Heinrich Bergmüller: ‚Brauchen einen Erziehungsprozess hin zu mehr Training im Fußball'

Seit Sommer arbeitet der FK Austria Wien mit Fitness-Guru Heinrich Bergmüller zusammen. Im Interview mit 90minuten.at spricht der ehemalige Fitness-Trainer von Hermann Maier über das zu geringe Training bei Fußballern, warum Fitness auch am Trainer scheit

 

90minuten.at: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Austria Wien?
Heinrich Bergmüller: Die entstand durch die Bekanntschaft eines Austria-Trainers mit Philipp Wessely und Thomas Haasmann, mit denen ich zusammenarbeite, wobei wir gemeinsam Sportler verschiedenster Sportarten betreuen. Der Trainer kam zu mir und hat eine Diagnostik gemacht, und so sind wir ins Gespräch gekommen.

 

Haben Sie vorher schon einmal mit Fußballern zusammengearbeitet?
Vor vielen Jahren haben wir einiges mit Austria Salzburg gemacht, als der Verein sehr erfolgreich war, aber auch nachher dann, nach dem Abgang von Otto Baric. Außerdem habe ich schon vor vielen Jahren einige Einzelspieler betreut, Heimo Pfeifenberger und viele andere. Später dann aktuelle Nationalspieler wie Paul Scharner, Dragovic, Okotie, Almer, Kavlak oder auch Janko. Auch Alexander Zickler war sehr oft in Obertauern und hat sich sein Comeback nach unserer Trainingsmethodik und dem Reha-Vorbild Hermann Maier erarbeitet. Mit Dimitar Berbatov habe ich sehr lange zusammengearbeitet und ihn, damals noch bei Manchester United, wieder torgefährlich gemacht. Wir haben auch mit vielen Spielern nach Verletzungen Reha gemacht.

 

Sie waren also sowohl mit kompletten Mannschaften als auch mit einzelnen Spielern tätig. Welche Herausforderungen gibt es bei der Betreuung von Mannschaften?
Als komplette Mannschaft war das Austria Salzburg, und wir haben auch mit dem LASK zusammengearbeitet, als er noch in der obersten Liga war. Das war interessant: Im Jahr des Abstieges kam der LASK zu Weihnachten zu mir, und wir haben dann unter Präsident Reichel das Kommando übernommen. In der Folge war es so, dass der LASK in den ersten fünf Frühjahrspartien die beste Mannschaft war. Nur war der damalige Trainer leider Gottes nicht bereit, das weiter umzusetzen. Es war immer schwierig, wenn der Trainer sagte, er kann heute nicht laufen, weil es zu warm ist. Da kann man dann nichts machen bzw. sein Konzept umsetzen.

 

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Der Fußball wird immer schneller, alle wollen Pressing spielen, und man will immer intensiver trainieren. Dabei wird oft missachtet, dass die Grundlagenausdauer entsprechend stabil bleiben sollte. < /div>< /div>< /blockquote >

 

Wie genau sieht Ihre Arbeit mit den Spielern der Austria aus?
Im Wesentlichen bin ich beratend tätig, in Richtung Diagnostik und Trainingssteuerung. Das ist der wesentliche Punkt: dass man sich die Grundlagenausdauerwerte der Spieler ansieht, darauf aufbaut und versucht – und das ist meine Aufgabe –, hier durch wirksame Maßnahmen einzuwirken. Wir messen vor Ort regelmäßig gewisse Blutparameter, wodurch man muskuläre Überlastungen feststellen, aber auch herausfinden kann, ob die Leute sich in Summe der körperlichen Belastungen richtig ernähren und ausreichend trinken. Damit kann man entsprechend gegensteuern. Es ist letztlich ein Entwicklungsprozess, in dem die Spieler gefordert sind, entsprechend mitzuarbeiten. Wir machen sehr viel auf dem Feld, intensive Trainingsformen werden untersucht und ausgewertet, wobei man dann die Laufgeschwindigkeiten, Laufwege und physiologische Werte wie Laktat und Glukose misst. Daraus kann man relativ viele Aufschlüsse gewinnen.

 

Heinrich Bergmüller trainiert mit den Austria-Spielern (Foto: FK Austria Wien)

 

Sie führen also selbst kein Training durch?
Genau. Wir machen Leistungsdiagnostik und geben die Vorgaben für Laufinhalte an den Trainer weiter. Damit versuchen wir, dem modernen Leistungssport ein wenig Rechnung zu tragen. Der Fußball wird immer schneller, alle wollen Pressing spielen, und man will immer intensiver trainieren. Dabei wird oft missachtet, dass die Grundlagenausdauer entsprechend stabil bleiben sollte. Die Ursachen sind dann Leistungsinstabilität, Überlastungsprobleme und Verletzungen, bis hin zu schweren, dramatischen Verletzungen. Als ich mit Dimitar Berbatov gearbeitet habe, hat er nebenher fünf Stunden zusätzlich Ausdauer in der Woche trainiert. Das macht er jetzt noch, sehr moderat und meist am Ergometer. Und wenn so ein Weltklassestürmer mir dann schreibt, dass er vorher nach jedem Match muskuläre Probleme und Schmerzen in den Beinen hatte und sich jetzt einen Tag nach einem Match völlig erholt fühlt, dann muss das ja einen Sinn ergeben.

 


Sie können also mit Ihrer Methode dem gegensteuern, dass Fußballer sich immer häufiger verletzen?
Ja, absolut. Das sehe ich zum Beispiel beim Rubin Okotie, den ich jetzt seit fast 1 ½ Jahren betreue. Im Vergleich zu seinem Ausgangsniveau damals, als er bei der Austria war, ist seine Ausdauer jetzt wesentlich, ja um drei Stufen besser. Das war der wesentliche Faktor dafür, dass er sich in Dänemark durchgesetzt hat und sich jetzt in der 2. deutschen Bundesliga bisher durchsetzen und seine Tore machen konnte. Das ist ein wesentlicher Punkt, und da müssen wir mehr Zeit investieren. Der Weg ist für alle der gleiche, und man muss es nur richtig analysieren und das Konzept richtig umsetzen. Als zum Beispiel Guus Hiddink vor einigen Jahren die Russen oder vorher die Koreaner betreut hat, hat er nur Spieler einberufen, die eine Leistung von mindestens 14 km/h an der aeroben Schwelle hatten. Das hat schon einen Hintergrund.

 

Sie haben ja bislang vor allem mit alpinen Skisportlern zusammengearbeitet ...
... das würde ich nicht sagen, das geht eigentlich quer durch den Gemüsegarten. Da sind eigentlich alle Sportarten vertreten, wobei die erfolgreichsten natürlich die Alpinen sind. Wir haben zum Beispiel einen Surf-Olympiasieger hervorgebracht, obwohl wir nichts mit Wasser zu tun hatten.

 

Unterscheidet sich Ihre Arbeit von Sportler zu Sportler, oder machen Sie immer den gleichen Job?
Das unterscheidet sich auf alle Fälle, vor allem zwischen den Sportarten. Es gibt auch individuell unter den Sportlern unterschiedliche Schwerpunkte, Stärken und Schwächen. Wenn man bedenkt, dass ein Alpiner wie Hermann Maier im Jahr 900 Stunden Konditionstraining macht, dann sind Fußballer meilenweit davon entfernt.

 

In welchem zeitlichen Rhythmus arbeiten Sie mit der Austria zusammen?
Ich bin wöchentlich zwei bis drei Mal beim Verein, kommuniziere täglich mit dem Trainer, und wir versuchen, ein Konzept umzusetzen. 

 

Wie oft sind die Spieler bei Ihnen im Institut?

Die erste war im August, die zweite im Oktober, und jetzt gegen Ende der Herbstphase hatten wir die dritte. Ein Ziel muss sein, dass wir noch individueller auf die Spieler eingehen, speziell im Konditionsbereich, und wir vor allem an der Koordination sowie im Kraft- und Schnelligkeitsbereich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen unter Beachtung der Bewegungs-, Leistungs- und Zeitstruktur im Fußball arbeiten müssen. Im Einzelsport ist das eine absolute Voraussetzung, sogar im Skisport, wo man ja auch eine Mannschaft hat. Ich habe in fast 30 Jahren unzählige Kurse mit Alpinen gemacht, sei es für Japan oder für Österreich, Deutschland, Schweden, wo ich 20 bis 30 Alpine in der Mannschaft hatte und man trotzdem sehr individuell gearbeitet hat. Im Fußball gibt es da Nachholbedarf.

 

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Wenn ich das mit anderen Sportlern vergleiche, die am Tag fünf bis acht Stunden trainieren, dann denke ich, dass es im Fußball einen gewissen Erziehungsprozess hin zu mehr Training geben muss. Und der muss erst noch vonstatten gehen.< /div>< /div>< /blockquote >

  

Sehen Sie sich auch die Spiele der Austria an?
Natürlich schaue ich die Spiele an, vor allem aber die Analysen nach den Spielen. Da bekommt man genaue Aufzeichnungen über die gelaufenen Kilometer und Geschwindigkeiten. Außerdem kriege ich jeden Morgen aktuelle Blutwerte. Insgesamt ist das eigentlich viel mehr Arbeit, als ich anfangs gedacht hatte. Fußballer unterscheiden sich doch ein wenig von Einzelsportlern. Wenn ich das mit anderen Sportlern vergleiche, die am Tag fünf bis acht Stunden trainieren, dann denke ich, dass es im Fußball einen gewissen Erziehungsprozess hin zu mehr Training geben muss. Und der muss erst noch vonstatten gehen.

 

Erkennen Sie während der Austria-Spiele den Fortschritt Ihrer Arbeit bzw. den Unterschied zum Beginn der Saison?
Da erkennt man schon Unterschiede, das sieht man auch an den regelmäßigen Laborwerten, die wir messen. Wir machen ja Ausdaueruntersuchungen, und das hat sich auf alle Fälle schon in eine positive Richtung entwickelt. Auch bei den Spielformen hier vor allem beim HIT-Training, sieht man schon eine sehr positive Tendenz.

 

Abschließende Frage: Glauben Sie, dass leistungssteigernde Mittel irgendwann auch im Fußball ein Thema werden?
Ich glaube, dass diese Zeiten schon lange vorbei sind. Man weiß aus vielen Ländern wie Italien oder Spanien, dass da jetzt regelmäßige Kontrollen stattfinden und die Strafen sehr drastisch sind. Da besteht also keine Gefahr mehr. Es gibt sowieso sehr große körperliche Reserven: Wir haben zum Beispiel mit der Austria sehr aufwendige Blutanalysen mit einem absoluten Fachmann, Dr. Henning Sartor, machen lassen. Da wurden auch Stuhlproben untersucht, ob es Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder Stoffwechselblockaden gibt. Dabei hat sich dann herausgestellt, dass unter anderem Eiweißshakes, die ja als Nahrungsmittelergänzung sehr beliebt sind, massiv mit Gluten behaftet sind. Das kann sich unter Umständen sehr negativ auf die gesamte Leistungsfähigkeit auswirken. Ich hab das bei einigen Spielern erlebt, zum Beispiel bei Paul Scharner. Als der seine Ernährung umgestellt hatte, war er sofort wesentlich leistungsfähiger. Bei gesunder Lebensführung und der richtigen, individuell abgestimmten Ernährung gibt es die größten Reserven.

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