Jérôme Champagne: ‚Ich bin der Einzige mit einer Vision'

Jérôme Champagne will neuer Herrscher des Weltfußballs werden. Der französische Diplomat tritt bei der Fifa-Präsidentschaftswahl 2015 gegen Sepp Blatter an. Erstmals spricht der Blatter-Herausforderer ausführlich in Österreich im 90minuten.at-Interview üb

 

90minuten.at: Herr Champagne, die Fifa steckt in einer großen Krise. Was würden Sie als Präsident in der aktuellen Situation tun?

Jérôme Champagne: Ich bin nicht Fifa-Präsident. Was ich tun würde, ist dennoch klar: Ich würde mich sofort darum bemühen, das Image des Verbandes zu erneuern und dafür zu sorgen, dass die Fifa transparenter und zugänglicher wird. Ich möchte die Fifa wieder mit den Fans versöhnen. Die Art und Weise, wie die Fifa strukturiert ist, ist für viele der aktuellen Probleme verantwortlich.

 

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Wir müssen dieses System verändern, das Exekutivkomitee muss aus Präsidenten der einzelnen Mitgliedsländern bestehen.< /div>< /div>< /blockquote >

 

Was meinen Sie?

Als die Strukturen vor 25 Jahren geschaffen wurden, war das okay so. Heute, im 21. Jahrhundert, ist es nicht mehr zeitgemäß. Ich rede vor allem über die Zusammensetzung des Exekutivkomitees.

 

Ist das Exekutivkomitee zu mächtig?

Darum geht es nicht. Es geht um seine Zusammensetzung. In einer Demokratie wie Österreich wählen die Leute jemanden, der Regierungschef wird. Dieser hat dann das Recht, seine Regierung zusammenzustellen. In der Fifa ist das anders. Der Kongress wählt zwar den Präsidenten, aber dieser kann nicht entscheiden, mit wem er im Exekutivkomitee zusammenarbeitet. Die Konföderationen wie die Uefa wählen ihre Leute in dieses Gremium – obwohl sie nicht einmal Mitglied der Fifa sind. Wir müssen dieses System verändern, das Exekutivkomitee muss aus Präsidenten der einzelnen Mitgliedsländern bestehen. Außerdem müssen wir die Sitzeverteilung ändern, sie ist ungerecht zugunsten der Europäer. Und wir müssen Vertreter von Spielern, Klubs und Ligen in das Exekutivkomitee integrieren; denn sie sind die Basis für unseren Sport.

 

Im Moment ist der Ermittlungsbericht zur WM-Vergabe nach Russland und Katar das große Thema. Die Fifa weigert sich, ihn zu veröffentlichen, Chefermittler Garcia selbst will, dass er publik wird. Sie auch?

Absolut. Wir müssen die Heiligkeit der Weltmeisterschaft beschützen. Die WM ist der Gipfel des Weltfußballs. Nur einmal in vier Jahren kommt die ganze Welt dafür zusammen. Die Veröffentlichung des Reports muss der Startpunkt eines Prozesses sein, der das Image der Fifa erneuert. Außerdem muss die Fifa damit beweisen, dass sie kompetent genug ist, den Weltfußball zu regieren. Durch die Globalisierung gehen wir durch große Veränderungen. Deswegen brauchen wir eine starke Fifa.

 

In dem Bericht von Ethik-Richter Hans-Joachim Eckert wird Katar vom Vorwurf der Korruption freigesprochen. Zu Recht?

Ich kann das nicht beurteilen, weil ich den Report von Garcia nicht kenne. Grundsätzlich ist es gut, dass die arabische Region zum ersten Mal in der Geschichte eine Weltmeisterschaft austragen soll. Außerdem gilt die Unschuldsvermutung - auch für Katar. Und für Russland, Australien und Spanien. Im Moment wissen wir nicht, ob Katar sich die WM gekauft hat. Aber wir müssen Antworten auf diese Fragen bekommen.

 


Lassen Sie uns angesichts der Menschenrechtsverletzungen über kommende Weltmeisterschaften sprechen. Sollten Bewerber grundlegende politische Voraussetzungen erfüllen müssen?

Absolut. Die letzte Weltmeisterschaft, die in einer Diktatur stattgefunden hat, war jene 1978 in Argentinien. Nun wird sie in Russland und Katar sein. Eine WM darf aber nicht in einem Land stattfinden, in dem Menschen unterdrückt werden. Fußball ist ein demokratischer Sport, jeder kann Fußball spielen. Im Basketball etwa sind nur die Größten geeignet, im Fußball gibt es auch für die Kleinen eine Position. Die Hautfarbe, die sexuelle Orientierung – auch das ist völlig egal. Wie gesagt: Fußball ist demokratisch. Und so muss auch ein WM-Gastgeber sein.

 

Sie werden sehr gelobt für Ihre Ideen und Pläne. Trotzdem sagt jeder: Dieser Mann hat keine Chance gegen Sepp Blatter. Irren sich die Leute?

Eine Wahl ist ein Prozess, die Situation verändert sich ständig. Vor einem Jahr hieß es noch, dass Sepp Blatter zurücktritt und Michel Platini automatisch sein Nachfolger wird. Jetzt sind wir im Dezember 2014 und die Landschaft hat sich verändert. In den folgenden Wochen und Monaten wird noch sehr viel passieren, das Urteil fällt am 29. Mai 2015. Klar ist: Ich bin davon überzeugt, dass wir einen Wechsel brauchen. Deswegen trete ich an. Ich muss es versuchen, eine andere Option gibt es nicht.

 

Sie haben vorgeschlagen, dass sich die Präsidentschaftskandidaten in TV-Duellen messen.

Ja, das wäre eine gute Sache. Man könnte diese Duelle an verschiedenen Orten austragen, etwa in Deutschland, Frankreich und den USA. Die Kandidaten sollten offen für die Fragen der Fußball-Fans aus aller Welt sein.

 

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 Rapid Wien stand 1996 im Finale um den Europapokal der Pokalsieger 1996. Vor 20 Jahren spielte Austria Salzburg, der Vorgänger von Red Bull Salzburg, im Uefa-Cup-Endspiel gegen Inter Mailand. Glauben Sie, dass das heute möglich wäre? Nein, und das ist ein Problem.< /div>< /div>< /blockquote >

 

Würde Sepp Blatter da mitmachen?

Das müssen Sie ihn fragen.

 

Wie viele der 209 Nationalverbände, die bei der Wahl 2015 abstimmen, haben Sie als Unterstützer sicher?

Das ist eine sehr interessante Frage, aber ich kann sie jetzt nicht beantworten. Wir leben in einem System, in dem Druck auf Nationalverbände ausgeübt werden kann. Es ist jedenfalls kein Problem, der Wahlkommission im Januar, wie vorgeschrieben, fünf Unterstützer zu nennen.

 

Wie groß ist die Enttäuschung darüber, dass der Europäische Fußballverband Uefa Sie nicht unterstützen wird?

Wissen Sie, die Uefa ist eine riesige Organisation, sie spielen eine große Rolle im internationalen Fußball. Aber sie wählen nicht. Sie können ihre Meinung sagen, aber es ist nicht mehr als eine Meinung. Es sind die einzelnen Nationalverbände, auf die es ankommt. Apropos Europa: Ich will nichts Schlechtes über Europas Fußball sagen, aber es gibt auch hier Handlungsbedarf.

 

Was meinen Sie?

Reden wir zum Beispiel über Österreich. Rapid Wien stand 1996 im Finale um den Europapokal der Pokalsieger 1996. Vor 20 Jahren spielte Austria Salzburg, der Vorgänger von Red Bull Salzburg, im Uefa-Cup-Endspiel gegen Inter Mailand. Glauben Sie, dass das heute möglich wäre? Nein, und das ist ein Problem. Es gab den politischen Eisernen Vorhang, das ist glücklicherweise Vergangenheit. Nun aber gibt es den Eisernen Vorhang des Fußballs in Europa. Die, sagen wir, 15 Top-Klubs sind vom Rest des Kontinents komplett getrennt, sie haben ganz andere Möglichkeiten als der große Rest. Die Frage der richtigen Balance zieht sich in Europa bis in die nationalen Ligen. Man muss sich nur Dinamo Zagreb und den FC Basel anschauen...

 

...die Serienmeister ihrer Länder.

Genau. Es gibt eine große Ungleichheit. Ich will gar nichts gegen die erfolgreichen, mächtigen Klubs sagen, sie machen nämlich einen tollen Job, und wir brauchen sie. Aber wir brauchen auch eine Balance. Red Bull Salzburg ist übrigens auch deswegen ein gutes Beispiel, weil sie im Sommer mehr Geld für Transfers ausgegeben haben als der Rest der Bundesliga zusammen.

 

Wie finanzieren Sie eigentlich Ihre Präsidentschaftskampagne?

Ich finanziere sie selbst, das ist der Preis der Unabhängigkeit. Meine Kampagne soll komplett transparent sein. Ich habe bislang etwa 35.000 Euro ausgegeben. Manchmal werde ich auch zu Konferenzen oder von Verbänden eingeladen, dann muss ich nichts bezahlen. Aktuell mache ich Fundraising, hierzu werde ich mich konkreter äußern, wenn der Prozess abgeschlossen ist. Jetzt ist es noch zu früh.

 

Sepp Blatter hat ganz andere Möglichkeiten in seiner Kampagne. Denken Sie, dass er sich überhaupt mit Ihnen beschäftigt?

Hören Sie, das kann ich nicht beantworten. Das ist nicht mein Thema, damit habe ich nichts zu tun. Für mich gilt: Ich will eine Debatte über die Zukunft des Fußballs. Es geht bei der Wahl im kommenden Jahr nicht um Herrn Blatter oder Herrn Champagne. Es geht um die Frage: Was für einen Fußball wollen wir? Wenn es so weitergeht, dann haben wir bald Zustände wie im Basketball. Dann wird sich alles auf ein, zwei Länder konzentrieren und auf ganz wenige Wettbewerbe. Wollen wir das? Ich will nicht. Deswegen kandidiere ich und kann von mir sagen: Bislang bin ich der einzige Kandidat mit einer Vision.

Danke für das Gespräch!

>>> Zum Thema >>> Leo Windtner: ‚Ich sehe derzeit keine Alternative zu Sepp Blatter'

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