FC St. Pauli GF Meeske: 'You never walk alone gilt nicht nur für die Beziehung der Fans zum Verein, sondern auch umgekehrt'
Bei vielen Vereinen gehen Fans nicht ins Stadion, sondern in die Allianz-Arena, den Signal-Iduna Park oder die Trolli Arena. Der deutsche Zweitligist FC St. Pauli verweigert sich diesem Trend, kann sich einer gewissen Grundkommerzialisierung aber trotzdem
Michael Meeske kann sein Gegenüber rasch von sich einnehmen. Wort- und detailreich erzählt der großgewachsene Norddeutsche aus dem Nähkästchen als Geschäftsführer des deutschen Zweitligisten FC St. Pauli, mit charmanten, trockenen und bisweilen selbstironischen Einschüben hat er die Lacher rasch auf seiner Seite. So auch beim „Sport & Marke"-Kongress vor wenigen Tagen im Wiener Hotel Savoyen, als der Hamburger über die Gratwanderung seines Vereins zwischen Kult und Kommerz referiert und dabei auch auf die „Bring Back St. Pauli"-Initiative von vor drei Jahren zu sprechen kommt. 90minuten.at nützte die Möglichkeit und sprach mit Meeske über St. Pauli, Kult und Kommerz.
"Schuss vor den Bug"
Im Spiel gegen den SC Freiburg brach sich damals ein farbenfroher Protest Bahn, der in Artikulation und Intention auf Europas Fußballplätzen immer noch einmalig ist. In Abwandelung des am Millerntor allgegenwärtigen Piratenkopfes, zeigten tausende Fans mit einem auf rotem Hintergrund auf Fahnen, Transparenten und Schildern gedruckten Jolly Roger dem Verein die rote Karte. „Das war ein Schuss vor den Bug, den wir so damals nicht erwartet hatten und dessen Absender wir auch nicht klar fassen und definieren konnten", beschreibt Meeske den Protest im Rückblick. Offiziell deklarierte sich zwar die Faninitiative „Sozialromantiker" zu dem Protest, die handelnden Personen blieben aber im Dunkeln. Machte aber auch nichts, viel wichtiger war die transportierte Botschaft und die lautete ganz klar: Nein zur fortschreitenden Kommerzialisierung des FC St. Pauli! Nein zu halbnackten Tabledancerinnen in Stadionlogen und nein zu ausufernden Werbe- und Marketingbotschaften im und um das Stadion!
Diese Forderungen hat man so oder ähnlich (wohl mit Ausnahme der Tabledancerinnen) auch schon in vielen anderen Fankurven gehört, die Fans des FC St. Pauli beließen es im Unterschied aber nicht beim stillen Protest. Sie forderten mit ihrer kreativen Aktion nachhaltig einen mit der Vereinsführung geschlossenen Kompromiss ein, der auch „auf dem Marktplatz Bundesliga" für den Verein Werbemaßnahmen ausklammere, „die vom Spielbetrieb ablenken" und so die Stimmung im Stadion negativ beeinflussen. Zudem müsse – und das ist die wohl viel deutlichere Forderung, weil sie nichts weniger als die Identität des Vereins darstellt – stets die „Andersartigkeit" des Kiezklubs sichtbar bleiben.
Wie der Totenkopf zu St. Pauli kam
Um diese Andersartigkeit zu beschreiben, muss man rund 30 Jahre zurückgehen, bis man sich in der Hausbesetzerszene im Hamburg der 1980er Jahre wiederfindet. Während sich damals in Europa noch Ost und West kühl gegenüberstanden und zwischen den Fronten eiserne Rhetorik herrschte, verliehen die Hausbesetzer in der Hamburger Hafenstraße ihrem Unmut gegenüber Exekutive und Gesellschaft mit Piratenflaggen Ausdruck. Der Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen auf schwarzem Hintergrund sollte für Unangepasstheit und Freibeutertum stehen und den unerschrockenen Kampf verwegener Haudegen gegen einen übermächtigen Gegner symbolisieren. Einer dieser Haudegen mit dem Spitznamen „Doc Mabuse" soll es dann gewesen sein, der als erster das Symbol mit ans Millerntor brachte und damit einen Kult begründete. Zuerst von der Mehrzahl der Zuschauer und dem Klub als Gewaltsymbol abgelehnt, bahnte sich der Totenkopf seinen Erfolgsweg über die Tribünen und wuchs bald zum wichtigen Bestandteil der Marketingabteilung. Heute ist der Jolly Roger aus der „Corporate Identity" des Clubs längst nicht mehr wegzudenken; ebenso wie die Protestkultur seiner Fans, die gemeinsam mit der Piratenflagge Einzug in Verein und Stadion hielt.
Diese Protestkultur zeigt sich nicht nur in fett leuchtenden Ausrufezeichen wie „Bring Back St. Pauli", sondern auch im unkonventionellen Lebensgefühl, das der Hamburger Stadtteilklub zum Ausdruck bringt. Nahezu unabhängig vom sportlichen Erfolg hat sich dort ein „Wir-Gefühl" entwickelt, das selbst tiefgreifende Brüche überbrücken kann. Das hat nicht nur die mittlerweile legendäre Retter-Kampagne im Jahr 2003 gezeigt, sondern auch der Verkauf von Lebensdauerkarten zwei Jahre später, als der Verein neuerlich mit finanziellen Problemen zu kämpfen hatte. Für Fußballvereine und deren Umfeld unüblich sich auch Initiativen wie die fannahe Charity-Organisation „Viva Con Agua", die sich für Wasserprojekte der Welthungerhilfe einsetzt, die ebenfalls karitative und regelmäßig stattfindende Kunstausstellung „Millerntor Gallery", der vielfältige Kampf gegen Homophobie, Rassismus und Diskriminierung oder das dreitägige „Fußball & Liebe"-Festival mit kontroversen Diskussionsrunden, Vorträgen, Workshops, Kinderprogramm, Filmen und musikalischem Rahmenprogramm.
90minuten.at: Heere Meeske, täuscht – wenn man all diese Initiativen und Projekte betrachtet – der Eindruck oder sind St. Pauli-Fans sozial engagierter und reflektierter als die Fans anderer Vereine?
Michael Meeske: Nein, der Eindruck täuscht nicht. Der Schnitt ist sicherlich etwas reflektierter und kritischer, als man das vielleicht bei anderen Vereinen gewohnt ist. Negativ betrachtet, sehen unsere Fans in allen Dingen immer zuerst ein Problem, bevor sie Chancen erkennen, aber das hat auch seine Vorteile. Es kann schließlich nicht schaden, Dinge ordentlich auszudiskutieren, bevor man sie umsetzt.
Trotzdem kam es mit „Bring Back St. Pauli" zu einer aufsehenerregenden Protestbewegung, die auch im Stadion deutlich sichtbar war?
Michael Meeske: Das kam auch für uns etwas überraschend, hat aber einmal mehr gezeigt, welche Kraft bei uns auch im gemäßigten Publikum da ist, schließlich ist in dem Fall beinahe die ganze Anhängerschaft geschlossen aufgetreten. Wir haben dann natürlich schnellstmöglich versucht, mit den Fans zu reden – auch, weil von den zehn Forderungen der Protestbewegungen aus unserer Sicht einige Punkte nicht zutreffend waren -, aber es war schwierig einen Ansprechpartner oder Initiator zu finden. Uns wurde dann signalisiert, dass alles nicht so schlimm und dramatisch wäre, aber man auf die Punkte aufmerksam machen wollte und so konnten wir die Sache dann auch bald aus dem Weg räumen.
War die Aktion also so etwas wie ein Wink mit dem Zaunpfahl, um sich als kritische Instanz des Vereins zu positionieren?
Das war sicherlich in diese Richtung gedacht und sollte uns auch eine Art schlechten Gewissens vermitteln, was bei manchen Punkten auch durchaus gerechtfertigt war. Ich will das jetzt nicht schönreden, aber wenn man sich die Entwicklung des Vereins in den vergangenen Jahren ansieht, dann basiert diese auch auf Initiativen wie dieser und damit gehört das bei uns auch mit dazu.
Ist die Aktion damit wieder Schnee von gestern oder schwelt „Bring Back St. Pauli" noch irgendwo im Untergrund weiter?
Das Thema gibt es natürlich noch, wenngleich auch nicht mehr in der vordergründigen Optik, wie damals. Aber wir alle sind sicher, dass das Thema irgendwo im Keller liegt und wieder in den Mittelpunkt rücken kann, wenn es dafür einen Anlass gibt.
Läuft man dadurch nicht auch Gefahr, den Fans zu viel Macht zu geben und sich die Vereinspolitik ein stückweit diktieren zu lassen?
You never walk alone gilt nicht nur für die Beziehung der Fans zum Verein, sondern auch umgekehrt. Wir können den FC St. Pauli nicht gegen die Basis und gegen die Fans führen, da wir diese brauchen und unsere Fans den Verein auch erst ausmachen. Also müssen wir stets für solche Diskussionen bereit und offen sein und den Fans Gestaltungs- und Diskussionsspielräume zugestehen, allerdings nicht ohne ihnen auch ganz klar die Grenzen aufzeigen, ab wo wir entscheiden wollen und müssen.
Auch, wenn die Fans ihres Vereins das nicht gerne hören wollen, aber ohne Kommerz wird es auch in St. Pauli nicht gehen, um den Klub sportlich auf einem höherklassigen Niveau halten zu können?
Das ist klar und wir haben auch eine sehr aufgeklärte Fanszene, die weiß, dass eine gewisse Grundkommerzialisierung notwendig ist, um zumindest Zweitligafußball zu sehen. 5.000 bis 10.000 Fans kämen wohl auch im Falle eines Abstiegs in die 3. Liga, aber der Großteil unserer Fans will schon ein stückweit erfolgreichen Fußball sehen und dadurch genießen wir in diesem Punkt schon auch einiges an Gestaltungsspielraum. Was es bei uns nicht geben wird, sind aber ganz klar kommerzielle Spitzen: Es wird bei uns etwa keine Presentings von Ecken oder Freistößen geben und auch keine Partner oder Sponsoren, die aus der Atomenergiebranche oder dem Rüstungsbereich kommen. Das sind wir uns, den Fans und dem Verein schuldig.
Bei aller Kompromissbereitschaft ist der schmale Grat zwischen kommerziellen Spitzen und der Rekrutierung ausreichender Finanzmittel als Basis für den sportlichen Erfolg für die Macher des FC St. Pauli nicht immer leicht zu finden. „Kein anderer Verein lässt so viel Geld, das er nur aufheben müsste, auf der Straße liegen, weil bestimmte Merchandising-Aktionen einfach nicht ans Millerntor passen", formulierte deshalb bereits vor Jahren der damalige Sportchef und spätere Rapid-Sportdirektor Helmut Schulte. Das gilt auch und vor allem für den omnipräsenten Totenkopf, der laut Meinung einiger Fans zu freizügig und unbedacht zur Vermarktung von Fanartikeln eingesetzt wird. Die Gefahr, dass das rebellische Symbol dadurch seine Strahlkraft verliert, schätzt Michael Meeske allerdings überschaubar ein: „Aus unserer Wahrnehmung heraus ist der Totenkopf in den vergangenen Jahren wieder deutlich trendiger geworden und wird daher bei uns perspektivisch in den kommenden Jahren auch weiter eine große Relevanz haben. Sollte sich das aus irgendwelchen Entwicklungen heraus ändern, weil etwa die Relevanz solcher Protestkulturen abnimmt, dann werden wir das auch neu bewerten und gegebenenfalls eine Lösung dafür finden." Ob Michael Meeske damit auch den möglichen Schwenk zu einem anderen Symbol meint oder gar andeuten möchte, gegebenenfalls auf ein anderes Marketing-Pferd zu setzen, bleibt beim Kongress in Wien ungesagt. Fix ist nur, dass die Realität beim Kiezklub heute – auch wenn sich diese auf St. Pauli ähnlich wie anderswo zunehmend in Cent und Euro berechnet – immer noch Millerntor heißt und nicht HSH Nordbank-Arena oder Easy-Credit-Stadion. Und das ist in einer Fußballwelt powered by Großbanken, Wettanbietern und Supermarktketten mehr als nur eine wohltuende Ausnahme.