonsten schon sehr unter Druck stehen. Grundsätzlich ist der Umgang schon besser geworden. Da haben die Jungen noch „Sie" gesagt.

 

Sie waren ja auch immer recht hitzig an der Linie..
Ich war ja auch kein Feiner. Jetzt sagen sie „Jetzt halt amal die Goschn". Das ist mir hundert Mal lieber, als einer, der einen siezt und wegschickt. Nun ist es von außen schwierig zu beurteilen, aber der Damir Canadi hat da auch ein bisschen die Leistung seiner Mannschaft überdecken können. Auch Oliver Glasner hat da etwas überzogen. Aus meiner Sicht kann er, trotz allem Ärger über die eine oder andere Entscheidung nicht sagen, dass er versteht, dass Spieler wie Ramsebner solche Fouls machen können. Wenn der dem Gründler beide Beine bricht, dann kann man dafür kein Verständnis haben. Da hat man als Trainer auch eine gewisse Verantwortung. Ich kenne auch einige Schiedsrichter und Assistenten, sowohl aus dem Profi-, als auch aus dem Amateurbereich. Die bereiten sich auch akribisch vor, machen alles um gute Leistungen abzuliefern.

 

Aber dass es keinen FIFA-Schiedsrichter für Großereignisse wie zum Beispiel die EURO gibt, ist schon objektiv feststellbar?
Es sind halt auch immer Phasen. Auch national. Da regen sich an einem Wochenende zwei Trainer auf, dann ist wieder drei Monate lang gar nichts. Glasner hat am Freitag eröffnet, am Samstag war es Altach, am Sonntag hat es auch gut dazu gepasst. Und jetzt diskutieren wir hier drüber.

Wir danken für das Gespräch!  

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