Leo Windtner: ‚Marcel Koller wird sich nicht mit einer Postkarte verabschieden‘

ÖFB-Präsident Leo Windtner spricht im 90minuten.at-Interview über die Ziele bei der Euro 2016, die Koller-Frage, mächtige Landespräsidenten und warum sich die Fußball-Fans nicht zu früh über ein neues Nationalstadion freuen sollten. Das Gespräch führten M

 

Leo Windtner sitzt an einem Tisch im 18. Stockwerk eines noblen Wiener Hotel-Restaurants. Er wirkt aufgeräumt und entspannt. Der ÖFB-Präsident hat das erfolgreichste Jahr seiner bisherigen Amtszeit hinter sich. Österreichs Nationalteam hat endlich Erfolg. Daran hat auch Windtner seinen Anteil. Er hat Sportdirektor Willi Ruttensteiner mehr Kompetenzen eingeräumt und Marcel Koller im Präsidium durchgesetzt. Wenn Windtner jetzt so locker dasitzt, dann zeigt das auch, dass er sich bestätigt fühlt. Vor, hinter und neben Windtner sieht man durch riesige Glasflächen die Hochhäuser und Prunkbauten Wiens. Windtner thront über der Stadt. Das Ganze hat etwas Sinnbildliches.

 

Leo Windtner Gerald Gossmann Leo Windtner im Interview mit 90minuten.at

 

Der ÖFB ist auf einem Allzeit-Hoch angekommen. Platz 10 in der Weltrangliste. So gut war man noch nie seit Einführung des Rankings. Der ÖFB-Präsident hat vor vier Jahren die Kompetenzen innerhalb des Verbandes ein wenig neu geordnet. Doch was passiert, wenn ihm Teamchef Koller und Sportdirektor Willi Ruttensteiner, deren Verträge auslaufen, gleichzeitig abhanden kommen. Wie würde er Verband darauf reagieren? Wie will der Verband den Schweizer halten? Welche Rolle sollen die Regionalligen künftig spielen und kann man sich als ÖFB-Präsident hier überhaupt durchsetzen? Und spielt das Nationalteam schon bald in einem neuen Stadion? Leo Windtner trinkt Kaffee und Wasser. Seine Pressesprecherin nimmt gegenüber Platz. Das Gespräch kann beginnen.

 

90minuten.at: Herr Windtner, müssen Sie sich zu Weihnachten besinnen, um nach den großen Erfolgen wieder auf den Boden zu kommen?
Leo Windtner: Das trifft es auf den Punkt. Wir müssen sicherlich auf den Boden zurückkommen. 2015 ist für den österreichischen Fußball eines der erfolgreichsten Jahre überhaupt. Wir haben mit dem zehnten Platz im FIFA-Ranking ein Allzeithoch geschafft. Auch mit den Nachwuchsnationalmannschaften hatten wir Erfolg. Das alles beruht aber nicht auf Zufall, sondern auf nachhaltiger Arbeit. Wir dürfen uns berechtigt freuen. Aber es ist auch an der Zeit, wieder auf den Boden der Realität zurückzukommen. Im nächsten Jahr beginnen wir bei null. Die Europameisterschaft wird schwieriger, als sich die Fans das in der derzeitigen Euphorie vorstellen.

 

Haben Sie sich persönlich dabei erwischt abzuheben?
Ich glaube nicht, dass ich abgehoben bin. Es war immer einer meiner Grundsätze: Wenn man sich nach Triumphen dem Himmel am Nächsten fühlt, muss man am weitesten am Boden bleiben. Ich freue mich. Aber ich bleibe am Boden.

 

Sind mit den Erfolgen auch die Ansprüche gestiegen?
Das Anspruchsniveau ist gestiegen – das ist die nüchterne Realität. Mit den Erfolgen sind die Erwartungshaltungen gestiegen. Aber wir haben beim letzten Spiel gegen die Schweiz gesehen, dass Erfolg und Misserfolg nahe beieinander liegen. Die Niederlage kam nicht zum ungünstigsten Zeitpunkt.

 

Marcel Koller weiß, was er an Österreich hat. Und wir wissen, was wir an Marcel Koller haben. Vieles spricht für uns.< /div>< /div>

 

Was wünschen Sie sich von der Europameisterschaft?

Dass wir den Eindruck von der Qualifikation auch bei der Europameisterschaft bestätigen.

 

Gibt es aus Ihrer Sicht ein konkretes Ziel? Josef Hickersberger meinte letztens: Ein Sieg könne das Ziel sein.

Wir stoßen auf die Creme de la creme des Fußballs. Mannschaften, die in unserer Gruppe zum Spitzenfeld gehörten, sind dort nicht die Top-Favoriten. Wir werden von einem Match zum anderen denken. Wir werden nicht kalkulieren und spekulieren. Es bringt nichts, sich Wunschgruppen auszudenken. (Anm.: Das Interview fand vor der Auslosung der Euro 2016 statt). Die Mannschaft wird sich auf alles einstellen. Wir fangen bei null an und werden komplett neu gemessen.

 

Welches Ziel haben Sie?

Wir wollen die Gruppenphase überstehen.

 

Der aktuelle Erfolg ist eng mit Marcel Koller verknüpft. Wie kann man den Teamchef auch nach der Europameisterschaft halten?

Marcel Koller weiß, was er an Österreich hat. Und wir wissen, was wir an Marcel Koller haben. Vieles spricht für uns: Er fühlt sich wohl und hat eine Fangemeinde aufgebaut. Ein wesentliches Argument ist aber die Mannschaft selbst und die Perspektive auf eine Weltmeisterschafts-Teilnahme. Das wäre eine weitere Mission. Uns ist aber auch bewusst, dass er seinen Marktwert massiv gesteigert hat. Dadurch kann uns internationale Konkurrenz in die Quere kommen.

 

Sie haben eine weitere Mission angesprochen, aber die ursprüngliche Mission ist mit der Euro 2016 wohl erledigt. Sie kennen Marcel Koller jetzt schon etwas länger. Wie schätzen Sie die Chancen auf seinen Verbleib ein?

Marcel Koller wird sich nicht mit einer Postkarte verabschieden, wir stehen in aufrechten Verhandlungen und hoffen auf ein positives Ende. Dafür haben wir ein zu gutes Verhältnis. Aber: Das ist Fußball mit Emotion und allen Gefühlen, die da mitspielen. Und: Es ist Business zugleich. Das können wir nicht ausklammern.

 

Wir können mit der Teamcheffrage nicht bis nach der Euro warten, weil wir zeitlich damit ins Abseits laufen würden.< /div>< /div>

 

Sie wollen noch vor der Europameisterschaft eine Entscheidung Kollers. Wäre das nicht ein denkbar schlechter Zeitpunkt, sollte er sich vor der EM gegen Österreich entscheiden?
Es gibt viele Beispiele, wo Trainer ihren Abgang vorfixiert haben und die Mannschaften trotzdem ihre Ziele erreicht haben. Bayern München mit Jupp Heynkes ist ein leuchtendes Beispiel dafür. Jeder in der österreichischen Mannschaft und im Betreuerstab will diese Riesenchance Europameisterschaft nützen.

 

Wenn Koller erst nach der Europameisterschaft eine Entscheidung bekannt geben möchte, müssten Sie es aber auch hinnehmen, oder?
Nein. Ich gehe davon aus, dass wir vor der Euro wissen, wer Teamchef nach der Euro ist. Wir wollen einem Hoppala, wie wir es 2008 schon einmal hatten (Anm.: Abgang von Josef Hickersberger als Teamchef nach der Europameisterschaft), entgehen. Weil es ja gleich danach mit der WM-Qualifikation weitergeht.

 



Das heißt: Bedingung an Marcel Koller – Entscheidung vor der Europameisterschaft?
Wir können nicht bis nach der Euro warten, weil wir zeitlich damit ins Abseits laufen würden.

 

Marcel Koller liebäugelt noch mit einem Engagement als Klubtrainer. Könnte es der ÖFB aus wirtschaftlicher Sicht überhaupt mit einem potenten deutschen Bundesligisten aufnehmen?
Das kommt auf den Bundesligisten an. Vom 10.- bis zum 18.-Platzierten wäre das von der Dimension her machbar. Aber Tatsache ist: Wenn jemand von den vorderen Plätzen der deutschen Bundesliga kommt, können wir finanziell schwer mithalten.

 

Jede Epoche hat ihre Lösungen und ihre Personen. Für diese Epoche hat das gepasst.< /div>< /div>

 

Den ÖFB erwartet im nächsten Jahr auch eine Strukturreform des Verbandes. Generaldirektor Alfred Ludwig wird in Pension gehen. Bei ihm liefen viele Fäden zusammen. Ist eine Neubesetzung eine prekäre Situation?

Er ist ein Kaliber, hat mehr als 25 Jahre diesen Verband geprägt. Das ist eine Zeitenwende. Wir werden mit der neuen Struktur versuchen, die Funktionen von Alfred Ludwig so aufzuteilen, dass die Abläufe stimmen.

 

War bis jetzt zu viel in seiner Person konzentriert?

Jede Epoche hat ihre Lösungen und ihre Personen. Für diese Epoche hat das gepasst. Jetzt ist der Wartungserlass (Anm.: das Finanzministerium fordert von Vereinen zur Erfüllung der Gemeinnützigkeit die Auslagerung bestimmter Bereiche in Kapitalgesellschaften) ein Anlass für eine Veränderung. Wir werden einen ÖFB kreieren, der seine Hoheitsverwaltung als Verein ausübt – für FIFA, UEFA, nationale Subventionsgeber und Amateursportmechanismen. Und: den Wirtschaftsbetrieb des ÖFB. Wo das Nationalteam, das U21-Team, das ganze Marketing, Merchandising, Sponsoring etc. hineinkommen. Diese Bereiche gilt es entsprechend zu strukturieren.

 

Sie sagten zuletzt: In der neuen Struktur wird als Aufsichtsrat der Wirtschaftsbetriebe GmbH entweder das Präsidium fungieren. Oder einige Experten. Wohin geht die Tendenz?

Das kann ich noch nicht sagen. Das Thema haben wir noch nicht andiskutiert. Ich gehe davon aus, dass wir im ersten Quartal 2016 die Struktur und die dazugehörigen handelnden Personen wissen.

 

Aber von welchen Experten war die Rede?

Es könnten sowohl Steuerrechtsexperten oder Wirtschaftsexperten sein.

 

Braucht es auch Fußballexperten in einem Entscheidungsgremium, das letztendlich ja auch den Teamchef wählt?

Diese Expertise wird weiterhin durch die eigenen Leute im Präsidium eingebracht. Vorrangig müssen im Aufsichtsrat die wirtschaftlichen Fragen abgehandelt und gelöst werden.

 

Aber ist es nicht ein Problem, wenn über die sportliche Ausrichtung in einem Gremium abgestimmt wird, indem es Wirtschaftskompetenz aber keine Sportkompetenz gibt?

Wie schon gesagt, werden wir sicherstellen, dass die sportliche Expertise auch in diesem Gremium weiterhin das notwendige Gewicht hat. Möglicherweise wird man versuchen müssen, diese Entscheidungsabläufe etwas zügiger zu gestalten.

 

Was heißt das?

Wir werden sicherlich zwischen Geschäftsführung, Aufsichtsrat und Präsidium der zukünftigen Wirtschaftsbetriebe GmbH eine kompakte Durchgängigkeit schaffen müssen, was den Informationsfluss betrifft. Das ist die entscheidende Schnittstelle. Denn in letzter Konsequenz ist natürlich das Präsidium per se für den Gesamtbetrieb verantwortlich.

 

Bei der letzten Teamchefbestellung haben Sie Sportdirektor Ruttensteiner mit den für den Sportbereich relevanten Aufgaben betraut. Er hat ein Anforderungsprofil für den Teamchef erstellt und war auch in der Auswahl federführend. Wird das auch künftig so sein, dass eine qualifizierte Person in sportspezifischen Fragen eine Expertise vorlegt und nicht die Präsidiumsmitglieder, wie oft in der Vergangenheit passiert, selbst die Expertise erstellen?

Grundsatzdinge werden immer so ablaufen. Ich glaube nicht, dass man gewisse Grundregeln in Zukunft obsolet werden lässt.

 

Welche Grundregeln?

Naja…wesentliche Entscheidungen wird auch in Zukunft das Präsidium absegnen.

 

Bislang war es ja so, dass jeder Landespräsident seine Interessen hatte. Es stand zumeist nicht das sportliche Profil im Vordergrund. Sondern: wer kann besseres Lobbying für seinen Kandidaten betreiben.

Das heißt: Es war beim letzten Mal (Anm.: bei der Teamchefbestellung Kollers) zum ersten Mal anders. (lacht laut).

 

Gewisse Grundstrukturen werden auch in Zukunft beibehalten werden. Es geht immer in die Richtung, dass das Präsidium am Ende das Signal wird geben müssen.< /div>< /div>

 

Sie haben letztens gesagt, dass eventuell ein Expertenrat das Präsidium als Entscheidungsgremium des ÖFB ersetzen könnte.
Das stimmt so nicht. Es ist klar, dass sich das Präsidium als oberstes Entscheidungsorgan des Verbandes das Sagen nicht nehmen lassen wird. Selbst nicht von Experten.

 

Das heißt: Auch die neue Struktur kann daran nichts ändern.
Gewisse Grundstrukturen werden auch in Zukunft beibehalten werden. Es geht immer in die Richtung, dass das Präsidium am Ende das Signal wird geben müssen.

 

Dann wäre ja der Expertenrat, der von Ihnen ins Spiel gebracht wurde, keine Option mehr, oder?
Ich halte das schon für eine Option, weil dadurch Entscheidungen im positiven Sinne mitbeeinflusst werden können. Es geht aber nicht um einen eigenen Expertenrat, sondern nur die mögliche Aufnahme von Experten in den Aufsichtsrat, damit ist gewährleistet, dass eine Meinung ans Präsidium zur Abstimmung herankommt, die auch von Expertise beeinflusst ist.

 

Vor der Teamchefbestellung Kollers gaben sie erstmals dem Sportdirektor die Kompetenz eine Expertise zu erstellen…
…bei Marcel Koller haben Gigi Ludwig, Willi Ruttensteiner und ich ein Anforderungsprofil fixiert. Das wurde dann im Präsidium abgesegnet. Dann gab es eine Namenssuche, wo der Sportdirektor eine Liste zusammengestellt hat. Und dann wurde mit den Kandidaten gesprochen. Ich war letztlich überzeugt davon, dass Marcel Koller unser Mann ist.

 



Wie wichtig war es, dass der Sportdirektor erstmals in der Teamchef-Entscheidung um seine Expertise gebeten wurde?
Es war wichtig, dass der Sportdirektor die Instanz in sportlichen Belangen geworden ist. Er ist die Berichtsperson für den Präsidenten und das Präsidium. Wir brauchen die Kontinuität. Und nachdem der Teamchef relativ schnell wechseln kann, brauche ich hier eine Ebene, die eine Konstante bildet. Und das ist der Sportdirektor. Das wurde erstmals in dieser Richtung auch berücksichtigt.

 

Fragen sie mich etwas Leichteres.< /div>< /div>

 

Das heißt: Im Nachhinein gesehen hätte das durchaus viel früher passieren müssen, wenn man sich so manche Teamchefbestellung ansieht.

Soweit blicke ich nicht in die Vergangenheit zurück.

 

So wie der Teamchef könnte ja auch der Sportdirektor abhanden kommen. Gibt es eigentlich für den Sportdirektor-Posten ein Anforderungsprofil im ÖFB?

Derzeit gibt es agierende Personen. Und es ist nicht der adäquate Zeitpunkt, ein neues Anforderungsprofil für einen Sportdirektor zu erstellen, wo wir das erfolgreichste Jahr in der Geschichte des ÖFB haben.

 

Aber was wäre, wenn Willi Ruttensteiner seinen Vertrag nicht verlängert. Hätte man beim ÖFB ein Anforderungsprofil liegen?

Das hat man nicht liegen, aber man würde wahrscheinlich ein aktuelles erstellen.

 

Wer erstellt das dann?

Das wird wahrscheinlich ein kleiner Kreis aus dem Präsidium sein, dem ich wahrscheinlich angehören würde.

 

Gemeinsam mit den Landespräsidenten?

Das Präsidium wird das absegnen. Aber erstellen wird dies das große Gremium nicht.

 

Wer erstellt es?

Da gibt es dann vielleicht einen Arbeitskreis mit zwei, drei Leuten.

 

Wer wäre das zum Beispiel?

Fragen sie mich etwas Leichteres.

 

Gibt es niemanden, der das erstellen könnte?

Natürlich wird es jemanden geben, der das erstellt, aber wir haben uns damit noch nicht beschäftigt – weil dazu auch keine Veranlassung war.

 

Wer wäre das zum Beispiel?

Internationale Experten beispielsweise.

 

Der Salzburger Landespräsident Hübel beschwerte sich lange über eine Überreglementierung der Nachwuchsarbeit. Der Tiroler Landespräsident Geisler sprach davon, dass Theorie den Fußball nicht weiterbringt. Sind das aus Ihrer Sicht noch zeitgemäße Aussagen aus einem ÖFB-Präsidium?

Es ist nicht meine Aufgabe als ÖFB-Präsident die Zeitgemäßheit von Aussagen zu überprüfen. Meine Aufgabe ist: Meinungen zu koordinieren, sie auf einen Nenner zu bringen und daraus Beschlüsse herzuleiten, die im Sinne des österreichischen Fußballs sind. Dass es bei 12 Präsidiumsmitgliedern viele Meinungen geben kann und darf, das liegt auf der Hand.

 

Aus meiner Sicht braucht jedes Konzept auch einen entsprechenden systemtheoretischen Hintergrund. Das ist es wie mit dem Salz in der Suppe: Zu wenig ist schlecht. Und zu viel ist schlecht.< /div>< /div>

 

Ist das heutzutage noch zulässig, Theorie abzulehnen?
Gusto und Geschmäcker sind verschieden.

 

Aus Ihrer persönlichen Sicht?
Aus meiner Sicht braucht jedes Konzept auch einen entsprechenden systemtheoretischen Hintergrund. Das ist es wie mit dem Salz in der Suppe: Zu wenig ist schlecht. Und zu viel ist schlecht.

 

Werden die Zuständigkeitsbereiche in der neuen Struktur ähnlich verteilt sein wie jetzt?
Ich gehe davon aus, dass der Sportdirektor die Kompetenzen erhalten wird, die er braucht, um den Sportbetrieb entsprechend führen zu können.

 



Sie haben letztens gesagt, dass den durch das Nationalteam verursachten Rückenwind auch die Bundesliga spüren werde. Wenn man sich derzeit den Übergang vom Amateur- zum Profifußball anschaut, muss man sich doch eher Sorgen machen. Sehen Sie das ähnlich?
Der Übergang ist immer ein kritischer Pfad. Das liegt auf der Hand. Viele bringen die Voraussetzungen für den Profi-Sport nicht mit. Das Thema Austria Salzburg macht da auch betroffen. Wir haben beim Thema Infrastruktur in Österreich Aufholbedarf.

 

Nach der letzten Ligenreform sprach Bundesligapräsident Rinner von „keiner Ideallösung“ und betonte: „für mich war das keine Reform“. Drei Regionalligen und zwei Aufsteiger in die SkyGo-Erste Liga – passt das aus Ihrer Sicht zusammen?
Das ist eine suboptimale Lösung. Es war ein durchaus österreichischer Kompromiss. Hier ist keine Kongruenz zwischen dem Ligenformat und dem Aufstiegsreglement vorhanden. Daher wird bald wieder ein Handlungsbedarf anstehen.

 

Die Landespräsidenten des ÖFB beharren auf den drei Regionalligen. Wir haben recherchiert, wie viele Vereine aus den drei Regionalligen aus jetziger Sicht fix daran denken, in den Profifußball einzutreten. Es waren nur drei: Wattens, BW Linz und der SV Horn, 2-3 Vereine könnten sich noch zusätzlich entscheiden. Braucht es dafür drei Regionalligen?
Die Analyse ist richtig. Es bedarf eines gewissen Reifeprozesses. 90 Prozent der Klubs haben keine Ambition nach oben zu kommen. Wahrscheinlich ist der Aufwand für den Spielbetrieb in den Regionalligen, im Vergleich zu dem was dabei herauskommt, zu hoch. Aber: Da wird man noch einen gewisse Reifeprozess brauchen, bis man das Thema wieder angeht.

 

Verliert man dabei nicht wertvolle Jahre, wenn man jetzt schon erkennt, dass es so nicht geht?
Das ist richtig. Ich habe vernommen, dass Stefan Reiter (Anm.: Manager des Bundesligisten SV Ried) einen neuen Anlauf für eine 16er-Liga starten will. Tatsache ist, dass niemand die Idealformel für den österreichischen Fußball auf den ersten drei Ebenen nennen kann.

 

Braucht es aus Ihrer persönlichen Sicht drei Regionalligen?
Die Frage, ob es drei Regionalligen braucht, ist nicht die Richtige. Die Frage ist: Wie kann ich sie richtig gestalten?

 

Es bräuchte aber nur zwei, oder?
Bei zwei fängt es aber schon an: Wie teile ich die Klubs tatsächlich auf die Regionen auf. Wo spielt Kärnten? In Vorarlberg oder im Burgenland. Da scheiden sich schon die Geister. Das sind ganz banale, aber schlagende Argumente, die dann von den Landesverbänden berechtigt kommen.

 

Es bringt nur einen Wirbel, wenn ich jetzt sage: Dort oder dorthin soll es gehen.< /div>< /div>

 

Da sind wir wieder bei den mächtigen Landespräsidenten: Jeder will seine Schäfchen in Sicherheit bringen. Aber wenn von 54 Regionalliga-Vereinen nur drei in den Profifußball aufsteigen wollen, braucht es dann überhaupt so viele?

Wenn ich die Regionalliga auf zweimal 16 Vereine umgestalte, habe ich auch nur drei Klubs, die aufsteigen wollen. Den anderen 33 Vereinen erschwere ich aber die wirtschaftliche Situation aufgrund der ganzen Reise- und Zuschauerentwicklung. Das Argument muss ich zur Kenntnis nehmen.

 

Aber die anderen Vereine entlaste ich wieder, weil sie nur mehr in der Landesliga spielen und damit im eigenen Bundesland.

Das ist richtig. Aber noch einmal: Jene, die oben spielen, haben schon zusätzliche Lasten zu bewältigen. Da muss ich auch die Landesverbände verteidigen. Die haben die Klubs im Rücken, die ihnen sagen: Ihr könnt uns ja nicht verhungern lassen.

 

Gibt es eine Lösung, die Sie inhaltlich präferieren?

Es bringt nur einen Wirbel, wenn ich jetzt sage: Dort oder dorthin soll es gehen. Über kurz oder lang wird die Diskussion sowieso wieder losbrechen, wenn ich mir die Entwicklung in der SkyGo-Liga anschaue.

 

Sie sagen, dass Sie einen Wirbel auslösen würden, wenn Sie in Sachen Ligenformat eine Forderung aufstellen. In Österreich hat man oft den Eindruck, dass man zuwartet und zuwartet und es dann Jahre dauert, bis eine Entwicklung passiert.

Ich gehe keinem Wirbel aus dem Weg, wenn er notwendig ist. Aber die beste Idee ist nichts wert, wenn die Zeit für sie noch nicht gekommen ist.

 

Das heißt: Auch für mehr Kompetenzen für den Sportdirektor war die Zeit früher nicht da?

Jetzt passt das. Es hat gedauert, bis man erkannt hat, dass der Sportdirektor mehr Kompetenzen braucht.

 

Aber er hätte die Kompetenzen schon zehn Jahre früher haben können, wenn nicht diese politischen Hahnenkämpfe im Präsidium stattfinden würden.

(schmunzelt) Da müssen Sie Friedrich Stickler (Anm.: Vorgänger von Windtner als ÖFB-Präsident) fragen, der war vor mir Präsident des ÖFB.

 

Sie haben vor vier Jahren erkannt, dass der Sportdirektor diese Kompetenzerweiterung benötigen würde…

…wir haben oft über das Thema diskutiert. Das stimmt. Wir haben das vor allem beim Teamchef Brückner gesehen. Wenn niemand im Verband da ist, der die sportliche Hoheit einnimmt, dann entsteht ein Vakuum.

 

Früher wurden Teamchefs oft nach seltsamen Kriterien bestellt. Wie sehr kann man die Zielgenauigkeit verbessern, damit eine Verpflichtung eher funktioniert als früher?

Es war eine andere Zeit. Früher hat man nicht alles falsch gemacht. Aber man muss erkennen, dass man etwas ändern muss, wenn es notwendig ist. Und das ist geschehen.

 

Das heißt: Ein Rückschritt in längst vergangene Zeiten, in denen Landespräsidenten ihre Teamchefkandidaten durchsetzen wollten, schließen sie aus?

Ich schließe aus, dass man in Zukunft eine Teamchef-Suche unstrukturiert durchführt.

 



Welche Entscheidungen darf sich der Fußballfan in Sachen neues Nationalstadion erwarten?

Rapid und die Austria investieren in ein neues und ein adaptiertes Stadion. Das sind tolle Zeichen für den österreichischen Fußball. Aber oft passt die Infrastruktur in Österreich nicht. 2008 haben wir das Happelstadion renoviert, um gerade noch die Erfordernisse für die EURO 2008 zu erfüllen. Inzwischen sind acht Jahre vergangen. Die Zeit ist fortgeschritten. Das Happelstadion genügt den Anforderungen nicht mehr.

 

Welche Entwicklung soll es dahingehend geben?

2016 soll die Bewusstseinsbildung voranschreiten, dass hier wirklich akuter Bedarf gegeben ist.

 

Aber erkennt das nicht schon jeder?

Ich glaube nicht. Wenn ich mir die Regierungserklärungen ansehe, dann steht dort der Sport noch immer hinter dem dritten Strich. Der Sport muss die Stimme mehr erheben. Ich will keinen Kulturkampf auslösen. Aber: Es werden mit einer Selbstverständlichkeit Kultureinrichtungen gebaut. Der Sport muss dagegen immer die Investitionsrechnung vorlegen, wenn er Bedarf hat.

 

Erkennt das die Regierung? Und welche Rolle kann der ÖFB dabei einnehmen?

Das Happelstadion ist 1932 gebaut worden. Da können wir bald die Jahrhundertfeier abhalten. Wir können nur auf die Politiker zugehen - in einem entsprechend seriösen Stil. Alles andere bringt nichts. Wir wollen mit Nachdruck aufzeigen, dass gewaltige Defizite im österreichischen Fußball in puncto Infrastruktur bestehen. Mit einem sportlichen Erfolg im Rücken geht das vielleicht noch besser.

 

Könnte der ÖFB das Stadion aus eigener Kraft finanzieren?

Das wird nicht der Fall sein. In Ungarn baut das der Staat.

 

Aber was spricht dagegen, dass sich der ÖFB das Geld über verschiedene Wege besorgt und das Stadion selber betreibt?

Die Dimension des Investments ist zu groß. Man kann das auch nicht mit Rapid vergleichen, weil der Spielbetriebsumfang nicht so groß ist, wie bei einem Klub. Allerdings: Eine Multifunktionsarena müsste man prüfen.

 

Hätte der ÖFB schon früher ein Bewusstsein für ein neues Stadion schaffen können?

Wenn man das Stadion für 2008 einem Relaunch unterzogen hat, dann kann man nicht 2010 kommen und sagen: wir brauchen was. Der große Lösungsansatz wäre schon 2005 notwendig gewesen.

 

Wann würden Sie sich wünschen, dass ein neues Stadion steht?

Eine Perspektive für eine Entscheidungsfindung auf fünf Jahre ist realistisch.

 



Zuletzt sorgte eine Förderung durch die FIFA für ein Projekt, für das Sie sich stark gemacht haben, für Schlagzeilen. Wie erklären Sie sich, dass ein Mailverlauf zwischen Ihnen und der FIFA den Medien zugespielt wurde?

So etwas passiert immer wieder. Das hat man auch beim DFB gesehen.

 

Woran liegt das?

Das liegt am Fehlverhalten Einzelner.

 

Warum tut das jemand?

Da geht es möglicherweise um Einzelinteressen.

 

Das heißt: Sie haben nicht nur Freunde im ÖFB?

Wer hat nur Freunde?

 

Das macht Ihnen nichts aus?

Mit gewissen Dingen muss man leben. Wiewohl diese Weitergabe von allen verurteilt wird.

 

Wer kann das sein?

Es bringt nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Ich glaube es zu wissen, woher es kommen könnte und das genügt mir.

 

Aber rechtliche Instanzen wollen Sie deshalb keine beschreiten?

Ohne Beweise - was soll das bringen? Gegen eine Tageszeitung, die das total überzogen hat, habe ich die Klage eingebracht. Das war auch aus Selbstschutz notwendig. Wenn ich das nicht tue, habe ich immer die mir nachlaufende Schlagzeile, ich hätte Geld bekommen.

 

In Deutschland wurde mit Phantomgeschossen gearbeitet. (…)Da möchte ich mir kein Urteil erlauben. Einem Wolfgang Niersbach hat man bisher nichts nachweisen können.< /div>< /div>

 

Der ÖFB hat sehr enge Verbindungen zum DFB. Wie geht es Ihnen, wenn Sie die Entwicklungen der letzten Wochen dort verfolgen?

Das ist eine leidvolle Geschichte. Hier hat man aus internem Machtstreit und Revanchismus heraus neun Jahre später ein Sommermärchen kurz und klein geschossen, das 2006 eine ganze Nation restauriert hat. Das hat eine Sympathiewelle für Deutschland ausgelöst, die man im Nachhinein niedergetrampelt hat.

 

Hannes Kartnig ist man im Nachhinein draufgekommen, dass viele Erfolge mit Sturm Graz nur möglich waren, weil vieles strafrechtlich relevant war. Da kann man ja auch nicht sagen: Das waren viele schöne Jahre und Deckel drauf.

Das ist richtig. Wenn tatsächlich Tatbestände vorliegen, muss man die aufklären. Aber hier wurde mit Phantomgeschossen gearbeitet.

 

Wäre es aus Ihrer Sicht besser gewesen, die Hintergründe wären nie bekannt geworden?

Ich bin überzeugt davon, dass hier gewisse Zusagen da waren. Aber wenn ein Franz Beckenbauer Freundschaftsspiele zusagt, dann müssen wir definieren: Wo ist die Grenze zwischen Korruption und Bestechung oder wo komme ich jemandem bloß entgegen.

 

Aber alleine, dass 6,7 Millionen Euro keinen Verwendungszweck hatten…

…da möchte ich mir kein Urteil erlauben. Einem Wolfgang Niersbach hat man bisher nichts nachweisen können.

 

Aber die Antworten konnte er auch nicht liefern.

Das ist richtig. Aber der mediale Druck hat ihn aus der Funktion geschossen und nicht die Beweislast.

 

Die Frage ist, ob es für einen DFB-Präsidenten tragbar ist, wenn man 6,7 Millionen Euro nicht zuordnen kann…

Es ist relativ leicht von der Aussichtswarte urteilend auf andere herunterzuschauen.

 

Der neue FIFA-Präsident soll auch die Power haben, den Laden einmal durchzublasen.< /div>< /div>

 

Ist der Spiegel-Artikel überzogen?

Ich werde mir dazu kein Urteil erlauben.

 

Die Präsidenten-Wahl bei der FIFA steht an. In welche Richtung soll es gehen?

Ich hoffe, dass wir einen Präsidenten kriegen, der über alle Vorurteile oder Zweifel erhaben ist. Der neue Präsident soll auch die Power haben, den Laden einmal durchzublasen.

 

Kommt es nur auf den Präsidenten an?

Das System korrigiert sich ja nicht selber. Da brauche ich ja vorne jemanden, der das korrigiert.

 

Haben Sie den Eindruck, dass die FIFA aktuell daran wirklich arbeitet?

Was kann die FIFA dafür, dass der Präsident aus Paraguay in Südamerika angeblich eine Linke gedreht hat, die jetzt hochkommt?

 

Vielleicht, weil das System von oben herab vorlebt, dass Korruption mehr oder weniger zum Geschäft gehört.

Wir haben das Problem, dass Compliance in Europa komplett anders gesehen wird als in Afrika, zum Teil in Asien oder Südamerika. Und deshalb sage ich: die Integrität-Checks müssen nach klaren Regeln unserer Wirtschaftswelt ablaufen. Die FIFA muss ganz klare Leitplanken aufstellen.

 

Wer ist ihr Kandidat für den FIFA-Präsidenten?

Offiziell ist es natürlich der Michel Platini. (Anm.: Das Interview wurde vor der Sperre Platinis am 11. Dezember geführt).

 

Ist Platini noch haltbar?

Ich glaube, dass die Suspendierung Platini in seiner Reputation schon arg beschädigt hat.

 

Ist dann UEFA-Generalsekretär Gianni Infantino eher ihr Kandidat?

Die Zeit wird die Dinge sicher noch klären.

 

Generell kann man als österreichischer Verband eh nur mitschwimmen. Zu sagen haben ohnehin nur die Großen etwas, oder?

Nein, im Gegenteil. Wir bringen uns ordentlich ein. Ich habe schon ein paar Mal gesagt: Wir in der UEFA haben höchsten Bedarf an Strategieentwicklung. Denn wir haben derzeit noch immer drei Kandidaten: Champagne, Platini und Infantino. Und es wird notwendig sein, sich im Vorfeld rechtzeitig auf einen Kandidaten festzulegen, um den vollauf unterstützen zu können. Das war ja auch in der Vergangenheit unser großes Defizit.

 

Haben Sie persönlich einen Favoriten, auf den man sich einigen sollte?

Es geht um eine sportpolitische Entscheidung, zu der wir uns im Präsidium noch einmal beraten werden. Aber ich habe meine Meinung dazu.

 

Es gibt einen neuen Vorschlag der FIFA: Weltmeisterschaften sollen künftig von 32 auf 40 Teams aufgestockt werden. Heißt das für den ÖFB, dass man bei großen Turnieren eigentlich immer dabei sein sollte?

Das ist richtig. Man muss sich anschauen, ob der Vorschlag durchgeht. Es würde uns die Qualifikation womöglich erleichtern. Auf der anderen Seite wissen wir, dass eine Aufstockung dazu dient, die anderen Kontinentalverbände stärker beteiligen zu können, ohne Europa Startplätze wegzunehmen.

 

Ein bisschen ironisch nachgefragt: Könnte der ÖFB jetzt, wo man so erfolgreich ist, selbstbewusst auftreten und für eine Reduzierung eintreten?

Wir werden immer selbstbewusst auftreten, werden dabei aber den Realitätssinn nicht verlieren. Wir wissen um unsere realistische Stärke.

Danke für das Interview!

Schon gelesen?