Marc Juillerat: 'Schweizer Klubs müssen die Lohnzahlungen an die Spieler monatlich bestätigen'
Die Lizenzierung wird in Österreich von vielen Bundesliga-Vereinen als notwendiges Übel empfunden. In der Schweiz ist das ein wenig anders. Dort wird die Lizenzierung als Möglichkeit gesehen, die Qualität des Produkts Fußball zu heben und somit sowohl für
90minuten.at: Zahlreiche neue Stadien, ein Zuschauerschnitt von mehr als 12.000 und aufsehenerregende internationale Erfolge vor allem des FC Basel. Wie attraktiv ist die Schweizer Super League?
Marc Juillerat: Die Attraktivität ist in allen Belangen eindeutig gestiegen, was einerseits natürlich mit den Erfolgen der Nationalmannschaft und der Clubs – und da allen voran des FC Basel – zu tun hat, aber auch mit der gestiegenen Qualität der Sportstätten. Es konnten in den vergangenen Jahren zahlreiche attraktive Stadien in der Schweiz errichtet werden und in denen sich die Zuschauer wohl fühlen, wie die Zuschauerzahlen beweisen.
Profitieren die Klubs dabei immer noch von den im Rahmen der Europameisterschaft 2008 getätigten Investitionen?
Zum Teil schon, aber auch unabhängig davon ist das Bewusstsein für die Notwendigkeit moderner Sportstätten gestiegen. Das liegt auch an den Infrastruktur-Vorgaben der UEFA, die erfüllt werden müssen, wenn sich die Vereine für internationale Bewerbe qualifizieren und die Spiele dann auch in ihrem Stadion austragen wollen. Zudem versuchen wir mit einem nationalen Stadionkatalog im Rahmen unseres Lizenzierungsverfahrens die Qualität zu heben. Darin sind die Mindestanforderungen an das Spielfeld, die Medieninfrastruktur oder die Beleuchtungsanlage der Stadien geregelt, aber auch die Mindestgrößen der Stadien mit zumindest 6.500 Sitzplätzen (Anm.: bei einem reinen Sitzplatzstadion zumindest 8.000 Sitzplätze) die Anzahl der Ein- und Ausgänge oder Vorgaben, wie ein Gästeblock auszusehen hat.
Gelten diese Vorgaben nur für die Vereine der Super League oder auch für die Clubs in der Challenge League?
Wir definieren grundsätzlich Vorgaben für beide Ligen, wobei die für die Challenge League schon etwas abgeschwächt sind. So wollen wir einen möglichen „Gap" zwischen Super League und Challenge League verhindern ...
... und diesen nach weiter unten verschieben?
Das ist zwar nicht unsere Absicht, aber zwischen der halbprofessionellen 3. Division und der Challenge League besteht dadurch tatsächlich eher die Gefahr einer Lücke. Diese soll aber keinesfalls zu einer unüberwindbaren Hürde für einen ambitionierten aufstiegswilligen Klub werden, wenngleich wir natürlich gewisse Qualitätsansprüche an die Vereine stellen, die oben mitspielen wollen, und auf diese auch bestehen.
Welche Voraussetzungen muss ein Schweizer Klub unabhängig von den Stadionvorgaben erfüllen, um die Lizenzierung erfolgreich hinter sich zu bringen?
Wir haben sechs große Kriterienbereiche definiert, die sowohl rechtliche Eckpunkte abdecken, als auch den administrativen und sportlichen Bereich, die Infrastruktur, den Sicherheitsbereich und natürlich auch die Finanzen. So muss etwa jeder Club in der Super League in Form einer AG strukturiert sein, muss jeder Club über eine funktionierende Administration verfügen, eine gewisse Anzahl an Jugendmannschaften stellen, die maßgeblichen Funktionen besetzen, wie beispielsweise einen Fanverantwortlichen, und plausibel darlegen, dass er über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, die nächste Saison zu stemmen. Wobei gerade die finanzielle Situation prospektiv oft nur sehr schwer einzuschätzen ist. Wir können dabei nur den Status Quo und die Plausibilität von zukunftsorientierten Aussagen bewerten, wenn dann die Zuschauerzahlen einbrechen, ein wichtiger Sponsor wegfällt oder der Verein viele teure Spieler kauft, kann sich die Situation allenfalls schnell anders darstellen. Diese Unwägbarkeiten versuchen wir durch die Forderung nach Sicherheiten, wie beispielsweise die Beibringung von Bankgarantien oder ähnlichem, als Voraussetzung für die Erteilung der Lizenz abzufedern.
Ist das auch ein Mitgrund dafür warum die Lizenzierung in der Schweiz sehr streng gehandhabt wird? 2013 wurden in erster Instanz zwei Klubs aus der Super League und vier Klubs aus der Challenge League die Lizenz verweigert und musste schlussendlich Bellinzona absteigen, 2012 waren in erster Instanz gar elf Mannschaften der beiden Ligen vom Lizenzentzug bedroht und wurde noch während der Saison Xamax Neuchâtel die Spielberechtigung entzogen..
Die Sachverhalte, welche zu einer Lizenzverweigerung führen können, sind sehr individuell. Manchen Clubs fehlte zum Ende der Saison hin der finanzielle Schnauf und bei anderen sind Unsicherheiten vorhanden, ob die nächste Saison finanziert werden kann, wieder bei anderen gab es Probleme mit dem Stadion, haben Formulare gefehlt oder wurden Dokumente nicht oder zu spät eingereicht. Gerade letzteres mag jetzt sehr streng klingen, ist für uns aber eine Prinzipfrage – wir wollen mit der Lizenzierung Qualitätsanforderungen definieren und überprüfen und da gehört eben auch die rechtzeitige Abgabe aller notwendigen Unterlagen dazu.
Können die Klubs bei der Darstellung ihrer finanziellen Situation in der Lizenzierung auch Transfereinnahmen angeben?
Grundsätzlich dürfen Transfereinnahmen berücksichtigt werden und bei manchen Clubs ist das auch ein nicht ganz unwesentlicher Faktor. Dabei müssen die geplanten Transfereinkünfte von den Vereinen plausibel erklärt werden – etwa anhand von Erfahrungswerten aufgrund größerer Transfereinnahmen in der Vergangenheit oder aufgrund bereits geschlossener Verträge.
Wie sind die Schweizer Lizenzbestimmungen mit denen in Österreich vergleichbar?
In vielen Punkten sind sich die Regelungen in den beiden Länder sehr ähnlich, aus historischen Gründen heraus haben wir aber auch einige weitere Reglementierungen eingeführt. So muss bei uns etwa eine neue Lizenzierung durchlaufen werden, wenn während des Jahres die Eigentümerverhältnisse eines Vereins wechseln ...
... was auf den Fall Xamax Neuchâtel zurückzuführen ist?
Genau. Xamax hat damals die Lizenz erhalten, noch bevor die neue Saison begann gab es dann aber einen neuen Eigentümer, der schlussendlich nicht die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen konnte, um den Klub durch die nächste Saison zu bringen. Unsere Lizenzierung ist in diesem Fall also ins Leere gelaufen, weil sie unter Voraussetzungen gewährt wurde, die plötzlich nicht mehr gültig waren.
Welche weiteren Sonderregelungen gibt es im Schweizer Lizenzierungsverfahren?
Wir haben beispielsweise ein monatliches Reporting eingeführt, in dessen Rahmen die Clubs die Überweisung der Löhne und die Sozialversicherungen die Überweisung der Sozialversicherungsbeiträge bestätigen müssen. Das ist ein sehr guter Gradmesser für die finanzielle Kraft der Klubs und wird wiederholt zu spät oder unvollständig bezahlt, können wir rasch reagieren.
Wie sieht so eine Reaktion aus?
Es handelt sich dabei um ein Disziplinarvergehen, das wir der Disziplinarkommission melden. Diese kann dann in aufsteigender Reihenfolge eine Buße verhängen oder den Abzug von Punkten aus der laufenden Meisterschaft wie das im vergangenen Jahr bei der AC Bellinzona der Fall war. Die Erfahrungen der vergangenen Zeit haben zudem zu einer ganz neuen Regelung geführt: Obwohl ein Verein im Dezember die Löhne seiner Spieler nicht mehr bezahlen konnte, hat er noch neue Spieler verpflichtet und qualifizieren lassen. Dadurch kam es zu einer Wettbewerbsverzerrung auf die wir nun in so einem Fall mit einer Qualifikationssperre, also einer Art Transferverbot reagieren. Die Vereine müssen nun bis spätestens 15. Jänner nachweisen, dass sie die Löhne ihrer Spieler für Dezember überwiesen haben, um in der Winterübertrittszeit bei uns neue Spieler qualifizieren zu können. Und so versuchen wir auch aus anderen Situationen zu lernen und darauf gegebenenfalls mit neuen Anforderungen oder Anpassungen der Vorschriften zu reagieren ...
... wie etwa mit der – auch in Österreich bereits lange diskutierten – verpflichtenden Einführung einer Rasenheizung in allen Stadien der Super League ab der Saison 2015/16?
Diese neue Anforderung soll tatsächlich ab 2015/16 zum Tragen kommen, aber noch sind – was die Umsetzung betrifft – nicht alle Diskussionen abgeschlossen. Manche Vereine argumentieren mit den hohen Kosten dagegen, aber grundsätzlich gehen wir davon aus, dass diese neue Anforderung in absehbarer Zeit umgesetzt werden wird.
Sehen Sie eine Gefahr, dass durch diese neue Vorschrift bei den ohnehin bereits strengen Voraussetzungen die Super League und die Challenge League langfristig zu einer elitären Veranstaltung werden, die für Clubs aus unteren Ligen nicht mehr erstrebenswert erscheint oder überhaupt machbar ist?
Diese Gefahr besteht natürlich wenn man gewisse Ansprüche an die Vereine stellt. Andererseits wollen wir auch die Clubs belohnen, die Investitionen in die Infrastruktur tätigen, nachhaltig wirtschaften und so die Qualität des Schweizer Fußballs und die Marke der beiden Profiligen verbessern.
Danke für das Interview!