Matthias Sammer: ‚David Alaba ist unsere Zukunft'

Im Interview mit Matthias Sammer spricht der Bayern-Sportdirektor über die tagtägliche Herausforderung, das Top-Niveau zu halten, ob Aleksander Dragovic ein Thema ist, warum David Alaba nicht die Gegenwart sondern die Zukunft für Bayern München bedeutet u

 

Wie schwer ist es, das Top-Niveau bei den Bayern tagtäglich zu halten?
Matthias Sammer: Ich glaube, dass es Bayern geschafft hat, über Jahrzehnte den inneren Antrieb und die innere Energie und das Bayern-Gen in sich zu tragen, bewiesen hat. Das ist immer von Menschen geprägt. Wenn man sich ehemalige Spieler wie Beckenbauer, Hoeneß oder Rummenigge ansieht, die haben sich nie so richtig mit dem zweiten Platz zufrieden gegeben. Das Klubmotto „Mia san mia" hat auch die Verbindung, dass der Anspruch der Allerhöchste ist. Im täglichen Leben bei den Bayern spürt man, dass nur der allerhöchste Anspruch genügend ist. Deshalb ist das dann ein Ergebnis, das man versucht, konstant erfolgreich zu sein.

 

Bis 2012 waren wir die Verlierer der Nation, haben das Champions League Finale verloren.< /div>< /div>

 

Bayern hat in der Liga kaum Konkurrenz, auch in der Champions League hat man sich vorzeitig den Gruppensieg gesichert. Wie hält man die Spieler auf dem Topniveau, sodass auch keine Langeweile entsteht?

Ich glaube, dass dies gewachsen ist. Das Gesicht dieser Mannschaft ist gewachsen. Bis 2012 waren wir die Verlierer der Nation, haben das Champions League Finale verloren, haben bei Europa- oder Weltmeisterschaften nur den zweiten oder dritten Platz erreicht. Das ist für den deutschen Anspruch zu wenig. Die Spieler haben viel aushalten müssen, um dann auf diesem Weg und den entsprechenden Trainern wie Heynckes und jetzt Guardiola reifer zu werden. Bastian Schweinsteiger hat vor wenigen Tagen gesagt: „Große Titel machen süchtig." Das kann man immer wieder von Champions hören, auch in anderen Sportarten. Wenn man einmal den Erfolg geschnuppert hat, dann spürt man den Ehrgeiz, das wieder zu erreichen. Man kommt sowieso jeden Tag hier her, dann fragt man sich: Warum mache ich es nicht gleich gut und bin besser als dritter oder vierter. Der Charakter der Mannschaft hat sich extrem entwickelt. Der Eigenantrieb ist extrem groß, extrem hoch, extrem professionell.

 

Deutschland gilt als eine der ausgeglichensten Ligen in Europa. Dortmund ist in dieser Saison als Gegner abhanden gekommen. Wie wichtig ist es für die Bayern, in der Meisterschaft nicht zu schnell den anderen davonzueilen, um auch international die Herausforderungen bestehen zu können?
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Sie brauchen sich keine Sorgen machen. Das Momentum spricht für uns. Das kann morgen schon wieder ganz anders sein. Wir haben eine extrem gute Situation und Konstellation, die mit der Entwicklung der Klubs seit 2012 zusammenhängt, als wir vieles oder fast alles gewonnen haben. Das ist aber natürlich auch dem Umstand zu verdanken, dass wir einen geräuschlosen Übergang von Heynckes zu Guardiola hatten. Guardiola passt außergewöhnlich zu diesem Klub. Wir haben eine sehr gute Alterstruktur in der Mannschaft, einen guten Charakter und eine gute Dynamik in dieser Mannschaft. Diese Situation erlebt man in Zyklen und das erlebt man nicht sehr oft. Das Momentum spricht daher aktuell für uns. Ich muss Sie aber korrigieren: So knapp wie Dortmund die Spiele verloren hat, haben wir diese auch verloren; wenn ich zum Beispiel an das Berlin-Spiel denke, wo wir knapp mit 1:0 gewonnen haben. Die zweite Halbzeit war eine Katastrophe. Da gab es einige Spiele, wir haben einen unglaublichen Aufwand betreiben müssen, um einige Spiele zu gewinnen. Man kann in keiner Sekunde nachlassen, wie auch das Manchester-City-Spiel gezeigt hat. Die Würdigung der Leistung im Verhältnis zu der Nichtleistung der anderen steht in keinem Verhältnis.

 

Es gibt innerhalb des Teams ein Gefälle bei den Spielern. Einige haben schon sehr viel gewonnen, einige noch gar nichts. Wie geht man damit um?
Wir haben in der letzten Zeit relativ wenig über Führung gesprochen. Der Klub ist nicht zufällig erfolgreich. Da müssen die richtigen strategischen, inhaltlichen und sportlichen Entscheidungen getroffen werden. Das hat immer etwas mit Führung zu tun. Eine Mannschaft selber ist immer wieder davon geprägt, auch junge Spieler dabei zu haben. Ich bleibe dabei, das wichtigste sind die Führungsspieler und jene, die erfolgreich waren. Diese Spieler tragen die meiste Verantwortung, die eigene Qualität im Training einzusetzen. Arjen Robben trainiert jeden Tag, als würde es kein morgen geben. Das betrifft viele Spieler. Die Eigendynamik, geprägt durch erfolgreiche Spieler, ist positiv. Das gibt Kraft, daran orientieren sich die jungen Spieler. Das ist ein ständiger Prozess.

 

Es ist eine Freude, mit David Alaba jeden Tag zu arbeiten. Das ist eine Frohnatur, ein Charakter, der dem Klub sehr, sehr gut tut.< /div>< /div>

 

Apropos Führung: Ist der Vorzeigeösterreicher David Alaba auf dem Weg zum Führungsspieler?
Der Vorzeigeösterreicher ist zunächst einmal ein super Typ. Es ist eine Freude, mit ihm jeden Tag zu arbeiten. Das ist eine Frohnatur, ein Charakter, der dem Klub sehr, sehr gut tut. Sportlich ist er sowieso außergewöhnlich, weil ihn die individuelle Qualität, die Technik, die taktische Flexibilität und die physische Robustheit auszeichnen. Damit ist er ein Spieler, der mit der Idee des Trainers Guardiola Flexibilität und Organisation gewährleisten kann. Alaba ist für uns und für den Trainer ein Geschenk. Normalerweise sagt man ein Geschenk des Himmels, in dem Fall halt aus Österreich. Seine Verletzung hat uns wehgetan und wir hoffen, dass er im Jänner wieder mit dabei ist.

 

Sehen Sie David Alaba in der Zukunft eher auf einer fixen Position oder als jemanden, der drei, vier Positionen spielen kann?
Das ist natürlich vom Trainer und der Philosophie des Spiels abhängig. Aktuell bekleidet er drei Positionen, in der Vierer- und Dreierkette die äußere Position sowie im defensiven Mittelfeld. Da gibt es dann noch ein paar Variationen. Es ist schwer zu sagen, wie sich das entwickelt, die Anerkennung kann man mit beiden bekommen. Paulo Maldini ist das Beispiel für eine Position, er war eine Ikone. Philipp Lahm ist das Gegenbeispiel, der hat defensives Mittelfeld im Bayern-Nachwuchs gespielt, dann beim VfB und Bayern linker Verteidiger, dann rechter Verteidiger unter Pep Guardiola wieder Mittelfeld. Das ist verrückt – und trotzdem ist er ein Weltstar. Seriös kann man das aus heutiger Sicht nicht beurteilen, wie er sich da entwickeln wird. Flexibilität ist schon lange kein Nachteil mehr. Seine Qualität ist High-Level. Ich sehe ihn derzeit als absoluten Teamplayer. Ich bin aber auch gespannt, ob er dann später mit seiner Erfahrung auch in eine Führungsrolle hineinwachsen kann. Darauf bin ich sehr gespannt.

 

Die Leistungen von David Alaba sind auch anderen Vereinen nicht verborgen geblieben. Ist Alaba unverkäuflich, immerhin wurde er vor kurzem mit Real Madrid in Verbindung gebracht?
Über Gerüchte möchte ich nicht reden, da gibt es jeden Tag zu viele davon. Lassen Sie mich kurz antworten: David Alaba ist unverkäuflich. Im Gegenteil: Er ist unsere Zukunft. Es gibt 0,0 Gedankengänge, an dieser Situation etwas zu ändern, er hat noch lange Vertrag. Er ist Bayern-Spieler.

 

Wurde Ihnen eigentlich in letzter Zeit auch ein Innenverteidiger aus Kiev angeboten?

Ja. Aber derzeit haben wir genug Innenverteidiger.

 


Bayern hat auch einige österreichische Spieler im Nachwuchs. Sehen Sie hier jemanden, der Anlagen hätte, den Sprung in die Profi-Mannschaft zu schaffen?
Ich finde Schöpf hat einen guten und richtigen Schritt gewählt, auch ein bisschen gezwungenermaßen, weil er ursprünglich nach Gladbach gehen wollte. Das hat sich nicht ergeben. Das wäre ein Schritt zu groß gewesen auch für die Position. Nürnberg ist genau der richtige Schritt, er hat auch auch in der zweiten Mannschaft angedeutet, dass er auf dem richtigen Weg ist. Auch Ylli Sallahi müsste von der Logik jetzt den nächsten Schritt machen, weil die vierte deutsche Liga ist für ihn nicht mehr das Richtige.

 

Ich kenne Willi Ruttensteiner gut, der ist sehr engagiert, den habe ich als ich noch beim DFB war, auf sämtlichen Kongressen getroffen. Er ist sehr engagiert, aber auch kein einfacher Zeitgenosse.< /div>< /div>

 

In Österreich gibt es eine latente Diskussion darüber, wann der optimale Schritt von Österreich ins Ausland erfolgen soll. Wie sieht der optimale Weg aus Sicht von Bayern München aus?
Gibt es diese Diskussion in Österreich immer noch? Ich glaube, dass der österreichische Fußball in der Nachwuchsstruktur eine gute Entwicklung genommen hat. Ich kenne Willi Ruttensteiner gut, der ist sehr engagiert, den habe ich als ich noch beim DFB war, auf sämtlichen Kongressen getroffen. Er ist sehr engagiert, aber auch kein einfacher Zeitgenosse. Er hat trotzdem viel Gutes getan. Ich glaube, wenn in Österreich die Qualität des täglichen Trainings eines 15, 16, 17-jährigen abgesichert ist und die Tatsache, dass er am Anfang in den ersten beiden Jahren in der österreichischen Liga spielen kann, sehe ich keinen Nachteil darin. Ein gutes Training in einer gut organisierten Mannschaft mit einem guten Trainer und Spielrythmus sind unerlässlich. Dagegen ist es für einen 17- oder 18-jährigen, der zu einem Großklub geht und dort dann kaum spielt, die Entwicklung nicht gut. Für uns konkret gehen wir, wenn es ein super Spieler ist, mit 15 oder 16 auf ihn zu, um ihn das Bayern-Gen zu implantieren. Wir wollen ihm die Möglichkeit geben, mit der ersten Mannschaft mitzutrainieren und gleichzeitig in der Jugend- oder zweiten Mannschaft zu spielen. Dann, wenn wir zum Übergang in den Profibereich kommen, können wir beurteilen, wie weit dieser Spieler ist. Da muss man dann klar überlegen, ob der letzte Step auf direktem Weg gelingt wie bei Badstuber oder Müller oder über eine Leihe wie zum Beispiel bei Alaba oder Lahm, die einen Umweg gegangen sind. Wenn wir ein außergewöhnliches Talent sehen, ist es für uns im Alter von 17 oder 18 dann schon ungünstig, weil in dieser Altersstruktur sollte er schon irgendwo direkt spielen. Da macht eine Verpflichtung keinen Sinn. Daher, lieber ein, zwei Jahre vorher mit 15, 16 Jahren, den Spieler an das Niveau der ersten Mannschaft gewöhnen, Spielpraxis haben, um dann aktuell zu erkennen, ob der direkte Weg möglich ist oder der indirekte. Konkret auf Österreich kann ich das jetzt nicht einschätzen, bei welchem Verein welches Trainingsniveau herrscht, mit welchen Spielern trainiert dieser Spieler und auf welchem Niveau dieser Spieler spielt. Ich warne aber davor, Spieler mit 13 oder 14 zu transferieren. Von guten deutschen Vereinen ins Ausland zu wechseln hat sich nicht bezahlt gemacht, diese Spieler sind alle gescheitert.

 

Ist Österreich aufgrund der nicht vorhandenen Sprachbarriere und des relativ ähnlichen Kulturkreises der interessanteste Markt, um Nachwuchsspieler zu scouten?

Der Markt ist interessant, aber nicht der interessanteste. Natürlich spielen Sprache und Kultur eine Rolle. Vor meiner Zeit haben wir bereits gesagt, dass wir keinen Südamerikaner auf direktem Wege nach Deutschland holen. Wenn der heute aus dem Fenster blickt und den Nebel sieht und gerade von der Copacabana kommt, ist das nicht einfach. Wir scouten sehr gezielt und sind aber auch von der Entwicklung der jungen Spieler in Deutschland sehr überzeugt. Skandinavien ist auch sehr interessant für uns. Der ehemalige Ostblock ist eher weniger interessant.

 

Derzeit boomen die Österreicher in Deutschland ..
.. ja, aber womit hat es zu tun? Österreich hat vor einigen Jahren seine Strukturen verbessert und die Nachwuchsförderung in den Mittelpunkt gestellt. Da ist schon in einem kleinen Land viel passiert, es ist nicht immer die Quantität entscheidend. Immer natürlich unter der Voraussetzung, dass man eine Fußball-Kultur hat. Das hat Österreich seit 1978 ... (lacht) ... kleiner Scherz. Österreich hat eine gewisse Tradition, das ist ein absolut gesittetes Land. Da werden dann gute Jungs herauskommen.

 

Ein Klub wurde irgendwann gegründet, da hatte dieser Klub auch keine Tradition. Jetzt beginnt etwas neu, um man kritisiert es, weil es keine Tradition hat. Dann darf es nie wieder etwas Innovatives geben, es darf sich nie wieder etwas Neues entwickeln.< /div>< /div>

 

 

Möglicherweise spielen die Bayern in ein, zwei Jahren in der gleichen Liga wie RB Leipzig. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung aus sportlicher Sicht?
Das ist natürlich positiv, das ist keine Frage, auch wenn unsere Fans vielleicht ein bisschen sauer darüber waren. Tradition hat irgendwann begonnen und wenn jetzt jemand am Beginn ist, darf er nicht mehr beginnen? Ein Klub wurde irgendwann gegründet, da hatte dieser Klub auch keine Tradition. Jetzt beginnt etwas neu, um man kritisiert es, weil es keine Tradition hat? Dann darf es nie wieder etwas Innovatives geben, es darf sich nie wieder etwas Neues entwickeln. Es dürfen nur noch die weitermachen, die Tradition haben, ein anderer darf nie beginnen. Das ist der Ruf der Traditionalisten. Jetzt entscheidet sich eine große Firma, die bekanntermaßen im Sport nachgewiesen hat, dass sie einen langen Atem hat, dass sie zukünftig nicht nur mehr Dosen verkaufen will, sondern dass die etwas Nachhaltiges schaffen will. Ob sie dadurch mehr Dosen verkaufen, ist mir egal. Ich komme aus der Region und kann das gut beurteilen, dass dies der Region gut tut, weil die Vereine, die aus der Tradition gekommen sind wie Lok Leipzig und wie sie dann nachher geheißen haben, gefühlte 20 Jahre die Möglichkeit gehabt haben, etwas Konstruktives für den Fußball zu machen. Es hat nicht funktioniert, im Gegenteil, die haben sich gegenseitig eine Watsch'n gegeben. Jetzt kommt jemand da rein, natürlich aus Eigeninteresse und schafft für diese Region substanziell Infrastruktur, damit Leistung und bringt den Menschen möglicherweise Erstligafußball. Egal, wo das Motiv liegt, dass das unter dem Prinzip des Leistungsgedanken schlecht sein soll, versteh ich nicht. Man kann natürlich ein paar Dinge diskutieren, so wie mit Wolfsburg und Leverkusen. Ein paar Parameter müssen beachtet werden. Natürlich hoffe ich, dass Leipzig bald in der ersten Liga spielt. Es grundsätzlich negativ zu sehen, kann ich nicht verstehen. Der Grundgedanke, dass sehr viel Geld in die handelnden Mannschaften von Red Bull fließt, bedeutet, dass wenn sie sich gut organisieren, dass sie gefährlich sind, besser zu sein, als die anderen. Viel Geld hatten schon viele aber sie waren auch nicht immer erfolgreich. Viel Geld hat maximal die Voraussetzung, gute und intelligente Menschen in ihrer Struktur zu unterstützen. Das Geld fließt in die Entwicklung des Systems. Die anderen werden sich unter den marktwirtschaftlichen Voraussetzungen etwas einfallen lassen müssen. Das ist nun Mal freie Marktwirtschaft. Ich komme aus dem anderen System. Dass dies besser ist, würde ich bestreiten.

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